[25]

[849] Wenn das kein Zeitalter des Verfalls und der abnehmenden Lebenskraft ist, so ist es zum mindesten eines des unbesonnenen und willkürlichen Versuchens: – und es ist wahrscheinlich, daß aus einer Überfülle mißratener Experimente ein Gesamt-Eindruck wie von Verfall entsteht: und vielleicht die Sache selbst, der Verfall.

[58]


Das Verdienst leugnen: aber das tun, was über allem Loben, ja über allem Verstehn ist.

[913]


Auf die Not der Massen sehen mit ironischer Wehmut: sie wollen etwas, das wir können – ah!

[761]


Der moderne Pessimismus ist ein Ausdruck von der Nutzlosigkeit der modernen Welt – nicht der Welt und des Daseins.

[34]


Der Glaube »so und so ist es« zu verwandeln in den Willen »so und so soll es werden«.

[593]


Es muß solche geben, die alle Verrichtungen heiligen, nicht nur Essen und Trinken – und nicht nur im Gedächtnis an sie, oder im Eins-werden mit ihnen, sondern immer von neuem und auf eine neue Weise soll diese Welt verklärt werden.

[1044]


Überwindung der Affekte? – Nein, wenn es Schwäche und Vernichtung derselben bedeuten soll. Sondern in Dienst nehmen: wozu gehören mag, sie lange zu tyrannisieren (nicht erst als einzelne, sondern als Gemeinde, Rasse usw.). Endlich gibt man ihnen eine vertrauensvolle Freiheit wieder: sie lieben uns wie gute Diener und gehen freiwillig dorthin, wo unser Bestes hin will.

[384]
[849]

Glück und Selbstzufriedenheit des Lazzaroni oder »Seligkeit« bei »schönen Seelen« oder schwindsüchtige Liebe bei herrnhuterischen Pietisten beweisen nichts in bezug auf die Rangordnung der Menschen. Man müßte, als großer Erzieher, eine Rasse solcher »seligen Menschen« unerbittlich in das Unglück hineinpeitschen. Die Gefahr der Verkleinerung, des Ausruhens ist sofort da – gegen das spinozistische oder epikureische Glück und gegen alles Ausruhen in kontemplativen Zuständen. Wenn aber die Tugend das Mittel zu einem solchen Glück ist, nun, so muß man auch Herr über die Tugend werden.

[911]


Die Teilung eines Protoplasmas in zwei tritt ein, wenn die Macht nicht mehr ausreicht, den angeeigneten Besitz zu bewältigen: Zeugung ist Folge einer Ohnmacht.

Wo die Männchen aus Hunger die Weibchen aufsuchen und in ihnen aufgehn, ist Zeugung die Folge eines Hungers.

[654]


Tun wir einigen Aberglauben von uns ab, der in bezug auf Philosophen bisher gang und gäbe war!

[406]


Das »Ich« – welches mit der einheitlichen Verwaltung unsres Wesens nicht eins ist! – ist ja nur eine begriffliche Synthesis – also gibt es gar kein Handeln aus »Egoismus«.

[371]


Objektiv, hart, fest, streng bleiben im Durchsetzen eines Gedankens – das bringen die Künstler noch am besten zustande; wenn einer aber Menschen dazu nötig hat (wie Lehrer, Staatsmänner usw.), da geht die Ruhe und Kälte und Härte schnell davon. Man kann bei Naturen wie Cäsar und Napoleon etwas ahnen von einem »interesselosen« Arbeiten an ihrem Marmor, mag dabei von Menschen geopfert werden, was nur möglich. Auf dieser Bahn liegt die Zukunft der höchsten Menschen: die größte Verantwortlichkeit tragen und nicht daran zerbrechen. – Bisher waren fast immer Inspirations-Täuschungen nötig, um selbst den Glauben an sein Recht und seine Hand nicht zu verlieren.

[975]
[850]

»Die guten Leute sind alle schwach: sie sind gut, weil sie nicht stark genug sind, böse zu sein«, sagte der Latuka-Häuptling Comorro zu Baker.

»Für schwache Herzen gibt es kein Unglück« – sagt man im Russischen.

[355]


Die mächtigsten und gefährlichsten Leidenschaften des Menschen, an denen er am leichtesten zugrunde geht, sind so gründlich in Acht getan, daß damit die mächtigsten Menschen selber unmöglich geworden sind oder sich als böse, als »schädlich und unerlaubt« fühlen mußten. Diese Einbuße ist groß, aber notwendig bisher gewesen: jetzt, wo eine Menge Gegenkräfte großgezüchtet sind durch zeitweilige Unterdrückung jener Leidenschaften (von Herrschsucht, Lust an der Verwandlung und Täuschung) ist deren Entfesselung wieder möglich: sie werden nicht mehr die alte Wildheit haben. Wir erlauben uns die zahme Barbarei: man sehe unsre Künstler und Staatsmänner an.

[869]


Zu demonstrieren, inwiefern die griechische Religion die höhere war als die jüdisch-christliche. Letztere siegte, weil die griechische Religion selber entartet (zurückgegangen) war.

[1042]


Urwald-Tiere die Römer.

[959b]


Der sublime Mensch hat den höchsten Wert, auch wenn er ganz zart und zerbrechlich ist, weil eine Fülle von ganz schweren und seltenen Dingen durch viele Geschlechter gezüchtet und beisammen erhalten worden ist.

[996] [851]

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 3, S. 849-852.
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