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[84] Die Mütter. – Die Tiere denken anders über die Weiber als die Menschen; ihnen gilt das Weibchen als das produktive Wesen. Vaterliebe gibt es bei ihnen nicht, aber so etwas wie Liebe zu den Kindern einer Geliebten und Gewöhnung an sie. Die Weibchen haben an den Kindern Befriedigung ihrer Herrschsucht, ein Eigentum, eine Beschäftigung, etwas ihnen ganz Verständliches, mit dem man schwätzen kann: dies alles zusammen ist Mutterliebe – sie ist mit der Liebe des Künstlers zu seinem Werke zu vergleichen. Die Schwangerschaft hat die Weiber milder, abwartender, furchtsamer, unterwerfungslustiger gemacht; und ebenso erzeugt die geistige Schwangerschaft den Charakter der Kontemplativen, welcher dem weiblichen Charakter verwandt ist – es sind die männlichen Mütter. – Bei den Tieren gilt das männliche Geschlecht als das schöne.

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 2, S. 84.
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Die fröhliche Wissenschaft
Werke, Kritische Gesamtausgabe, Abt.5, Bd.2, Idyllen aus Messina; Die fröhliche Wissenschaft; Nachgelassene Fragmente Frühjahr 1881 - Sommer 1882
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Sämtliche Werke: kritische Studienausgabe in 15 Einzelbänden - Teil 3. Morgenröte / Idyllen aus Messina / Die fröhliche Wissenschaft
Morgenröte / Idyllen aus Messina / Die fröhliche Wissenschaft. Herausgegeben von G. Colli und M. Montinari.
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