Viertes Kapitel.

[77] 1. Der König sprach: »Meister Nāgasena, sind die fünf Sitze der Sinneswahrnehmung durch verschiedene Arten130 von Karman oder durch nur eine erzeugt?«

»Durch mehrere, Grosskönig, nicht durch eine allein.«

»Gib mir ein Gleichnis.«

»Nun, was meinst du, Grosskönig, wenn man auf einem Felde fünf Arten von Samen säte, würden sich aus diesen verschiedenen Saaten verschiedene Früchte entwickeln?«

»Gewiss, Meister.«

»Ebenso, Grosskönig, sind jene fünf Sitze der Sinneswahrnehmung durch verschiedene Arten von Karman, nicht durch eine, erzeugt.«

»Gut, Meister Nāgasena.«

2. Der König sprach: »Meister Nāgasena, woher kommt es, dass die Menschen nicht alle gleich sind, sondern die einen ein kurzes, die anderen ein langes[77] Leben haben, die einen viel, die anderen wenig krank sind, einige hässlich, andere schön, einige machtlos, andere mächtig, einige arm, andere reich, einige von niedriger Geburt, andere hochgeboren, einige dumm, andere weise sind?«

Der Senior sprach: »Woher kommt es, Grosskönig, dass die Bäume nicht alle gleich sind, sondern die Früchte der einen Art sauer, die der anderen salzig, wieder andere stechend, andere bitter, andere zusammenziehend, andere süss schmecken?«

»Vermutlich daher, Meister, dass sie von verschiedenen Arten von Samen stammen.«

»Ebenso, Grosskönig, sind auch die Menschen infolge der Verschiedenartigkeit ihrer Taten131 nicht alle gleich, sondern die einen kurzlebig, die anderen langlebig, die einen viel, die anderen wenig krank, die einen hässlich, die anderen schön u.s.w. Denn der Erhabene hat gesagt: ›Die Tat ist der Menschen Eigentum, die Tat ihr Erbe, die Tat ihre Wiege, die Tat ihr Verwandter, die Tat ihre Rettung. Die Tat teilt die Wesen in gemeine und edle.‹«

»Gut, Meister Nāgasena.«

6. Der König sprach: »Meister Nāgasena, ist Nirvāna Aufhören132

»Ja, Grosskönig, Nirvāna ist Aufhören.«

»Inwiefern, Meister, ist Nirvāna Aufhören?«

»Alle törichten Weltmenschen, Grosskönig, haben ihre Freude an den Sinnen und an den Sinnendingen, sprechen ihnen zu und lassen nicht ab von ihnen. Daher werden sie von dem Strome, in dem sie schwimmen (der Sinnenwelt, dem Samsāra), fortgetragen, sie werden nicht frei von Geburt, Alter und[78] Tod, Kummer und Klage, von Schmerzen, Trübsal und Verzweiflung, sie werden, sage ich, vom Leiden nicht erlöst. Aber der weise Jünger der Edlen, Grosskönig, hat keine Freude an den Sinnen und ihren Objekten, spricht ihnen nicht zu, hält sich nicht zu ihnen, und indem er sich nicht an ihnen freut, ihnen nicht zuspricht, sich nicht zu ihnen hält, hört sein Durst (seine Leidenschaft) auf, und durch das Aufhören des Durstes hört das Ergreifen auf, durch das Aufhören des Ergreifens hört das Werden auf, durch das Aufhören des Werdens hört die Geburt auf, durch das Aufhören der Geburt hören Alter und Tod, Schmerz und Klage, Leid, Trübsal und Verzweiflung auf. Und hiermit ist das Aufhören dieser ganzen Leidensmasse erreicht. In diesem Sinne, Grosskönig, ist Nirvāna Aufhören.«

»Gut, Meister Nāgasena.«

Quelle:
Die Fragen des Königs Menandros. Berlin [1905], S. 77-79.
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