252.
An Malwida von Meysenbug

[1319] Turin, den 4. Okt. 1888


Verehrteste Freundin, eben gab ich meinem Verleger Auftrag, umgehend drei Exemplare meiner eben erscheinenden Schrift »Der Fall Wagner. Ein Musikanten-Problem« an Ihre Versailler Adresse abgehn zu lassen. Diese Schrift, eine Kriegserklärung in aestheticis, wie sie radikaler gar nicht gedacht werden kann, scheint eine bedeutende Bewegung zu machen. Mein Verleger schrieb, daß auf die allererste Meldung von einer bevorstehenden Schrift von mir über dies Problem und in diesem Sinne soviel Bestellungen eingelaufen sind, daß die Auflage als erschöpft gelten kann. – Sie werden sehen, daß ich bei diesem Duell meine gute Laune nicht eingebüßt habe. Aufrichtig gesagt, einen Wagner abtun gehört, inmitten der über alle Maßen schweren Aufgabe meines Lebens, zu den wirklichen Erholungen. Ich schrieb diese kleine Schrift im Frühling, hier in Turin: inzwischen ist das erste Buch meiner Umwertung aller Werte fertig geworden.[1319]

Diese Schrift gegen Wagner sollte man auch französisch lesen. Sie ist sogar leichter ins Französische zu übersetzen als ins Deutsche. Auch hat sie in vielen Punkten Intimitäten mit dem französischen Geschmack: das Lob Bizets am Anfang würde sehr gehört werden. – Freilich, es müßte ein feiner, ein sogar raffinierter Stilist sein, um den Ton der Schrift wiederzugeben –: zuletzt bin ich selber jetzt der einzige raffinierte deutsche Stilist. –

Ich wäre sehr erkenntlich, wenn Sie in diesem Punkte den unschätzbaren Rat von Mr. Gabriel Monod einholen wollten (– ich hätte diesen ganzen Sommer Anlaß gehabt, einen andren Rat einzuholen, den des Mr. Paul Bourget, der in meiner nächsten Nähe wohnte: aber er versteht nichts in rebus musicis et musicantibus: davon abgesehn wäre er der Übersetzer, den ich brauchte –).

Die Schrift, gut ins Französische übersetzt, würde auf der halben Erde gelesen werden: – ich bin in dieser Frage die einzige Autorität und überdies Psychologe und Musiker genug, um auch in allem Technischen mir nichts vormachen zu lassen. –

Ihren gütigen Brief, hochverehrte Freundin, habe ich mit wahrer Rührung gelesen. Sie haben einfach recht, – ich auch ...

Ihnen das allerherzlichste von seiten eines alten Freundes wünschend

N.


Mit der Bitte, mich dem verehrtesten Kreise, in dem Sie leben, angelegentlich zu empfehlen.

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 3, S. 1319-1320.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Briefe
Briefwechsel, Kritische Gesamtausgabe, Abt.1, Bd.1, Briefe von Nietzsche, Juni 1850 - September 1864. Briefe an Nietzsche Oktober 1849 - September 1864.
Briefwechsel, Kritische Gesamtausgabe, Abt.2, Bd.2, Briefe an Nietzsche, April 1869 - Mai 1872
Sämtliche Briefe. Kritische Studienausgabe in 8 Bänden.
Sämtliche Briefe, 8 Bde.
Sämtliche Briefe: Kritische Studienausgabe in 8 Bänden