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[138] Vom Ursprunge der Religion. – Das metaphysische Bedürfnis ist nicht der Ursprung der Religionen, wie Schopenhauer will, sondern nur[138] ein Nachschößling derselben. Man hat sich unter der Herrschaft religiöser Gedanken an die Vorstellung einer »anderen (hinteren, unteren, oberen) Welt« gewöhnt und fühlt bei der Vernichtung der religiösen Gedanken eine unbehagliche Leere und Entbehrung – und nun wächst aus diesem Gefühle wieder eine »andere Welt« heraus, aber jetzt nur eine metaphysische und nicht mehr religiöse. Das aber, was in Urzeiten zur Annahme einer »andern Welt« überhaupt führte, war nicht ein Trieb und Bedürfnis, sondern ein Irrtum in der Auslegung bestimmter Naturvorgänge, eine Verlegenheit des Intellekts.

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 2, S. 138-139.
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Werke, Kritische Gesamtausgabe, Abt.5, Bd.2, Idyllen aus Messina; Die fröhliche Wissenschaft; Nachgelassene Fragmente Frühjahr 1881 - Sommer 1882
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Sämtliche Werke: kritische Studienausgabe in 15 Einzelbänden - Teil 3. Morgenröte / Idyllen aus Messina / Die fröhliche Wissenschaft
Morgenröte / Idyllen aus Messina / Die fröhliche Wissenschaft. Herausgegeben von G. Colli und M. Montinari.
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