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[1113] Wehe, wenn dieser Trieb erst wütet! – Gesetzt, der Trieb der Anhänglichkeit und Fürsorge für andere (die »sympathische Affektion«) wäre doppelt so stark, als er ist, so wäre es gar nicht auf der Erde auszuhalten. Man bedenke doch nur, was jeder aus Anhänglichkeit und Fürsorge für sich selber an Torheiten begeht, täglich und stündlich, und wie unausstehlich er dabei anzusehn ist: wie wäre es, wenn wir für andere das Objekt dieser Torheiten und Zudringlichkeiten würden, mit denen sie sich bisher nur selber heimgesucht haben! Würde man dann nicht blindlings flüchten, sobald ein »Nächster« uns nahe käme? Und die sympathische Affektion mit ebenso bösen Worten belegen, mit denen wir jetzt den Egoismus belegen?

Quelle:
Friedrich Nietzsche: Werke in drei Bänden. München 1954, Band 1, S. 1113-1114.
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TITLE: Werke in drei Bänden (mit Index), Bd.1: Menschliches, Allzumenschliches / Morgenröte
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