Funfzehnter Abschnitt.
Man erkennt Gott nicht anders heilsam als durch Jesum Christum.
1.

[333] Die Mehrzahl derer, die es unternehmen den Gottlosen die Gottheit zu beweisen, beginnen gewöhnlich mit den Werken der Natur und es gelingt ihnen selten. Ich greife nicht die Gewißheit dieser Beweise an, die durch die heilige Schrift geheiligt sind; sie sind der Vernunft angemessen, aber oft sind sie dem geistigen Zustande derer, für die sie[333] bestimmt sind, nicht genug angemessen und nicht genug im Verhältniß.

Denn es ist zu bemerken, daß man diese Rede nicht an die wendet, die den Glauben lebendig im Herzen haben und die sofort sehen, daß alles, was da ist, nichts anders ist als das Werk des Gottes, den sie verehren. Zu ihnen spricht die ganze Natur für ihren Urheber und die Himmel verkündigen die Ehre Gottes. Über diejenigen, in denen dieses Licht erloschen ist und in denen man es wieder lebendig machen will, für diese Menschen ohne Glauben und Liebe, die nur Finsterniß und Dunkelheit in der ganzen Natur finden, scheint es nicht das Mittel, sie zurück zu führen, daß man ihnen zu beweisen für diesen großen und wichtigen Gegenstand nur den Lauf des Mondes und der Planeten gebe oder allgemeine Raisonnements, gegen die sie sich noch dazu unaufhörlich hartnäckig gewehrt haben. Die Verstocktheit ihres Geistes hat sie taub gemacht gegen diese Stimme der Natur, die fortwährend in ihre Ohren getönt hat und die Erfahrung zeigt, daß man sie durch dieses Mittel keineswegs gewinnt, sondern im Gegentheil nichts geeigneter ist sie zurück zu stoßen und ihnen die Hoffnung zum Finden der Wahrheit zu benehmen, als wenn man versucht sie bloß durch diese Arten von Raisonnements zu überzeugen und ihnen sagt, daß sie darin die Wahrheit unverhüllt sehn müssen.

Die Schrift, die besser als wir die Dinge kennt, die von Gott sind, spricht von ihnen nicht auf diese Weise. Sie sagt uns wohl, daß die Schönheit der Geschöpfe den kennen lehrt, der ihr Urheber ist; aber sie sagt uns nicht, daß sie diese Wirkung in der ganzen Welt machen. Sie belehrt uns im Gegentheil, daß wenn sie sie machen, es nicht durch sie selbst geschieht, sondern durch das Licht, welches Gott zu[334] gleicher Zeit ausgießt über den Geist derer, welchen er sich durch dieses Mittel offenbart, denn daß man weiß, daß Gott sei, ist ihnen offenbar, denn Gott hat es ihnen geoffenbart. (Röm. 1. 19.) Sie sagt uns im Allgemeinen, daß Gott ein verborgner Gott ist, (»Für wahr du bist ein verborgner Gott!« Jes. 45. 15.) und daß seit dem Verderbniß der Natur, er die Menschen in einer Blindheit gelassen hat, aus der sie nur durch Jesum Christum herauskommen können, außer welchem uns alle Gemeinschaft mit Gott geraubt ist. »Niemand kennt den Vater, denn nur der Sohn und wem es der Sohn will offenbaren« (Matth. 11. 27.)

Eben dies lehrt uns die Schrift auch noch, wenn sie uns an so vielen Stellen sagt, daß die Gott suchen ihn finden, denn man spricht nicht also von einem hellen und augenscheinlichen Lichte, das sucht man nicht, von selbst enthüllt es sich und läßt sich sehn.


2.

Die metaphysischen Beweise von Gott liegen dem Urtheile der Menschen so fern und sind so verwickelt daß sie wenig treffen und wenn das auch irgend einigen dienen möchte, so würde das nur während des Augenblicke sein, da sie diese Demonstration sehn, aber eine Stunde nachher fürchten sie wieder sich geirrt zu haben. »Was sie mit Neugier erkannten, haben sie durch Hochmuth verloren.«

Ueberdies können diese Arten von Beweisen uns nur zu einer speculativen Erkenntniß von Gott führen und ihn nur auf diese Art kennen, das ist so viel, als ihn gar nicht kennen.

Die Gottheit der Christen ist nicht ein Gott, der bloß Urheber der mathematischen Wahrheiten und der Ordnung der Elemente wäre; das ist das Theil der Heiden. Sie ist nicht bloß ein Gott, welcher seine Vorsehung über das Leben und über die Güter der Menschen ausübt um denen, die ihn anderen, eine glückliche Reihe von Jahren zu geben, das[335] ist das Theil der Juden. Sondern der Gott Abrahams und Jakobs, der Gott der Christen ist ein Gott der Liebe und des Trostes, er ist ein Gott, der erfüllt die Seele und das Herz, das er besitzt, er ist ein Gott, der sie innerlich fühlen macht ihr Elend und seine unendliche Barmherzigkeit, der sich mit ihnen vereint im Grund ihrer Seele, der sie erfüllt mit Demuth, Freude, Zuversicht, Liebe, der sie unfähig macht ein andres Ziel zu suchen als ihn.

Der Gott der Christen ist ein Gott, welcher die Seele fühlen läßt, daß er ihr einziges Gut ist, daß alle ihre Ruhe in ihm liegt und daß sie keine Freude haben kann als ihn lieben, und welcher zugleich ihr Absehen einflößt gegen die Hindernisse, die sie abhalten ihn von allen ihren Kräften zu lieben. Die Selbstliebe und die Begierde, die sie aufhalten, sind ihm unerträglich. Dieser Gott macht ihr fühlbar, daß sie so viel von Selbstliebe hat und daß er allein sie davon heilen könne.

Das heißt Gott erkennen als Christ. Aber um ihn auf diese Weise zu erkennen, muß man zugleich kennen sein Elend, seine Armuth und das Bedürfniß eines Mittlers, das man hat, um sich Gott wieder zu nähern und um sich mit ihm zu vereinigen. Man muß diese Erkenntniße nicht trennen, denn getrennt sind sie nicht nur unnütz, sondern schädlich. Die Erkenntniß von Gott ohne die von unserm Elend erzeugt den Stolz; die Erkenntniß von unserm Elend ohne die von Jesu Christo erzeugt die Verzweiflung; aber die Erkenntniß von Jesu Christo macht uns frei vom Stolz und von der Verzweiflung, denn wir finden darin Gott, unser Elend und den einzigen Weg es wieder gut zu machen.

Wir können Gott erkennen ohne unser Elend zu erkennen oder unser Elend ohne Gott zu erkennen oder gar Gott und unser Elend ohne das Mittel zu erkennen uns von dem Elend zu befreien, das uns niederdrückt. Aber wir können[336] nicht Jesum Christum erkennen ohne zu erkennen alles zusammen Gott und unser Elend und das Heilmittel für dasselbe, weil Jesus Christus nicht bloß Gott ist sondern ein Gott, der unser Elend wieder gut macht.

So finden alle, die Gott suchen, ohne Jesum Christum, kein Licht, das ihnen wahrhaft nützlich sei. Denn entweder sie kommen nicht dahin zu erkennen, daß es einen Gott giebt, oder wenn sie dahin kommen, ist es ihnen unnütz, weil sie sich einen Weg schaffen ohne Mittler erkannt haben, so daß sie entweder in den Atheismus oder in den Deismus verfallen, zwei Dinge, welche die christliche Religion fast gleich verabscheut.

Wir müssen also einzig streben Jesum Christum zu erkennen, weil wir durch ihn allein erwarten können Gott zu erkennen auf eine Art, die uns nützlich sei.

Er ist der wahre Gott der Menschen, d.h. der Elenden und der Sünder. Er ist der Mittelpunkt von allem und der Gegenstand von allem und wer ihn nicht erkennt, erkennt nichts in der Weltordnung noch in sich selbst; denn wir erkennen nicht bloß Gott sondern auch uns selbst nur durch Jesum Christum.

Ohne Jesum Christum muß der Mensch in der Sünde und in Elend sein, mit ihm ist der Mensch frei von Sünde und Elend. In ihm ist all unser Glück, unser Tugend, unser Leben, unser Licht, unsere Hoffnung und außer ihm giebt es nur Sünde, Elend, Finsterniß, Verzweiflung und wir sehn nichts als Dunkelheit und Verwirrungen in der Natur Gottes und in unsrer eignen Natur.[337]

Quelle:
Pascal's Gedanken über die Religion und einige andere Gegenstände. Berlin 1840, S. 333-338.
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