Sechzehnter Abschnitt.
Gedanken über die Wunder.
1.

[338] Man muß über die Lehre urtheilen nach den Wundern und über die Wunder nach der Lehre. Die Lehre unterscheidet die Wunder und die Wunder unterscheiden die Lehre. Alles das ist wahr und widerspricht sich nicht.


2.

Es giebt Wunder, die sichre Zeugen der Wahrheit sind, andre, die das nicht sind. Wir brauchen ein Kennzeichen sie zu erkennen, sonst wären sie unnütz. Nun sind sie aber nicht unnütz, sondern dienen im Gegentheil zur Grundlage. Die Regel, die man uns hierüber giebt, muß also von der Art sein, daß sie den Beweis, welchen die wahren Wunder für die Wahrheit abgeben (was ihr Hauptzweck ist), nicht wieder umstoße.

Gäbe es keine Wunder, mit der Lüge verbunden, so hätten wir hier Gewißheit. Gäbe es keine Regel die Wunder zu unterscheiden, so wären sie unnütz und es wäre kein Grund vorhanden zu glauben.

Moses hat eine Regel aufgestellt, nämlich: falsch ist ein Wunder, wenn es zur Abgötterei verführt (5 Mos. 13. 1-3.), und Jesus Christus giebt eine: »Es ist niemand, sagt er, der eine That thue in meinem Namen und möge bald übel von mir reden.« (Mark. 9. 39.) Daraus folgt: wer sich[338] offen gegen Jesum Christum erklärt, der kann nicht Wunder thun in seinem Namen. Wenn er also welche thut, so ist das nicht im Namen Jesu Christi und man soll ihn nicht hören. Hiemit sind denn nun die Fälle bezeichnet, wo man den Wundern Glauben versagen soll. Wir dürfen nicht andre Fälle aufstellen im alten Testament, wenn man dich von Gott, im neuen, wenn man dich von Jesu Christo abwendig machen will.

Sobald man also ein Wunder sieht, muß man entweder sich unterwerfen oder ungewöhnliche Beweise vom Gegentheil haben; man muß sehen, ob der, welcher sie verrichtet, einen Gott leugnet oder Jesum Christum und die Kirche.


3.

Jede Religion ist falsch, die nicht in ihrer Glaubenslehre einen Gott verehrt als Urgrund aller Dinge und die nicht in ihrer Sittenlehre einen einzigen Gott liebt als Gegenstand aller Dinge. Jede Religion, die jetzt nicht Jesum Christum anerkennt, ist offenbar falsch und die Wunder können ihr zu nichts dienen.

Die Juden hatten eine Lehre von Gott, wie wir eine von Jesu Christo haben und diese Lehre war durch Wunder bestättigt, sie hatten ein Verbot keinem Wunderthäter zu glauben, der ihnen eine andre Lehre verkündigen würde, und noch mehr, sie hatten auch das Gebot sich an die Hohenpriester zu wenden und sich an sie zu halten. Und so hatten sie denn, scheint es, alle die Gründe, die wir gegen Wunderthäter haben ihnen den Glauben zu versagen, auch gegen Jesum und die Apostel.

Dennoch ist es gewiß, daß sie sehr strafbar waren, in dem sie sich weigerten ihnen wegen ihrer Wunder zu glauben, weil Jesus sagt, daß sie nicht strafwürdig gewesen wären, wenn sie seine Wunder nicht gesehen hätten. »Hätte ich nicht die Werke gethan unter ihnen, die kein andrer[339] gethan hat, so hätten sie keine Sünde. Nun aber haben sie es gesehn und hassen doch beide mich und den Vater; doch daß erfüllt werde der Spruch in ihrem Gesetz geschrieben: Sie hassen mich ohne Ursache.« (Joh. 15. 24, 25.)

Daraus folgt denn, er betrachtete seine Wunder als sichre Beweise für das, was er lehrte und die Juden hatten die Verpflichtung an ihn zu glauben. Und wirklich ins Besondere die Wunder machten die Juden strafbar in ihrer Ungläubigkeit. Denn die Beweise, die man während des Lebens Jesu aus der Schrift hätte ziehen können, wären nicht überführend gewesen. Man findet da z.B. daß Moses sagt: es werde ein Prophet kommen. Aber das würde nicht bewiesen haben, daß Jesus dieser Prophet war und darauf kam es eben an. Jene Stellen zeigten, daß er der Messias sein konnte und dies mir den Wundern zusammen sollte die Menschen bestimmen zu glauben, daß er es wirklich war.


4.

Die Prophezeiungen allein reichten nicht hin zum Beweise für Jesum Christum während seines Lebens und so wäre es nicht strafbar gewesen, nicht an ihn zu glauben vor seinem Tode, wenn nicht die Wunder entscheidend gewesen wären. Also sind die Wunder hinreichend, wenn man nicht die Lehre widersprechend findet, und man muß daran glauben.

Jesus Christus hat bewiesen, daß er der Messias war, indem er seine Lehre und seine Sendung mehr durch seine Wunder bewährte als durch die Schrift und die Weissagungen.

Durch die Wunder erkennt Nikodemus, daß seine Lehre von Gott ist. »Meister wir wissen, daß du bist ein Lehrer von Gott gekommen, denn niemand kann die Zeichen thun, die du thust, es sei denn Gott mit ihm.« (Joh. 3. 2.) Er[340] schließt nicht aus der Lehre auf die Wunder, sondern aus den Wundern auf die Lehre.

Also selbst wo die Lehre verdächtig wäre, wie das allerdings die Lehre Jesu dem Nikodemus sein konnte, weil sie die Ueberlieferungen der Pharisäer um zu stoßen schien, wenn es nur auf derselben Seite klare und augenscheinliche Wunder giebt, so muß die Augenscheinlichkeit des Wunders das, was von seiten der Lehre etwa schwierig sein konnte, überwiegen. Das beruht auf dem unabänderlichen Grundsatz, daß Gott nicht irre führen kann.

Es giebt ein gegenseitiges Pflichtverhältniß zwischen Gott und den Menschen: »So kommt denn und laßt uns miteinander rechten, spricht der Herr« sagt Gott bei Jesaias (Jes. 1. 18.) und an einer anderen Stelle: »Was sollte man doch thun an meinem Weinberge, daß ich nicht gethan habe an ihm?« (Jes. 5. 4.)

Die Menschen sind Gott schuldig die Religion, die er ihnen sendet, an zu nehmen; Gottes Pflicht gegen die Menschen ist sie nicht irre zu führen.

Nun wären sie aber irre geführt, wenn die Wunderthäter eine falsche Lehre verkündeten, die nicht deutlich dem gesunden Menschenverstande als falsch erschiene, und wenn nicht ein noch größere Wunderthäter schon vorher gewarnt hätte ihnen zu glauben. So wenn in der Kirche Spaltung gab und die Arianer z.B., die auf der Schrift zu stehen behaupteten wie die Katholiken, hätten Wunder gethan und die Katholiken nicht, so würde man irre geführt werden sein. Denn wie ein Mensch, der uns die Geheimnisse Gottes verkündigt, nicht würdig ist, daß man ihm auf sein eignes Ansehn glaube, so verdient ein[341] Mensch, der zum Zeichen seiner Gemeinschaft, in der er mit Gott steht, Todte auferweckt, die Zukunft voraussagt, die Berge versetzt, die Krankheiten heilt, der verdiene, daß man ihm glaube und man versündigt sich, wenn man sich ihm nicht ergiebt, es wäre denn, daß er durch einen andern, der noch größere Wunder thäte, Lügen gestraft würde.

Aber heißt es nicht, daß Gott uns versucht? Und kann er uns also nicht durch Wunder versuchen, die zum Irrthum zu leiten scheinen?

Es ist ein großer Unterschied zwischen Versuchen und Irreführen. Gott versucht, aber er führt keineswegs irre. Versuchen heißt Gelegenheiten verschaffen, die aber keine Nothwendigkeit auferlegen. Irreführen heißt einen Menschen in die Nothwendigkeit versetzen, daß er etwas Falsches schließt und festhält. Das kann Gott nicht thun und das würde er doch thun, wenn er zuließe, daß in einer dunkeln Sache Wunder gethan würden von der Seite des Irrthums.

Man kann daraus schließen, wie unmöglich es ist, daß ein Mensch, der seine schlechte Lehre verbirgt und nur eine gute zum Schein vergiebt und behauptet mit Gott und mit der Kirche eins zu sein, Wunder thue um unmerklich eine falsche und spitzfindige Lehre ein zu schwärzen. Das kann nicht sein, und noch weniger, daß Gott, der Herzenskündiger, zu Gunsten eines solchen Menschen Wunder thue.


5.

Es ist ein großer Unterschied: nicht für Christum sein, und es offen sagen oder nicht für Christum sein und sich stellen, als wäre man für ihn. Die ersten könnten vielleicht Wunder thun, nicht die letzten, denn von den einen ist es klar, daß sie gegen die Wahrheit sind nicht von den andern; so sind ihre Wunder deutlicher.

Die Wunder entschieden also die zweifelhaften Dinge,[342] zwischen Juden und Heiden, Juden und Christen, Katholiken und Ketzern, Verläumdeten und Verläumdern, zwischen den drei Kreuzen.

Das hat man in allen Kämpfen der Wahrheit gegen den Irrthum gesehn, Abels gegen Kain, Moses gegen Pharaos Zauberer, Eliä gegen die falschen Propheten, Jesu Christi gegen die Pharisäer, des heiligen Paulus gegen Barjesus, der Apostel gegen die Teufelbeschwörer, der Christen gegen die Ungläubigen, der Katholiken gegen die Ketzer; und das wird sich auch zeigen im Kampf Eliä und Henoch gegen den Antichrist. Immer überwiegt in Wundern das Wahre.

Genug, niemals im Streit über den wahren Gott oder über die Wahrheit der Religion ist ein Wunder von der Seite des Irrthums geschehn, daß nicht auch ein viel größeres von der Seite der Wahrheit geschehn wäre.

Nach diesem Grundsatz ist es klar, daß die Juden verpflichtet waren an Jesum Christum zu glauben. Er war ihnen verdächtig, aber seine Wunder waren klarer als die Verdachtgründe, die man gegen ihn hatte. Daher mußten sie ihm glauben.

Zur Zeit Jesu glaubten einige an ihn, andre nicht, wegen der Weissagungen, nach denen der Messias zu Bethlehem geboren werden sollte statt daß man glaubte, Jesus wäre zu Nazareth geboren. Aber sie mußten besser Acht geben, ob er nicht zu Bethlehem geboren war. Denn da seine Wunder überzeugend waren, so konnten diese vermeintlichen Widersprüche seiner Lehre gegen die Schrift und diese Dunkelheit sie nicht entschuldigen, aber sie machen sie blind.

Jesus heilte den Blindgebornen und that viele Wunder am Sabbathtage. Dadurch machte er die Pharisäer blind,[343] welche sagten: man müßte von den Wundern nach der Lehre urtheilen.

Aber nach demselben Grundsatz, nach welchem man Jesu Christo glauben sollte, wird man dem Antichrist nicht glauben dürfen.

Jesus Christus sprach weder gegen Gott noch gegen Moses. Der Antichrist und die falschen Propheten, von denen das alte und neue Testament weissagt, werden offen gegen Gott und gegen Christum sprechen. Einem versteckten Feinde würde Gott nicht gestatten offen Wunder zu thun.

Moses hat von Jesu Christo geweissagt und geboten ihm zu folgen; Jesus hat vom Antichrist geweissagt und verboten ihm zu folgen.

Die Wunder Jesu sind nicht vom Antichrist vorausgesagt, aber die Wunder des Antichrists sind vorausgesagt von Jesu. Also wenn Jesus nicht der Messias wäre, so hätte er recht irre geführt, aber man kann nicht mit Grund durch die Wunder des Antichrists irre geführt werden. Deswegen schaden auch die Wunder des Antichrists den Wundern Christi nicht. In der That wenn Jesus die Wunder des Antichrists voraussagte, meinte er damit den Glauben an seine eignen Wunder zu zerstören?

Es giebt keinen Grund dem Antichrist zu glauben, der nicht ein Grund wäre an Jesum Christum zu glauben; aber es giebt Gründe an Christum zu glauben, die keine Gründe sind dem Antichrist zu glauben.


6.

Die Wunder haben gedient zur Gründung und werden dienen zum Fortbau der Kirche, bis auf den Antichrist, bis ans Ende.

Deswegen hat Gott, um der Kirche dieses Zeugniß zu erhalten, die falschen Wunder entweder zu Schanden gemacht[344] oder sie voraus verkündigt, und durch das eine wie durch das andere hat sich über das erhoben, was für uns übernatürlich ist und hat uns selbst dahin erhoben.

Eben so wird es auch in Zukunft geschehn; Gott wird entweder nicht falsche Wunder zulassen oder noch größere hervorbringen.

Denn die Wunder haben eine solche Kraft, daß nothwendig Gott warnen mußte, man solle nicht daran glauben, wenn sie gegen ihn sind, so klar es auch sei, daß ein Gott ist; sonst wären sie doch im Stande irre zu machen.

So wenig also sprechen die stellen des dreizehnten Capitels im fünften Buch Mosis, welche gebieten: man solle denen, die Wunder thun und vom Dienste Gottes abwendig machen, nicht glauben und nicht gehorchen und jene beim heiligen Markus: »Es werden sich erheben falsche Christi und falsche Propheten, die Zeichen und Wunder thun, daß sie auch die Auserwählten verführen, so es möglich wäre« (Mark. 13. 22) und einige andere ähnliche gegen das Ansehn der Wunder, daß im Gegentheil nichts mehr ihre Kraft bezeichnet.


7.

Was den Glauben an die wahren Wunder hindert, das ist der Mangel an Liebe. »Ihr glaubt nicht, sagt Jesus zu den Juden, denn ihr seid meine Schafe nicht.« (Joh. 10. 26.) Was den Glauben an die falschen erweckt, ist auch der Mangel an Liebe. »Dafür, daß sie die Liebe zur Wahrheit nicht haben angenommen, daß sie selig würden, darum wird ihnen Gott kräftige Irrthümer senden, daß sie glauben der Lüge.« (2 Thess. 2. 10, 11.)

Wenn ich bedenke, woher es kommt, daß man so vielen Betrügern, die Heilmittel zu besitzen vorgeben, so oft Glauben beimißt, selbst so weit, daß man sein Leben in ihre Hände giebt, so scheint mir das die wahre Ursache, daß es[345] wahre Heilsmittel giebt; denn es wäre nicht möglich, daß es so viel falsche gäbe und man ihnen so viel Glauben schenkte, wenn es nicht auch wahre gäbe. Hätte es nie welche gegeben und wären alle Uebel von jeher unheilbar gewesen, so wäre es nicht möglich, daß die Menschen sich eingebildet hätten, welche geben zu können, und noch viel weniger, daß so viele andre denen Glauben geschenckt hätten, die sich rühmten welche zu haben. Gerade so als wenn ein Mensch sich rühmte vor dem Sterben bewahren zu können, so würde ihm niemand glauben, weil es davon kein Beispiel giebt.

Aber da es eine Menge von Mitteln gegeben hat, die durch die Erkenntniß selbst der größten Männer als wahr befunden sind, so hat sich der Glauben der Menschen davor gebeugt; denn, da wegen der besondern Wirkungen, die wahr sind, die Sache im Allgemeinen nicht geleugnet werden kann und das Volk nicht im Stande ist zu unterscheiden, welche unter diesen besondern Wirkungen die wahren sind, glaubt es sie alle. Eben so ist der Grund, daß man so viele falsche Wirkungen des Mondes glaubt, der, daß es wahre giebt, wie Ebbe und Fluth.

So scheint es mir denn auch einleuchtend, daß es nur darum so viel falsche Wunder, falsche Offenbarungen, Weissagungen u.s.w. giebt, weil es wahre giebt; desgleichen falsche Religionen nur, weil es eine wahre giebt. Denn wenn es nie etwas von alle dem gegeben hätte, so wäre es gleichsam nicht möglich, daß die Menschen es sich eingebildet und noch weniger, daß andre es geglaubt hätten. Aber weil es viele sehr große Dinge, die wahr waren, gegeben hat und weil sie daher von großen Männern geglaubt worden sind, so hat das einen falschen Eindruck gemacht, daß beinahe die ganze Welt fähig geworden ist auch die falschen Dinge zu glauben. Also statt zu schließen, daß es keine wahren Wunder gebe, weil es falsche giebt, muß man im Gegentheil[346] sagen: daß es wahre Wunder gebe, weil es so viel falsche giebt und daß es eben so nur darum falsche Religionen gebe, weil es eine wahre giebt. Das kommt davon her, daß der Geist des Menschen, der sich von jener Seite durch die Wahrheit bezwungen fühlt, dadurch auch fähig wird alles Falsche an zu nehmen.


8.

Es heißt: Glaubet der Kirche, nicht aber: Glaubet den Wundern; aus dem Grunde weil das letzte natürlich ist und nicht das erste; dieses bedurfte eines Gebotes, nicht jenes.

Es sind so wenige Menschen, denen sich Gott durch diese außerordentlichen Vorfälle sichtbar macht, daß man diese Gelegenheiten recht benutzen muß; weil er aus dem Geheimniß der Natur, das ihn deckt, nur heraustritt um unsern Glauben zu zeigen, daß wir ihm mit um so mehr Eifer dienen, je mehr wir ihn mit Gewißheit erkennen.

Wenn Gott sich den Menschen unausgesetzt offenbarte, so wäre es kein Verdienst an ihn zu glauben, und wenn er sich nie offenbarte, so gäbe es wenig Glauben. Aber er verbirgt sich gewöhnlich und offenbart sich selten denen, die er zu seinem Dienste dingen will. Dieses wunderbare Geheimniß, in welches Gott sich zurückgezogen hat, undurchdringlich für ein menschliches Auge, ist eine große Lehre uns in die Einsamkeit zu treiben, fern von den Augen der Menschen. Er ist unter dem Schleier der Natur, der ihn uns deckt, verborgen geblieben bis zur Erscheinung im Fleisch, und als die Zeit erfüllt war, daß er erschien, hat er sich noch mehr verborgen, indem er sich in die Menschheit hüllte. Er war viel mehr zu erkennen, da er unsichtbar war, als[347] da er sichtbar gemacht. Und endlich da er erfüllen wollte die Verheißung, die er seinen Aposteln gethan bei den Menschen zu bleiben bis zu seiner letzten Wiederkunft, da hat er erwählt zu bleiben in dem seltsamsten und dunkelsten Geheimniß von allen, nämlich unter den Gestalten des heiligen Abendmahls. Dieses Sacrament ist es, was der heilige Johannes in der Offenbarung »das verborgne Manna« nennt (Off. 2. 17.) und ich glaube, daß Jesaias es in dieser Weise sah, als er im Geist der Weissagung spricht: »Für wahr du bist ein verborgner Gott.« (Jes. 45. 15.) Das ist das letzte Geheimniß, worin er verborgen sein kann. Durch den Schleier der Natur, der Gott verhüllt, sind mehre Ungläubige hindurch gedrungen, die, wie der heilige Paulus sagt, Gottes unsichtbares Wesen ersehen zu haben an den sichtbaren Werken der Schöpfung. (Röm. 1. 20.) Viele ketzerische Christen haben ihn erkannt mitten durch seine Menschheit hindurchschauend und beten Jesum Christum an als Gott und Mensch. Wir aber müssen uns glücklich schätzen, daß Gott uns so weit erleuchtet ihn zu erkennen unter dem Brode und Wein.

Zu diesen Betrachtungen kann man noch hinzufügen das Geheimniß des Geistes Gottes, der auch in der Schrift verborgen ist. Denn es giebt zweierlei vollständigen Sinn, einen buchstäblichen und einen mystischen. Die Juden halten sich an den einen und ahnen nicht ein Mal, daß es noch einen andern giebt, und denken nicht daran ihn zu suchen. Ebenso sie Gottlosen sehen die natürlichen Wirkungen und schreiben sie der Natur zu ohne zu ahnen, daß es noch einen andern Urheber giebt, wie die Juden, indem sie in Jesu einen vollkommenen Menschen sahen, nicht daran gedacht haben in ihm eine andere Natur zu suchen. –[348] »Wir haben ihn nichts geachtet.« sagt Jesaias (Jes. 53. 3.) – und wie desgleichen die Ketzer, die vollkommen äußere Erscheinungen des Brodes im Abendmahl ansehend, nicht daran denken eine andere Substanz darin zu suchen.

Alle Dinge verhüllen ein Geheimniß, die Gott verhüllen. Die Christen sollen ihn in allem erkennen. Die zeitlichen Trübsale verhüllen die ewigen Güter, zu denen sie führen; die zeitlichen Freuden verhüllen die ewigen Leiden, die sie verursachen.

Lasset uns Gott bitten, daß er uns verleihe in allem ihn zu erkennen und ihm zu dienen und lasset uns ihm Dank sagen, daß er, für so viele andre in allen Dingen verborgen, sich vor uns in allen Dingen und in so mancherlei Weise geoffenbart hat.


9.

Die Schwestern von Portroyal erstaunten darüber, daß man sagt: sie seien auf einem Wege des Verderbens, ihre Beichtväter führen sie nach Genf und flößen ihnen ein, Jesus Christus sei nicht im Abendmahl noch zu rechten des Vaters; da sie doch wußten, daß alles falsch war, traten sie in dieser Lage vor Gott und sprachen zu ihm mit dem Propheten: »Siehe, ob ich auf bösen Wegen bin und leite mich auf ewigem Wege.« (Psalm 139. 24.) Und was geschieht nun? Den Ort, den man den Tempel des Teufels nennt, macht Gott zu seinem Tempel. Man sagt: man müsse da die Kinder wegnehmen, das sei das »Zeughaus der Hölle.« Gott macht daraus das Heiligthum seiner Gnaden. Endlich bedroht man sie mit allem Schrecken und aller Rache des Himmels und Gott überhäuft sie mit[349] seiner Huld. Man muß den Verstand verloren haben, daraus zu schließen, daß sie auf dem Wege des Verderbens sind.

Und doch haben die Jesuiten nicht verfehlt diesen Schluß daraus zu ziehn, denn sie schließen aus allem, daß ihre Widersacher Ketzer sind. Wenn die Gegner ihnen ihre Frevel vorwerfen, so sagen die Jesuiten: sie sprechen wie Ketzer. Wenn jene sagen, die Gnade Jesu unterscheide uns und unser Heil hange von Gott ab, so ist das die Sprache der Ketzer. Wenn jene sagen, daß sie dem Papst unterworfen sind, so sagen sie: daß ist die Art wie Ketzer sich verbergen und verstellen. Wenn jene sagen: man müsse nicht tödten um eines Apfels willen, so sagen die Jesuiten: sie befreiten die Moral der Katholiken. Endlich auch wenn Wunder unter jenen geschehen, so ist das kein Zeichen von Heiligkeit, sondern im Gegentheil ein Grund zum Verdacht der Ketzerei.

Das ist die seltsame Uebertreibung, wozu die Leidenschaft die Jesuiten gebracht hat und ihnen blieb nichts mehr als dies übrig um die Hauptfundamente der christlichen Religion zu zerstören. Denn die Kennzeichen der wahren Religion sind die feste Giltigkeit, der gute Wandel und die Wunder. Die feste Giltigkeit haben sie schon vernichtet durch die Wahrscheinlichskeitslehre, die neue Meinungen an die Stelle der alten Wahrheiten einführt, den guten Wandel haben sie durch ihre verdorbne Moral zernichtet und jetzt wollen sie noch die Wunder zernichten, indem sie entweder ihre Wahrheit oder ihre Wichtigkeit wegräumen.

Die Gegner der Kirche leugnen die Wunder selbst oder[350] deren Wichtigkeit, eben so die Jesuiten. Also um ihre Gegner zu schwächen, entwaffnen sie die Kirche und verbinden sich mit allen ihren Feinden, indem sie von ihnen alle die Gründe leihen, womit sie die Wunder bekämpfen. Denn die Kirche hat drei Arten von Feinden, die Juden, die nie zu ihr gehörten, die Ketzer, die sich von ihr zurückgezogen haben, und die schlechten Christen, die sie in ihrem Innern zerreißen.

Diese drei Arten verschiedner Widersacher bekämpfen sie gewöhnlich verschieden. Aber in diesem Punct bekämpfen sie sie auf dieselbe Weise. Da sie alle ohne Wunder sind und die Kirche immer gegen die Wunder gehabt hat, so haben sie alle immer dasselbe Interesse gehabt ihnen aus zu weichen und alle haben sich dieser Ausflucht bedient: man müsse nicht die Lehre beurtheilen nach den Wundern, sondern die Wunder nach der Lehre. Es gab zwei Parteien unter denen, die Jesum hörten; die einen nahmen seine Lehre an um der Wunder willen, die andern sagten: »Er treibt die Teufel aus durch Beelzebub, den Obersten der Teufel.« Es gab zwei Parteien zur Zeit Calvins, die Partei der Kirche und die Sacramentirer, die sie bekämpften. Gegenwärtig sind die Jesuiten und die, welche sie Jansenisten nennen, die streitenden. Aber da die Wunder auf der Seite der Jansenisten sind, so ergreifen die Jesuiten jene allgemeine Zuflucht der Juden und Ketzer: man müsse die Wunder beurtheilen nach der Lehre.

Hier ist nicht das Land der Wahrheit, sie ist unbekannt unter den Menschen. Gott hat sie mit einem Schleier verhüllt, so daß die, welche nicht ihre Stimme hören, sie nicht erkennen. Die Thür ist offen zur Lästerung, selbst über die gewissesten Wahrheiten der Moral. Wenn man die Wahrheiten des Evangeliums verkündigt, so verkündigt man auch entgegengesetzte Lehren und verdunkelt die Fragen, um[351] die es sich handelt, so daß das Volk nicht entscheiden kann. Auch fragt man: »Was habt ihr, daß man euch mehr glauben soll als den andern? Was für ein Zeichen thut ihr? Ihr habt die Worte, wir auch.« Habt ihr keine Wunder, so sagt man: »die Lehre muß durch Wunder bekräftigt werden;« das ist eine Wahrheit, die man mißbraucht, um die Lehre zu lästern. Und wenn die Wunder sich zeigen, sagt man: »die Wunder sind nicht hinreichend ohne die Lehre,« und das ist eine zweite Wahrheit, die man mißbraucht um die Wunder zu lästern.

Wie seid ihr, Väter, doch so froh, die allgemeinen Regeln zu wissen und meinet damit Verwirrung an zu richten und alles vergeblich zu machen! Man wird euch das wehren, Väter, die Wahrheit ist eine und fest.


10.

Wenn der Teufel die Lehre, die ihn vernichtet, begünstigte, so wäre er mit sich selbst uneins. »Ein jegliches Reich, so es mit ihm selbst uneins wird, das wird wüste.« (Luk, 11, 17.) Denn Jesus wirkte wider den Teufel und zerstörte sein Reich in den Herzen um das Reich Gottes zu gründen: wovon der Exorcismus das Symbol ist. Daher setzt er auch hinzu: »So ich aber durch Gottes Finger die Teufel austreibe, so kommt je das Reich Gottes zu euch.« (Luk. 11. 20.)

Es war unmöglich, daß die Menschen zur Zeit Mosis sich vorbehielten zu glauben an den Antichrist, der ihnen unbekannt war. Aber es läßt sich sehr wohl thun zur Zeit des Antichrists an Jesum Christum zu glauben, der dann schon bekannt ist.

Wenn die Schismatiker auch Wunder thäten, so würden sie nicht zum Irrthum verführen. Daher ist es nicht gewiß, daß sie keine Wunder thun können. Die Abweichung von der rechten Lehre ist sichtbar, desgleiche ist das Wunder[352] sichtbar. Aber die Abweichung trägt mehr das Zeichen des Irrthums als das Wunder das Zeichen der Wahrheit. Deswegen kann das Wunder eines Schismatikers nicht zum Irrthum verführen. Aber außer dem Schisma fällt der Irrthum nicht so sichtbar in den Augen als das Wunder, dann würde also das Wunder zum Irrthum verleiten. Sonach ist ein Wunder unter den Schismatikern nicht so sehr zu fürchten, denn das Schisma, welches viel mehr in die Augen fällt als das Wunder, bezeichnet auch sichtlich den Irrthum. Aber wenn kein Schisma vorhanden ist und über den Irrthum gestritten wird, dann entscheidet das Wunder. Ebenso ist es mit den Ketzern. Die Wunder würden ihnen unnütz sein; denn die Kirche, durch jene Wunder, welche den Glauben vorweg in Anspruch genommen haben, beglaubiget, sagt uns, daß sie nicht den rechten Glauben haben. Es ist kein Zweifel, daß sie ihn nicht haben, denn die ersten Wunder der Kirche schließen den Glauben an die ihrigen aus, wenn sie auch welche haben. Dann würden Wunder gegen Wunder sein, aber die ersten und größten auf der Seite der Kirche. Also müßte man ihr immer doch glauben gegen die Wunder.

Laßt uns nun sehen, was man hieraus auf die Wunder von Portroyal schließen muß.

Die Pharisäer sagten: »Der Mensch ist nicht von Gott, dieweil er den Sabbath nicht hält; die andern aber sprachen: Wie kann ein sündiger Mensch solche Zeichen thun?« (Joh. 9. 16.) wer von ihnen hat am Klarsten recht? In dem gegenwärtigen Streit sagen die einen: »Dies Haus ist nicht von Gott, denn man glaubt darin nicht, daß die fünf Sätze im Jansenius stehen.« Die andern sprechen: »Dieses Haus ist von Gott, denn es geschehen da große Wunder.« Wer hat am Klarsten Recht?

Also aus demselben Grunde waren die Juden straffällig[353] waren, da sie nicht an Jesum glaubten, sind auch die Jesuiten straffällig, indem sie fortfahren das Haus von Portroyal zu verfolgen.

Es war den Juden eben so gut als den Christen gesagt worden, daß sie den Propheten nicht immer glauben sollten. Dennoch machen die Pharisäer und Schriftgelehrten großes Wesen von den Wundern Jesu und versuchen zu zeigen, daß sie falsch sind oder durch den Teufel gethan; weil sie gezwungen waren überzeugt zu sein, wenn sie anerkannten, daß die Wunder von Gott waren.

Wir haben gegenwärtig nicht Noth jene Unterscheidung zu machen; sie ist aber sehr leicht. Diejenigen, welche weder Gott noch Christum leugnen, thun keine andern Wunder als wahre. Aber wir haben nicht diese Unterscheidung zu machen. Hier ist eine heilige Reliquie. Hier ist ein Dorn von der Krone des Welterlösers, über den der Fürst dieser Welt keine Macht hat, ein Dorn, der Wunder thut durch die eigne Kraft jenes für uns vergossenen Blutes. Gott erwählte selbst dieses Haus um seine Macht leuchten zu lassen.

Es sind hier nicht Menschen, die solche Wunder thun durch eine unbekannte und zweifelhafte Tugend, die uns zu einer schwierigen Unterscheidung zwänge. Es ist Gott selbst, es ist ein Werkzeug des Leidens seines Sohnes, das, an mehren Orten vorhanden, diesen Ort hier vorzugsweise auszeichnet und von allen Zeiten die Menschen herbeizieht, daß sie hier wunderbare Hilfe in ihren Leiden empfangen.

Die Verstocktheit der Jesuiten übertrifft also die der Juden. Diese weigerten sich Jesum für unschuldig zu halten doch nur aus dem Grunde, weil sie zweifelten, ob seine Wunder von Gott waren; wogegen die Jesuiten, obgleich sie nicht zweifeln können, daß die Wunder zu Portroyal von[354] Gott sind, doch nicht aufhören die Unschuld dieses Hauses zu bezweifeln.

Aber, sagen sie, die Wunder sind nicht mehr nöthig, da man dergleichen schon hat und deshalb sind sie nicht mehr Beweise für die Wahrheit der Lehre. Allerdings. Aber wenn man nicht mehr die Ueberlieferung hört, wenn man das Volk hintergangen hat, wenn man die wahre Quelle der Wahrheit d. i. die Ueberlieferung verschlossen und den Pabst, bei dem die Wahrheit niedergelegt ist, voraus eingenommen hat, und der Wahrheit auf diese Weise keine Freiheit mehr bleibt zu erscheinen, dann, wenn die Menschen nicht mehr von ihr sprechen, dann muß sie selbst zu den Menschen reden. Das geschah zur Zeit des Arius.

Diejenigen, welche sich Jesu wegen seiner Wunder hingeben, ehren seine Macht in allen Wundern, die sie hervorbringt; aber diejenigen, welche das Bekenntniß ablegen, daß sie ihm anhangen um seiner Wunder willen und ihm in Wahrheit doch nur anhangen, weil er sie tröstet und mit weltlichen Güter sättiget, die lästern seine Wunder, wenn sie ihrer Behaglichkeit ungelegen sind.

Das thun die Jesuiten. Sie verwerfen die Wunder und bekämpfen diejenigen, welche sie überzeugen. Ungerechte Richter, macht nicht Gesetze für den Augenblick, richtet nach denen, da ihr selbst gemacht habet, ihr, »die ihr ungerechte Gesetze macht und unrechtes Urtheil schreibet.«

Die Art, wie die Kirche fortbestanden, ist, daß die Wahrheit ohne Streit war oder wenn sie bestritten wurde, gab es einen Pabst und wenn nicht, gab es die Kirche.

Das Wunder ist ein Ereigniß, welches die natürliche Kraft der dazu angewendeten Mittel übersteigt. Die also,[355] welche durch Anrufung des Teufels heilen, verrichten kein Wunder; denn das übersteigt nicht die natürliche Kraft des Teufels.

Die Wunder beweisen die Macht, die Gott über die Herzen hat, durch die Macht, die er auf die Körper ausübt.

Es ist den Königen und Fürsten von Wichtigkeit im Ruhm der Frömmigkeit zu stehen, darum müssen sie euch beichten. (Das geht auf die Jesuiten.)

Die Jansenisten gleichen den Ketzern in der Verbesserung der Sitten; aber ihr gleicht ihnen im Bösen.

Quelle:
Pascal's Gedanken über die Religion und einige andere Gegenstände. Berlin 1840, S. 338-356.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Gedanken über die Religion
Universal-Bibliothek Nr. 1622: Gedanken: Über die Religion und einige andere Themen
Gedanken: Über die Religion und einige andere Themen. (Reihe Reclam)

Buchempfehlung

Aristoteles

Physik

Physik

Der Schluß vom Allgemeinen auf das Besondere, vom Prinzipiellen zum Indiviudellen ist der Kern der naturphilosophischen Lehrschrift über die Grundlagen unserer Begrifflichkeit von Raum, Zeit, Bewegung und Ursache. »Nennen doch die Kinder zunächst alle Männer Vater und alle Frauen Mutter und lernen erst später zu unterscheiden.«

158 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon