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[1125] Freitag, Basel
[22. September 1876]
Liebe gute Freundin, erst konnte ich nicht schreiben, denn man machte mit mir eine Augenkur – und jetzt soll ich nicht schreiben, auf lange Zeit hinaus! Trotzdem – ich las Ihre zwei Briefe immer wieder, ich glaube fast, ich habe sie zu viel gelesen, aber diese neue Freundschaft ist wie neuer Wein: sehr angenehm, aber ein wenig gefährlich vielleicht.
Für mich jedenfalls.
Aber auch für Sie, wenn ich denke an was für einen Freigeist Sie da geraten sind! An einen Menschen, der nichts mehr wünscht als täglich irgendeinen beruhigenden Glauben zu verlieren, der in dieser täglich größeren Befreiung des Geistes sein Glück sucht und findet. Vielleicht daß ich sogar noch mehr Freigeist sein will als ich es sein kann!
Was sollen wir nun machen? – Eine »Entführung aus dem Serail« des Glaubens, ohne Mozartsche Musik?
Kennen Sie die Lebensgeschichte Fräulein von Meysenbugs, unter dem Titel »Memoiren einer Idealistin«?[1125]
Was macht der arme kleine Marcel mit seinen Zähnchen? Wir müssen alle leiden, bevor wir ordentlich beißen lernen, physisch und moralisch. – Beißen, um uns zu ernähren, versteht sich, nicht beißen, um zu beißen!
Gibt es nicht von einem gewissen schönen blonden Weibchen ein gutes Bild?
Ich reise Sonntag über acht Tage fort nach Italien, auf lange Zeit. Von dort bekommen Sie Nachricht. Ein Brief an meine Adresse in Basel (Schützengraben 45) erreicht mich jedenfalls.
Von ganzem Herzen brüderlich der Ihre
Friedr. Nietzsche
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