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[1044] Basel, 2. Juli 71
Mein lieber Freund, ich habe von Deinen Plänen gehört und über sie nachgedacht. In dieser Doppelheit der Stellung, teils als Gymnasiallehrer, teils als Universitätsdozent liegt zunächst etwas sehr Wertvolles. Ich würde Dich jedenfalls bitten, Deine Schulstellung ja nicht aus Überdruß an sogenannter »Schulmeisterei« preiszugeben. Es ist unsre hoffnungsreichste Position: und wer, wie ich, an die durchgreifendsten Reformen des Erziehungswesens gedacht hat, weiß diese Praxis, die reiche Empirie einer Gymnasiallehrerstellung hoch zu schätzen. Denn dort müssen wir anfangen, unsre ernsthaftere Weltbetrachtung zum Ausdruck zu bringen. Die Universität ist schwerlich der fruchtbringendste Boden dazu. – Über Universitäten müssen wir uns einmal mündlich verständigen. Wann wirst Du mir einmal mitteilen, daß wir uns sehen, wiedersehen wollen? Was sind Briefe!
Hier ein Aufsatz, das zweite Stück eines größeren, der langsam zum Druck kommt. Lies ihn so, wie er verfaßt ist, und laß Dich nicht abschrecken, wenn einige Kunstausdrücke kommen, die im ersten, vorangehenden Teile des Aufsatzes ausführlich motiviert sind. Es ist dies nur ein Druck für meine Freunde (wie früher der »Homer«). Also keine Publikation! Schreibe mir bald und ausführlich Deine Empfindungen darüber: es wird mir das über Deine philosophische Entwicklung am lehrreichsten sein.
Mein guter Freund, ich wiederhole, wann sehen wir uns?
In alter Treue F. Nietzsche[1044]
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Briefe
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