Die andere Defension, betreffend die neuen Krankheiten und nomina des vorgemeldeten doctoris Theophrasti

[504] Mich zu defendieren und zu beschützen und zu beschirmen, darin daß ich neue Krankheiten, die vor nie beschrieben worden sind, beschreibe und vorweise, auch neue nomina, die zuvor nie gebraucht, sondern durch mich gegeben wurden, – warum solches geschehe? Was durch mich anzuzeigen ist wegen der neuen Krankheiten, merkt dies. Ich schreibe von dem wahnsinnigen Tanz, den der gemeine Mann S. Veitstanz heißt auch von denen, die sich selbst töten, auch von den falschen Krankheiten, die durch Zauberei zufallen, desgleichen von den besessenen Leuten. Diese Krankheiten sind von der Arznei noch nie beschrieben worden, was mich doch unbillig deucht, daß ihrer vergessen worden sei. Was mich aber dazu verursacht und bringt, ist dies, daß die Astronomie, die von den Ärzten bisher nie vorgenommen worden ist, mich solche Krankheiten zu erkennen lehrt. Wären die andern Ärzte in der Astronomie dermaßen erfahren gewesen, sie wären vor mir längst zum höchsten erklärt und entdeckt worden. Weil aber die astronomia von den Ärzten verworfen ist, können die Krankheiten und andere mehr mit ihrem rechten Grund weder erkannt noch verstanden werden. Dieweil nun aber die Arznei der andern Skribenten nit aus dem Brunnen fleußt, aus dem die Arznei ihren Grund nimmt, des Grunds und Brunnens aber ich mich berühmen kann, sollte ich dann nit Gewalt haben, anders als ein anderer Schreiber zu schreiben? Es ist einem jeglichen gegeben zu reden, raten und lehren, aber nit einem jeglichen gegeben zu reden und zu lehren, das Kraft hat. Denn ihr wißt, das auch der Evangelist bezeugt: da Christus gelehrt hat, da hat er geredet als einer, der Gewalt hat, und nicht wie die Schreiber und Gleisner. Auf eine solche Gewalt, die sich mit den Werken bewährt, wenn man der Rede nicht glauben will, soll man acht haben. Drum ich mich dessen verseh. So wenig[504] einer gründlich vorbringen kann, wie das gestaltet sei, das er nie mit seinen Augen gesehen hat, gegenüber den, der es mit seinen Augen gesehen hat, so werden hier auch dergleichen Urteil sichtbar werden zwischen denen, die ohne Grund reden und denen, die mit Grund reden. Es ist nicht minder: das da krank liegt, gehört unter den Arzt. Billig ist, daß den Ärzten alle Krankheiten wissend seien; was nit in einer, das ist in der andern ihm wissend. Denn so sind die Gaben der Apostel ausgeteilt worden, und was einem jeglichen gegeben ist, im selben hat er seine Ehr; das ihm nit gegeben ist, ist ihm keine Schande. Denn so wie Gott einen jeglichen haben will, so bleibt er. Die andern Skribenten können sich solcher Gaben nit berühmen. Sie freuen sich ihres Termins, und was sie durch den terminum nit vollbringen können, da sagen sie, es sei unmöglich zu heilen.

Weiter, worin ich mich auch beschirme, darum, daß ich neue nomina und neue recepta schreibe, dess' sollt ihr euch nicht verwundern. Es geschieht nicht aus meiner Einfalt oder Unwissenheit, sondern es kann es sich ein jeglicher wohl denken, daß ein jeglicher einfältiger Schüler solche nomina, die von den Alten gegeben sind, auch ihre Rezepte, von dem Papier wohl ablesen und erkennen kann. Das ists aber, das mich von denselbigen treibt, daß die nomina von so viel verschiedenen Sprachen zusammengefügt und gesetzt sind, daß wir die selbige Art nimmermehr gründlich in unsern Verstand bringen können. Auch können die selbigen ihre eigene nomina selber nit verstehen noch erkennen, wie denn auch in Deutschen die nomina von einem Dorf in das andere versetzt werden. Und ob gleichwohl etliche pandectas, das ist Sammlungen, und anderes geschrieben haben, so verfallen sie auf manches, dem zu glauben mir nit gelegen ist, und das um vieler Ursache willen. Daß ich mich dann in solche Gefährlichkeit geben sollte und in eine uncertificierte Lehre einwillige, das wird mein Gewissen nicht tun. Denn es findet sich in denselbigen Skribenten, daß kein Kapitel ohne Lügen und große Irrsal befunden wird, sondern es wird[505] da etwas gefunden, das es alles verderbt. Was sollen mich dann die selbigen Skribenten erfreuen? Ich suche nit rhetoricam oder Latein in ihnen, sondern ich suche Arznei, in der sie mir keinen Bericht zu geben wissen. So auch mit den Rezepten, daß sie sagen, ich schreibe ihnen neue Rezepte und führe einen neuen Proceß herein, – wie sie es mir unter die Augen gehalten haben: ich sollte – nach Inhalt des zehnten Gebots Gottes ›du sollst nichts Fremdes begehren‹ – nichts Fremdes brauchen. Alldieweil sie mich nun tadeln und einen Verbrecher des zehnten Gebots schelten, ist mir hierauf not hie zu entdecken, was fremd oder nicht fremd sei. Nämlich, daß einer nicht zu der rechten Tür hineingeht, das ist fremd; (ebenso) daß einer das nimmt, das ihm nicht gehört. Zum Exempel: daß einer ein Arzt sein will und es nit ist, daß einer arzneit mit dem, in dem keine Arznei ist. Soll mir das verarget werden, daß ich ihre Tücke entdecken kann?

Weiter, daß ich von den besessenen Leuten schreibe, will ihnen ganz ungesalzen erscheinen. Es geschieht von mir aus der Ursache: dieweil Fasten und Beten die bösen Geister austreibt, achte ich, dem Arzt sei es sonderlich empfohlen, am ersten das Reich Gottes zu suchen, darnach werde ihm gegeben, was ihm not sei. Wird ihm gegeben, den Kranken durch Gebet gesund zu machen, laß es eine gute Purgation sein; wird es ihm durch Fasten gegeben, laß es ein gut confortativum, das ist Stärkungsmittel, sein. Sage mir doch eins: ist die Arznei allein in den Kräutern, Holz und Steinen, und nit in Worten? So will ich euch sagen, was die Wörter sind. Was ist, das das Wort nit tue? Wie die Krankheit ist, so auch ist die Arznei. Ist die Krankheit den Kräutern anbefohlen, so wird sie durch die Kräuter geheilt. Ist sie unter dem Gestein, so wird sie unter demselbigen auch ernährt. Ist sie unter das Fasten verordnet, so muß sie durch Fasten hinweg. Besessensein ist die große Krankheit. Wenn nun Christus uns ihre Arznei vor Augen hält, warum sollte ich dann die Schrift nit erforschen: was in der Krankheit die Rezepte angreifen oder sind? Der Himmel macht Krankheit,[506] der Arzt treibt sie wieder hinweg. So nun der Himmel dem Arzt weichen muß, so muß auch durch die rechte Ordnung der Arznei der Teufel weichen. Solches treiben die neoterischen und modernischen Ärzte, darum daß der viel schwätzende Mesue solcher Dinge nit gedacht hat, und andere nicht, deren aemuli oder Nachahmer sie sind.

Mir ist auch der Vorwurf begegnet, daß ich den Krankheiten neue nomina gäbe, die niemand kenne noch verstehe, – warum ich nit bei den alten nominibus bliebe? Wie kann ich die alten nomina gebrauchen, alldieweil sie nicht aus dem Grunde gehen, aus dem die Krankheit entspringt, sondern es sind nur Übernomina, von denen niemand wahrhaftig weiß, ob er die Krankheit mit den selbigen Namen recht benenne oder nicht. Wenn ich nun solchen Ungewissen Grund finde und erkenne, warum wollte ich mich dann wegen der nomina so sehr bemühen? Wenn ich die Krankheit verstehe und erkenne, kann ich dem Kind wohl selbst den Namen schöpfen. Was will ich sagen, apoplexis oder apoplexia? Oder was will es mich bekümmern, paralysis werde produciert oder corripiert, das ist hingerafft? Oder caducus fulguris heiße epilentia oder epilepsia? Oder was gehts mich an, es sei graecum, arabicum oder algoicum?! Mich bekümmert allein das, den Ursprung einer Krankheit und ihre Heilung zu erfahren und den Namen in das selbige zu concondieren. Das andere sind Dinge, die allein die Zeit verzehren mit unnützen Geschwätzen.

Damit ich euch weiter unterrichte wegen der neuen Krankheiten, so ich hie oder anderwegs melde, so sind noch einige mehr Ursachen, welche neue Krankheiten zu suchen zwingen. Nämlich der Himmel ist alle Tage in neuer Wirkung, verändert sich in seinem Wesen täglich. Ursach, er geht auch in sein Alter. Denn gleicherweise, ein Kind, das geboren wird, das ändert sich gegen sein Alter, je weiter und je ungleicher der Jugend es wird, bis in den terminum des Todes. Nun ist der Himmel auch ein Kind gewesen, hat auch einen Anfang gehabt und ist in das Ende praedestiniert wie der Mensch, und mit[507] dem Tode umgeben und bestimmt. Wenn sich nun ein jeglich Ding mit dem Altern ändert, so andern sich auch die selbigen Werke. Wenn nun Änderungen der Werke da sind, was nützt mir dann die Rute der jungen Kinder? Wegen des Alters des Firmaments und der Elemente rede ich darum von der jetzigen Monarchie.

Weiter auch ist vorhanden eine solche Menge des Volks und solche Durcheinander-Vermischung unter ihnen, in allem Wandel und in fleischlichen Begierden, wie vor nie gewesen ist, so lange die Welt gestanden hat. Daraus folgt nun eine solche pressura gentium, das ist Drängnis der Völker, dergleichen auch nie gewesen ist. So folgt aus dem auch eine Arznei, die zuvor nie gewesen ist. Drum kann sich der Arzt, der da spricht: ich behelf mich der Bücher, die vor zweitausend Jahren geschrieben worden sind, dess' nit behelfen. Es sind nimmermehr dieselben causae, es beißt jetzt besser, wie beide Philosophien, des Himmels und der Elemente, genugsam beweisen. Es sollten die angeblichen doctores der Arznei sich daß bedenken, in dem, das sie sichtiglich sehen, daß etwa ein Bauer ohne alle Schrift mehr gesund macht, als sie alle mit ihren Büchern und roten Röcken, und wenn es die in den roten Kappen erführen, was die Ursache sei, sie würden in einem Sack voller Asche sitzen, wie die in Niniveh taten. So weiß ich nun auf diesmal, daß ich nach dem Inhalt dieser Defension neue nomina, neue Krankheiten aus dem gemeldeten wohl schreiben und angeben kann.

Quelle:
Theophrast Paracelsus: Werke. Bd. 2, Darmstadt 1965, S. 504-508.
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