[3]

[419] Kant sagt: »Diese Sätze des Grafen Verri (Sull' indole del piacere e del dolore; 1781) unterschreibe ich mit voller Überzeugung: Il solo principio motore dell'uomo è il dolore. Il dolore precede ogni piacere. Il piacere non è un essere positivo.«

[698]


Die Sklaverei in der Gegenwart: eine Barbarei! Wo sind die, für welche sie arbeiten? Man muß nicht immer Gleichzeitigkeit der beiden sich komplementierenden Kasten erwarten.

Der Nutzen und das Vergnügen sind Sklaven-Theorien vom Leben: der »Segen der Arbeit« ist eine Verherrlichung ihrer selber. – Unfähigkeit zum otium.

[758]


Unsere Zeit mit ihrem Streben, den zufälligen Nöten abzuhelfen, vorzubeugen und die unangenehmen Möglichkeiten vorweg zu bekriegen, ist eine Zeit der Armen. Unsere »Reichen« – das sind die Ärmsten! Der eigentliche Zweck alles Reichtums ist vergessen!

[61]


Der Sinn unsrer Gärten und Paläste (und insofern auch der Sinn alles Begehrens nach Reichtümern) ist: die Unordnung und Gemeinheit aus dem Auge sich zu schaffen und dem Adel der Seele eine Heimat zu bauen.

Die meisten freilich glauben, sie werden höhere Naturen, wenn jene schönen ruhigen Gegenstände auf sie eingewirkt haben: daher die Jagd nach Italien und Reisen usw., alles Lesen und Theater-Besuchen. Sie wollen sich formen lassen – das ist der Sinn ihrer Kultur-Arbeit! Aber die Starken, Mächtigen wollen formen und nichts Fremdes mehr um sich haben!

So gehen auch die Menschen in die große Natur, nicht um sich zu finden, sondern um sich in ihr zu verlieren und zu vergessen. Das »Außer-sich-sein« als Wunsch aller Schwachen und Mit-sich-Unzufriedenen.

[941]
[419]

Einstmals hatte man die Theorie vom Staat als einer berechnenden Nützlichkeit: jetzt hat man die Praxis dazu! – Die Zeit der Könige ist vorbei, weil die Völker ihrer nicht mehr würdig sind: sie wollen nicht das Urbild ihres Ideals im Könige sehn, sondern ein Mittel ihres Nutzens. – Das ist die ganze Wahrheit!

[725]


Nicht »das Glück folgt der Tugend« – sondern der Mächtigere bestimmt seinen glücklichen Zustand erst als Tugend.

Die bösen Handlungen gehören zu den Mächtigen und Tugendhaften: die schlechten, niedrigen zu den Unterworfenen.

Der mächtigste Mensch, der Schaffende, müßte der böseste sein, insofern er sein Ideal an allen Menschen durchsetzt gegen alle ihre Ideale und sie zu seinem Bilde umschafft. Böse heißt hier: hart, schmerzhaft, aufgezwungen.

Solche Menschen wie Napoleon müssen immer wieder kommen und den Glauben an die Selbstherrlichkeit des einzelnen befestigen: er selber aber war durch die Mittel, die er anwenden mußte, korrumpiert worden und hatte die noblesse des Charakters verloren. Unter einer andern Art Menschen sich durchsetzend, hätte er andere Mittel anwenden können; und so wäre es nicht notwendig, daß ein Cäsar schlecht werden müßte.

[1026] [420]

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 3, S. 419-421.
Lizenz: