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[80] Zu Ehren der Freundschaft. – Daß das Gefühl der Freundschaft dem Altertum als das höchste Gefühl galt, höher selbst als der gerühmteste Stolz des Selbstgenügsamen und Weisen, ja gleichsam als dessen einzige und noch heiligere Geschwisterschaft: dies drückt sehr gut die Geschichte von jenem mazedonischen Könige aus, der einem weltverachtenden Philosophen Athens ein Talent zum Geschenk machte und es von ihm zurückerhielt. »Wie?« sagte der König, »hat er denn keinen Freund?« Damit wollte er sagen: »ich ehre diesen Stolz des Weisen und Unabhängigen, aber ich würde seine Menschlichkeit noch höher ehren, wenn der Freund in ihm den Sieg über seinen Stolz davongetragen hätte. Vor mir hat sich der Philosoph herabgesetzt, indem er zeigte, daß er eines der beiden höchsten Gefühle nicht kennt – und zwar das höhere nicht!«

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 2, S. 80.
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