Nicolaus von Cusa an den hochehrwürdigen Cardinal Julian, seinen Lehrer

[3] Deinen großen und gepriesenen Geist wird es mit Recht befremden, daß ich, indem ich aus dem Barbarenlande meine Albernheiten (meas barbaras ineptias) allzu unüberlegt zu veröffentlichen wage, Dich um ein Gutachten ersuche (te arbitrum eligo), als hättest Du bei Deiner Stellung am apostolischen Stuhle als Cardinal und bei der angestrengtesten Thätigkeit im öffentlichen Dienste noch einige Muße übrig, oder als könnte Dich, den feinsten Kenner der gesammten lateinischen und nun auch der griechischen Literatur, das Ungewöhnliche des Titels für diese meine vielleicht ganz ungereimte Schrift gewinnen. Meine Geistesrichtung ist Dir längst hinlänglich bekannt. Ich gebe mich der Hoffnung hin, daß nicht so fast der Gedanke, hier bisher Unbekanntes zu finden, als vielmehr das Befremden über die Kühnheit, mit der ich mich an eine Abhandlung über die Wissenschaft des Nichtwissens gewagt, Deine große Wißbegierde zum Einsehen meiner Arbeit bewegen werde. Die Naturlehre sagt uns, dem Appetite gehe eine unangenehme Empfindung im Gaumen vorher, auf daß die Natur bei ihrem Selbsterhaltungstriebe hiedurch angereizt neue Kräfte sammle. So geht wohl auch mit Recht das Staunen, das uns zum Philosophieren anregt (admirari, propter quod philosophari), dem Wissenstriebe vorher, damit unsere Vernunft, der das Begreifen ihr Sein ist, im Streben nach Wahrheit zur Vollkommenheit gelange. Das Seltene fesselt uns, wenn es auch abenteuerlich (monstra) ist.

So glaube denn, mein einziger Lehrer! in Deiner Humanität, daß hier etwas Deiner Würdiges verborgen sei und nimm dieses wie immer gestaltete Philosophem eines Deutschen über göttliche Dinge wohlwollend auf! Die große Mühe, die ich darauf verwendet, hat es mir zu einer äußerst lieben Beschäftigung gemacht.[3]

Quelle:
Des Cardinals und Bischofs Nicolaus von Cusa wichtigste Schriften. Freiburg im Breisgau 1862, S. 3-4.
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