132.
An Franziska Nietzsche

[1155] St. Moritz, 21. Juli 1879

Montag vormittag.

Meine liebe gute Mutter, eben wollte ich schreiben und Dich bitten, doch ja in Erfahrung zu bringen, wann der Termin abläuft. Da kommt, sehr zur guten Stunde, Dein lieber Brief. Also: ich verpflichte mich förmlich, auf sechs Jahre 171/2 Taler (oder wenn der ganze Zwinger zu erhalten ist, das Doppelte) jährlich zu zahlen. Aber das Turmzimmer muß ich haben. Der Gemüsebau entspricht ganz meinen Wünschen und ist auch eines zukünftigen »Weisen« keineswegs unwürdig. Du weißt, daß ich zu einer einfachen und natürlichen Lebensweise hinneige,[1155] ich bestärke mich immer mehr darin, es gibt auch für meine Gesundheit kein anderes Heil. Eine wirkliche Arbeit, welche Zeit kostet und Mühe macht, ohne den Kopf anzustrengen, tut mir not. Hat nicht mein Vater gemeint, ich würde einst wohl ein Gärtner werden? Freilich bin ich ganz unerfahren, doch sonst nicht dumm, und Du wirst mich zuerst etwas anstellen müssen.

St. Moritz ist der einzige Ort, der mir entschieden wohltut – täglich, bei gutem Wetter, bin ich dieser Luft dankbar. Da wird nun noch manchmal die Reise hierher gemacht werden, das sehe ich voraus. Aber vor Mitte Juni ist es ganz unrätlich, zu kommen, und man bleibt sehr lange, wenn man bis Mitte September aushält. Wie vereinigt sich das mit den Gärtnerpflichten! Was meinst Du? (Was für Obst gibt es im Zwinger?) Für die Gartenarbeit bliebe April, Mai, Juni bis zur Mitte und von Ende September bis November – das sind, wie mir scheint, die Monate der wichtigsten Arbeiten.

Karlsbad zu trinken ist irgendwann dringend nötig, des Unterleibs wegen. Mit dem Magen bin ich jetzt, wo ich mich selber im Zimmer beköstige (Milch, Eier, Zunge, Pflaumen (getrocknete), Brot und Zwieback) völlig in Ordnung. Ich war noch in keinem Hotel oder Restaurant. –

Die Augen machen mir große Sorge, sie allein machen keine Fortschritte, was ja leider (nach dem Urteil der drei Autoritäten) auch gar nicht möglich ist. – Wird jemand in N. zu finden sein, der mir zu einer bestimmten Stunde täglich vorliest oder nachschreibt?

Mit dem herzlichsten Danke

Dein Sohn


(Mir graut vor dem nächsten Winter, nach den Erfahrungen der letzten.)

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 3, S. 1155-1156.
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Ausgewählte Ausgaben von
Briefe
Briefwechsel, Kritische Gesamtausgabe, Abt.1, Bd.1, Briefe von Nietzsche, Juni 1850 - September 1864. Briefe an Nietzsche Oktober 1849 - September 1864.
Briefwechsel, Kritische Gesamtausgabe, Abt.2, Bd.2, Briefe an Nietzsche, April 1869 - Mai 1872
Sämtliche Briefe. Kritische Studienausgabe in 8 Bänden.
Sämtliche Briefe, 8 Bde.
Sämtliche Briefe: Kritische Studienausgabe in 8 Bänden