Neunzehnter Abschnitt.
Gebet zu Gott um den rechten Gebrauch der Krankheiten.
1.

[420] Herr, dessen Geist so gut ist und so liebevoll in allen Dingen, der du so barmherzig bist, daß nicht allein die Freuden, sondern selbst die Trübsale, die deine Erwählten treffen, Thaten deiner Barmherzigkeit sind, gieb mir die Gnade nicht wie ein Heide zu thun in der Lage, in die mich deine Gerechtigkeit versetzt hat, daß ich als ein wahrer Christ dich für meinen Vater und für meinen Gott anerkenne, in welcher Lage ich mich auch befinde. Denn die Veränderung meines Zustandes bringt keine Veränderung in dem deinigen hervor, du bist immer derselbe, obgleich ich dem Wechsel unterworfen bin, du bist nicht weniger Gott, wenn du betrübest und strafest, als wenn du tröstest und Geduld hegst.


2.

Du hattest mir die Gesundheit gegeben um dir zu dienen und ich habe davon einen rein weltlichen Gebrauch gemacht. Jetzt schickest du mir die Krankheit, um mich zu bessern,[420] gieb nicht zu, daß ich sie anwende dich zu reizen durch meine Ungeduld. Ich habe meine Gesundheit schlecht benutzt und du hast mich dafür gerechter Weise bestraft, lasse nicht zu, daß ich deine Strafe schlecht benutze, und weil das Verderben meiner Natur so groß ist, daß es mir deine Gunstbezeugungen verderblich macht, gieb, o Gott, daß deine allmächtige Gnade mir deine Züchtigungen heilsam mache. Wenn mein Herz voll von Liebe zur Welt gewesen ist, so lange es noch einige Kraft hatte, so vernichte diese Kraft zu meinem Heil und mache mich unfähig die Welt zu genießen, sei es durch Schwachheit des Leibes oder durch Eifer der Liebe, daß ich nichts genieße als dich allein.


3.

O Gott, vor dem ich eine genaue Rechenschaft von allen meinen Handlungen ablegen soll am Ende des Lebens und am Ende der Welt, o Gott, der du die Welt und alle Dinge der Welt nur bestehen lässest um deine Erwählten zu üben und die Sünder in dem ergötzlichen und frevelhaften Genuß der Welt duldest, o Gott, der du unsre Leiber sterben lässest und in der Stunde des Todes unsre Seele von allem, was sie in der Welt liebte, entrückest, o Gott, der du in jenem letzten Augenblick meines Lebens mich von allem, woran ich hing, woran ich mein Herz heftete, losreißen wirst, o Gott, der du am jüngsten Tage den Himmel und die Erde und alle Geschöpfe, die sie enthalten, zerstören wirst um allen Menschen zu zeigen, daß nichts ist als du und daß also nichts Liebe verdient als du und nichts bleibet als du, o Gott, der du alle die eiteln Götzen und die unseligen Gegenstände unsrer Leidenschaften vernichten wirst, ich lobe dich, mein Gott, und werde dich alle Tage meines Lebens segnen, daß es dir gefallen hat mir zu Liebe jenem erschrecklichen Tage zuvor zu kommen, indem du für mich alles zertrümmertest[421] durch die Schwachheit, in welche du mich versetzet hast. Ich lobe dich und werde dich alle Tage meines Lebens segnen, daß du mich in die Unfähigkeit versetzet hast die Reize der Gesundheit und die Freuden der Welt zu genießen und daß du zu meinem Besten in gewisser Art die trügerischen Götzen zerstöret hast, die du am Tage deines Zorns zur Beschämung der Bösen in Wahrheit zerstören wirst. Gieb Herr, daß ich nach dieser Zerstörung, die du hinsichts meiner angerichtet hast, mich nun selbst richte, damit nicht du selbst mich richtest einst nach der gänzlichen Zerstörung meines Lebens und der Welt. Wie ich einst, o Herr, im Augenblick meines Todes von der Welt getrennt sein werde, entblößt von allem, allein in deiner Gegenwart, um deiner Gerechtigkeit Rechenschaft zu geben von allen Regungen meines Herzens, so gieb, daß ich mich jetzt in dieser Krankheit betrachte, als wäre ich in einer Art von Tod, getrennt von der Welt, entblößt von allen Gegenständen meiner Anhänglichkeit, allein in deiner Gegenwart um von deiner Barmherzigkeit die Bekehrung meines Herzens zu erflehen und daß ich so einen großen Trost darin habe, daß du mir jetzt eine Art von Tod sendest um deine Barmherzigkeit aus zu üben, ehe du mir wahrhaft den Tod schickest um dein Gericht zu halten. Gieb denn also, o mein Gott, daß, wie du meinem Tode zuvorgekommen bist, so auch ich der Strenge deines Urtheilspruches zuvorkommen bist, so auch ich der Strenge deines Urtheilspruches zuvorkomme und mich selbst richte vor deinem Gericht um einst in deiner Gegenwart Barmherzigkeit zu finden.


4.

Gieb, o mein Gott, daß ich still deine anbetungswürdige Vorsehung in der Leitung meines Lebens anbete, laß deine[422] Züchtigung mich trösten und wie ich während der Tage des Friedens in der Bitterkeit meiner Sünden gelebt habe, so gieb, daß ich jetzt die himmlische Süßigkeit deiner Gnade schmeckte während der heilsamen Leiden, mit denen du mich heimsuchest. Aber ich erkenne, mein Gott, wie mein Herz so verhärtet ist und so voll von weltlichen Gedanken, Sorgen, Unruhen und Neigungen, daß weder die Krankheit noch die Gesundheit, weder die Gespräche noch die Bücher, weder deine heilige Schrift und dein Evangelium noch deine heiligsten Geheimnisse, weder die Almosen, die Fasten und die Kasteiungen noch die Wunder, der Gebrauch der Sacramente und das Opfer deines Leibes, weder meine Anstrengungen noch die der Ganzen Welt zusammen irgend etwas vermögen um meine Verkehrung an zu fangen, wenn du nicht alles das mit dem ganz außerordentlichen Beistande deiner Gnade begleitest. Daher, mein Gott, wende ich mich an dich, du allmächtiger Gott, um von dir ein Gut zu erflehen, was alle Creaturen zusammen mir nicht gewähren können. Ich würde nicht die Dreistigkeit haben mein Geschrei vor dich zu bringen, wenn irgend wer anders es zu erhören vermöchte. Aber die Bekehrung meines Herzens, die ich von dir, mein Gott, erflehe, ist ein Werk, das alle Anstrengungen der Natur übersteigt und so kann ich mich nur an den allmächtigen Urheber und Herrn der Natur und meines Herzens wenden. Zu wem sollte ich rufen, Herr, zu wem meine Zuflucht nehmen, wenn nicht zu dir? Alles, was nicht Gott ist, kann meine Hoffnung nicht erfüllen. Gott selbst ist es, was ich begehre und was ich suche und an dich allein, mein Gott, wende ich mich um dich zu erlangen. Oeffne mein Herz, dringe ein in diesen aufrührischen Platz, den die Laster besetzt haben. Sie halten ihn in Unterwürfigkeit. Dringe ein als in das Haus des Starken,[423] aber binde zuvor den starken und mächtigen Feind, der es beherrscht und nimm dann die Schätze, die darinnen sind. Herr, nimm deine Liebe, welche die Welt geraubt hat, raube du selbst diesen Schatz oder vielmehr nimm ihn zurück; denn dir gehört er als eine Abgabe, die ich dir schuldig bin, weil dein Bild darauf eingeprägt ist. Du hattest es ihm aufgedrückt, Herr, im Augenblick meiner Taufe, meiner zweiten Geburt; aber es ist ganz ausgelöscht. Das Bild der Welt ist so darauf eingegraben, daß das deine nicht mehr kenntlich ist. Du allein konntest meine Seele schaffen; du allein kannst sie von neuem schaffen; du allein konntest dein Bild ihr einprägen, du allein kannst es wieder auffrischen und das ausgelöschte ihr wieder neu eindrücken, nämlich Jesum Christum meinen Heiland, der dein Ebenbild und der Abglanz deines Wesens ist.


5.

O mein Gott, wie glücklich ist ein Herz, das einen so entzückenden Gegenstand lieben kann, der es nicht entehrt und dem an zu hängen ihm so heilsam ist! Ich fühle, daß ich die Welt nicht lieben kann ohne dir zu mißfallen, ohne mir zu schaden und mich zu entehren und dennoch ist die Welt noch Gegenstand meiner Freude. Ach! mein Gott, wie glücklich ist eine Seele, deren Freude du bist, weil sie sich der Liebe zu dir überlassen darf nicht nur ohne Gewissenszweifel, sondern noch mit Verdienst! Wie ist ihr Glück fest und dauerhaft, weil ihre Hoffnung nicht zu Schanden werden wird; denn du wirst nie untergehen, und weder Leben noch Tod mag sie scheiden von dem Gegenstand ihrer Liebe und derselben Augenblick, der die Gottlosen mit ihren Götzen in einen gemeinschaftlichen Untergang[424] reißt, wird die Gerechten mit dir in einer gemeinschaftlichen Herrlichkeit vereinigen und wie die ersten mit den vergänglichen Dingen, an die sie sich gehängt, vergehen werden, so werden die andern ewig bestehen bleiben in dem ewigen und durch sich selbst bestehenden Gegenstand, mit dem sie sich enge vereinigt haben. O! wie glücklich sind die, welche mit voller Freiheit und mit einer unbezwinglichen Neigung ihres Willens vollkommen und frei lieben, was sie mit Nothwendigkeit verpflichtet sind zu lieben!


6.

Vollende, o Gott, die guten Regungen, die du mir giebst. Sei ihr Ziel, wie du ihr Anfang bist. Kröne deine eignen Gaben, denn ich erkenne es an, daß es deine Gaben sind. Ja, mein Gott, und weit davon entfernt mir ein zu bilden, daß meine Gebete ein Verdienst hätten, welches dich zwänge sie mir nothwendig zu gewähren, erkenne ich demüthig, daß ich den Geschöpften mein Herz ergeben habe, welches du nur für dich gebildet hast und nicht für die Welt noch für mich selbst und daß ich so keine Gunst hoffen kann als nur von deiner Barmherzigkeit, denn ich habe nichts in mir, was dich dazu verpflichten könnte und alle natürlichen Regungen meines Herzens wenden sich auf die Geschöpfe oder auf mich und können dich nur erzürnen. Daher sage ich dir Dank, mein Gott, für die guten Regungen, die du mir giebst und selbst dafür, daß ich dir danke.


7.

Rühre mein Herz zur Reue über meine Fehler, denn ohne diesen innern Schmerz würden die äußerlichen Leiden, mit welchen du mein Leid rührest, mir eine neue Gelegenheit zur Sünde sein. Laß mich recht erkennen, daß die Leiden[425] des Leibes nicht anders sind als die Strafe und zugleich das Bild der Seelenleiden. Aber gieb auch, mein Gott, daß sie für diese Seelenleiden das Heilmittel seien und laß mich in den Schmerzen, die ich fühle, den Schmerz bedenken, den ich nicht fühlte in meiner Seele, ob sie gleich ganz krank und voller Schwären war. Denn, Herr, ihre größte Krankheit ist jene Fühllosigkeit und jene große Schwäche, die ihr alle Empfindung ihres eignen Elends benommen hatte. Gieb, daß ich es lebhaft fühle und der Rest meines Lebens sei eine fortwährende Buße um ab zu waschen die Sünden, die ich begangen habe.


8.

Herr, mein vergangnes Leben war wohl frei von groben Schanden und Lastern, zu denen du mir die Gelegenheit ferne gehalten hast, dennoch ist es dir sehr mißfällig gewesen durch die anhaltende Nachläßigkeit, durch den schlechten Gebrauch deiner heiligsten Sakramente, durch die Verachtung deines Worts und deiner Eingebungen, durch die gänzliche Trägheit und Nutzlosigkeit meiner Thaten und Gedanken durch den völligen Verlust der Zeit, die du mir gegeben hattest um dich an zu beten, um in allen meinen Beschäftigungen die Mittel zu suchen, daß ich dir gefiele, und um Buße zu thun für die Fehler, die alle Tage begangen werden und die selbst bei den Gerechtesten so gewöhnlich sind, daß ihr Leben eine fortgesetzte Buße sein soll, ohne welche sie in Gefahr sind wieder aus ihrer Gerechtigkeit zu fallen. So, mein Gott, bin ich dir immer entgegen gewesen.


9.

Ja, Herr, bis hieher bin ich immer taub gewesen für deine Stimme und habe verachtet deine Worte, ich habe anders geurtheilt, als du urtheilst, ich habe widersprochen den heiligen Lehren, welche du der Welt von deinem ewigen Vater gebracht hast und nach welcher du die Welt richten[426] wirst. Du sagst: »Selig sind die hier weinen und wehe denen, die getröstet sind.« Und ich habe gesagt: Elend sind die seufzen, und selig die, welche getröstet sind. Ich habe gesagt: Glücklich sind die, welche eines großen Vermögens genießen und eines ehrenvollen Ansehns und einer festen Gesundheit. Und warum habe ich sie glücklich genannt als nur darum, weil alle diese Vortheile ihnen eine treffliche Gelegenheit boten der Creaturen zu genießen, d.h. dich zu beleidigen! Ja, Herr, ich bekenne, daß ich die Gesundheit als ein Gut geachtet habe, nicht weil sie ein leichtes Mittel ist um dir mit Nutzen zu dienen, um mehr Sorgen und Nachtwachen in deinem Dienst zu ertragen, und um dem Nächsten bei zu stehn, sondern weil ich durch sie begünstigt mit weniger Zurückhaltung dem Ueberfluß der Annehmlichkeiten des Lebens mich hingeben und besser ihre traurigen Freuden schmecken konnte. Gieb mir die Gnade, Herr, daß du meine verderbte Vernunft wieder herstellest und meine Gesinnungen den deinen gemäß machest. Gieb, daß ich in der Trübsal mich glücklich schätze und in dem Unvermögen nach außen zu handeln, reinige du so meine Gesinnungen, daß sie nicht mehr den deinigen widerstreben und so laß mich dich in mir selbst suchen, weil ich dich nicht außerhalb suchen kann wegen meiner Schwäche. Denn, Herr, dein Reich ist in deinen Gläubigen und ich werde es in mir selber finden, wenn ich in mir finde deinen Geist und deinen Sinn.


10.

Aber, Herr, was soll ich thun, daß ich dich bewege deinen Geist über diese arme Erde aus zu gießen? Alles was ich bin ist dir mißfällig und ich finde nichts in mir, was dir gefallen könnte. Ich sehe nichts in mir, Herr, als allein meine Schmerzen, die einige Aehnlichkeit mit den deinen[427] haben. Siehe denn an die Leiden, die ich erdulde, und die, welche mir drohen. Schaue mit einem Auge der Barmherzigkeit auf die Wunden, die deine Hand mir geschlagen, du mein Heiland, der du meine Leiden geliebt hast im Tode! O Gott, der du nur Mensch geworden bist um für das Heil der Menschen mehr zu leiden als kein andrer Mensch! Gott, der du nur darum nach dem Sündenfall der Menschen ins Fleisch gekommen bist und nur darum einen Leib angenommen hast, daß du darin alle Leiden trügest, die unsre Sünden verdient haben! Gott, der du die Leiber, welche leiden, so liebest, daß du für dich den Leib wähltest, der je unter allen Leiden trügest, die unsre Sünden verdient haben! Gott, der du die Leiber, welche leiden, so liebest, daß du für dich den Leib wähltest, der je unter allen auf der Welt am Meisten mit Leiden geplagt war, habe lieb meinen Leib nicht um seinetwillen, auch nicht um deß willen, was er enthält, denn alles darin verdient deinen Zorn, sondern um der Leiden willen, die er erduldet, die allein deiner Liebe würdig sein können. Liebe meine Leiden, Herr, und durch meine Schmerzen laß dich einladen mich zu besuchen. Aber um deine Wohnung in mir vollends zu zu bereiten, gieb, o Heiland, daß wenn mein Leib das mit dem deinigen gemeint hat, daß er für meine Uebertretungen leidet, meine Seele auch das mit der deinigen gemein habe, daß sie traurig sei über eben diese Uebertretungen und daß ich so, mit dir wie du, an meinem Leibe und an meiner Seele leide für die Sünden, die ich begangen habe.


11.

Erweise mir, Herr, die Gnade zu meinen Leiden noch deine Tröstungen hinzu zu fügen, daß ich leide als Christ. Ich begehre nicht frei zu sein von Schmerz; denn das ist[428] der Lohn der Heiligen; aber ich bitte dich mich nicht den Schmerzen der Natur zu überlassen ohne die Tröstungen deines Geistes, denn das ist der Fluch der Juden und Heiden. Ich begehre nicht eine Fülle von Trost zu haben ohne ein Leiden, denn das ist das Leben der Herrlichkeit; aber ich begehre auch nicht in der Fülle von Uebeln zu sein ohne Tröstung, denn das ist ein Zustand des Judenthums, sondern ich begehre, Herr, beides zusammen zu fühlen, die Schmerzen der Natur für meine Sünden und die Tröstungen deines Geistes durch deine Gnade, denn das ist der wahre Zustand des Christenthums. Laß mich nicht Schmerzen fühlen ohne Tröstung, sondern beides zusammen, Schmerzen und Tröstung, auf das ich endlich hin gelange nur deine Tröstungen zu fühlen ohne einen Schmerz. Denn, Herr, du hast die Welt schmachten lassen in den natürlichen Leiden ohne Trost, ehe dein einiger Sohn kam, jetzt tröstest du und linderst die Leiden deiner Gläubigen durch die Gnade deines einigen Sohnes und du erfüllest mit einer ganz reinen Seligkeit deine Heiligen in der Herrlichkeit deines einigen Sohnes. Das sind die bewundernswürdigen Stufen, auf denen du deine Werke führest. Du hast mich der ersten entzogen, hilf mir über die zweite um auf die dritte zu gelangen. Herr, das ist die Gnade, um die ich dich bitte.


12.

Laß mich nicht in einer solchen Entfernung von dir sein, daß ich deine Seele betrübt bis in den Tod und deinen Leib gemartet vom Tode und meiner eignen Sünde willen ansehen könne, ohne mich zu freuen, daß ich leide an meinem Körper und an meiner Seele. Denn was ist schändlicher und doch zugleich gewöhnlicher unter den Christen und in mir selbst, als daß wir, während du Blut schwitzest zur Sühne für unsre Uebertretungen, herrlich und in Freuden[429] leben! Christen, die sich dein nennen, die durch die Taufe der Welt entsagt haben um dir zu folgen, die feierlich im Angesicht der Kirche geschworen haben mit dir zu leben und zu sterben, die bekennen zu glauben, daß die Welt dich verfolgt und gekreuzigt hat, die glauben, daß du dem Zorn Gottes und der Grausamkeit der Menschen preisgegeben hast um sie von ihren Sünden zu erlösen, die, sage ich, alle diese Wahrheiten glauben, die deinen Leib für das Opfer ansehn, das sich zu ihrem Heil dargebracht hat, die die Freuden und die Sünden der Welt als den einzigen Grund deiner Leiden und die Welt als deinen Henker betrachten, eben die suchen ihren Leib zu schmeicheln mit denselben Freuden, in derselben Welt. Nicht ohne zu schaudern könnte man einen Menschen den Mörder seines Vaters, der sich für sein Leben würde aufgeopfert haben, küssen und lieben sehen, und doch kann man leben, wie ich gethan habe, mit voller Freude mitten in der Welt, die, wie ich gewiß weiß, wahrhaftig gemordet hat, den, welchen ich für meinen Gott und für meinen Vater erkenne, der sich für mein eignes Heil geopfert hat und auf sich alle meine Ungerechtigkeit geladen hat? Es ist gerecht, Herr, daß du eine so frevelhafte Freude unterbrochen hast, wie die, mit welcher ich ruhig war im Schatten des Todes!


13.

Nimm denn von mir, Herr, die Traurigkeit, welche meine Selbstliebe in mir über meine eignen Leiden und über die Dinge der Welt, die nicht nach den Wünschen meines Herzens gelingen und die nicht zu deiner Ehre sind, erregen könnte, und flöße mir eine Traurigkeit ein, die der deinigen ähnlich sei. Möchten meine Leiden dazu dienen Zorn zu mildern. Mache daraus eine Gelegenheit zu meinem Heil und zu meiner Bekehrung. Möge ich fortan nicht Gesundheit[430] und Leben wünschen als nur um es an zu wenden und zu beschließen für dich, mit dir und in dir. Ich bitte dich weder um Gesundheit noch um Krankheit, weder um Leben noch um Tod, sondern daß du über meine Gesundheit und über meine Krankheit, über mein Leben und über meinen Tod gebietest zu deiner Ehre, zu meinem Heil und zum Nutzen der Kirche und deiner Heiligen, zu denen ich durch deine Gnade zu gehören hoffe. Du allein weißt, was mir dienlich ist; du bist der alleinige Herr, thu was du willst. Gieb mir, nimm mir, aber bilde meinen Willen nach dem deinen, daß ich in demüthiger und vollkommener Unterwerfung und in heiliger Zuversicht mich anschicke die Gebote deiner ewigen Vorsehung zu empfangen und alles, was mir von dir kommt, immer gleich verehre.


14.

Gieb, o Gott, daß ich mit immer gleichem Sinn alle Begegnisse hinnehme, weil wir nicht wissen, was wir bitten sollen und ich weder das eine noch das andre wünschen kann ohne Anmaßung und ohne mich zum Richter auf zu werfen und mich für die Folgen verantwortlich zu machen, die deine Weisheit mir billig verbergen wollte. Herr, ich weiß, daß ich nur eines weiß, nämlich daß es gut ist dir zu folgen und daß es übel ist dich zu erzürnen. Außer dem weiß ich nicht, was das Beste oder das Schlechteste ist in allen Dingen. Ich weiß nicht, was mir nützlich ist, Gesundheit und Krankheit, Reichthum oder Armuth noch sonst was in der Welt. Dieß ist ein Erkenntniß, das die Kraft der Mensch und Engel übersteigt, und das verborgen ist in den Geheimnissen deiner Vorsehung, die ich anbete und nicht ergründen soll.


15.

Gieb denn, Herr, daß ich, wie ich auch sei, mich deinem Willen füge und krank, wie ich bin, dich preise in meinen Leiden. Ohne sie kann ich nicht zur Herrlichkeit gelangen[431] und du selbst, mein Heiland, hast nicht anders zu ihr eingehen wollen als durch sie. An deinen Leiden bist du von deinen Jüngern erkannt worden und an den Leiden erkennest du auch die, welche deine Jünger sind. Erkenne denn mich als deinen Jünger in den Leiden, die ich an Leib und Seele dulde für meine begangenen Sünden, und da nichts vor Gott angenehm ist, wenn es nicht von dir ihm dargebracht wird, so vereinige meinen Willen mit dem deinen und meine Schmerzen mit denen, die du gelitten hast. Mache, daß die meinen dein werden, vereinige mich mit dir, erfülle mich mit dir und mit deinem heiligen Geiste. Ziehe ein in mein Herz und in meine Seele, daß du tragest meine Leiden und fortfahrest in mir zu erdulden, was dir noch übrig ist von dem Leiden, welches du in deinen Gliedern vollendest, bis dein Leib vollkommen erbaut werde, auf daß, von dir erfüllt, ich es nicht mehr sei, der lebt und leidet, sondern daß du, o mein Heiland, es seist, der in mir lebe und leide und daß du so einen kleinen Theil an deinen Leiden mir gebend, mich ganz erfüllest mit der Herrlichkeit, zu der du durch sie eingegangen, und in der du lebest mit dem Vater und dem heiligen Geist von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

Quelle:
Pascal's Gedanken über die Religion und einige andere Gegenstände. Berlin 1840, S. 420-432.
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