83.
An Erwin Rohde

[1094] [Basel, 19. März 1874]


Auch mein Semester kommt zum Schluß, morgen nämlich, obwohl natürlich nur an der Universität; das Pädagogium wirft mir in seiner kärglichen Manier überhaupt anderthalb Wochen Osterferien ab, nicht mehr. Darin bist Du, liebster Freund, besser dran, aber auch nur darin, denn Dein übriges Los beklagen wir Verbrüderte, immerfort, einzeln und gemeinsam. Ich habe wieder einen schönen Plan geschmiedet,[1094] für späterhin, um uns dauerhaft zu vereinigen – aber ein paar Jahre müssen noch ins Land gehen. Doch nicht wahr, die Versammlung im Herbst, das concilium Rhaeticum, das ist fest und dabei bleibt's? – Nun Bayreuth! Wir wissen durch Frau Wagner – und es soll das Geheimnis der Freunde sein – daß der König von Bayern in der Form von Vorschüssen bis zu 100000 Taler das Werk unterstützt, so daß die Arbeiten (Maschinen – Dekorationen) rüstig gefördert werden. Wagner selbst schreibt, daß 1876 der Termin sei, er ist mutig und glaubt, daß jetzt das Unternehmen im reinen ist. Nun das walte Gott! Dies Warten und Bangen ist schwer zu verwinden, ich hatte wirklich zeitweilig die Hoffnung ganz aufgegeben.

Ich erwarte immer von Dir die Meldung einer ordentl. Professur zu bekommen? – Übrigens sind die Menschen schrecklich dumm in Beziehung auf akademische Beamtungen, ich war neulich in Freiburg und hörte über den unausstehlichen Pedanten und Nörgelfritzen Keller klagen. Ist recht! dachte ich, klagt nur zu; auch erfuhr ich, daß Ritschl die Ursache seiner Berufung sei. Dieser schweigt und ich ergötze mich bei der Vorstellung, wie wenig er beim Lesen meiner »Historie« verstehen wird. Dies Nichtverstehen schützt ihn vor dem Ärger, und das ist das Beste an der Sache.

Professor Plüss in Schulpforte, mir fremd, ein Historiker, hat meine Mutterstadt Naumburg durch eine begeisterte Rede über die »Geb. der Tragödie« und die erste »Unzeitg.« aufgeregt. Herr Bruno Meier hat über Dräsekes Beitrag zur Wagnerfrage, bauchschütternden Angedenkens, eine lange schwere widerlegende Abhandlung geschrieben, worin ich als »Feind unserer Kultur« feierlich denunziert und übrigens als verschmitzter Betrüger unter Betrognen dargestellt werde. Er schickte mir seine Abhandlung persönlich, sogar mit Wohnungsangabe zu; ich will ihm die zwei Schriften des Wilamopses zuschicken. Das heißt doch christlich seinen Feinden wohltun. Denn was dieser gute Meier sich freuen wird, über Wilamopsen, das ist gar nicht auszudrücken.

Dr. Fuchs hat im Wochenblatt wieder mich ekelhaft angelobt, ich hab's nun satt mit dem. Doch was erzähle ich Dir von Lob und Tadel! Hier sind wir durch unsre Freundschaft vor Grillen und Verdrießlichkeiten ziemlich geschützt, und da ich wieder etwas unter dem[1095] Herzen trage, so geht mich Lob und Tadel gar nichts an. Daß ich es mit meinen Ergüssen ziemlich dilettantisch unreif treibe, weiß ich wohl, aber es liegt mir durchaus daran, erst einmal den ganzen polemisch-negativen Stoff in mir auszustoßen; ich will unverdrossen erst die ganze Tonleiter meiner Feindseligkeiten absingen, auf und nieder, recht greulich, »daß das Gewölbe wiederhallt«. Später, fünf Jahre später, schmeiße ich alle Polemik hinter mich und sinne auf ein »gutes Werk«. Aber jetzt ist mir die Brust ordentlich verschleimt vor lauter Abneigung und Bedrängnis, da muß ich mich expektorieren, ziemlich oder unziemlich, wenn nur endgültig. Elf schöne Weisen habe ich noch abzusingen. – Unsern Overbeck habe ich zu meiner großen geheimen Freude wieder so weit, daß er Ostern auch wieder öffentlich loskämpft, in der Weise seiner Streit- und Friedensschrift Nr. 1. Siehst Du, hier geht's mutig zu, wir hauen um uns herum. Immer vorwärts mit strengem Fechten! – Nur der gute treffliche Romundt macht uns einige Sorge, er wird zum unerfreulichen Mystiker. Klarheit war nie seine Sache, Welterfahrung auch nicht, jetzt bildet sich ein wunderlicher Haß gegen die Kultur überhaupt in ihm aus – nun wie gesagt, wir (Overbeck und ich) sorgen uns etwas. Er grübelt in unheimlicher Weise über den Anfang der Empfindung, synthetische Einheit der Apperzeption – dafür behüte uns unser Heiland Jesus Christ.

Gute Briefe habe ich, von vielen Seiten. Burckhardt, mein Kollege, hat mir in einer Ergriffenheit über die Lektüre der »Historie« etwas recht Gutes und Charakteristisches geschrieben. – Dem alten Vischer geht es recht schlecht, er hat sich vom größten Teil seiner Geschäfte dispensieren lassen und sieht sehr grün-weiß-gelb-elend aus.

An der »Geburt der Tragödie« wird eifrig gedruckt – endlich!

Wann kannst Du denn im Herbste bei uns eintreffen? Ich möchte das genaueste jetzt schon wissen: damit die Freunde ihre Sommerpläne machen können.

Leb wohl herzlich geliebter Einsiedler und Romantiker des Nordens in bezug auf den Süden.

Übrigens sind wir allesamt kuriose Kerle, ich wundere mich sehr und immer sehrer.

Dein F. N.[1096]

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 3, S. 1094-1097.
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Briefwechsel, Kritische Gesamtausgabe, Abt.1, Bd.1, Briefe von Nietzsche, Juni 1850 - September 1864. Briefe an Nietzsche Oktober 1849 - September 1864.
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Sämtliche Briefe. Kritische Studienausgabe in 8 Bänden.
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