Viertes Buch.
Ueber die beiden Materien oder
Ueber die Materie

[100] 1. Der Satz, dass die sogenannte Materie ein Substrat und Aufnahmeort der Formen sei, wird als eine gemeinsame Behauptung über dieselbe von allen ausgesprochen, welche auf die allgemeine Vorstellung einer derartigen Natur gekommen sind, und bis hierher gehen sie denselben Weg; wenn sie aber des weitern untersuchen, was das für eine zu Grunde liegende Natur ist und wie und was sie aufzunehmen vermag, so gehen sie auseinander. Und die einen, welche das Seiende und das Sein lediglich als Körper setzen, nehmen bei diesen eine Materie an: sie sei das Substrat für die Elemente und sei selbst das Sein, alle andern Dinge seien gleichsam Affectionen desselben, auch die Elemente seien eine irgendwie beschaffene[100] Materie. Ja sie wagen sogar sie selbst bis zu den Göttern zu führen und behaupten schliesslich, dass diese irgendwie beschaffene Materie Gott selbst sei. Sie geben ihr auch einen Körper und nennen sie einen qualitätslosen Körper, desgleichen auch Grösse. Andere bezeichnen die Materie als körperlos, und zwar setzen sie manche von ihnen nicht als eine, sondern von der einen, von der die früheren reden, behaupten sie ebenfalls, sie sei das Substrat für die Körper, es gebe jedoch noch eine andere höhere, in der intelligiblen Welt, welche den dortigen Formen und körperlosen Wesenheiten als Substrat zu Grunde liege.

2. Deshalb muss hier zuerst untersucht werden, ob sie ist, was sie ist und wie sie ist. Wenn die Materie etwas unbestimmtes und gestaltloses sein muss, es aber in dem Intelligiblen als dem Vollendeten nichts unbestimmtes noch gestaltloses giebt, so kann es dort auch keine Materie geben; und wenn jedes Ding daselbst einfach ist, so bedarf es auch keiner Materie, um aus ihr und einem andern das Zusammengesetzte zu gewinnen; ferner, das Werdende bedarf der Materie und das was aus anderem zu etwas anderem gemacht wird – von ihm aus ist man ja auch auf den Gedanken einer Materie in den sinnlich wahrnehmbaren Dingen gekommen – was dagegen nicht wird, bedarf keiner Materie. Und woher wäre sie gekommen und ins Dasein getreten? Denn wenn sie entstanden ist, so ist sie auch durch etwas entstanden; ist sie aber ewig, dann giebt es mehrere Principien und das Erste ist nicht absolut. Und wenn die Form hinzugekommen ist, so wird das Zusammengesetzte ein Körper sein, also auch dort Körper sein.

3. Zuerst nun ist zu sagen, dass man nicht durchweg das Unbestimmte verachten darf, sowenig wie das seinem Begriffe nach Gestaltlose, wenn es nur dem Höheren und dem Vollendeten sich hingiebt. Etwas derartiges ist auch die Seele im Verhältniss zum Geist und zum Begriff, indem sie von diesen gestaltet und zu einer bessern Form geführt wird. Und im Intelligiblen ist das Zusammengesetzte in einem andern Sinne vorhanden, nicht so wie die Körper, wie ja auch die Begriffe zusammengesetzt sind und durch ihre Wirklichkeit etwas Zusammengesetztes hervorbringen, nämlich die als Form wirkende Natur. Wenn aber das Unbestimmte und Formlose in Beziehung zu einem andern steht, so hängt es in noch höherem Grade von etwas anderem ab. Die Materie der werdenden Dinge aber hat stets eine andere Form, dagegen ist die der ewigen Dinge stets dieselbe und hat immer dieselbe Form.[101] Vielleicht ist die hiesige gerade das Gegentheil der dortigen. Denn hier ist sie nur theilweis alles und eins in jedem einzelnen Falle. Deshalb bleibt nichts fest, indem eines das andere verdrängt. Deshalb ist sie nicht stets dasselbe, dort aber ist sie alles zugleich. Deshalb hat sie nichts, worein sie sich wandeln könnte, denn sie hat schon alles. Folglich ist auch die dortige niemals gestaltlos; dies ist ja auch nicht die hiesige, sondern beide sind es auf verschiedene Weise. Die Frage, ob sie ewig ist oder geworden, wird klar sein wenn wir begriffen haben, was sie eigentlich ist.

4. Unsere Darstellung setzt vor der Hand voraus, dass die Formen wirklich vorhanden sind, denn das ist anderswo gezeigt. Weiter also. Wenn die Formen viele sind, so muss etwas Gemeinsames in ihnen sein; aber auch etwas Besonderes, wodurch sich die eine von der andern unterscheidet. Dieses Besondere und der trennende Unterschied [specifische Differenz] ist die eigenthümliche Gestalt. Wenn es eine Gestalt giebt, so giebt es auch das Gestaltete, an welchem der Unterschied stattfindet. Folglich giebt es auch eine Materie, welche die Gestalt annimmt, und fortwährend ein Substrat. Ferner, wenn die intelligible Welt sich dort befindet, die hiesige aber eine Nachahmung jener ist und zwar zusammengesetzt und materiell, so muss auch dort Materie sein. Oder wie will man von einem Kosmos reden, ohne auf die Form zu sehen? wie aber von einer Form, ohne ein Substrat der Form anzunehmen? Das Intelligible nämlich ist im allgemeinen durchaus ungetheilt, in gewisser Hinsicht aber getheilt. Und wenn die Theile von einander getrennt sind, so ist der Schnitt und die Trennung eine Affection der Materie, denn sie ist die zerschnittene. Wenn es aber als Vieles ungetheilt ist, so ist das Viele, welches in dem Einen ist, in der Materie, indem es durch die Einheit selbst seine Gestalten bildet; denn dieses Eine denke man sich mannigfaltig und vielgestaltig. Folglich ist es ungestaltet bevor es mannigfaltig wurde; denn wenn man im Geiste die Mannigfaltigkeit und die Gestalten und die Begriffe und die Gedanken wegnimmt, so ist das vor diesem Liegende ungestaltet und unbestimmt und nichts von dem, was an ihm und in ihm ist.

5. Wenn aber, weil das Intelligible dieses stets und zugleich hat, beides eins und dort keine Materie ist, so wird es auch hier keine körperliche Materie geben. Denn sie findet sich nie ohne Gestalt, sondern ist stets ganzer Körper, gleichwohl aber zusammengesetzt. Und der Verstand findet das Doppelte. Denn dieser trennt bis er auf ein Einfaches kommt,[102] welches selbst nicht mehr aufgelöst werden kann. Solange es das aber kann, geht er auf seinen Urgrund. Der Urgrund jedes Einzelnen aber ist die Materie. Deshalb ist sie auch gänzlich dunkel, weil das Licht der Begriff ist und der Verstand Begriff. Wenn er deshalb den an jedem Dinge vorhandenen Begriff sieht, so hält er das Untere als unter dem Licht befindlich für finster, wie das lichthafte Auge, indem es auf das Licht und die Farben, die Licht sind, blickt, das unter den Farben Befindliche als dunkel und materiell bezeichnet. Allerdings das Dunkle im Intelligiblen und das Dunkle im sinnlich Wahrnehmbaren ist verschieden, und verschieden die Materie wie auch die an beiden haftende Form verschieden ist. Denn die göttliche, welche ihre Bestimmtheit empfängt, hat selbst bestimmtes und denkendes Leben, die andere wird zwar auch etwas bestimmtes aber nichts lebendes oder denkendes, sondern eine Art geschmückter Leichnam. Und die Gestalt ist ein Bild, folglich auch das Substrat ein Bild. Dort aber ist die Gestalt etwas wahrhaftes, folglich auch das Substrat. Daher muss man auch die Behauptung derer, welche die Materie als Wesenheit bezeichnen, wenn sie von jener sprechen als wahr annehmen. Denn das Substrat dort ist Wesenheit oder vielmehr, wenn man sie mit dem an ihr Befindlichen und in ihrer Totalität denkt, erleuchtete Wesenheit. Ob aber die intelligible Materie ewig ist, muss in ähnlicher Weise untersucht werden, wie man dies auch bei den Ideen untersuchen kann. Denn sie sind entstanden dadurch dass sie einen Anfang haben, unentstanden aber weil sie ihren Anfang nicht in der Zeit haben sondern stets von einem Andern, nicht als stets werdend wie die sinnliche Welt, sondern als stets seiend wie die dortige Welt. Denn auch die dortige Verschiedenheit, welche die Materie macht, ist ewig; denn sie als die erste Bewegung ist der Anfang der Materie. Deswegen wurde sie auch Verschiedenheit genannt; weil Bewegung und Verschiedenheit zugleich hervorgingen. Unbestimmt aber ist die Bewegung und die vom Ersten ausgehende Verschiedenheit, und sie bedürfen desselben um bestimmt zu werden. Sie werden aber bestimmt durch Hinwendung zu ihm. Vorher aber ist die Materie sowohl als das Andere unbestimmt und noch nicht gut, sondern unerleuchtet von jenem. Denn wenn das Licht von jenem ausgeht, so hat das, was das Licht aufnimmt, bevor es dasselbe aufnimmt, nicht immer Licht, sondern hat es als etwas Anderes, wenn nämlich das Licht von einem Andern ausgeht. Und über die Materie im Intelligiblen mag diese Darlegung mehr als hinreichend sein.[103]

6. Ueber den Aufnahmeort der Körper möge Folgendes aufgestellt werden. Dass für die Körper ein Substrat vorhanden sein muss als ein Anderes neben ihnen, das zeigt das gegenseitige Ineinander-übergehen der Elemente. Denn es findet keine schlechthinnige Vernichtung dessen was übergeht statt – sonst würde ein Sein im Nichtseienden zu Grunde gehen – ebensowenig ist das Gewordene aus dem schlechthin Nichtseienden in das Seiende gekommen, sondern es findet ein Uebergang von Form in Form statt. Dabei bleibt dasjenige, was die Form des Gewordenen aufgenommen und die andere verloren hat. Dies beweist auch die Vernichtung überhaupt, denn sie betrifft das Zusammengesetzte. Wenn aber dies, so besteht jedes aus Materie und Form. Auch die Induction bezeugt es, welche das, was vernichtet wird, als zusammengesetzt nachweist; desgleichen die Analyse. Wenn z.B. eine Schale in Gold, das Gold in Wasser aufgelöst wird, so verlangt die Analogie auch eine Auflösung des Wassers. Nothwendig nun müssen die Elemente entweder Form oder erste Materie oder aus Materie und Form sein. Aber Form können sie unmöglich sein; denn wie wollen sie ohne Materie Masse und Grösse haben? Aber auch nicht erste Materie; denn sie werden vernichtet. Folglich bestehen sie aus Materie und Form, und zwar Form nach ihrer Qualität und Gestalt, Materie aber nach dem Substrat, welches unbestimmt ist, weil es nicht Form ist.

7. Empedokles, der die Elemente in die Materie setzt, hat die Vernichtung derselben als Beweis gegen sich. Anaxagoras, der die Mischung zur Materie macht und nicht sagt, dass sie Fähigkeit zu allem sei, sondern alles in Wirklichkeit habe, hebt den Geist, den er einführt, wieder auf, indem er ihn nicht die Form und die Gestalt geben lässt noch ihn früher setzt als die Materie, sondern mit ihr zugleich. Das ›zugleich‹ ist aber unmöglich. Denn wenn die Mischung am Sein Theil hat, so ist das Seiende früher. Wenn aber auch diese ein Seiendes ist, so wird es eines andern Dritten zu ihnen bedürfen. Wenn nun nothwendig der Weltbildner früher sein muss, wozu brauchten die Formen im kleinen in der Materie zu sein, so dass dann der Geist mit endloser Mühe sie sichtete, während er, wenn sie qualitätslos war, die Qualität und Gestalt über die ganze ausdehnen konnte? Dass aber das Ganze im Ganzen sei, ist doch wohl unmöglich. Wer aber das Unendliche annimmt, möge sagen, was das ist. Wenn er das Unendliche im Sinne des Unermesslichen nimmt, so ist klar, dass es ein derartiges Etwas im Bereiche des Seienden nicht[104] giebt, weder als Unendliches an sich noch an einer andern Substanz als Accidens für einen Körper: als Unendliches an sich nicht, weil auch der Theil von ihm unendlich sein müsste; als Accidens nicht, weil das, an dem es ein Accidens ist, nicht an sich unendlich sein kann noch einfach noch Materie. Aber auch die Atome können den Rang der Materie nicht haben, da sie überhaupt nicht existiren; denn jeder Körper ist nach allen Seiten hin theilbar. Dazu kommt die Continuität der Körper und das Feuchte, ferner der Umstand, dass unmöglich das Einzelne ohne Geist und Seele ist, welche unmöglich aus Atomen bestehen kann, sowie dass unmöglich eine andere Natur neben den Atomen aus den Atomen etwas bilden kann, zumal auch kein Weltbildner aus einer nicht zusammenhängenden Materie etwas wird schaffen können. Und so lässt sich unendlich viel gegen diese Hypothese sagen und ist schon gesagt worden; daher ist es überflüssig, länger bei ihr zu verweilen.

8. Welches ist nun diese eine, zusammenhängende und als qualitätslos bezeichnete Materie? Dass sie als qualitätslos kein Körper ist, ist klar; oder sie muss Qualität haben. Wenn wir aber sagen, dass sie Materie von allem sinnlich Wahrnehmbaren ist und nicht bloss von einigem, für anderes dagegen Form – wie der Lehm für den Töpfer Materie aber nicht schlechthin Materie ist – wenn wir also dies nicht sagen sondern annehmen, dass sie für alles Materie sei, so dürfen wir ihr nichts beilegen von dem, was an den sinnlich wahrnehmbaren Dingen gesehen wird. Und in diesem Falle, abgesehen von den andern Eigenschaften wie Farbe, Wärme und Kälte, auch nicht das Leichte und die Schwere, nichts Dichtes, nichts Dünnes, überhaupt nicht einmal Gestalt, folglich auch nicht Grösse; denn es ist etwas anderes Grösse oder gross gemacht, etwas anderes Gestalt oder gestaltet zu sein. Sie darf auch nicht zusammengesetzt sein, sondern einfach und eins ihrer Natur nach; denn nur so ist sie von allem leer. Und wer ihr Gestalt verleiht, wird ihr auch die Gestalt geben als etwas anderes aus ihr, und Grösse und alles aus dem Seienden gleichsam herzutragend. Oder er wird von ihrer Grösse abhängig sein und sie nicht machen wie gross er will, sondern wie gross die Materie will. Dass aber sein Wille mit ihrer Grösse übereinstimme, das heisst etwas ungereimtes annehmen. Vielmehr, wenn die schaffende Kraft der Materie voraufliegt, so wird die Materie schlechthin so sein wie die schaffende Kraft es will, und lenksam zu allem, also auch zur Grösse. Hat sie Grösse, so muss sie auch Gestalt haben, so dass sie noch schwerer zu behandeln[105] sein wird. Es tritt also die Form an sie heran und überträgt alles auf sie. Die Form hat aber alles, auch Grösse und was sonst mit dem Begriff und durch denselben ist. Deshalb ist auch bei den einzelnen Arten mit der Form zugleich die Quantität bestimmt. Denn eine andere ist die des Menschen, eine andere die des Vogels und dieses bestimmten Vogels. Es ist aber nicht wunderbarer, dass etwas anderes die Quantität an die Materie heranbringt, als dass es ihr Qualität beilegt, noch ist die Qualität Begriff, während die Quantität als Maass und Zahl nicht Form wäre.

9. Wie will man sich aber etwas Seiendes vorstellen, das nicht Grösse hat? Vielleicht alles was nicht identisch ist mit dem Quantitativen, denn das Seiende und das Quantitative ist doch wohl nicht identisch. Auch vieles andere ist von dem Quantitativen verschieden. Ueberhaupt muss man jede unkörperliche Natur als quantitätslos setzen; körperlos ist aber auch die Materie. Auch ist die Quantität selbst nicht quantitativ, sondern das was an ihr Theil genommen hat. Also ist auch hieraus klar, dass die Quantität eine Form ist. Wie nun etwas weiss wurde durch Anwesenheit des Weissen, dasjenige aber, was die weisse Farbe im Organismus und die andern bunten Farben hervorgebracht hat, nicht bunte Farbe war, sondern, wenn man will, bunter Begriff: so ist auch das, was diese oder jene bestimmte Grösse hervorbringt, nicht eine bestimmte Grösse, sondern das Grösse an sich oder die Grösse als solche oder der Begriff des Grossen. Entfaltet nun die Grösse als solche durch ihr Herankommen die Materie zu einer bestimmten Grösse? Keineswegs. Denn sie war garnicht im Kleinen zusammengedrängt, sondern sie gab Grösse, die vorher nicht vorhanden war, wie auch Quantität, die vorher nicht vorhanden war.

10. Was soll ich mir nun unter dem Grösselosen in der Materie denken? Was willst du dir aber unter dem irgendwie Qualitätslosen denken? Und welches ist die Vorstellung und der Ausgangspunkt für das Denken? Doch wohl die Unbestimmtheit. Denn wenn man durch das Gleiche das Gleiche erkennt, so auch durch das Unbestimmte das Unbestimmte. Es könnte nun wohl der Begriff vom Unbestimmten ein bestimmter werden, der Ausgangspunkt aber um zu ihm zu gelangen ist ein unbestimmter. Wenn aber jedes durch Begriff und Denken erkannt wird – hier sagt der Begriff was er von ihr sagt, das vermeintliche Denken aber ist Nichtdenken oder richtiger gleichsam Gedankenlosigkeit – so dürfte die Vorstellung derselben eine unechte und keine echte sein, zusammengesetzt[106] aus dem Andern nicht wahren und mit dem Begriff des Andern. Und vielleicht hat Plato im Hinblick darauf gesagt, sie sei durch eine Art Bastardvernunft zu begreifen. Welches ist nun die Unbestimmtheit der Seele? Etwa gänzliche Unkenntniss, gleichsam Abwesenheit? Das Unbestimmte besteht vielmehr in einer gewissen positiven Aussage, und wie für das Auge das Dunkel die Materie jeder unsichtbaren Farbe ist, so nimmt auch die Seele das weg, was an den sinnlich wahrnehmbaren Dingen gleichsam Licht ist, und da sie dann nichts mehr zu bestimmen hat, so gleicht sie dem Gesicht, das im Dunkel alsdann gewissermassen dasselbe wird mit dem, was es gleichsam sieht. Sieht es nun also? Vielleicht so etwas wie Gestaltlosigkeit und Farblosigkeit, wie einen Gegenstand ohne Beleuchtung und Grösse; wenn aber nicht, so wird es bereits Gestalten bilden. Wenn nun die Seele nichts denkt, findet dann nicht an ihr dieselbe Affection statt? Nein, sondern wenn sie nichts denkt, so sagt sie nichts oder vielmehr, sie wird garnicht afficirt. Wenn sie aber die Materie denkt, so erleidet sie in diesem Falle eine Affection, gleichsam den Eindruck des Gestaltlosen. Dem auch wenn sie das Gestaltete und einen Gegenstand von bestimmter Grösse denkt, so denkt sie es als zusammengesetzt, als gefärbt nämlich und überhaupt in einer bestimmten Qualität. Das Ganze also denkt sie und das Zusammengehörige; und zwar ist das Denken oder Wahrnehmen seiner Eigenschaften klar und deutlich, undeutlich dagegen die des Substrats, des Gestaltlosen, weil es eben nicht Form ist. Was sie nun am Ganzen und Zusammengesetzten denkt mitsammt seinen Eigenschaften, das löst sie auf und trennt sie, und was der Begriff übrig lässt, das denkt sie auf undeutliche Weise als undeutlich, auf dunkle Weise als dunkel, ja sie denkt es ohne es zu denken. Und da auch die Materie selbst nicht gestaltlos bleibt, sondern in den Dingen gestaltet ist, so fügt auch die Seele sofort die Form der Dinge zu ihr hinzu, da sie über das Unbestimmte Schmerz empfindet, gleichsam aus Furcht ausserhalb des Seienden zu sein, und weil sie es nicht aushält lange in dem Nichtseienden zu stehen.

11. Und wie so bedarf es noch eines Andern zum Zustandekommen der Körper ausser der Grösse und allen Qualitäten? – Nun, es ist ein Substrat nöthig, was alles aufnehmen soll. – Also Masse, wenn aber Masse, so ist es doch auch Grösse; wenn aber ohne Grösse, so hat es auch nicht wo es aufnehmen soll. Und wozu soll es als grösselos beitragen, wenn weder zur Form und Qualität noch zur Ausdehnung und[107] Grösse, die doch, wo sie sich findet, von der Materie aus in die Körper zu gehen scheint? Ueberhaupt aber, wie Thaten, Wirkungen, Zeiten, Bewegungen sich ohne ein materielles Substrat im Bereiche des Seienden finden, so brauchen auch die elementaren Körper keine Materie zu haben, sondern als für sich bestehende Ganze sind sie was sie sind und zwar in grösserer Mannigfaltigkeit, indem sie durch die Mischung aus mehreren Formen zu Stande gekommen sind. Also diese grösselose Materie ist ein leeres Wort. – Erstens nun ist es nicht nöthig, dass das Aufnehmende, was es auch ist, Masse sei, wenn ihm nicht etwa bereits Grösse innewohnt, da ja auch die Seele, die alles aufnimmt, alles zugleich hat; wäre aber die Grösse für sie ein Accidens, so würde sie alles in Grösse haben. Die Materie aber nimmt deshalb was sie aufnimmt in Ausdehnung auf, weil sie der Aufnahme der Ausdehnung fähig ist; wie auch die Thiere und Pflanzen beim Wachsen in gleichem Verhältniss zur Quantität auch an Qualität zunehmen, und wenn diese abnähme, auch an Qualität abnehmen würden. Wenn man aber, weil in diesen Dingen eine gewisse Grösse als Substrat für das Gestaltende zuvor vorhanden ist, dieselbe auch dort verlangt, so ist das nicht richtig. Denn hier ist die Materie nicht die Materie schlechthin, sondern die Materie dieses Einzelnen; die Materie schlechthin muss aber auch diese anderswoher haben. Es braucht also dasjenige, was die Form aufnehmen soll, nicht Masse zu sein, sondern es muss zugleich mit dem Entstehen Masse und die übrige Qualität aufnehmen und ein Scheingebilde von Masse haben, gleichsam als erste Disposition dazu, aber doch eine leere Masse. Daher haben auch einige die Materie als identisch mit dem Leeren bezeichnet. Ich sage aber Scheingebilde von Masse, weil auch die Seele, indem sie nichts zu bestimmen hat, wenn sie mit der Materie in Berührung tritt, sich in die Unbestimmtheit ergiesst, ohne zu umgrenzen und unfähig zur Bezeichnung zu schreiten; denn dann bestimmt sie schon. Deshalb darf man es weder ausdrücklich als gross noch umgekehrt als klein bezeichnen, sondern als gross und klein; und in demselben Sinne als Masse und grösselos, weil es Materie der Masse ist und wenn es sich aus dem Grossen zum Kleinen zusammenzieht oder aus dem Kleinen zum Grossen erweitert, gleichsam Masse durchläuft. Und eben ihre Unbestimmtheit ist eine derartige Masse, der Aufnahmegrund der Grösse in ihr; in der Vorstellung mag sie als wirkliche Masse erscheinen. Denn von den andern grösselosen Dingen sind die Formen alle einzeln bestimmt,[108] so dass man nirgends auf die Vorstellung der Masse kommt; die Materie aber, welche unbestimmt ist und noch nicht von selbst steht, nimmt hierhin und dorthin ihre Richtung auf jegliche Form, und bei ihrer Lenksamkeit nach allen Seiten wird sie eine vielfache durch die Lenkung auf alles und durch das Werden und erhält auf diese Weise die Natur der Masse.

12. Die Grösse also trägt zum Zustandekommen der Körper bei; denn die Formen der Körper sind in der Grösse. Sie dürften sich aber nicht sowohl an der Grösse als an dem gross Gewordenen vorfinden. Denn wenn an der Grösse, nicht an der Materie, so würden sie gleich wie diese ohne Grösse und Existenz sein, oder reine Begriffe – diese aber sind in der Seele – und dann gäbe es keine Körper. Es muss sich also hier das Viele an einer Einheit vorfinden und diese ist das gross Gewordene, verschieden von der Grösse. So kommt auch jetzt alles, was gemischt wird, dadurch dass es Materie hat zusammen und bedarf nichts weiter an dem es sich vorfinde, weil jedes von dem was gemischt wird seine eigene Materie mitbringt. Dennoch bedarf es eines gewissen Etwas, das es aufnehme, sei's ein Gefäss oder ein Ort. Der Ort aber ist später als die Materie und die Körper, folglich bedürfen die Körper zuvor der Materie. Nicht aber, weil die Thaten und Wirkungen immateriell sind, sind es deshalb auch die Körper. Denn die Körper sind zusammengesetzt, die Thaten nicht. Den Handelnden giebt bei ihrem Handeln die Materie das Substrat, indem sie in ihnen bleibt, zum Handeln selbst giebt sie sich nicht; auch verlangen das die Handelnden nicht. Ebensowenig geht die eine That in die andere über, in welchem Fall es auch für sie eine Materie geben würde, sondern der Handelnde geht von einer That zur andern über, so dass er selbst für die Thaten Materie ist. Es ist also die Materie etwas nothwendiges sowohl für die Qualität als für die Grösse, folglich auch für die Körper. Und so ist sie kein leerer Name, sondern es giebt ein Substrat, auch wenn es unsichtbar und ohne Grösse ist. Oder man wird aus demselben Grunde auch die Qualitäten und die Grösse leugnen; denn es liesse sich auch sagen, dass alles derartige für sich allein genommen nichts ist. Sind aber diese Dinge vorhanden, wenngleich ein jedes nur in unklarer Existenz, so muss vielmehr noch die Materie vorhanden sein, wenngleich nur undeutlich und nicht mehr wahrnehmbar für die Sinne: weder für das Auge, denn sie ist farblos, noch für das Gehör, denn sie ist kein Geräusch; auch Geschmack hat sie nicht noch Geruch, darum merken sie weder[109] Nase noch Zunge. Etwa also das Gefühl? Nein, da sie auch nicht Körper ist. Denn das Gefühl verlangt einen Körper, weil es etwas Dichtes oder Dünnes, Weiches oder Hartes, Feuchtes oder Trockenes fühlt. Davon hat die Materie nichts an sich, sondern für die Vorstellung ist sie fassbar, freilich nicht für die Vorstellung aus dem Geist sondern für die leere; darum ist's auch eine Bastardvorstellung, wie gesagt. Allein auch nicht einmal Körperlichkeit ist an ihr. Denn wenn die Körperlichkeit Begriff ist, so ist er verschieden von ihr, sie ist also etwas anderes; wenn sie aber bereits Gestalt hervorgebracht hat und gleichsam mit ihr gemischt ist, so ist sie offenbar Körper und nicht bloss Materie.

13. Wenn aber eine Qualität das Substrat sein soll und zwar eine gemeinsame in jedem der Elemente, so muss zuerst gesagt werden, was das für eine ist. Sodann, wie soll eine Qualität Substrat sein? Wie soll im Grösselosen eine Qualität gesehen werden, die weder Materie noch Grösse hat? Ferner, wenn die Qualität bestimmt ist, wie ist sie Materie? Ist sie aber etwas unbestimmtes, dann ist sie nicht Qualität sondern das Substrat und die gesuchte Materie. – Was hindert nun, dass die Materie dadurch, dass sie ihrer Natur nach an keiner der andern Qualitäten Theil hat, zwar qualitätslos sei, dass sie aber eben durch dieses an keiner Qualität Theilhaben irgendwie beschaffen sei, indem sie jedenfalls eine gewisse Eigenthümlichkeit hat und sich von den andern Dingen unterscheidet, gleichsam eine Beraubung jener? Denn auch der Beraubte ist irgendwie beschaffen, z.B. der Blinde. Wenn nun die Beraubung von diesen Qualitäten an ihr ist, wie hat sie da nicht irgendwelche Qualität? Und wenn gar Beraubung überhaupt an ihr ist, dann noch mehr, wenn wirklich auch die Beraubung etwas irgendwie beschaffenes ist. – Wer dies sagt, was thut er anders als dass er alles zu irgendwie beschaffenen Dingen und Qualitäten macht, so dass auch die Quantität eine Qualität sein würde und die Wesenheit? – Wenn aber etwas irgendwie beschaffen ist, so hat es Qualität. – Jedoch ist es lächerlich, das von dem irgendwie Beschaffenen Verschiedene und nicht irgendwie Beschaffene zu einem irgendwie Beschaffenen zu machen. Soll es, eben weil es verschieden, irgendwie beschaffen sein, so ist es, wenn dies die Verschiedenheit an sich ist, auch so nicht der Fall. Denn auch die Qualität ist nicht irgendwie beschaffen. Wenn es aber bloss verschieden ist, so ist es nicht durch sich selbst sondern durch die Verschiedenheit verschieden und durch die Identität identisch.[110]

Demnach ist auch die Beraubung keine Qualität noch ein Quale, sondern die Abwesenheit der Qualität oder von etwas anderm, wie die Geräuschlosigkeit Abwesenheit von Geräusch oder sonst etwas anderm. Denn die Beraubung ist Verneinung, das Quale dagegen liegt in der Bejahung. Und die Eigenthümlichkeit der Materie ist nicht Gestalt, denn kein Quale zu sein und keine Form zu haben ist ihr eigen. Deshalb ist es ungereimt, weil sie kein Quale ist, sie ein Quale zu nennen; ähnlich der Behauptung, dass sie eben deshalb Grösse habe, weil sie grösselos sei. Es ist also ihre Eigenthümlichkeit nicht etwas anderes als was sie ist, und die Eigenthümlichkeit ist ihr nicht zugefügt, sondern sie liegt vielmehr in ihrem Verhalten zum andern, dass sie etwas anderes als dieses ist. Und das Andere ist nicht lediglich nur anderes, sondern ein jedes hat eine besondere Form, und die kann gebührendermassen etwas anderes genannt werden; oder vielleicht anderes, um nicht durch den Zusatz ›etwas‹ zu bestimmen, sondern durch den Ausdruck ›anderes‹ das Unbestimmte anzuzeigen.

14. Aber untersucht muss werden, ob sie Beraubung oder die Beraubung an ihr ist. Die Meinung nun, wonach beide dem Substrat nach eins, dem Begriffe nach zwei sind, hätte billigerweise auch angeben sollen, welchen Begriff eines jeden man aufstellen müsse, also einen Begriff der Materie, welcher sie definirt ohne die Beraubung zu berühren, ebenso umgekehrt einen Begriff der Beraubung. Denn entweder ist keins von beiden in keinem von beiden Begriffen, oder jedes in jedem, oder das eine in einem von beiden auf irgendwelche von beiden Weisen allein. Wenn nun jedes für sich besteht ohne des andern zu bedürfen, so werden die beiden zwei sein und die Materie etwas anderes als die Beraubung, selbst wenn ihr die Beraubung als Accidens zukommt. Es darf aber in dem Begriffe des einen das andere nicht einmal der Möglichkeit nach erscheinen. Verhalten sie sich wie etwa die stumpfe Nase und das Stumpfe, so ist auch in diesem Falle jedes doppelt und sie sind zwei. Verhalten sie sich wie das Feuer und die Wärme, indem die Wärme im Feuer, das Feuer aber in der Wärme nicht befasst ist, und die Materie so Beraubung ist wie das Feuer warm, so wird die Wärme gleichsam ein Feuer derselben sein, das Substrat hingegen etwas anderes, und das muss die Materie sein. Und auch so sind sie nicht eins. Sind sie nun vielleicht so dem Substrat nach eins, dem Begriffe nach aber zwei, dass die Beraubung nicht etwas als vorhanden sondern als nicht vorhanden andeutet und dass die Beraubung[111] des Seienden gleichsam Verneinung ist? Wie wenn jemand sagt, nicht seiend. Denn die Verneinung fügt nicht hinzu sondern sagt, dass etwas nicht sei. Hat also die Beraubung den Sinn des nicht Seienden? Wenn sie nun nicht seiend ist, weil sie nicht das Seiende sondern etwas anderes ist, dann haben wir wieder zwei Begriffe, von denen der eine auf das Substrat passt, der andere das Verhältniss der Beraubung zum andern andeutet. Oder vielmehr, der eine ist der Begriff der Materie in ihrem Verhältniss zum andern und ebenso des Substrats in seinem Verhältniss zum andern, der Begriff der Beraubung aber passt vielleicht auf sie, wenn er das Unbestimmte derselben andeutet; übrigens sind sie in beiden Fällen eins dem Substrat nach, zwei dem Begriffe nach. Aber wenn die Beraubung dadurch, dass sie unbestimmt und unbegrenzt und qualitätslos ist, mit der Materie identisch ist, wie sind dann die Begriffe noch zwei?

15. Wir kommen also zurück auf die Untersuchung, ob das Unbegrenzte und Unbestimmte accidentiell an einer andern Natur sich findet und wie es Accidens ist, und ob die Beraubung accidentiell ist. Wenn nun alles was Zahl und Begriff ist ausserhalb der Unbegrenztheit steht – denn Grenzen und Ordnungen und das Geordnete gehen auch für die andern Dinge von ihnen aus, es ordnet dieselben aber nicht das Geordnete noch die Ordnung, sondern was geordnet wird ist etwas anderes als das Ordnende, es ordnet vielmehr das Ende, die Grenze und der Begriff – so muss das, was geordnet und bewegt wird, nothwendig das Unbegrenzte sein. Es wird aber die Materie geordnet, und was nicht Materie ist doch insofern es an ihr Theil hat oder den Begriff der Materie hat. Es muss also die Materie das Unbegrenzte sein, aber nicht in dem Sinne, dass das Unbegrenzte accidentiell, als ein Accidens an sie herangetreten wäre. Denn zuerst muss das, was als Accidens an etwas herantritt, Begriff sein, das Unbegrenzte aber ist nicht Begriff. Ferner, an welches Seiende soll das Unbegrenzte als Accidens herantreten? An die Grenze und das Begrenzte. Aber die Materie ist weder begrenzt noch Grenze. Und wenn das Unbegrenzte an das Begrenzte herankommt, wird es seine Natur vernichten. Folglich ist das Unbegrenzte kein Accidens für die Materie, folglich ist sie selbst das Unbegrenzte. Ist ja auch im Intelligiblen die Materie das Unbegrenzte, und dies dürfte erzeugt sein aus der Unbegrenztheit des Einen, nämlich seiner Macht oder seiner ewigen Existenz, da die Unbegrenztheit in jenem nicht ist, sondern das Eine sie schafft. Wie kann dieselbe[112] nun dort und hier sein? Nun, auch das Unbegrenzte ist doppelt. Und wie unterscheidet sich das eine vom andern? Wie das Urbild vom Abbild. Ist nun das Unbegrenzte hier weniger unbegrenzt? Gerade mehr, denn insofern es als Abbild sich vom wahren Sein entfernt, ist es mehr unbegrenzt. Denn die Unbestimmtheit ist mehr in dem weniger Bestimmten vorhanden; denn das Minus im Guten ist ein Plus im Schlechten. Das Dortige also als mehr seiend ist Form oder Begriff des Unbegrenzten, das Hiesige dagegen als weniger seiend, insoweit es vom wahren Sein sich entfernt und in die Natur des Abbildes versunken ist, ist in Wahrheit mehr unbegrenzt. Ist nun das Unbegrenzte und unbegrenzt sein dasselbe? Wo Begriff und Materie ist, da ist beides verschieden; wo hingegen Materie allein, da muss man beides entweder als identisch bezeichnen, oder, was besser ist, überhaupt sagen, dass das unbegrenzt sein hier nicht vorkommt; denn es wird Begriff sein, und der ist im Unbegrenzten nicht vorhanden, damit eben Unbegrenztes sei. Man muss also die Materie als an sich selbst unbegrenzt bezeichnen, im Gegensatz zum Begriff. Denn wie der Begriff, eben weil er nichts anderes ist, Begriff ist, so muss man auch sagen, dass die Materie im Gegensatz zum Begriff, eben weil sie hinsichtlich der Unbegrenztheit nichts anderes ist, das Unbegrenzte ist.

16. Ist nun die Materie auch mit der Verschiedenheit identisch? Nein, sondern mit einem Theile der Verschiedenheit, der im Gegensatz steht zu dem eigentlich Seienden, nämlich den Begriffen. Deshalb ist auch das Nichtseiende in diesem Sinne ein Seiendes und mit der Beraubung identisch, wenn die Beraubung einen Gegensatz bildet zu dem begrifflich Seienden. Wird nun die Beraubung nicht vernichtet werden, wenn das herzutritt, dessen Beraubung sie ist? Keineswegs. Denn der Aufnahmeort des Zustandes ist nicht Zustand sondern Beraubung, und der Aufnahmeort der Grenze ist nicht das Begrenzte noch die Grenze, sondern das Unbegrenzte und insofern es unbegrenzt ist. Wie soll nun also die Grenze, wenn sie herzutritt, seine Natur nicht vernichten, zumal es nicht accidentiell unbegrenzt ist? Nun, wenn es ein der Quantität nach Unbegrenztes wäre, würde es dasselbe aufheben, nun ist dem aber nicht so, sondern im Gegentheil, es erhält dasselbe im Sein. Denn das was es von Natur ist führt es zur Wirklichkeit und zur Vollendung, wie das unbesäete Land. wenn es besäet wird, erst seine volle Wirklichkeit erhält. Und wenn das Weib vom Manne befruchtet wird, so geht die Weiblichkeit nicht zu Grunde, sondern wird nur noch weiblicher d.h.[113] es wird in höherm Grade was es ist. Bleibt nun die Materie, wenn sie am Guten theilnimmt, auch schlecht? Gewiss, deshalb weil sie bedürftig war, denn sie hatte es nicht. Denn was etwas anderes bedarf, etwas anderes aber hat, steht doch wohl in der Mitte zwischen dem Guten und Schlechten, wenn es nämlich gewissermassen nach beiden Seiten hin gleich ist. Was aber nichts hat, weil es in der Armuth oder vielmehr die Armuth ist, das muss schlecht sein. Denn das ist kein Mangel an Reichthum oder Armuth an Stärke, sondern Armuth an Verstand, Armuth an Tugend, Schönheit, Gestalt, Form, Qualität. Wie soll es da nicht übel aussehen? wie nicht ganz hässlich, wie nicht ganz schlecht sein? Jene Materie im Intelligiblen aber ist ein Seiendes, denn das, was ihr voransteht, liegt über das Seiende hinaus. Hier jedoch ist das, was der Materie voransteht, ein Seiendes. Als nicht seiend also ist sie ein anderes Seiendes im Verhältniss zur Schönheit des Seienden.

Quelle:
Plotin: Die Enneaden. Band 1, Berlin 1878, S. 100-114.
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