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[641] Entladung des Unmutes. – Der Mensch, dem etwas mißlingt, führt dies Mißlingen lieber auf den bösen Willen eines anderen als auf den Zufall zurück. Seine gereizte Empfindung wird dadurch erleichtert, eine Person und nicht eine Sache sich als Grund seines Mißlingens zu denken; denn an Personen kann man sich rächen, die Unbilden des Zufalls aber muß man hinunterwürgen. Die Umgebung eines Fürsten pflegt deshalb, wenn diesem etwas mißlungen ist, einen einzelnen Menschen als angebliche Ursache ihm zu bezeichnen und im Interesse aller Höflinge aufzuopfern; denn der Mißmut des Fürsten würde sich sonst an ihnen allen auslassen, da er ja an der Schicksalsgöttin selber keine Rache nehmen kann.

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 1, S. 641.
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Menschliches, Allzumenschliches
TITLE: Werke, Kritische Gesamtausgabe, Abt.4, Bd.4, Nachbericht zur vierten Abteilung: Richard Wagner in Bayreuth; Menschliches, Allzumenschliches I-II; Nachgelassene Fragmente 1875-1879
Menschliches, Allzumenschliches, I und II. Herausgegeben von G. Colli und M. Montinari.
TITLE: Werke in drei Bänden (mit Index), Bd.1: Menschliches, Allzumenschliches / Morgenröte
Menschliches, Allzumenschliches: Ein Buch für freie Geister. Mit einem Nachwort von Ralph-Rainer Wuthenow (insel taschenbuch)
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