XV. Lessing. – Dessen Verdienst um die Religion der Vernunft. – Seine Gedanken vom geläuterten Pantheismus.

[125] Freund D., der uns in der letzten Morgenstunde überraschte, machte mir beym Weggehen Vorwürfe. Wie kommen Sie darauf, sagte er, unsern Lessing zum Vertheidiger eines so irrigen verschrieenen Lehrgebäudes zu machen? Fiel Ihnen sonst kein Name ein, dem sie dieses verdächtige Geschäft auftragen konnten? Sie wissen, war meine Antwort, daß mir Lessing allemal zuerst einfällt, wenn ich mich nach einem Beurtheiler in solchen Dingen umsehe. Mit ihm habe ich sehr lange philosophischen Umgang gehabt; wir haben uns viele Jahre hindurch unsere Gedanken über diese Materien einander mitgetheilet; mit der unbefangenen Wahrheitsliebe mitgetheilet, die weder Rechthaberey, noch Gefälligkeit Statt finden läßt. Er ist es also, dessen Bild mir, zuweilen aus bloßer Gewohnheit, immer noch vorschwebt, so oft ein philosophischer Satz erörtert, so oft Gründe und Gegengründe mit einander verglichen, gegen einander abgewogen werden sollen. – Ich würde gleichwohl anstehen, sprach er, mich bey dieser Gelegenheit seines Namens zu bedienen. Um alles in der Welt willen möchte ich wider die Religionsgrundsätze dieses vortreflichen Mannes nicht den mindesten Verdacht erregen. Wie? Lessing ein Vertheidiger des Pantheismus, einer Lehre, die auf überfeine sophistische Gründe gebaut ist, und wenn sie nicht alle Wahrheiten der natürlichen Religion geradezu umstößt, solche doch wenigstens höchst problematisch macht? Wem mußten die Wahrheiten der Vernunftreligion unverletzlicher seyn, als ihm, dem Beschützer des Fragmentisten? Dem Urheber des Nathan? Deutschland kennet keinen Weltweisen, der die Religion der Vernunft in einer solchen Lauterkeit, so ohne alle Vermischung mit Irrthum und Vorurtheil gelehrt und dem schlichten Menschenverstande so überzeugend vorgetragen, als der Fragmentist. Seine Anhängigkeit an der natürlichen Religion gieng so weit, daß er aus Eifer für dieselbe keine geoffenbarte neben ihr leiden wollte. Er glaubte alle Lichter auslöschen zu müssen, um die völlige Beleuchtung ungetheilt aus dem Lichte der Vernunft strömen zu lassen. Mit der Vertheidigung[125] des Fragmentisten scheinet Lessing auch seine ganze Gesinnung übernommen zu haben. Man erkennet zwar schon an seinen frühesten Schriften, daß ihm die Vernunftwahrheiten der Religion und Sittenlehre allezeit heilig und unverletzlich gewesen sind; allein nach seiner Bekanntschaft mit dem Fragmentisten, bemerkt man in seinen Schriften, in allen den Aufsätzen, die er zur Beschützung seines Freundes oder Gastes, wie er ihn nennet, geschrieben, dieselbige ruhige Ueberzeugung, die diesem so eigen war, dieselbige unbefangene Entfernung von aller Zweifelsucht, denselbigen planen Gang des gesunden Menschenverstandes in Absicht auf die Wahrheiten der Vernunftreligion. – Und in seinem Nathan? Was Horaz in Absicht auf die Sittenlehre vom Homer saget:


Qui, quid pulcrum, quid turpe, quid utile, quid non,

Plenius ac melius Chrysippo et Crantore dicit.


eben das möchte ich von dem Meisterstücke Lessings, in Absicht auf gewisse Wahrheiten der natürlichen Religion, zu behaupten wagen, Hauptsächlich, was die Lehre von der Vorsehung und Regierung Gottes betritt, kenne ich keinen Schriftsteller, der diese großen Wahrheiten in derselben Lauterkeit, mit derselben Ueberzeugungskraft, und mit demselben Interesse dem Leser ans Herz gelegt hätte, als er.


Cur ita crediderim, nisi quid te detinet, audi!


In allen Handlungen der Menschen, die wir beobachten können, bemerken wir eine Art von Entgegensetzung zwischen Hoheit und Herablassung, Würde und Vertraulichkeit, die uns von der Schwierigkeit überzeuget, diese beide sittliche Eigenschaften in einem Charakter zu verbinden. Schon die Sprache führt auf eine solche Entgegensetzung; indem wir den abgeleiteten moralischen Sinn der Worte mit ihrem ursprünglichen physischen Sinne vergleichen, und die Hoheit oder Erhabenheit der Herablassung entgegen stellen. Wenn das physisch Erhabene herabgelassen wird; so hört es auf erhaben zu seyn; daher ist man auch im Sittlichen diese Unmöglichkeit der Verbindung anzunehmen geneigt, wiewohl im Grunde hier grade das Gegentheil Statt hat; indem die höchste sittliche Erhabenheit in der Herablassung bestehet, und Würde ohne Vertraulichkeit ihren wahren Werth verkennet. Es ist eine nicht geringe Verfeinerung der Begriffe, diesen Unterschied zwischen dem Sittlichen und Physischen[126] einzusehen, und sich das gemeine Vorurtheil nicht blenden zu lassen. Jener große König, der mit seinen Kindern auf Steckenpferden um den Tisch herumspatzierend, von einem fremden Gesandten überrascht werden sollte, hatte Recht zu fragen: Ist er verheirathet? Ja, wurde geantwortet. Hat er Kinder? – Ja. – Nun so mag er hereinkommen, waren die Worte des guten Königs, der nur einem Vater die Gesinnung zutrauen konnte, daß die Würde durch väterliche Herablassung nichts verliere. Ohne eigenes Gefühl erkennet der Hofmann selten diese Wahrheit. Herablassung ist ihm gewöhnlicher Weise Kleinheit des Geistes, und väterliche Vertraulichkeit wenig mehr, als Schwachheit.

Dieselbe Schwierigkeit, sich diese beyden Eigenschaften in Verbindung zu denken, hat die Menschen von je her in Absicht der Religion, auf entgegengesetzte Irrwege geführt. Man hat entweder die Erhabenheit des göttlichen Wesens, oder dessen Herablassung übertrieben, und Gott bald von aller Mitwürkung ausgeschlossen, bald in alle menschliche Handlungen so mit eingeflochten, daß er auch an den menschlichen Schwachheiten Theil nehmen mußte. Die Philosophen, welche die Unendlichkeit Gottes einsahen, hielten es seiner für unwürdig, um das Schicksal des Menschen und anderer nicht unendlichen Wesen sich zu bekümmern. Sie erhoben also ihre Gottheit völlig über die sublunarische Welt, und trugen ihr blos die Sorge für die Erhaltung des Ganzen auf; für die Arten und Geschlechter der Dinge, mit völliger Verzicht auf die Schicksale und Begegnisse einzelner Wesen; möchten diese übrigens zu der vernünftigen oder zu der unvernünftigen Classe gehören. Das populäre System der Dichter und Priester war diesem gerade entgegen gesetzt. Nicht nur große Naturveränderungen, Begebenheiten und Revolutionen der Staaten, Kriege und Verheerungen schrieben sie der unmittelbaren Einwürkung ihrer Gottheiten zu; sondern sie führten ihren Jupiter auch, als häuslichen Gast, zu ihrem Philomen und Baucis, und ließen ihn an dem dürftigen Schicksale dieser armen Landleute gastfreundlichen Antheil nehmen. Wenn diese Vorstellungsart von der einen Seite den Nutzen hatte, daß sie die Gottheit den Menschen gleichsam näher brachte, sie zum Zeugen und Richter der menschlichen Handlungen, so wie zum Tröster in Beschwerlichkeiten dieses Lebens machte; so hatte sie von der andern Seite hingegen den Fehler, daß sie die Gottheit zu menschlichen Schwachheiten herabwürdigte,[127] und ihre unendliche Erhabenheit und Selbstgenügsamkeit nicht genug anzuerkennen, Veranlassung gab.

Ferner ließ dieses populäre System die Hand der Gottheit nur in ausserordentlichen und erstaunlichen Fällen, oder in Wunderdingen erkennen; das heißt, blos in solchen einzelnen Begebenheiten, wo das Absichtliche in die Augen fällt, wo die Mitwürkung eines freywilligen, nach Vorsatz und mit Bewustseyn handelnden Wesens nicht zu bezweifeln ist. Der gemeine Lauf der Dinge aber, wo alles nach festgesetzten Regeln zu gehen scheinet, wurde für Würkung der Natur gehalten, und der Mitwürkung der Gottheit gänzlich entzogen. Ordnung der Natur und Wille der Gottheit waren sich wie entgegen gesetzt. Jemehr man Ordnung und Regelmäßigkeit in dem Laufe der Natur entdeckte; desto weniger Raum wurde der Regierung Gottes gelassen, und daher kommt es, daß die ersten Naturforscher auch die ersten Gottesläugner gewesen sind.

Sie wissen, fuhr er fort, daß in dem letzten Jahrhunderte die größten Männer diese Begriffe noch nicht völlig ins Reine gebracht hatten. Immer noch wurde das philosophische Vorurtheil begünstigt, daß die allerhöchste Ursache blos nach allgemeinen Gesetzen handle. Das Besondre war blos, als Folge aus dem Allgemeinen, ein Gegenstand der göttlichen Regierung. An und für sich konnte es der göttlichen Absicht gemäß oder zuwider seyn; so wie es die allgemeinen Gesetze der Natur mit sich brachten, so und nicht anders mußte es von der göttlichen Regierung zugelassen, oder durch eine unmittelbare Dazwischenkunft, das ist, durch ein Wunderwerk, aus dem Wege geschafft werden.

Es ist der höchste Triumph menschlicher Weisheit, die vollkommenste Harmonie zwischen dem System der Absichten und dem System der würkenden Ursachen anzuerkennen, und mit Shaftsbury und Leibnitzen einzusehen, daß die Absichten Gottes, so wie seine Mitwürkung, bis auf die kleinste Veränderung und einzelne Begebenheiten, des Leblosen sowohl als des Lebendigen, sich erstrecken; daß aus der Aehnlichkeit einzelner Dinge, Begebenheiten und Endzwecke die allgemeinen Gesetze der Absichten, und auf eine vollkommen harmonische Weise auch die allgemeinen Gesetze der würkenden Ursachen entspringen; daß hier nirgends eine Lücke sey, und daß jede Naturwürkung eben sowohl der göttlichen Absicht zustimme, als sie aus seiner Allmacht fließe. Gottes Regierung und Vorsehung in[128] den allerkleinsten Begebenheiten nicht verkennen, sie gerade deßwegen nicht verkennen, weil diese Dinge nach dem gewöhnlichen Lauf der Natur erfolgen; Gott also mehr in Naturbegebenheiten, als in Wunderdingen verehren, dieses, dünkt mich, ist die höchste Veredlung menschlicher Begriffe, die erhabenste Weise, über Gott und seine Regierung und Vorsehung zu denken.

Ich gab ihm meinen Beyfall zu erkennen, und führte die Worte des Rabbinen an, der diesen Gegensatz der Erhabenheit und Herablassung bereits bemerkt hat: Allenthalben, wo du Gottes Größe und Erhabenheit findest, da findest du auch seine Herablassung. Besonders merkwürdig sind die Stellen aus der Schrift, mit welchen dieser Lehrer, nach Gewohnheit der Rabbinen, diese Lehre belegt, und der lyrische Schwung, den ihr der Psalmist zu geben weis:


Wer ist wie unser Gott, der Ewige?

Wer thront so hoch?

Schauet so tief?

Im Himmel?

Auf Erden?


D. fuhr fort: Nun dünkt mich, Freund, daß eben diese Lehre von keinem Schriftsteller, auf der einen Seite mit mehrerer Ueberzeugung und Darstellung in einzelnen Fällen; auf der andern Seite mit mehr Inbrunst und frommer Begeisterung vorgetragen worden sey, als von unserm unsterblichen Lessing. Erinnern wir uns nur jener vortreflichen Scenen seines dramatischen Lehrgedichts, in welchen er die wahre Lehre von der Vorsehung und Regierung Gottes, so wie das Schädliche in der Vorstellungsart, nach welcher man immer nach Wunderdingen ausgehet, um den Finger der Gottheit zu erkennen, mit aller Deutlichkeit des didaktischen Weltweisen, und zugleich mit aller Energie des theatralischen Dichters, bis zur Augenscheinlichkeit dargestellt hat. Eine Verbindung, die nur einem Lessing, wiewohl vielleicht auch diesem nur in unsrer Muttersprache, möglich gewesen. Nur unsre Muttersprache scheint diese Art von Ausbildung erlangt zu haben, daß sich die Sprache der Vernunft in derselben mit der lebendigsten Darstellung verbinden läßt.

Es kömmt mir vor, sagte ich, als wenn Lessing die Absicht gehabt hätte, in seinem Nathan eine Art von Anti-Candide zu schreiben. Der Französische Dichter sammelte alle Kräfte seines Witzes, spornte die unerschöpfliche Laune seines satyrischen Geistes, mit einem[129] Worte, strengte alle außerordentliche Talente, die ihm die Vorsehung gegeben, an, um auf diese Vorsehung selbst eine Satyre zu verfertigen. Der Deutsche that eben dieses, um sie zu rechtfertigen, und um sie den Augen der Sterblichen in ihrer reinsten Verklärung zu zeigen. Ich weiß mich zu erinnern, daß mein verewigter Freund, bald nach der Erscheinung des Candide, den flüchtigen Einfall hatte, einen Pendant zu demselben zu schreiben, oder vielmehr eine Fortsetzung desselben, in welcher er durch eine Folge von Begebenheiten zu zeigen Willens war, daß alle die Uebel, die Voltaire gehäuft, und auf Rechnung der verläumdeten Vorsehung zusammengedichtet hatte, am Ende dennoch zum Besten gelenkt, und zu den allerweisesten Absichten einstimmig gefunden werden sollten. Es scheint, der Französische Satyriker habe ihm die Aufgabe zu schwer gemacht, habe durch Erdichtung mehr Uebel gehäuft, als sich durch Erdichtung wieder gut machen liessen. Lessing gieng daher lieber seinen eigenen Weg, schuf sich eine Folge von Begebenheiten, die an Geist und Dichtungskraft dem Candide doch wohl zur Seite gestellt werden darf? und an Vortreflichkeit der Absichten, an Weisheit und Nützlichkeit sich zu demselben verhält, ungefähr wie der Himmel zu der Hölle, oder wie die Wege Gottes zu den Wegen des Verführers.

Und eben dieses herrliche Lobgedicht auf die Vorsehung, ergriff D. wieder das Wort, eben diese selige Bemühung, die Wege Gottes vor den Menschen zu rechtfertigen, wie theuer ist sie nicht unserm unsterblichen Freunde geworden! Ach! sie hat ihm seine letzten Tage verbittert, wo nicht gar am Ende sein kostbares Leben abgekürzet. Bey der Herausgabe der Fragmente war er darauf gefaßt, den ganzen Schwarm von Schriftstellern über sich herfallen zu sehen, die mit und ohne Beruf die Fragmente würden widerlegen wollen, und er hielt sich für stark genug, seinen Gast wider alle ungezogene Angriffe seiner Gegner zu vertheidigen. So mancherley auch die Wege waren, welche seine Widersacher einschlagen konnten, und wie der Erfolg zeigte, auch würklich einschlugen, um ihn zu bekämpfen: so glaubte er doch allen denjenigen die Spitze bieten zu können, die sich nicht durch Billigkeit und Liebe zur Wahrheit auszeichnen würden. Am Ende blieb es, so lebhaft er den Streit auch führte, blos ein Schulgezänke, das von der einen und der andern Seite manche angenehme und auch unangenehme Stunden machen;[130] aber so wie er dachte, auf die Glückseeligkeit des Lebens keinen wesentlichen Einfluß haben sollte. Aber wie sehr veränderte sich die Scene, nach der Erscheinung des Nathan! Nunmehr drang die Kabale aus den Studierstuben und Buchläden in die Privathäuser seiner Freunde und Bekannten mit ein; flüsterte jedem ins Ohr: Lessing habe das Christenthum beschimpft, ob er gleich nur einigen Christen und höchstens der Christenheit einige Vorwürfe zu machen gewagt hatte. Im Grunde gereicht sein Nathan, wie wir uns gestehen müssen, der Christenheit zur wahren Ehre. Auf welcher hohen Stufe der Aufklärung und Bildung muß ein Volk stehen, in welchem sich ein Mann zu dieser Höhe der Gesinnungen hinaufschwingen, zu dieser feinen Kenntniß göttlicher und menschlicher Dinge ausbilden konnte! Wenigstens, dünkt mich, wird die Nachwelt so denken müssen; aber so dachten sie nicht, die Zeitgenossen Lessings. Jeden Vorwurf des Eigendünkels und der einseitigen Denkungsart, den er einigen seiner Glaubensbrüder machte, oder durch seine dramatische Personen machen ließ, hielt ein jeder für eine persönliche Beleidigung, die ihm von Lessing widerfahren. Der allenthalben willkommne Freund und Bekannte fand nunmehr allenthalben trockene Gesichter, zurückhaltende, frostige Blicke, kalte Bewillkommung und frohe Abschiede, sah sich von Freunden und Bekannten verlassen und allen Nachstellungen seiner Verfolger blosgestellt. Sonderbar! Unter den abergläubigsten Franzosen hatte Candide für Voltaire bey weitem die schlimmen Folgen nicht, zog ihm diese Schmähschrift auf die Vorsehung bey weitem die Feindschaft nicht zu, die sich unter den aufgeklärtesten Deutschen Lessing durch die Vertheidigung derselben, durch seinen Nathan zugezogen, und traurig sind die Würkungen, die dieses in seinem Gemüthe hervorbrachte! Lessing, der aller seiner gelehrten Arbeiten ungeachtet, immer noch der angenehmste Gesellschafter, der fröhlichste Tischfreund gewesen, verlor nunmehr seine jovialische Laune völlig, ward zu einer schläfrigen, gefühllosen Maschiene. – Halten Sie ein, Freund! fiel ich ihm hier in das Wort, verschonen Sie mich mit dieser melancholischen Erinnerung! – Schon recht, sagte er. Sie ist trostlos, diese melancholische Erinnerung, und gehört auch überhaupt jetzt nicht zu meinem Vorhaben. Ich wollte nur anführen, was Lessing für die Wahrheiten der Vernunftreligion gethan und gelitten, und was für Verdienste er sich um alle Freunde und Bekenner derselben erworben.[131] Ein solcher Mann sollte uns zu verehrungswerth seyn, um ihn zur Vertheidigung des Irrthums zu mißbrauchen. Wollen Sie ihren Freund an ihren philosophischen Unterhaltungen noch Antheil nehmen lassen; so geben Sie ihm wenigstens keine schlechtere Gesinnung als er selbst zu erkennen gegeben. Lassen Sie ihn keine Irrlehre vertheidigen, von der er doch sehr weit entfernt seyn mußte. – Sie denken also wohl, sprach ich. Lessing würde sich nach seinem Charakter gefreut haben, den Pantheismus oder Spinozismus durch mich gestürzt zu sehen; ich möchte es mit guten oder schlechten Gründen gethan haben?

»Dieses nun zwar eben nicht.«

Dieses so weit entfernet, daß es vielmehr gerade zu in seinem Charakter war, sich einer jeden verfolgten Lehre anzunehmen, er mochte ihr zugethan, oder nicht zugethan seyn, und allen seinen Scharfsinn aufzubieten, um noch etwas zu ihrer Rechtfertigung vorzubringen. Der irrigste Satz, die ungereimteste Meinung durfte nur mit seichten Gründen bestritten werden, und sie können versichert seyn, Lessing würde sie in Schutz genommen haben. Geist der Untersuchung war bey ihm alles. Mit seichten Gründen behauptete Wahrheit, pflegte er zu sagen, ist Vorurtheil; nicht minder schädlich, als offenbarer Irrthum, und zuweilen noch schädlicher; denn ein solches Vorurtheil führt zur Trägheit im Nachforschen und tödtet den Untersuchungsgeist. Ich bin versichert, wenn die Beurtheiler der Fragmente sie mit schlechten Gründen vertheidiget hätten, Lessing wäre der erste gewesen, sie zu bestreiten.

Ich habe das Lob unsers Freundes, fuhr ich fort, aus Ihrem Munde mit inniger Ergötzung vernommen. Ach! es ist tröstlich, bey aller Gleichgültigkeit oder Undankbarkeit des großen Haufens höchst tröstlich, das Andenken solcher Wohlthäter in edlen Gemüthern so frisch erhalten und Frucht bringen zu sehen. Auch lobe ich den Eifer, mit welchem Sie sich der Religionsgrundsätze dieses Weltweisen annehmen. Ich erkenne von ganzem Herzen die Aufrichtigkeit und Redlichkeit seiner Gesinnung, so oft von den wichtigsten Wahrheiten der Religion die Rede ist, und gleichwohl halte ich es nicht für nöthig, seinen Geist um Vergebung zu bitten, daß ich ihn zur Vertheidigung des Pantheismus herauf bemühet habe. Ohne demselben zugethan zu seyn, konnte er sich, so wie ich ihn gekannt habe, selbst eines Irrthums mit Eifer annehmen, wenn die Gründe nicht hinreichend[132] waren, mit welchen man ihn bestreiten wollte.

Auch habe ich in dem Verfolg meiner letzten Vorlesung gezeigt, daß der verfeinerte Pantheismus gar wohl mit den Wahrheiten der Religion und der Sittenlehre bestehen könne, daß der Unterschied blos in einer überfeinen Speculation bestehe, die auf menschliche Handlungen und Glückseligkeit nicht den mindesten Einfluß hat, und daß er vielmehr alles an seinem Orte gestellt seyn lasse, was irgend practisch werden und im Leben oder selbst in den Meinungen der Menschen von merklichen Folgen seyn kann.

Sehen Sie hier eine Stelle in Lessings theologischem Nachlaß, die Sie überführen wird, daß Lessing über diesen Punkt eben so gedacht habe. Sie ist zwar, wie ich mich erinnere, aus einem jugendlichen Aufsatze, davon er mir das Wesentlichste, gleich zu Anfang unserer Bekanntschaft, vorgelesen hatte. Allein sie zeigt Ihnen doch wenigstens die Wendung, die er schon so früh dieser Speculation zu geben wüste, und wo mir recht ist, so trägt eine kleine Schrift, die er kurz vor seinem Tode herausgegeben, nicht undeutliche Spuren von eben derselben Denkungsart.

Diese Stelle ist aus dem zwölften Aufsatze seines Nachlasses, den er das Christenthum der Vernunft betittelt. Ich werde Ihnen die wichtigsten Sätze daraus anführen, denn er bestehet ganz aus einzelnen Sätzen, die unvollendet in seinen Papieren gefunden worden sind, Sie lauten:


§. 1.

Das einzige vollkommenste Wesen hat sich von Ewigkeit her mit nichts als mit der Betrachtung des Vollkommensten beschäftigen können.


§. 2.

Das Vollkommenste ist er selbst; also hat Gott von Ewigkeit her nur sich selbst denken können.


§. 3.

Vorstellen, wollen und schaffen, ist bey Gott eins. Man kann also sagen, alles was sich Gott vorstellet, alles das schaft er auch.


§. 4.

Gott kann sich nur auf zweyerley Art denken; entweder er denkt alle seine Vollkommenheiten auf einmal, und sich als den Innbegriff[133] derselben, oder er denkt seine Vollkommenheiten zertheilt, eine von der andren abgesondert, und Jede von sich selbst nach Graden abgetheilt.


§. 5.

Gott dachte sich von Ewigkeit her in aller seiner Vollkommenheit, d.h. Gott schuf sich von Ewigkeit her ein Wesen, dem keine Vollkommenheit mangelte, die er selbst besaß. –

In den folgenden Sätzen sucht L. durch eine nicht unfeine Wendung, hieraus das Geheimniß der Dreyeinigkeit zu erklären; oder gar, wie er sich öfters in jungem Jahren schmeichelte, metaphysisch zu demonstriren. Von dieser jugendlichen Anmaßung, mit welcher die strengsten Anhänger der athanasischen Lehre selbst nicht zufrieden sind, ist er freylich in der Folge zurück gekommen. Indessen erkennet man hier noch die deutlichsten Spuren davon, und dieses ist mir ein Beweis, daß der Aufsatz von sehr frühem Datum seyn müsse. – Lessing fährt fort:


§. 13.

Gott dachte seine Vollkommenheiten zertheilt, d.i., er schafte Wesen, wovon jedes etwas von seinen Vollkommenheiten hat; denn, um es nochmals zu wiederholen, jeder Gedanke ist bey Gott eine Schöpfung.


§. 14.

Alle diese Wesen zusammen, heißen die Welt.


§. 15.

Gott könnte seine Vollkommenheiten auf unendliche Art zertheilt denken; es könnten also unendlich viel Welten möglich seyn, wenn Gott nicht allezeit das Vollkommenste dachte, und also unter diesen Arten die vollkommenste Art gedacht und dadurch würklich gemacht hätte.


§. 16.

Die vollkommenste Art seine Vollkommenheiten zertheilt zu denken, ist diejenige, wenn man sie nach unendlichen Graden des Mehreren und Wenigem, welche so auf einander folgen, daß nirgends ein Sprung oder eine Lücke zwischen ihnen ist, zertheilt denkt.


§. 17.

[134] Nach solchen Graden also müssen die Wesen in dieser Welt geordnet seyn. Sie müssen eine Reihe ausmachen, in welcher jedes Glied alles dasjenige enthält, was die untern Glieder enthalten, und noch etwas mehr; welches etwas mehr aber nie die letzte Grenze erreicht.


§. 18.

Eine solche Reihe muß eine unendliche Reihe seyn, und in diesem Verstande ist die Unendlichkeit der Welt unwiedersprechlich.


§. 19.

Gott schaft nichts als einfache Wesen, und das Zusammengesetzte ist nichts als eine Folge seiner Schöpfung.


§. 20.

Da jedes von diesen einfachen Wesen etwas hat, welches die andern haben, und keines etwas haben kann, das die andern nicht hätten; so muß unter diesen einfachen Wesen eine Harmonie seyn, aus welcher Harmonie alles zu erklären ist, was unter ihnen vorgehet, d.i., in der Welt vorgehet.


§. 21.

Bis hieher wird einst ein glücklicher Christ das Gebiete der Naturlehre erstrecken. Doch erst nach langen Jahrhunderten, – wenn man alle Erscheinungen in der Natur wird ergründet haben, so daß nichts mehr übrig ist, als sie auf ihre wahre Quelle zurückzuführen.


§. 22.

Da diese einfache Wesen gleichsam eingeschränkte Götter sind, so müssen auch ihre Vollkommenheiten den Vollkommenheiten Gottes ähnlich seyn; so wie Theile dem Ganzen.


§. 23.

Zu den Vollkommenheiten Gottes gehört dieses, daß er sich seiner Vollkommenheit bewußt ist, und dieses, daß er seiner Vollkommenheit gemäß handeln kann. Beide sind gleichsam das Siegel seiner Vollkommenheiten.


§. 24.

[135] Mit den verschiedenen Graden seiner Vollkommenheiten müssen also auch verschiedene Grade des Bewustseyns dieser Vollkommenheiten und der Vermögenheit, derselben gemäß zu handeln, verbunden seyn.


§. 25.

Wesen, welche Vollkommenheiten haben, sich ihrer Vollkommenheit bewußt sind, und das Vermögen besitzen, ihnen gemäß zu handlen, heißen moralische Wesen, d.i. solche, die einem Gesetz folgen können.


§. 26.

Dieses Gesetz ist aus ihrer eignen Natur genommen, und kann kein andres seyn, als: handle deinen individiualischen Vollkommenheiten gemäß.


§. 27.

Da in der Reihe der Wesen unmöglich ein Sprung statt finden kann, so müssen auch solche Wesen existiren, welche sich ihrer Vollkommenheiten nicht deutlich bewust sind – – – – – – Sie sehen, setzte ich endlich hinzu, daß Lessing sich den Pantheismus völlig so verfeinert gedacht, als ich ihn vorgestellt habe; in der besten Harmonie mit allem, was auf Leben und Glückseeligkeit Einfluß haben kann; ja daß er auf dem Wege war, pantheistische Begriffe so gar mit der positiven Religion zu verbinden: und in der That geht es hiemit eben so gut, als mit dem Emanationssystem der Alten, das viele Jahrhunderte hindurch in der Religion aufgenommen, und für die einzige rechtgläubige Lehre gehalten worden ist. Auf dem langen Wege, den man von diesen überfeinen Speculationen bis auf das Praktische der Religion und Sittenlehre zu machen hat, giebt es so manche bequeme Stellen, wo man von dem Nebenwege ab in die öffne Heerstraße wieder einlenken kann. So wie ein Rechnungsfehler sich durch den andern wieder heben und berichtigen läßt; eben so kann eine Unrichtigkeit in dergleichen abgezogenen Meditationen, gar bald durch die andere gehoben, eine kleine Ausweichung, die in der Folge gar weit vom Ziele abgeführt haben würde, durch eine eben so geringe Einlenkung[136] verbessert werden, und man ist wieder im Gleise. Daher die Verächtlichkeit der Consequenzerey, die von jeher die Mutter, oder wenigstens die Verpflegerin, aller Verfolgung und alles Religionshasses unter den Menschen gewesen ist.[137]

Quelle:
Moses Mendelssohn. Gesammelte Schriften. Band 3.2, Berlin 1929 ff. [ab 1974: Stuttgart u. Bad Cannstatt], S. 125-138.
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