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[991] Renan. – Theologie, oder die Verderbnis der Vernunft durch die »Erbsünde« (das Christentum). Zeugnis Renan, der, sobald er einmal ein Ja oder Nein allgemeinerer Art riskiert, mit peinlicher Regelmäßigkeit danebengreift. Er möchte zum Beispiel la science und la noblesse in eins verknüpfen; aber la science gehört zur Demokratie, das greift sich doch mit Händen. Er wünscht, mit keinem kleinen Ehrgeize, einen Aristokratismus des Geistes darzustellen: aber zugleich liegt er vor dessen Gegenlehre, dem évangile des humbles auf den Knien und nicht nur auf den Knien... was hilft alle Freigeisterei, Modernität, Spötterei und Wendehals-Geschmeidigkeit, wenn man mit seinen Eingeweiden Christ, Katholik und sogar Priester geblieben ist! Renan hat seine Erfindsamkeit, ganz wie ein Jesuit und Beichtvater, in der Verführung; seiner Geistigkeit fehlt das breite Pfaffen-Geschmunzel nicht – er wird, wie alle Priester, gefährlich erst, wenn er liebt. Niemand kommt ihm darin gleich, auf eine lebensgefährliche Weise anzubeten... Dieser Geist Renans, ein Geist, der entnervt, ist ein Verhängnis mehr für das arme, kranke, willenskranke Frankreich. –
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Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 2, S. 991-992.
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Götzen-Dämmerung
Werke, Kritische Gesamtausgabe, Abt.6, Bd.3, Der Fall Wagner; Götzen-Dämmerung; Der Antichrist; Ecce Homo; Dionysos-Dithyramben; Nietzsche contra Wagner (August 1888 - Anfang 1889)
Sämtliche Werke / Der Fall Wagner. Götzen-Dämmerung. Der Antichrist. Ecce homo. Dionysos-Dithyramben. Nietzsche contra Wagner: Kritische Studienausgabe
Der Fall Wagner. Götzen- Dämmerung. Der Antichrist. Ecce homo. Dionysos- Dithyramben. Nietzsche contra Wagner. Herausgegeben von G. Colli und M. Montinari.
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