Achtzehnter Abschnitt.
Die Objekte.

[113] Frage: Wenn die Objekte (dharma) ausschließlich (und) völlig leer sind, ohne Entstehen, ohne Vergehen, (und) das der dharmas tatsächliche Beschaffenheit heißt, wie ist Eintreten (d.h. in den Pfad der Lehre)?

Antwort: Durch Vernichten von Haften an Ich (ātmen) und Mein (ātmīya) erlangt man: alle dharmas sind leer, anātman-Kenntnis heißt Eintreten.

Frage: Wie kann man die dharmas als Nicht-Ich (anātman) erkennen?

Antwort:

Wenn das Ich (ātman) die fünf skandhas ist, dann entsteht und vergeht ātman. Wenn ātman verschieden von den fünf skandhas ist, dann ist er ohne die Eigenschaft der fünf skandhas. (XVIII. 1.)

Wenn das Ich (ātman) nicht ist, wie erreicht man Mein (ātmīya)? Weil ātman (und) ätmīya vernichtet sind, heißt es: anātman-Kenntnis erreichen. (XVIII. 2.)

Wer anātman-Kenntnis erlangt, der heißt tatsächlich einsichtig. Der anātman-Kenntnis Erreichende, der Mann ist ein seltener. (XVIII. 3.)

Wenn (eig. »da«) (die Vorstellungen) »innen (und) außen«, »ich (und) mein« völlig vernichtet (und) nicht sind, dann sind die upādānas vernichtet, das Vernichten der upādānas ist dann Vernichten des Körpers. (XVIII. 4.)

Da Taten (karma) (und) Qualen (kleśa) vernichtet sind, heißt es Erlösung. Da karma (und) kleśas nicht tatsächlich sind, ist Eintreten leer, dann vergeht das Gerede (prapañca). (XVIII. 5.)

Die Buddhas lehren teils Ich (ātman), teils lehren[114] sie Nicht-Ich (anātman). Die dharmas sind in ihrer tatsächlichen Beschaffenheit nicht ātman, nicht anātman. (XVIII. 6.)

Der dharmas tatsächliche Beschaffenheit ist Vernichtung von Verstandes-Wirkung (citta-saṃskāra) (und) von Sprache (und) Wort; nicht entstanden, auch nicht vergangen, still-erloschen wie nirvāṇa. (XVIII. 7.)

Alles ist tatsächlich, ist nicht-tatsächlich, (ist nicht) tatsächlich-(und-)nicht-tatsächlich, (ist nicht) weder-tatsächlich-noch-nicht-tatsächlich: das heißt der Buddhas Lehre (dharma). (XVIII. 8.)

(An sich) selbst erkannt, nicht abhängig von anderem, still-vergangen, nicht entfaltet (prapañcita), nicht verschieden, nicht getrennt: das eben heißt tatsächliche Beschaffenheit (lakṣaṇa). (XVIII. 9.)

Wenn ein dharma durch Bedingungen (pratyaya) entsteht, so ist er nicht identisch (mit), nicht verschieden (von) dem Grunde (hetu). Deshalb heißt (ihre) tatsächliche Beschaffenheit: nicht abgeschnitten, auch nicht ewig. (XVIII. 10.)

Nicht eines, auch nicht verschieden, nicht ewig, auch nicht abgeschnitten: das heißt der von den Erhabenen gelehrte Ambrosia-Geschmack (amṛta- rasa). (XVIII. 11.)

Wenn Buddhas nicht in die Welt hinausgehen, die Buddha-Lehre (dharma) vernichtet und erschöpft ist, entsteht der Einzelerleuchteten (pratyeka-buddha) Kenntnis, durch Entfernung getrennt. (XVIII. 12.)

Es sind Leute, die lehren: ātman könnte zweifach sein. Entweder die fünf skandhas das wäre ātman, oder ohne die fünf skandhas ist ātman. Wenn die fünf skandhas ātman sind, dann ist ātman mit Entstehen (und) Vergehen vereigenschaftet. Wie im śloka gelehrt wird: »Wenn ātman die fünf skandhas ist, dann ist er mit Entstehen (und) Vergehen vereigenschaftet.« Weshalb? Weil (er), wenn er entstanden ist, vergeht. Da die Eigenschaft (lakṣaṇa) des Entstehens (und) Vergehens ist, sind die fünf skandhas nicht ewig. Wie die fünf skandhas nicht ewig (sind), so auch sind die zwei dharmas des Entstehens und Vergehens nicht ewig. Weshalb? Weil auch Entstehen (und) Vergehen, nachdem entstanden, zerstört und vernichtet sind, (sind sie) nicht[115] ewig. Wenn ātman eben die fünf skandhas ist, so wäre, da die fünf skandhas nicht ewig sind, ātman auch nicht ewig mit Entstehen und Vergehen vereigenschaftet. Nur ist diese Sache nicht richtig. Wenn ohne fünf skandhas ātman ist, dann ist ātman nicht mit den fünf skandhas vereigenschaftet, wie im śloka gelehrt wird: »Wenn ātman verschieden von den fünf skandhas, dann ist er nicht mit den fünf skandhas vereigenschaftet.« Trotzdem ohne fünf skandhas wiederum sind die dharmas nicht. Wenn ohne fünf skandhas die dharmas sind, dann durch welche Eigenschaft, und welcher dharma ist? Wenn man sagt: »ātman ist wie Raum (ākāśa) ohne fünf skandhas, aber doch ist er«, so ist das auch nicht richtig. Weshalb? In dem Abschnitt der Widerlegung der sechs dhātus1 ist erklärt: »ākāśa ist nicht Sein, das heißt ›ākāśa‹.«

Wenn (jemand) sagt: »Weil Glaube ist, ist ātman«, so ist diese Sache nicht richtig. Weshalb? Glaube ist vierfach.2 1) Unmittelbar Gesehenes (dṛṣṭa) ist zu glauben; 2) das »anumāna« (Kennen durch Analogie) Genannte ist zu glauben; wie, wenn man Rauch sieht, man erkennt: es ist Feuer; 3) das »Beispielserklärung« (upamāna) genannte ist zu glauben; wie, wenn in einem Lande ohne Kupfermine, man mit dem Beispiel des Goldes erklärt und erkennt; 4) das »von Weisen gelehrte« (āptavacana) ist zu glauben; wie wenn gelehrt wird: es ist naraka (Hölle), es ist svarga (Himmel), es ist uttara-kuru (d.h. das Land der nördlichen kurus). Man sieht sie zwar nicht, aber man glaubt weiser Leute Rede. Deshalb erkennt man: dieser ātman ist in allem Glauben unerreichbar, weder im unmittelbar Gesehenen, noch in der Analogie. Weshalb? »Analogie« heißt: weil (man es) vorher gesehen hat, später in entsprechender Art erkennen. Wie wenn ein Mann vorher Feuer mit Rauch sieht und später nur Rauch sieht und (dann) erkennt: es ist Feuer. Die Bedeutung des ātman ist nicht richtig. Wer kann vorher ātman und der fünf skandhas Vereinigung sehen und später, wenn er die fünf skandhas sieht, erkennen: »Es ist ātman«? Wenn (einer) sagt: es ist dreifache Schlußfolgerung, 1) wie früher (pūrvavat), 2) wie übriges (śeṣavat), 3) wie allgemein, gesehen (sāmānyato-dṛṣṭa): »pūrvavat« heißt: vorher[116] Feuer mit Rauch gesehen habend, jetzt Rauch sehend, erkennt man wie zuerst: es ist Feuer, »śeṣavat« heißt wie: (wenn man) Reis kocht, (und) ein Reiskorn gut gekocht ist, erkennt man: die übrigen alle zusammen sind gar. »sāmānyato-dṛṣṭa« heißt wie: mit dem Auge sieht man einen Mann durch dieses Gehen einen anderen erreichen, auch sieht man den gehen. So auch die Sonne, aus östlicher Richtung hervorkommend, erreicht westliche Richtung. Obwohl sie nicht (als) gehend gesehen wird, so erkennt man, weil bei Menschen die Eigenschaft des Gehens vorhanden ist: die Sonne auch geht. So würden auch Leid, Freude, Haß, Verlangen, Weisheit (prajñā), Erkennen usw. (dem) entsprechend sein. Wie (wenn man) Menschenvolk sieht, (man) erkennt: (sie sind) gewiß abhängig vom Herrscher. Diese Sache ist ausnahmslos nicht richtig. Weshalb? Gemeinsam (sāmānyato) vereigenschafteter Glauben: vorher sieht man einen Menschen mit Gehen vereinigt einen anderen Ort erreichen, später sieht man die Sonne andere Orte erreichen (und) erkennt deshalb: sie ist mit Gehen. (Aber) nicht sieht man vorher die fünf skandhas mit ātman vereinigt, und später, (wenn man) die fünf skandhas sieht, erkennt man: es ist ātman. Deshalb ist auch in dem sāmānyato-Erkennen ātman nicht. In dem, was weise Männer lehren (āpta-vacana), ist auch nicht ātman. Warum? Von weisen Männern wird gelehrt: alles ausnahmslos ist vorher mit den Augen gesehen (und) wird später gelehrt. Auch lehren die weisen Männer: da die übrigen Dinge zu glauben sind, (deshalb) wird man erkennen: (die) Lehre (von) der Hölle usw. auch ist zu glauben, aber ātman ist nicht so. Nicht ist einer, der vorher ātman sieht und ihn später lehrt. Deshalb in den vier Arten von Beweis, Glauben usw., gesucht ist ātman nicht erreichbar. Da der gesuchte ātman nicht zu erreichen ist, ist er nicht. Deshalb ist nicht ohne fünf skandhas getrennt ātman.

Ferner: Weil in dem Abschnitt der Widerlegung der Sinne (indriya)3 Sehen, Seher, Sichtbares widerlegt sind, ist auch zugleich ātman widerlegt. Überdies mit dem Auge gesehene grobe dharmas sind schon nicht erreichbar, um so mehr trügerische Vorstellungen, wie es die des ātman ist. Deshalb erkennt man: es ist nicht ātman. Abhängig von ātman ist ātmīya (zum Selbst[117] gehörig). Wenn ātman nicht ist, dann ist nicht ātmīya. Da das Ausüben (und) Betreten des heiligen Pfades Veranlassung (hetu-pratyaya) der Vernichtung von ātman und ātmīya ist, erlangt (man) die wahrhaftige Kenntnis von Nicht-Ich (anātman) und Nicht-Mein (anātmīya). Auch anātman und anātmīya ist im höchsten Sinne nicht erreichbar. Nicht als ātman, nicht als zum ātman gehörig können wirklich die dharmas betrachtet werden. Gewöhnliche Leute können, da die Augen der Erkenntnis durch ātman und ātmīya bedeckt sind, die Wahrheit nicht sehen. Indessen (eig. »jetzt«), weil weise Männer ohne ātman und ātmīya sind, vergehen auch die Qualen (kleśa). Weil die kleśas vergehen, können sie die dharmas in ihrer tatsächlichen Beschaffenheit sehen. Da innen (und) außen, ātman (und) ātmīya vergangen sind, vergehen die upādānas. Da die upādānas vergehen, vergehen (auch)4 die zahllosen späteren Leiber (d.h. Inkarnationen) ausnahmslos. Das heißt das restlose (anupadhiśeṣa) nirvāṇa lehren.

Frage: Wie ist mit Rest behaftetes nirvāṇa?

Antwort: Da die Qualen (kleśa) und Taten (karma) vergehen, heißt es: Denken (citta) erreicht Erlösung (mokṣa). Diese kleśas und karmas sind ausnahmslos durch Überlegung unterschieden entstanden. Nicht sind sie tatsächlich. Überlegungen und Unterscheidungen sind ausnahmslos durch Entfaltung (prapañca) entstanden. Wenn man die tatsächlichen Eigenschaften (lakṣaṇa) der dharmas erreicht (als) absolut leer, dann vergehen die Entfaltungen (prapañca). Das heißt: nirvāṇa mit Rest lehren. Tatsächliche Beschaffenheit ist so. Da die Buddhas durch Allwissenheit die sattvas durchschauen, lehren sie auf verschiedene Weise. Teils lehren sie: »Es ist ātman«; teils lehren sie: »ātman ist nicht.« Wenn der Verstand (citta) noch nicht reif ist, so ist noch nicht Anteil am nirvāṇa; man erkennt nicht das Übel der Furcht. Dieser Leute wegen lehrt er: »Es ist ātman.« Aber erreicht man den Pfad (und) erkennt man: »Alle dharmas sind leer«, so sagt man nur scheinbar (d.h. konventionell): »Es ist ātman.« Dieser Leute wegen lehrt er: »ātman ist nicht fehlerhaft.« Auch ist Almosen geben (dāna), Vorschriften befolgen (śila) u.dgl. Gutes (und) Tugend, und Fernhalten (und) Abscheu vor Leid und[118] Schmerzen des saṃsāra, (ferner) Furcht vor der ewigen Vernichtung des nirvāṇa. Deshalb lehrt Buddha dieser Leute wegen: »Nicht ist ātman, die dharmas (sind) nur (durch) der Bedingungen (pratyaya) Zusammensein«; wann (sie) entstehen, entsteht Leer(heit), wann (sie) vergehen, vergeht Leer(heit). Deshalb lehrt (er): »Nicht ist ātman«; nur scheinbar (d.h. konventionell) nennt er es ātman. Aber der den Pfad Erreichende erkennt: nicht ist ātman; (aber) wegen des nicht Zerfallens, Abgeschnittenseins, Vergangenseins lehrt er: »anātman (oder »ātman ist nicht«) ist kein Fehler.« Deshalb ist im śloka gelehrt: »Die Buddhas lehren: ›Es ist ātman‹, auch lehren sie: ›Nicht ist ātman‹. Wenn in voller Wahrheit, lehren sie weder ātman noch anātman.«

Frage: Wenn Nicht-Ich (anātman) die Wahrheit ist, und nur wegen der weltlichen Ausdrucksweise (loka-vyavahāra) gelehrt wird: »Es ist Ich (ātman)«, welcher Fehler ist dann?

Antwort: Durch Widerlegen des ātman(-dharma) ist anātman. ātman in wahrhaftigem Sinne ist nicht zu erreichen, um so mehr (nicht) anātman. Wenn in wahrhaftigem Sinne anātman ist, dann ist Abgeschnitten-sein (uccheda), Erzeugen von Begierde (und) Haften, wie in der Prajñā-pāramitā gelehrt wird: »Bodhisattva, ›Es ist ātman‹, ist nicht richtig« (eig. »geht nicht«), »und auch ›Es ist nicht ātman‹ ist nicht richtig.«

Frage: Wenn (man) nicht lehrt: ātman (und) anātman, leer (und) nicht-leer, was lehrt (dann) der Buddha-dharma?

Antwort: Buddha lehrt: Der dharmas tatsächliche Beschaffenheit hat in ihrem wahren Wesen keinen Weg des Ausdrucks (und) des Wortes. Es vernichtet alle Verstandes-Wirkung (citta-saṃskāra). Denken (citta) entsteht bedingt durch Annehmen (upādāna) von Eigenschaften (lakṣaṇa). Durch Vergeltung von karma einer früheren Zeit (d.h. Lebens) ist es. Nicht kann man tatsächlich alle dharmas sehen. Deshalb lehrt er: »Vernichtung von Verstandes-Wirkung.«

Frage: Wenn gewöhnlicher Leute Verstand (citta) nicht das Tatsächliche sehen kann, so würde doch der weisen Männer Verstand das Tatsächliche sehen können. Weshalb lehrt er: »Alle Verstandes-Wirkung (citta-saṃskāra) vergeht«?

Antwort: Der dharmas tatsächliche Beschaffenheit ist eben nirvāṇa. nirvāṇa heißt Vergehen (nirodha). Weil dieses Vergehen auch zum nirvāṇa vorwärts geht, deshalb auch heißt es nirvāṇa.[119] Wenn dieses citta tatsächlich ist, wie kann man dann Leer(heit) und die anderen (sc. animitta, apraṇihita) Erlösungstore anwenden (brauchen)? Weshalb ist unter (allen) dhyānas nirodha-samāpatti5 das höchste? Auch kommt (es) endlich zum restlosen nirvāṇa. Deshalb wird man erkennen: Alles citta-saṃskāra ausnahmslos ist trügerisch (illusorisch); weil illusorisch, muß es vergehen. Die tatsächliche Beschaffenheit der dharmas schreitet über alle gedanklichen Zustände (caitasika dharma) hinaus, ohne Vergehen, still-vergangen-vereigenschaftet wie nirvāṇa.

Frage: Im sūtra wird gelehrt: Die dharmas erreichen (eig. »kommen zu«) [vorher] Eigenschaft des Still-vergangenen, das [ist] eben nirvāṇa. Weshalb sagt ihr: »wie nirvāṇa«?

Antwort: An den dharmas Haftende unterscheiden: Die dharmas sind zweifach; teils weltlich (laukika), teils nirvāṇa. Er (sc. Buddha) lehrt: »nirvāṇa ist still-vergangen«; nicht lehrt er: »Die weltlichen (dharmas) sind still-vergangen.« In diesem sūtra lehrt er: »Aller dharmas Wesen (svabhāva) ist leer, still-vergangen-vereigenschaftet.« Weil der an den dharmas Haftende nicht versteht, führt er das nirvāṇa als Beispiel an. Wie ihr lehrt, ist des nirvāṇa Beschaffenheit (lakṣaṇa) leer, ohne Eigenschaft (lakṣaṇa), völlig erloschen, ohne Entfaltung (prapañca). Alle weltlichen dharmas sind auch so.

Frage: Wenn Buddha nicht lehrt: »ātman (und) anātman (als) citta-saṃskāra (Verstandes-Wirkung) vergehen (und) sind auf dem Weg der Sprache und der Rede abgeschnitten«, wie läßt er die Menschen die tatsächliche Beschaffenheit (lakṣaṇa) der dharmas erkennen?

Antwort: Die Buddhas (haben) unermeßlicher Hilfsmittel Kraft. Die dharmas haben nicht absolut wahre Eigenschaft. Um Lebewesen (sattva) zu retten, lehren sie teils: »Alles ist tatsächlich«, teils lehren sie: »Alles ist nicht tatsächlich«, teils lehren sie: »Alles ist tatsächlich-und-nicht-tatsächlich«, teils lehren sie: »Alles ist nicht tatsächlich und nicht nicht-tatsächlich«. Alles ist tatsächlich: (wenn) die tatsächliche Beschaffenheit der dharmas eifrig gesucht wird, so tritt alles ein in den höchsten Sinn als mit einer Eigenschaft behaftet, nämlich Eigenschaftslosigkeit. Wie Gewässer, verschieden aussehend (nānārūpa), verschieden schmeckend, in das große Meer eintreten, dann ein Aussehen (und) einen Geschmack[120] annehmen: alle (sind) nicht tatsächlich; so die dharmas, noch nicht eintretend in ihre tatsächliche Beschaffenheit, jeder einzeln untersucht, sind alle ausnahmslos nicht tatsächlich, nur durch der Bedingungen (pratyaya) Vereinigung sind (sie). Alle sind tatsächlich-und-nicht-tatsächlich. Lebende Wesen (sattva) sind (von) drei Arten: es sind hoch, in der Mitte, und tief (stehende). Die hohen betrachten der dharmas Beschaffenheit als weder tatsächlich noch nicht-tatsächlich; die mittleren betrachten der dharmas Beschaffenheit (so): alles ist tatsächlich, alles ist nicht-tatsächlich; die unteren, mit oberflächlicher Verstandeskraft, betrachten der dharmas Beschaffenheit teils als tatsächlich, teils als nicht-tatsächlich, (und) betrachten des nirvāṇa nicht-gewirkten (asaṃskṛta) dharma, weil er nicht schwindet, deshalb als tatsächlich; betrachten des saṃsāra gewirkten (saṃskṛta) dharma, weil er illusorisch, deshalb als nicht-tatsächlich. Der, (welcher) »Weder tatsächlich noch nicht-tatsächlich« (sagt), weil er »tatsächlich« (und) »nicht-tatsächlich« bestreitet (eig. »widerlegt«), lehrt: »weder tatsächlich noch nicht-tatsächlich.«

Frage: Buddha lehrt an anderer Stelle: »Getrennt von weder Sein noch Nichtsein.« Was wird hierin durch den Satz: »Weder Sein noch Nichtsein« von Buddha gelehrt?

Antwort: Weil an anderem Ort die vier Arten des Haftens an Begierde widerlegt sind, lehrt er (es); aber hierin sind die vier Sätze nicht entfaltet (prapañcita). Hört man Buddhas Lehre, dann erreicht man den Pfad. Deshalb lehrt er: »Weder tatsächlich noch nicht-tatsächlich.«

Frage: Man erkennt, Buddha lehrt abhängig von diesen vier Sätzen und erreicht der dharmas tatsächliche Beschaffenheit (lakṣaṇa). Durch welche Eigenschaft ist sie zu erkennen? Und wie ist tatsächliche Beschaffenheit (lakṣaṇa)?

Antwort: Wenn (es) vermag, anderem nicht zu folgen, (ist es): »nicht abhängig von anderem« (aparapratyaya). Obwohl der Häretiker (eig. »außerhalb Gehende«) Wunderkraft (ṛddhi-bala) zeigt und lehrt: »Das ist der Pfad, und das ist nicht der Pfad«, und selbst seinem Geist vertraut, so folgt man (ihm) doch nicht; bis zum Verwandlungsleib (pariṇāma-kāya), obwohl er Nicht-Buddha nicht kennt (?). Da gut (die) tatsächliche Beschaffenheit verstanden ist, ist sein Geist (citta) nicht zu biegen. Weil hierin nicht dharma zu ergreifen (oder) zu verlassen ist,[121] deshalb heißt (es) »still-vergangen-vereigenschaftet«. Weil still-vergangen-vereigenschaftet, ist nicht Entfaltung (prapañca) (und) Entfaltetes (prapañcita). Entfaltung (prapañca) ist zweifach; das eine ist Verlangens-Entfaltung (tṛṣṇā-prapañca), das andere ist Sehens-Entfaltung (darśana-prapañca). Hierin sind nicht diese zwei Entfaltungen. Da die zwei Entfaltungen nicht sind, ist nicht Überlegung (und) Unterscheidung, nicht ist Unterscheiden verschiedener Eigenschaften (lakṣaṇa). Das heißt tatsächliches Wesen (tathya-lakṣaṇa).

Frage: Wenn die dharmas völlig leer, dürften sie nicht (in) Abbrechen (uccheda) verfallen? Auch verfällt nicht-entstanden, nicht-vergangen in śāśvata (ewig)?

Antwort: Es ist nicht richtig. Früher wurde gelehrt: Tatsächliche Beschaffenheit ist ohne Entfaltung, citta (Vorstellung)-Beschaffenheit (ist) still-vergangen, Vernichten des Weges von Gespräch und Rede. Ihr seid jetzt mit Begierde, Haften und Annehmen behaftet, in den tatsächlichen dharmas seht ihr die Fehler des Abbrechens (uccheda) und Ewigen (śāśvata). Wer die tatsächliche Beschaffenheit erlangt, lehrt die dharmas als durch die Bedingungen (pratyaya) entstanden, nicht eben identisch mit dem Grund (hetu), auch nicht verschieden von dem Grund. Deshalb nicht abgeschnitten, nicht ewig. Wenn die Folge verschieden von der Ursache, dann ist Abschneiden (uccheda), wenn nicht verschieden von der Ursache, dann ist Ewig(keit) (śāśvata).

Frage: Wenn so verstanden, ist welcher Vorteil?

Antwort: Wenn der den Pfad Schreitende diese Bedeutung durchaus kennen kann, dann ist in allen dharmas weder Eines (Identität) noch Verschiedenes, nicht abgeschnitten, nicht ewig. Wenn er so vermag, dann erreicht er Vernichtung aller Qualen (kleśa) und Entfaltung (prapañca), (und) erreicht ewig freud(volles) nirvāṇa. Deshalb lehrt er: die Buddhas, durch Ambrosia-Saft (amṛta-rasa), lehren und bekehren. Wie (man) in der Welt sagt: (wenn man) himmlischen Unsterblichkeitssaft (amṛta-rasa) erlangt, dann ist nicht Alter, Krankheit und Tod, nicht sind die Schmerzen und Leiden. Diese Lehre (dharma) der tatsächlichen Beschaffenheit ist der echte Unsterblichkeitssaft (amṛta-rasa). Buddha lehrt: Tatsächliche Beschaffenheit ist dreifach: wenn man der dharmas tatsächliche Beschaffenheit erreicht und alle kleśas vernichtet, so heißt das śrāvaka-dharma; wenn man großes[122] Mitleid (karuṇā) (und) unübertrefflichen Geist (anuttara citta) hervorbringt, so nennt man das mahāyāna; wenn Buddha nicht in die Welt hinausgeht, nicht Zeit des Buddha-dharma ist, (dann) erzeugen pratyeka-buddhas durch Entfernung (von der Welt) Einsicht. Wenn Buddha alle Wesen (sattva) errettet hat, tritt er in restloses nirvāṇa ein. (Wenn) die hinterlassene Lehre vergeht (und) schwindet, dann würden, wenn aus früherer Zeit (Welt) welche da sind, (diese) den Pfad erreichen, etwas (d.h. wenig) Grund und Bedingung (hetu-pratyaya) der Entfernung prüfen und allein eintreten in Berge und Wald; weit getrennt von Störung erlangen sie den Pfad: (die) heißen pratyeka-buddha.

1

5. Abschnitt.

2

Vgl. hierzu Sāṅkhya-kārikā, 4ff.

3

3. Abschnitt.

4

Zusatz von TE.

5

Mahāvyutpatti 104. 66.

Quelle:
Die mittlere Lehre des Nāgārjuna. Heidelberg 1912, S. 113-123.
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