110.
An Elisabeth Nietzsche

[1130] Sorrent, 25. April [1877]

immer unbeständiges Wetter

Nichts Heiteres als Dein Brief, liebste Schwester, der in allen möglichen Punkten den Nagel auf den Kopf traf. Mir ging es so schlimm! Innerhalb 14 Tagen lag ich 6 Tage zu Bett mit 6 Hauptanfällen, der letzte ganz zum Verzweifeln. Ich stand auf, da legte sich Frl. v. Meysenbug auf drei Tage wegen Rheumatismus. In aller Tiefe unsres Elendes lachten wir sehr zusammen, als ich ihr einige ausgewählte Stellen des Briefes vorlas. – Der Plan nun, welchen Frl. v. M. als unverrückbar im Auge zu behalten bezeichnet und an dessen Ausführung Du mithelfen mußt, ist der: Wir überzeugen uns, daß es mit meiner Baseler Universitätsexistenz auf die Dauer nicht gehen kann, daß ich sie höchstens auf Unkosten aller meiner wichtigeren Vorhaben und[1130] doch mit totaler Preisgebung meiner Gesundheit durchsetzen könnte. Freilich werde ich den nächsten Winter in diesen Verhältnissen dort noch zubringen müssen, aber Ostern 1878 soll es zu Ende sein, falls die andre Kombination gelingt, d. h. die Verheiratung mit einer zu mir passenden, aber notwendig vermöglichen Frau. »Gut, aber reich« wie Frl. v. M. sagte, über welches »Aber« wir sehr lachten. Mit dieser würde ich dann die nächsten Jahre in Rom leben; welcher Ort für Gesundheit, Gesellschaft und meine Studien gleich geeignet ist. In diesem Sommer soll nun das Projekt gefördert werden, in der Schweiz, so daß ich im Herbst verheiratet nach Basel käme. Verschiedne »Wesen« sind eingeladen, in die Schweiz zu kommen, mehrere Dir ganz fremde Namen darunter, z. B. Elise Bülow aus Berlin, Elsbeth Brandes aus Hannover. Den geistigen Qualitäten nach finde ich immer Nat. Herzen am besten geeignet. Mit der Idealisierung der kl. Köckert in Genf hast Du viel geleistet! Lob, Ehr und Preis! Aber es ist doch bedenklich; und Vermögen? –

Rohde soll die Wagner-Büste bekommen, mir fällt gar nichts mehr ein, meine Dummheit ist groß. Also willst Du dies schnell besorgen, mit einem Briefchen an Rohde?

Von Frankfurt hat man mich zu einer Rede über Wagner eingeladen. – Die Übersetzung von Frau Baumgartner wird durch die kompetenten Personen nicht gut gefunden. Dies ganz im Vertrauen.

In alter Brüderlichkeit Dein


Fritz

in Zukunft (wenn ich noch in einem Jahre lebe) Römer.


Mit der Bayreuther Sorge bleibst du verschont; wozu ich eigentlich gratuliere, denn die Verantwortlichkeit ist zu groß. Lulu und die Gouvernante führen das Regiment. Die arme Loldi ist in ein orthopädisches Institut in Altenburg gebracht.

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 3, S. 1130-1131.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Briefe
Briefwechsel, Kritische Gesamtausgabe, Abt.1, Bd.1, Briefe von Nietzsche, Juni 1850 - September 1864. Briefe an Nietzsche Oktober 1849 - September 1864.
Briefwechsel, Kritische Gesamtausgabe, Abt.2, Bd.2, Briefe an Nietzsche, April 1869 - Mai 1872
Sämtliche Briefe. Kritische Studienausgabe in 8 Bänden.
Sämtliche Briefe, 8 Bde.
Sämtliche Briefe: Kritische Studienausgabe in 8 Bänden