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[1252] Seinen Dämon nicht in die Nächsten fahren lassen! – Bleiben wir immerhin für unsere Zeit dabei, daß Wohlwollen und Wohltun den guten Menschen ausmache; nur laßt uns hinzufügen: »vorausgesetzt, daß er zuerst gegen sich selber wohlwollend und wohltuend gesinnt sei!« Denn ohne dieses – wenn er vor sich flieht, sich haßt, sich Schaden zufügt – ist er gewiß kein guter Mensch. Dann rettet er sich nur in die anderen, vor sich selber: mögen diese anderen zu sehen, daß sie nicht schlimm dabei[1252] fahren, so wohl er ihnen anscheinend auch will! – Aber gerade dies: das ego fliehen und hassen und im anderen, für den anderen leben – hat man bisher, ebenso gedankenlos als zuversichtlich, »unegoistisch« und folglich »gut« geheißen.

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 1, S. 1252-1253.
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TITLE: Werke in drei Bänden (mit Index), Bd.1: Menschliches, Allzumenschliches / Morgenröte
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