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[192] Lieber taub, als betäubt. – Ehemals wollte man sich einen Ruf machen: das genügt jetzt nicht mehr, da der Markt zu groß geworden ist – es muß ein Geschrei sein. Die Folge ist, daß auch gute Kehlen sich überschreien, und die besten Waren von heiseren Stimmen ausgeboten werden; ohne Marktschreierei und Heiserkeit gibt es jetzt kein Genie mehr. – Das ist nun freilich ein böses Zeitalter für den Denker: er muß lernen, zwischen zwei Lärmen noch seine Stille zu finden, und sich so lange taub stellen, bis er es ist. Solange er dies noch nicht gelernt hat, ist er freilich in Gefahr, vor Ungeduld und Kopfschmerzen zugrundezugehen.

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 2, S. 192.
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Werke, Kritische Gesamtausgabe, Abt.5, Bd.2, Idyllen aus Messina; Die fröhliche Wissenschaft; Nachgelassene Fragmente Frühjahr 1881 - Sommer 1882
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Sämtliche Werke: kritische Studienausgabe in 15 Einzelbänden - Teil 3. Morgenröte / Idyllen aus Messina / Die fröhliche Wissenschaft
Morgenröte / Idyllen aus Messina / Die fröhliche Wissenschaft. Herausgegeben von G. Colli und M. Montinari.
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