44.
An Richard Wagner

[1026] Erlangen, Sonntag

[11. September 1870]


Lieber und verehrter Meister. So ist denn, mitten im Ungewitter, Ihr Haus fertig geworden und fest begründet. Ich habe auch in der Ferne dieses Ereignisses immer unter Segenswünschen gedacht und bin sehr beglückt, aus den Zeilen Ihrer von mir so geliebten Frau Gemahlin[1026] zu ersehen, daß die Möglichkeit, diese Feste zu begehen, schließlich doch noch schneller kam als vielleicht – bei unserem letzten Zusammensein – zu argwöhnen war.

Sie wissen, welcher Strom mich aus Ihrer Nähe fortgerissen hat, so daß ich nicht Augenzeuge so heiliger und ersehnter Handlungen sein konnte. Meine Hilfstätigkeit hat einen einstweiligen Abschluß gefunden, leider durch Krankheit. Meine mannigfachen Aufträge und Verpflichtungen führten mich bis in die Nähe von Metz; es wurde mir und meinem – sehr bewährten – Freunde Mosengel möglich, den größten Teil unserer Aufgaben mit Glück zu erledigen. In Ars sur Moselle übernahmen wir die Pflege von Verwundeten und kehrten dann mit diesen nach Deutschland zurück. Dieses dreitägige und dreinächtige Zusammensein mit Schwerverwundeten war der Höhepunkt unserer Anstrengungen. Ich hatte einen elenden Viehwagen, in dem 6 Schwerleidende lagen, allein während jener Zeit zu besorgen, zu verbinden, zu verpflegen usw. Alle mit zerschossenen Knochen, mehrere mit 4 Wunden; dazu konstatierte ich bei zweien noch Wunddiphtheritis. Daß ich es in diesen Pestdünsten aushielt, selbst zu schlafen und zu essen vermochte, erscheint mir jetzt wie ein Zauberwerk. Kaum aber hatte ich meinen Transport an ein Karlsruher Lazarett abgeliefert, stellten sich auch bei mir ernstliche Zeichen von Unwohlsein ein. Mit Mühe kam ich nach Erlangen, um meinem Vereine über verschiedenes Bericht zu erstatten. Dann legte ich mich zu Bett und liege bis jetzt. Ein tüchtiger Arzt erkannte als mein Leiden einmal eine sehr starke Ruhr und sodann Rachendiphtheritis. Wir sind aber mit der größten Energie gegen beide ansteckenden Übel vorgegangen, und es ist heute gute Hoffnung zu melden. Mit zwei jener berüchtigten Lazarettseuchen habe ich also auf eins Bekanntschaft gemacht; sie haben so schwächend und entkräftigend auf mich in kurzer Zeit gewirkt, daß ich zunächst alle meine Hilfstätigkeitspläne aufgeben muß und an meine Gesundheit allein zu denken veranlaßt werde. So bin ich nach einem kurzen Anlauf von 4 Wochen, ins allgemeinere zu wirken, bereits auf mich selbst wieder zurückgeworfen – recht elend!

Über die deutschen Siege möchte ich kein Wort sagen: das sind Feuerzeichen an der Wand, allen Völkern verständlich.

Heute darf ich nicht mehr schreiben; mein nächster Brief gilt Ihrer[1027] verehrten Frau Gemahlin, der ich meine innigsten Glückwünsche zu Füßen lege. Dem Täufling ein fröhliches Glückauf! Glückauf dem ganzen Tribschener Haus!

Ihr getreuer Friedr. Nietzsche

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 3, S. 1026-1028.
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Briefwechsel, Kritische Gesamtausgabe, Abt.1, Bd.1, Briefe von Nietzsche, Juni 1850 - September 1864. Briefe an Nietzsche Oktober 1849 - September 1864.
Briefwechsel, Kritische Gesamtausgabe, Abt.2, Bd.2, Briefe an Nietzsche, April 1869 - Mai 1872
Sämtliche Briefe. Kritische Studienausgabe in 8 Bänden.
Sämtliche Briefe, 8 Bde.
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