63

[625] Wer von Grund aus Lehrer ist, nimmt alle Dinge nur in bezug auf seine Schüler ernst – sogar sich selbst.


64

»Die Erkenntnis um ihrer selbst willen« – das ist der letzte Fallstrick, den die Moral legt: damit verwickelt man sich noch einmal völlig in sie.


65

Der Reiz der Erkenntnis wäre gering, wenn nicht auf dem Wege zu ihr so viel Scham zu überwinden wäre.


65a

Man ist am unehrlichsten gegen seinen Gott: er darf nicht sündigen!


66

Die Neigung, sich herabzusetzen, sich bestehlen, belügen und ausbeuten zu lassen, könnte die Scham eines Gottes unter Menschen sein.


67

Die Liebe zu einem ist eine Barbarei: denn sie wird auf Unkosten aller übrigen ausgeübt. Auch die Liebe zu Gott.


68

»Das habe ich getan«, sagt mein Gedächtnis. »Das kann ich nicht getan haben« – sagt mein Stolz und bleibt unerbittlich. Endlich – gibt das Gedächtnis nach.


69

[625] Man hat schlecht dem Leben zugeschaut, wenn man nicht auch die Hand gesehn hat, die auf eine schonende Weise – tötet.


70

Hat man Charakter, so hat man auch sein typisches Erlebnis, das immer wiederkommt.

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 2, S. 625-626.
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Jenseits von Gut und Böse. Zur Genealogie der Moral. Herausgegeben von G. Colli und M. Montinari.
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