Drittes Buch.
Ob die Gestirne eine bestimmte Wirkung ausüben

[85] 1. Dass die Bewegung der Gestirne hinsichtlich des Einzelnen das Zukünftige andeutet, aber nicht selbst alles hervorbringt, wie die meisten meinen, ist bereits früher bei andern Untersuchungen gesagt, und unsere Untersuchung bot einige Beweisgründe dar. Es soll aber jetzt genauer und ausführlicher dargethan werden, denn es ist keine Kleinigkeit, die Sache so oder so anzusehen. Man sagt nun, die Planeten brachten durch ihre Bewegung unter anderen nicht nur Armuth, Reichthum, Gesundheit, Krankheit, sondern auch Hässlichkeit und Schönheit hervor, und was das Wichtigste ist, auch Laster und Tugenden und die daraus entspringenden Handlungen in einzelnen Zeiten, gleichsam wie erzürnt gegen die Menschen; woraus denn folgt, dass die Menschen selbst kein Unrecht thun, da sie so wie sie eben sind von ihnen gemacht sind. Auch die sogenannten Güter sollen sie geben, nicht aus Wohlgefallen an den Empfängern sondern indem sie selbst an den einzelnen Punkten ihrer Bahn einen widrigen[85] oder angenehmen Einfluss erleiden und ebenso in ihren Gesinnungen sich ändern, je nachdem sie in der rechten Bahn oder in der Abweichung sich befinden. Was aber das Merkwürdigste ist, während sie die einen von ihnen als schlecht, die andern als gut bezeichnen, sollen dennoch die angeblich schlechten unter ihnen Gutes geben und die guten schlecht werden. Ferner sollen sie einander zugewandt dies, von einander abgewandt jenes hervorbringen, als ob sie sich nicht gleich blieben, sondern zugewandt so, abgewandt aber anders waren; und zwar soll ein Stern diesem zugewandt gut sein, einem andern dagegen, sich ändern; und er soll verschieden sein, je nachdem sein Aspect sich in dieser oder jener Stellung befindet. Von allen zugleich werde die Mischung eine andere, wie eine Mischung aus verschiedenen Flüssigkeiten etwas anderes ist als das Zusammengemischte in seinen Theilen. Solchen also und ähnlichen Ansichten gegenüber gebührt es sich, über jeden einzelnen Punkt eine sorgfältige Betrachtung anzustellen. Ein passender Ausgangspunkt dürfte folgender sein.

2. Soll man diese sich bewegenden Körper für beseelt oder unbeseelt halten? Wenn sie nämlich unbeseelt sind, so bieten sie nichts als nur Wärme oder Kälte dar, wenn wir überhaupt von den Gestirnen einige kalt nennen wollen. Dann wird sich ihre Mittheilung auf die Natur unserer Körper beschränken, indem offenbar ein körperlicher Einfluss auf uns ausgeübt wird, dergestalt zwar dass die Veränderung der Körper nicht einmal eine beträchtliche sein wird; denn einmal ist der Abfluss der einzelnen Sterne derselbe, andererseits fliessen ihre Wirkungen auf Erden zusammen, so dass nur örtliche Verschiedenheiten stattfinden können, je nach der Nähe oder Ferne eines Gegenstandes, indem auch das Kalte in gleicher Weise eine Verschiedenheit veranlasst. Wie aber wollen sie Gelehrte und Ungelehrte hervorbringen, die einen zu Grammatikern, andere zu Rhetoren, wieder andere zu Citherspielern und was es sonst für Künstler giebt, ferner zu Reichen oder Armen machen? und wie die andern Dinge, die nicht aus einer Mischung von Körpern die Ursache ihres Entstehens haben? z.B. diesen bestimmten Bruder und Vater und Sohn und Weib, sich jetzt im Glücke zu befinden, Heerführer oder König zu werden. Wenn sie aber beseelt sind und mit Willen handeln, was ist ihnen von uns widerfahren, dass sie uns absichtlich Böses thun, zumal sie sich an einem göttlichen Orte befinden und selbst göttlich sind? Denn dasjenige, wodurch Menschen böse werden, ist doch nicht für sie vorhanden,[86] und überhaupt widerfährt ihnen nichts gutes oder böses, mag es uns gut oder schlecht gehen.

3. Aber sie thun dies nicht freiwillig sondern gezwungen durch ihre Oerter und ihre Stellungen. Allein wenn sie es gezwungen thun, so müssten sie doch wohl alle dasselbe thun, sobald sie an dieselben Oerter und in dieselben Stellungen gelangen. So aber, was erleidet gerade dieser Stern besonders, wenn er bald an diesem bald an jenem Abschnitt des Thierkreises vorbeigeht? Denn er tritt ja nicht einmal in das Sternbild selbst ein, sondern er befindet sich unter demselben in sehr grosser Entfernung, und wo er sich auch befinden mag, befindet er sich am Himmel. Denn es ist lächerlich, dass ein Stern nach jedem einzelnen Sternbild, an dem er vorbeigeht, bald diese bald jene Beschaffenheit annimmt, bald dieses bald jenes giebt, dass er bei seinem Aufgange, bei seinem Eintritt ins Centrum, bei seinem Untergange jedesmal ein anderer wird. Denn er freut sich doch nicht das eine Mal, wenn er im Centrum ist, noch betrübt er sich das andere Mal beim Untergange oder wird träge, noch geräth wieder ein anderer bei seinem Aufgange in Zorn, besänftigt sich dagegen bei seinem Untergange, noch kann ein anderer von ihnen bei seinem Niedergange besser sein. Denn es ist ja stets jeder einzelne Stern, wenn er für das eine Sternbild im Centrum ist, für das andere im Niedergange und umgekehrt, und er kann doch nicht in derselben Zeit sich freuen und betrübt sein, zornig und sanft sein. Aber zu sagen, dass die einen sich freuen, wenn sie untergehen, die andern, wenn sie im Aufgange begriffen sind, wie sollte das nicht ungereimt sein? Dann tritt ja der Fall ein, dass sie zugleich betrübt sind und sich freuen. Warum soll ferner ihre Trauer uns Böses zufügen? Ueberhaupt darf man nicht zugeben, dass sie sich betrüben oder zu einer gewissen Zeit sich freuen, sondern sie sind stets in heiterer Stimmung, froh über die Güter, die sie haben und die sie sehen. Denn das Leben eines jeden bezieht sich für einen jeden auf sich selbst und in seiner Thätigkeit liegt sein Wohlsein. Dies aber steht in keiner Beziehung zu uns. Und gerade die Organismen, die mit uns nichts gemein haben, können nur zufällig, durchaus nicht principiell eine Thätigkeit auf uns ausüben, wenn ihnen wie den Vögeln zufällig das Vorbedeuten zukommt.

4. Auch jenes ist ungereimt, dass dieser eine Stern beim Anblick eines andern sich freue, ein anderer dagegen beim Anblick desselben umgekehrt Trauer empfinde. Denn was[87] für eine Feindschaft besteht zwischen ihnen oder worüber? Warum soll er anders gestimmt sein bei einem Anblick in Dreiecksstellung, wieder anders bei einem Anblick in entgegengesetzter oder in Vierecksstellung? Weshalb hat er einen Anblick in dieser Stellung, in dem nächsten Sternbild dagegen, wo er doch näher stellt, nicht? Ueberhaupt aber, welches soll denn die Art des Einflusses sein, den die Sterne ausüben sollen? Und wie soll jeder eine für sich bestehende Thätigkeit haben, dann wieder alle zusammen eine andere Gesammthätigkeit? Denn sie üben doch nicht auf Grund gegenseitiger Verabredung einen beschlossenen Einfluss auf uns aus, derart dass jeder seinen besonderen Einfluss in etwas beschränkt; ebensowenig hindert, ein Stern den andern unter Anwendung von Gewalt an der Mittheilung seines Einflusses, noch überlässt der eine dem andern auf friedlichem Wege seinen Platz zur Wirksamkeit. Dass aber der eine sich freue, wenn er in den Bezirk des andern eintritt, umgekehrt der andere sich nicht treue, wenn er in den Bezirk des ersten eintritt: ist das nicht gerade so wie wenn einer ein Freundespaar aufstellt und dann sagt, der eine liebe den andern, umgekehrt aber hasse der andere den ersten?

5. Wenn sie aber sagen, dass ein kalter von ihnen, noch in weiter Entfernung von uns befindlich, vielmehr für uns gut sei, indem sie in die Kälte seinen bösen Einfluss auf uns setzen: so müsste doch in den entgegengesetzten Sternbildern etwas gutes für uns sein; oder dass beide gefährlich werden, wenn der kalte dem warmen gegenüber getreten ist: so müsste doch eine Mischung stattfinden; oder dass der eine sich über den Tag freue und durch Erwärmung gut werde, der andere dagegen, der feuriger Natur ist, sich über die Nacht freue: als ob es nicht stets für sie Tag wäre, ich meine Licht, oder der eine von der Nacht betroffen würde, da er doch weil oberhalb des Schattens der Erde sich befindet. Dass aber der Mond in vollem Lichte bei seinem Zusammengehn mit einem andern Sterne gut sei, bei abnehmendem Lichte schlecht, davon müsste, wenn man überhaupt etwas derartiges zugeben will, gerade das Gegentheil wahr sein. Denn wenn der Mond für uns voll ist, so muss er für jenen, der oberhalb steht, auf seiner andern Halbkugel unerleuchtet sein, wenn er aller für uns abnimmt, für jenen im vollen Lichte stehen, so dass er bei abnehmendem Lichte auf jenen die entgegengesetzte Wirkung ausübt, da er ihn mit vollem Lichte sieht. Für ihn selbst nun macht sein jeweiliger Zustand wohl keinen Unterschied, da er die eine[88] Hälfte immer erleuchtet hat; für den andern Stern indessen möchte es etwas ausmachen, da er erwärmt wird, wie sie sagen. Aber er wird doch wohl erwärmt, wenn der Mond für uns unerleuchtet ist, denn für den andern Stern, für welchen er gut ist, erscheint er dann gerade voll, wenn er für uns unerleuchtet ist. Allein das Unerleuchtetsein des Mondes für uns kann nur für die Dinge auf Erden von Einfluss sein, das Obere beeinträchtigt es nicht. Wenn aber jener in Folge seiner Entfernung den Mond nicht unterstützt, so scheint es schlechter um ihn zu stehen; ist er dagegen voll, so genügt er für das Irdische, auch wenn jener fern steht. Ist er aber im Verhältniss zu dem feurigen Planeten unerleuchtet, so scheint er für uns gut zu sein; denn die Kraft jenes ist an und für sich ausreichend, da er feuriger ist als im Verhältniss zu jenem. Von den Körpern beseelter Wesen aber, die dort herniederwandeln, sind die einen mehr oder weniger warm als die andern, kalt ist keiner; das bezeugt der Ort. Der sogenannte Juppiter ist gut mit Feuer gemischt, ebenso der Morgenstern. Deshalb scheinen sie auch in Folge ihrer Aehnlichkeit zum sogenannten Feuerstern durch ihre Mischung in gleichem Verhältniss zu stehen, zum Saturn aber feindlich durch ihre Entfernung. Merkur ist indifferent, da er, wie es scheint, allen ähnlich ist. Alle aber hängen eng zusammen mit dem Weltall; daher sind ihre Beziehungen der Art wie es das Interesse des Weltalls bedingt, wie man dies bei den einzelnen Theilen eines jeden Organismus sehen kann. Denn seinetwegen sind sie hauptsächlich vorhanden, wie z.B. die Galle sowohl für den ganzen Organismus als für ihre nächste Umgebung; denn es liegt ihr ob einerseits den Zorn zu erregen, andererseits das Ganze wie ihre Umgebung vor Uebermuth zu bewahren. So bedurfte es auch im Weltall etwas derartiges, was zu dem Angenehmen und Sanften eine Ergänzung bildet. Alles aber muss nach der unvernünftigen Seite seiner Existenz hin in Sympathie zu einander stehn, denn so kommt ein Ganzes und eine Harmonie zu Stande. Wie sollen daher die Gestirne auf Grund einer Analogie nicht Vorzeichen sein können?

6. Anzunehmen aber, dass Mars und Venus in der und der bestimmten Stellung Ehebruch veranlassen, als ob sie in der Sinnlichkeit der Menschen die Befriedigung eines gegenseitigen Bedürfnisses landen, ist das nicht gar zu unvernünftig? Und dass ihr gegenseitiger Anblick, wenn sie sich so und so ansehen, ein angenehmer sei, ihnen aber keinerlei Grenze gezogen sei, wie soll das einer fassen? Und wenn sie, da zahllose[89] Myriaden lebender Wesen entstehen und existiren, für ein jedes derselben unablässig thätig sind und ihnen alles nach ihrer Ueberzeugung zutheilen, sie reich, arm, zügellos machen und die Thätigkeiten aller einzelnen zu Stande bringen: was führen sie da für ein Leben? oder wie ist es möglich so vielerlei zu vollführen? Dass sie aber das Aufsteigen von Sternbildern abwarten um zu handeln und dass die Theile des Gestirns, mit welchen es auftaucht, ebensoviele Jahre des wiederkehrenden Aufsteigens bedeuten und dass sie es gleichsam an den Fingern abrechnen, wenn sie handeln sollen, es aber nicht dürfen vor diesen Zeiten, überhaupt dass man die Entscheidung über die Weltordnung keiner einheitlichen Macht zuschreibt sondern das alles den Gestirnen überlässt, als ob nicht das Eine, von welchem das Weltall abhängt, an der Spitze stünde, das da einem jeden verleiht nach seiner Art das Seinige zu vollenden und in Uebereinstimmung mit ihm selbst in seiner Weise thätig zu sein: das kann nur derjenige behaupten, der die Natur der Welt verneint und nicht kennt, welche ein Princip hat und eine erste sich über alles erstreckende Ursache.

7. Aber wenn die Gestirne das Zukünftige andeuten, wie wir ja auch vielen andern Dingen die Eigenschaft einer Vorbedeutung des Zukünftigen beilegen, welches ist da die wirkende Ursache? und wie kommt die Ordnung zu Stande? denn es könnte nicht vorweg angedeutet werden, wenn nicht alles in bestimmter Ordnung geschähe. So mögen denn die Sterne gleichsam Buchstaben am Himmel sein, die stets geschrieben werden oder vielmehr geschrieben sind und sich bewegen, die zwar auch noch ein anderes Werk verrichten, dem sich jedoch die von ihnen ausgehende Wirkung anpasst, wie man auf Grund eines Princips in einem Organismus von einem Theile aus den andern erkennen kann. So kann man ja auch den Charakter jemandes erkennen, wenn man auf seine Augen oder einen andern Theil seines Leibes sieht, sowie seine Gefahren und Rettungen. Wie nun jenes Theile [der Körper] sind, so sind auch wir Theile [des Weltalls], und die einen sind für die andern vorhanden. Es ist aber alles voll von Vorzeichen, und ein Weiser ist wer aus anderem anderes erkennt. Vieles freilich, was für gewöhnlich geschieht, wird von allen erkannt. Welches ist nun die eine gemeinsame Ordnung? Denn so kommt auch in die Weissagung durch Vögel und andere Thiere, von denen wir in den einzelnen Fällen Vorbedeutungen entnehmen, etwas Vernünftiges. Alles muss miteinander in Zusammenhang stehen und es findet nicht bloss in jedem einzelnen[90] wohlgegliederten Organismus eine Uebereinstimmung und Harmonie statt, sondern noch vielmehr und früher im Weltall, und ein Princip muss den vielgliedrigen Organismus zu einem einheitlichen und zwar zu einem einheitlichen aus allen Theilen gestalten; und wie in jeder Einheit die Theile jeder eine bestimmte Aufgabe empfangen haben, so müssen auch im All die einzelnen Theile jeder ihre bestimmten Aufgaben haben und zwar noch mehr als jene, insofern sie nicht bloss Theile sondern auch Ganze und von grösserem Umfange sind. So geht denn jedes einzelne, das seine besondere Aufgabe erfüllt, aus einem Princip hervor und eins begegnet dem andern; denn es ist nicht vom Ganzen getrennt, und so ist es denn auch leidend und thätig durch anderes, und wiederum tritt ein anderes heran und erfreut oder betrübt es. Doch geht es nicht zufällig oder aufs gerathewohl hervor, denn aus ihm resultirt wieder ein anderes u.s.f. eins nach dem andern in naturgemässem Verlaufe.

8. Nun kann die Seele, indem sie sich anschickt ihre Aufgabe zu verrichten – die Seele bewirkt nämlich alles, insoweit sie den Rang eines Princips einnimmt – sowohl auf gerader Bahn wandeln als auch sich ablenken lassen, und es folgt jeder That im Weltall das Gericht, wenn anders es nicht aufgelöst wer den soll. Es bleibt aber stets, indem das Ganze aufrecht erhalten wird durch die Ordnung und Kraft des herrschenden Princips, und die dazu mitwirkenden Gestirne, die als nicht unbedeutende Theile des Himmels eine grosse Zierde für das Ganze bilden, dienen auch für das Vorbedeuten. Sie deuten nun alles im voraus an, was in der sinnlichen Welt vor sich geht, sie verrichten aber anderes, was alles sie offenbar verrichten. Wir aber verrichten unserer Natur gemäss die Werke der Seele, so lange wir nicht in der Menge des Alls hinfällig und nichtig geworden sind; sind wir aber gefallen, so leiden wir als Strafe den Fall selbst und den Aufenthalt in einem schlechteren Theile für die Zukunft. Reichthum und Armuth nun haben wir durch das zufällige Zusammentreffen äusserer Umstände. Tugenden aber und Laster? Tugenden durch die ursprüngliche Beschaffenheit unserer Seele, Laster durch das Zusammentreffen der Seele mit äussern Umständen. Doch hierüber ist anderswo gesprochen.

9. Jetzt kommt uns die Spindel ins Gedächtniss, welche bei den Leuten der Vorzeit die Musen zuspinnen, die aber dem Plato das schweifende und das nicht schweifende Element des Umschwungs ist. Die Moiren und die Nothwendigkeit als[91] ihre Mutter drehen sie und spinnen bei dem Entstehen eines jeden ihm den Lebensfaden zu, und durch sie tritt das Erzeugte in das Werden ein. Im Timäus giebt der schaffende Gott das Princip der Seele, die sich bewegenden Götter aber die gewaltigen und nothwendigen Leidenschaften: Zorn, Begierde, Freude, Trauer und überhaupt eine andere Form der Seele, von der eben diese Affecte ausgehen. Denn diese Darstellung setzt uns mit den Gestirnen in Verbindung, indem wir von ihnen die Seele empfangen, und unterwerfen uns bei unserer Ankunft in dieser Welt der Nothwendigkeit. Auch die Charakteranlage geht von ihnen aus und dem Charakter entsprechend dann Thaten und Leiden, in Folge eines leidentlichen Zustandes der Seele. Was sind wir demnach im übrigen? Doch wohl, was wir in Wahrheit sind als wir selbst, da uns ja die Natur verliehen hat über die Affecte Herr zu werden. Denn obgleich wir in diesen Leiden durch die Natur des Leibes eingeengt sind, hat uns Gott immerhin die keinem Herrn unterworfene Tugend gegeben. Denn nicht, wenn wir der Ruhe pflegen, bedürfen wir der Tugend, sondern wenn Gefahr droht, ohne den Beistand der Tugend in Leiden zu gerathen. Deshalb müssen wir auch von hier fliehen und uns trennen von dem, was uns durch die Geburt anhaftet, und nicht der zusammengesetzte beseelte Leib bloss sein, in welchem mehr die Natur des Leibes, die nur eine Spur der Seele empfangen, die Oberhand hat, so dass das gemeinschaftliche Leben mehr dem Leibe zukommt; denn leiblich ist alles, was diesem Leben eignet. Dem andern ausserhalb des Leibes befindlichen Leben aber kommt die Richtung nach oben zu, sowie das Schöne und Göttliche, dessen niemand habhaft wird ausser wenn er sich des höheren Seelenlebens dazu bedient, um jenes zu sein und ihm gemäss in ein beschauliches Leben sich zu vertiefen; oder aber er geht dieser Seele verlustig und lebt in Abhängigkeit von einem blinden Schicksal, und hier deuten ihm die Sterne nicht bloss an, sondern er wird selbst gleichsam ein Theil und folgt dem Ganzen, dessen Theil er ist. Denn jeder ist ein Doppelwesen, einmal das zusammengesetzte Etwas und dann er selbst. So ist auch die ganze Welt einmal das aus dem Leibe und einer an den Leib gebundenen Seele bestehende Wesen, dann aber die Weltseele, die nicht im Körper ist, die aber der an den Körper gebundenen ihre Spuren einstrahlt. Auch die Sonne und die andern Gestirne sind in dieser Weise gedoppelt. Und der andern Seele, der reinen, geben sie nichts schlechtes, sondern was von ihnen aus für das Ganze geschieht, insofern[92] sie ein Theil des Ganzen und beseelter Körper sind, das giebt der Leib als einen Theil dem Theile von dem Willen des Sterns und seiner eigentlichen Seele, die nach dem Besten blickt. Ihm folgt aber das andere, oder vielmehr nicht ihm sondern dem, was um ihn her ist, wie wenn vom Feuer Wärme in das Ganze geht und wenn etwas von der einen Seele zu der andern ihr verwandten über geht; das Widerwärtige indessen kommt von der Mischung. Die gemischte nämlich ist die Natur dieses Weltalls, und wenn jemand die trennbare Seele von ihm trennen wollte, so ist der Rest nicht gross. Ein Gott ist es, wenn jene mitgerechnet wird, der Rest aber, sagt Plato, ein grosser Dämon und die Affectionen in ihm sind dämonische.

10. Steht es so, dann muss man auch jetzt die Vorbedeutungen zugeben, nicht aber die Einwirkungen schlechthin, auch darf man ihnen in ihrer Gesammtheit dieselben nicht beilegen, sondern nur was davon Affectionen des Weltalls sind und dem, was in ihnen das Uebrige ist. Und die Seele, das muss man einräumen, brachte vor ihrem Eintritt in das Werden etwas von sich selbst mit; denn sie würde nicht in den Körper gekommen sein, wenn sie nicht eine grosse Anlage afficirt zu werden gehabt hätte. Auch Glücksfälle muss man einräumen, wenn sie in den Körper eingeht, weil sie eben gemäss dem Umschwunge eintritt. Endlich ist einzuräumen, dass der Umschwung vor sich geht, indem er selbst dazu beiträgt und von sich aus erfüllt was das All zu Stande bringen muss, indem jedes der in ihm befindlichen Dinge den Rang von Theilen erhalten hat.

11. Auch jenes muss man bedenken, dass das von jenen Ausgehende nicht in derselben Beschaffenheit an die Empfänger übergeht, wie es von jenen kommt. So bewirkt die Liebesneigung, wenn sie in dem Geliebten schwach geworden ist, eine nicht eben gar schöne Liebe, so bringt der Muth bei dem, welcher ihn nicht in dem Masse um tapfer zu sein empfangen hat, Heftigkeit oder Muthlosigkeit hervor, so bewirkt die Ehrliebe und das Streben nach dem Schönen ein Verlangen nach dem was schön scheint, so ein Defect des Geistes Verschlagenheit; denn die Verschlagenheit will Geist sein, ohne doch erlangen zu können wonach sie strebt. Jedes einzelne hiervon wird also schlecht in uns, während es das dort nicht ist; ja auch das Angekommene, obwohl nicht mehr jenes, bleibt nicht einmal das als welches es gekommen ist, vermischt mit dem Körper und der Materie und untereinander.

12. Uebrigens fällt dasjenige, was von den Sternen ausgeht,[93] in Eins zusammen und jedes von den entstehenden Dingen bekommt etwas von dieser Mischung, so dass es das was es ist und ein Ding mit bestimmter Qualität wird. Denn es bringt nicht das Pferd hervor, sondern giebt dem Pferde etwas. Denn das Pferd stammt vom Pferde und der Mensch vom Menschen. Die Sonne wirkt nur mit bei der Bildung; er aber stammt aus dem Begriff des Menschen. Aber es schaden und nützen ihm manchmal die äussern Umstände, denn gleich dem Vater tragen sie oft zum Bessern, manchmal auch zum Schlechtern bei. Allein sie bringen ihn aus dem Substrat nicht heraus, ja manchmal behält auch die Materie die Oberhand, nicht die Natur, so dass das Ding nicht vollständig wird, weil die Form den kürzern zieht.

13. Man muss also das Irdische, da ja das eine von dem Umschwung ausgeht, das andere nicht, trennen und unterscheiden und sagen, woher jedes einzelne im Ganzen stammt. Das Princip ist folgendes: da die Seele dieses Weltall nach der Vernunft leitet, wie auch bei jedem einzelnen Organismus das in ihm vorhandene Princip, von welchem alle Theile des Organismus gebildet und mit dem Ganzen, dessen Theile sie sind, in Zusammenhang gebracht werden, so ist im Ganzen alles, in den Theilen aber nur soviel als jedes einzelne ist. Was aber von aussen her herantritt, ist theilweis dem Willen der Natur entgegengesetzt, theilweis auch in Uebereinstimmung mit ihm. Mit dem Ganzen aber steht alles als Theil desselben durchaus im Zusammenhang, indem es die Natur empfangen hat, die es hat, und mit dem ihm immerhin eigenthümlichen Leben zum Gesammtleben des Weltalls beiträgt. Das Unbeseelte nun in der Welt ist durchaus Werkzeug und gleichsam nach aussen hinausgestossen zum Thun. Das Beseelte dagegen hat theils das Bewegtwerden in unbestimmter Weise an sich, wie die Pferde vor dem Wagen bevor der Wagenlenker ihnen die Richtung ihres Laufes bestimmt hat, da es nämlich durch einen Stoss getrieben wird; die Natur des vernünftigen Organismus aber hat von sich selbst den Wagenlenker, und wenn sie einen kundigen hat, so bewegt sie sich in gerader Bahn und nicht wie es manchmal der Zufall mit sich bringt. Beide indessen befinden sich innerhalb des Alls und tragen zur Vollendung des Ganzen bei. Und das Grössere und Würdigere von ihnen thut vieles und grosses und trägt mit zum Leben des Ganzen bei, so zwar dass es mehr eine thätige als eine leidentliche Stellung einnimmt; das Leidende aber hat fortwährend nur eine kleine Macht zum Wirken; anderes liegt[94] zwischen diesen, indem es von andern aus leidet, aber auch vieles thut und bei vielen Dingen in sich ein Princip zu Thaten und Wirkungen hat. So wird das All zu einem vollendeten Leben dadurch dass das Beste das Beste bewirkt, insoweit das Beste in jedem Einzelnen ist; und dies muss man dem leitenden Princip beigesellen, wie die Soldaten dem Feldherrn, welche ja, wie man sagt, dem Zeus folgen, der der vernünftigen Natur zustrebt. Was aber eine niedrigere Natur hat, nimmt im Ganzen den zweiten Rang ein, wie auch in uns die Seelenkräfte zweiten Grades; und das übrige rangirt nach dem Verhältniss der Theile in uns, denn es ist ja auch bei uns nicht alles gleich. Alle Organismen nun sind gemäss der Gesammtvernunft des Weltalls, ebenso alle Organismen am Himmel und so viele ihrer im All vertheilt sind; auch hat keiner der Theile, auch ein grosser nicht, Macht eine Aenderung der Gattungsbegriffe oder der nach diesen Gattungsbegriffen gewordenen Dinge hervorzubringen. Eine Aenderung nach beiden Seiten hin, nach dem Schlechtern und Bessern, kann er freilich wohl hervorbringen, aber sie nicht aus ihrer eigenen Natur herausdrängen. Das Schlechtere bringt er hervor, indem er körperliche Schwäche veranlasst oder für die Seele, die mitleidet und von ihm nach unten gezogen worden, durch einen zufälligen Umstand Ursache zur Schlechtigkeit wird oder, wenn der Körper schlecht zusammengesetzt ist, sie hindert die ihr entsprechende Thätigkeit durch denselben zu verrichten, wie z.B. wenn eine Lyra nicht so gestimmt ist, dass sie zur Hervorbringung musikalischer Töne die Harmonie in ihrer Genauigkeit aufnehmen kann.

14. Wie steht es aber mit Armuth, Reichthum, Ruhm, Herrschaft? Nun, wenn der Reichthum von den Vätern ausgeht, so deuten die Sterne den Reichen bloss an, wie sie auch als edelgeboren denjenigen bloss anzeigen, der in Folge seiner Abstammung von eben solchen Vorfahren seine Berühmtheit hat. Wenn er den Reichthum aber in Folge seiner Tüchtigkeit hat und der Körper dazu mitwirkt, so möchten wohl diejenigen dazu beitragen, welche die Stärke des Körpers hervorgebracht haben, zuerst die Eltern, sodann, wenn etwa einer die Mitwirkung der Oertlichkeiten erlangt hat, die Einflüsse des Himmels und der Erde; entsteht die Tugend ohne Mitwirkung des Körpers, so muss man ihr allein das meiste zuschreiben, auch das was sie göttliches von den vergeltenden [Göttern] empfangen hat. Wenn die Geber gut waren, so muss man auch in diesem Falle die Ursache auf die Tugend zurückführen; waren sie schlecht, doch so dass sie auf gerechte Weise gaben, so[95] ist anzunehmen, es sei dies durch die Wirksamkeit des in ihnen vorhandenen Besten geschehen. Ist der reich Gewordene schlecht, so hat man vor allem die Schlechtigkeit und die etwaige Ursache der Schlechtigkeit als Ursache anzusehn, man muss aber auch die Geber dazunehmen, die in gleichem Grade mitschuldig sind. Wenn er durch Arbeit reich geworden ist, z.B. durch Landbau, so ist die Ursache auf den Landmann zurückzuführen, als Mitursache jedoch die äussern Umstände hinzuzunehmen. Wenn er einen Schatz gefunden hat, so ist anzunehmen, dass etwas aus dem Weltganzen dazu beigetragen hat; ist dies der Fall, so wird es angedeutet, denn alle Dinge entsprechen sich einander durchaus, folglich werden sie auch durchaus durch Vorzeichen angedeutet. Wenn jemand seinen Reichthum verloren hat und zwar durch Beraubung, so ist die Ursache auf den Räuber und auf jenen selbst zurückzuführen: verlor er ihn im Meere, so sind die Umstände schuld. Der Ruhm wird entweder auf gerechte oder ungerechte Weise erworben: wenn gerecht, so sind seine Verdienste und die bessere Meinung der Urtheilenden die Ursache; wenn ungerecht, so geht er auf die Ungerechtigkeit derer, die ihn ehren, zurück. Bezüglich der Herrschaft gilt dasselbe Verhältniss, sie ist entweder gerecht oder ungerecht: im ersteren Falle geht sie auf die bessere Einsicht derer, die ihn wählten, zurück; im andern Falle auf ihn selbst, indem er sich dieselbe verschafft hat durch eine Zusammenrottung seiner Freunde oder sonst irgendwie. Beim Heirathen ist der Wille im Spiel oder auch der Zufall und das Zusammentreffen allgemeiner Umstände. Das Erzeugen von Kindern steht damit im Zusammenhang, und entweder hat sich das Kind dem Gattungsbegriff gemäss gebildet ohne irgend ein Hinderniss, oder es ging mit ihm minder gut in Folge eines innerlich vorhandenen Hindernisses, entweder auf Seiten der Schwangern selbst oder zufolge den atmosphärischen Zuständen, die eben zu dieser Schwangerschaft nicht passten.

15. Plato aber, der von dem Umschwung der Spindel Loose und mitwirkende Willenäusserungen aufstellt, verlegt später dieselben in die Spindel als das Gewählte gänzlich vollendend, da auch der Dämon zu ihrer Vollendung mitwirkt. Aber welches sind die Loose? Etwa das Geborenwerden bei einer solchen Lage des Weltalls, wie es sich damals verhielt als sie in den Körper eintraten, und das Hineingehen in diesen bestimmten Körper und von solchen Eltern und an einem solchen Orte geboren zu werden und überhaupt, wie wir sagten, die äussern Umstände? Es ergiebt sich aber im einzelnen wie[96] im ganzen alles als zugleich geschehend und gleichsam zusammengesponnen durch die eine der sogenannten Moiren; Lachesis giebt die Loose, und die Ereignisse im einzelnen muss ganz nothwendig Atropos herbeiführen. Von den Menschen aber werden die einen geboren von dem, was aus dem All kommt, und von den äussern Verhältnissen gleichsam wie verzaubert: sie sind wenig oder garnicht ihrer selbst Herr; andere indessen, die diese beherrschen und gleichsam mit dem Haupte zum Höheren und Ausserseelischen emporragen, retten das beste und ursprüngliche der seelischen Wesenheit. Denn man darf nicht glauben, dass es die Beschaffenheit der Seele sei nur die Natur dessen, was ihr von ausserhalb zustösst, anzunehmen, als ob sie allein unter allen Dingen keine eigenthümliche Natur habe; im Gegentheil, da sie die Bedeutung eines Princips hat, muss sie viel eher als alles andere viele eigenthümliche Kräfte zu einer ihrer Natur entsprechenden Wirksamkeit haben. Denn es ist nicht möglich, dass sie als Wesenheit mit dem Sein nicht auch Regungen und Handlungen und die Erfordernisse zum Wohlergehn besässe. Das nun, was aus beiden besteht, ist nach den beiden Bestandtheilen seiner Natur von der und der Beschaffenheit und hat auch so beschaffene Werke; wenn aber eine Seele getrennt wird, so wirkt sie Getrenntes und Eigenes, ohne die Affectionen des Körpers als ihre eigenen zu betrachten, da sie ja bereits sieht, dass das eine von dem andern verschieden ist.

16. Was aber das Gemischte und das Ungemischte, das Getrennte und Ungetrennte ist, so lange sich die Seele im Körper befindet, und überhaupt was das lebendige Wesen ist, das muss von einem andern Ausgangspunkte aus später untersucht werden; denn hierüber haben nicht alle dieselbe Meinung gehabt. Jetzt aber wollen wir noch angeben, in welchem Sinne wir gesagt haben, dass die Seele der Vernunft gemäss das Weltall leite. Macht sie nämlich alles Einzelne gleichsam nach der Schnur: einen Menschen, dann ein Pferd und ein anderes lebendes Wesen sowie auch Thiere, Feuer und Erde zuvor, und dann, wenn sie sieht, dass diese Dinge zusammenfallen und einander vernichten oder auch nützen, sieht sie bloss auf die hieraus sich ergebende Verflechtung und fortwährenden Consequenzen, ohne sich weiter um das Nacheinander zu bekümmern, indem sie bloss das Entstehen der von Anfang an vorhandenen lebenden Wesen bewirkt und sie den gegenseitigen Affectionen überlässt? Oder bezeichnet man sie als Ursache auch dessen, was so geschieht, weil die[97] Dinge von ihr ausgehend auch das Nacheinander zu Stande bringen? Nun, auch in dem einzelnen Leiden und Thun waltet die Vernunft, und zwar findet selbst dieses nicht auf's Gerathewohl oder durch Zufall statt sondern gerade so mit Nothwendigkeit. Also wohl in der Weise, dass die Begriffe es hervorbringen? Vorhanden wenigstens sind die Begriffe, wenn auch nicht als schaffende sondern als wissende, indem vielmehr die Seele, welche die erzeugenden Begriffe in sich hat, die Resultate aller ihrer Werke weiss. Denn wenn dasselbe sich zuträgt und eintritt, muss dasselbe nothwendig zu Stande gebracht werden. Indem nun die Seele dies eben aufnimmt oder vorhersieht, vollendet sie danach und reiht das nach einander Folgende zusammen. Jedenfalls also das Frühere und das darauf Folgende und wiederum das darauf Frühere der Reihe nach aus dem Vorhandenen. Daher mag vielleicht das Spätere immer schlechter werden, wie z.B. die Menschen vordem anders waren und jetzt anders sind, indem durch die Zwischenstufen und die stete Nothwendigkeit die Begriffe den Affectionen der Materie unterliegen. Indem sie nun fortwährend das eine so, das andere so sieht und die Affectionen ihrer Werke verfolgt, hat sie hierin ihr Leben und kommt nicht los von der Sorge um ihr Werk, indem sie ihre Schöpfung zu Ende bringt und ein für alle Mal danach strebt, dass es schön sei und zwar für immer, wie ein Landmann, der gesäet oder auch gepflanzt hat, stets wieder ausbessert was Regenstürme beschädigt haben oder anhaltender Frost oder heftige Windstösse. Wenn aber das ungereimt ist, so muss man sagen, dass die Verderbniss und die Folgen der Schlechtigkeit bereits erkannt sind oder auch in den Begriffen liegen. Ist aber dies der Fall, so werden wir sagen, dass die Begriffe auch die Schlechtigkeit hervorbringen, obgleich in ihren Kunstgebilden und den Entwürfen dazu kein Fehler enthalten ist noch auch etwas Kunstwidriges oder die Verderbniss des Kunstgemässen. Allein hier wird man sagen, es gebe im All nichts Naturwidriges noch Böses; und doch wird der Unterschied zwischen besser und schlechter zugestanden werden. Wie nun, wenn im All auch das Schlechtere mitwirkt und nicht alles schön sein darf? Tragen ja auch die Gegensätze zur Vollendung bei und besteht doch ohne sie die Welt nicht. Und so verhält es sich auch bei den lebendigen Organismen im einzelnen: die besseren bezwingt und bildet der Begriff; die nicht so beschaffen sind, liegen der Möglichkeit nach im Begriff, der Wirklichkeit nach in den Ereignissen; die Seele kann[98] dabei weder etwas thun oder auch nur die Begriffe wieder aufreizen, indem die Materie bereits durch den von den voraufliegenden Begriffen ausgehenden Anstoss auch das von ihr herstammende Schlechtere bildet, wobei sie selbst freilich nichtdestoweniger wieder zum Bessern hin überwunden wird. So wird Eins aus allem, das im einzelnen auf diese Weise entsteht, auf eine andere dagegen in den Begriffen enthalten ist.

17. Sind aber diese in der Seele vorhandenen Begriffe Gedanken? Aber wie will sie nach den Gedanken schaffen? Die Vernunft vielmehr ist in der Materie schöpferisch thätig und das Schaffen geht auf natürliche Weise vor sich, ist nicht Gedanke noch Sehen, sondern eine die Materie bewegende Kraft, welche ohne Bewusstsein bloss thätig ist, wie z.B. ein Kreis eine Gestalt und Figur im Wasser hervorbringt, während etwas anderes das Hervorbringen in dieser Gestalt veranlasst. Ist dies der Fall, so wird die leitende Macht der Seele schaffen, dadurch dass sie die in der Materie befindliche und erzeugende Seele in Bewegung setzt. Wird sie nun nach vorausgegangener Ueberlegung bewegen? Wenn das, so wird sie eine Beziehung haben. Auf etwas anderes oder ihren eigenen Inhalt? Wenn auf ihr eigenes Innere, so bedarf es der Ueberlegung nicht. Denn nicht diese wird sie bewegen, sondern jene die Begriffe umfassende Macht in ihr. Denn diese ist die kräftigere, die schöpferische Fähigkeit in der Seele. Sie schafft also nach Ideen. Demnach muss auch sie dieselben geben, indem sie sie von der Vernunft hat. Die Vernunft nämlich giebt sie der Weltseele, die Seele aber nach der Vernunft giebt sie aus sich der Seele nach ihr durch Einstrahlen und Einprägen, und diese bringt nun gleichsam beauftragt hervor. Sie bringt aber das eine unbehindert, das andere behindert hervor. Da sie aber eine Kraft zum Hervorbringen empfangen hat und nicht mit den ersten Begriffen erfüllt ist, so wird sie nicht bloss hervorbringen gemäss dem, was sie empfangen hat, sondern es kann auch etwas aus ihrem eigenen Wesen entstehn und dies wird offenbar schlechter sein, ein lebendes Wesen zwar, aber ein unvollkommenes und mit seinem eigenen Leben unzufriedenes, da es sehr schlecht und verdriesslich und roh ist und aus schlechter Materie besteht, gleichsam einem bittern und erbitternden Niederschlag des Höheren. Und dies wird sie auch selbst dem Universum mittheilen.

18. So ist denn also auch wohl das Schlechte im Weltall nothwendig, weil es dem Höheren folgt? Oder weil, auch wenn dies nicht der Fall wäre, das Ganze unvollkommen sein[99] würde? Es gewährt nämlich das meiste davon wonicht alles dem Ganzen einen Nutzen, z.B. die giftigen Thiere, nur dass meistentheils das Wie verborgen ist. Hat ja doch die Schlechtigkeit selbst manches Nützliche und bringt auch viel Schönes hervor, z.B. alle Kunst-Schönheit, und regt zum Denken an, indem sie nicht in Trägheit schlafen lässt. Ist dies richtig entwickelt, so muss die Weltseele stets auf das Beste schauen, indem sie nach der intelligiblen Natur und der Gottheit, hinstrebt; wenn sie sich aber erfüllt und erfüllt und gleichsam vollgefropft ist, so muss das Gebilde aus ihr und das Letzte von ihr nach der Tiefe zu gerade das Hervorbringende sein. Dieses Letzte also ist das Hervorbringende, über demselben steht der Theil der Seele, der sich zuerst von der Vernunft aus erfüllt hat; über allem die weltbildende Vernunft, die auch der Seele nach ihr dasjenige giebt, dessen Spuren sich in der dritten finden. Mit Recht also wird diese Welt ein stets sich abbildendes Bild genannt, indem das Erste und Zweite steht, das Dritte zwar auch steht, aber in der Materie und accidentiell sich bewegt. Denn solange es Vernunft und Seele giebt, werden die Begriffe in dieses Bild der Seele fliessen, wie auch, solange es eine Sonne giebt, alles Licht von ihr fliessen wird.

Quelle:
Plotin: Die Enneaden. Band 1, Berlin 1878, S. 85-100.
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