Zweites Buch.
Von der Vorsehung (I)

[165] 1. Dass es unvernünftig ist und einen Menschen verräth, der weder Verstand noch Gefühl besitzt, das Wesen und den[165] Bestand dieses Weltalls dem Ungefähr und dem Zufall beizulegen: das ist wohl auch vor jeder Untersuchung klar und zum Beweise, dessen liegen viele und hinlängliche Untersuchungen vor; aber welches die Art und Weise ist, nach der alles dieses Einzelne wird und hervorgebracht ist – da einiges hiervon scheinbar nicht gut geworden, so kommt es ja auch, dass man an der Vorsehung der Welt Zweifel hegt, dass es einigen beifiel sie ganz zu leugnen, andern zu behaupten, die Welt sei von einem bösen Weltbildner gemacht – dies zu betrachten geziemt sich, indem wir unsere Untersuchung von oben her und von Anfang an ausgehen lassen. Die Vorsehung im einzelnen Fall jedoch d.h. die der That voraufgehende Ueberlegung, wie etwas von dem, was zu thun nöthig ist, geschehen oder nicht geschehen muss, wie etwas für uns sei oder nicht sei, wollen wir für jetzt bei Seite lassen; aber die sogenannte Vorsehung des Weltalls wollen wir voraussetzen und daran das Weitere anknüpfen. – Wenn wir nun sagten, dass die Welt von einem bestimmten Zeitpunkt an geworden sei, wahrend sie früher nicht war, so würden wir bei unserer Untersuchung dieselbe Vorsehung annehmen, wie wir sie als bei den einzelnen Dingen vorhanden bezeichneten, nämlich ein gewisses Vorhersehen und ein Ueberlegen Gottes, wie dieses All entstehen und wie es möglichst vollkommen sein könnte. Da wir aber behaupten, die Welt sei ewig und es habe nie einen Zeitpunkt gegeben, in welchem sie nicht war, so werden wir ganz folgerichtig sagen, die Vorsehung bestehe darin für das All, dass es vernunftgemäss ist und die Vorsehung vor ihm ist, nicht als der Zeit nach früher, sondern weil dieses von der Vernunft ausgeht und jene der Natur nach früher und der Grund von diesem ist, gleichsam ein Muster und Vorbild dieses seines Abbildes, das durch jene existirt und sein Dasein hat auf folgende Weise: Die Natur der Vernunft und des Seienden ist die wahrhafte und erste Welt, die in keine räumliche Ausdehnung zerfällt, die nicht durch Zertheilung geschwächt, selbst durch ihre Theile nicht mangelhaft wird, da ja der einzelne Theil nicht losgerissen ist vom Ganzen; sondern ihr eignet das gesammte Leben und gesammte Denken, lebend und denkend zugleich in Einem, in ihr giebt der Theil das Ganze in voller Uebereinstimmung mit sich selbst, ohne dass der eine vom andern getrennt ist oder in seiner Individualisirung zu etwas Anderem und dem übrigen Entfremdetem wird; daher auch der eine dem andern kein Unrecht thut noch ihm entgegen ist. In ihrem überall einen und vollkommenen[166] Sein verharrt sie in völliger Ruhe, wo sie auch sein mag, und hat keine Veränderung; denn sie bewirkt nicht den Uebergang des einen in das andere. Weshalb sollte sie auch, da keinem etwas mangelt? Wozu sollte die Vernunft eine andere Vernunft, die Intelligenz eine andere Intelligenz hervorbringen? Vielmehr würde das Vermögen durch sich etwas hervorzubringen das Zeichen eines nicht in jeder Hinsicht vortrefflichen Zustandes sein, sondern eines insofern thätigen und sich bewegenden als er eben ein schlechterer ist. Für die durchaus Glückseligen aber genügt es allein in sich zu ruhen und das zu sein was sie sind, während gerade die Vielgeschäftigkeit nicht ungefährlich ist für diejenigen, welche sich aus sich selbst herausbewegen. Und so ist auch das Dortige in dem Grade glückselig, dass es in seinem Nichtsthun doch grosses vollbringt und bei seinem in sich Verharren nicht geringes wirkt.

2. Aus jener wahrhaften und einen Welt nun hat diese nicht wahrhaft eine Welt ihr Dasein. In der That ist sie vielfach, in Vielheit getheilt, so dass ein Theil von andern räumlich getrennt und ihm entfremdet ist; in ihr herrscht nicht mehr bloss Freundschaft, sondern auch Feindschaft durch die Trennung, und in Folge seines mangelhaften Zustandes ist nothwendig der eine Theil dem andern feindlich gesinnt. Denn der Theil genügt nicht sich selbst, sondern er wird durch einen andern erhalten und ist gleichwohl dem, durch welchen er erhalten wird, feindlich. Sie ist aber nicht durch eine Reflexion, welche sich die Nothwendigkeit ihres Entstehens vergegenwärtigte, entstanden, sondern durch die Nothwendigkeit einer zweiten Natur; denn jenes konnte seiner Beschaffenheit nach nicht das Letzte des Seienden sein. Es war nämlich das Erste und hatte vieles, ja alles Vermögen, also auch das Vermögen etwas anderes zu schaffen, jedoch ohne darüber nachzudenken. Denn es würde dasselbe bereits nicht mehr aus sich selbst haben, wenn es danach suchte; auch würde es nicht aus seiner Wesenheit stammen, sondern es würde wie ein Künstler sein, der das Schaffen nicht aus sich, sondern als etwas dazugekommenes hat, das er aus dem Lernen erworben. Der Geist also, der etwas von sich in die Materie gab, brachte ruhig und unbewegt das All zu Stande; dies ist aber der dem Geist entströmte Begriff. Denn was aus dem Geist abfliesst ist Begriff, und er fliesst ewig ab, so lange der Geist im Seienden vorhanden ist. Wie nun aber, während bei dem im Samen verkörperten Begriff alles zugleich und beisammen ist ohne irgendwelchen Kampf und Verschiedenheit und gegenseitiges[167] Sichbehindern der Theile, sofort in der Materie etwas entsteht mit verschiedenen räumlich gesonderten Theilen, die einander hinderlich werden und sich gegenseitig vernichten können: so ist auch aus dem einen Geist und dem von ihm ausgehenden Begriff dieses All entstanden und hat sich räumlich gesondert, und ist nothwendigerweise das eine befreundet und zugethan, das andere feindlich und abgeneigt, und theils absichtlich theils unabsichtlich beschädigt das eine das andere, und durch sein Zugrundegehen verschafft das eine dem andern sein Entstehen, und dennoch kommt an den Theilen, die an sich solches thun und leiden, eine Harmonie zu Stande, indem die einzelnen Theile ihren eigenen Laut von sich geben, der Begriff aber an ihnen die Harmonie und die eine Verbindung zum Ganzen bewerkstelligt. Denn dieses All ist nicht wie dort Geist und Begriff, sondern hat nur Theil an Geist und Begriff. Daher bedurfte es auch der Harmonie, da Geist und Nothwendigkeit zusammenkommen, von denen die letztere zum Schlechteren herabzieht und als unvernünftig zur Unvernunft führt, der Geist aber dennoch die Nothwendigkeit beherrscht. Denn die intelligible Welt ist allein Begriff, eine andere Welt, die allein Begriff wäre, kann nicht entstehen; wenn aber etwas anderes entstand, so musste es geringer sein als jenes und konnte weder Vernunft noch auch Materie sein – denn diese ist etwas ungeordnetes – sondern etwas gemischtes. Das Ende seiner Entwickelung ist Materie und Vernunft, sein Princip aber die Seele, die Vorsteherin des Gemischten, die man nicht als darunter leidend vorstellen darf, da sie dieses All durch ihre Anwesenheit so zu sagen verwaltet.

3. Auch kann niemand dieser Welt mit Recht einen Vorwurf daraus machen, dass sie nicht schön oder von allem Körperlichen nicht das beste sei; ebensowenig kann man den anklagen, der für sie die Ursache des Seins ist, da sie erstens aus Nothwendigkeit ist und nicht aus Reflexion geworden ist, sondern indem die bessere Natur sie naturgemäss sich ähnlich machte. Zweitens aber, selbst wenn Reflexion ihr Schöpfer wäre, brauchte er sich seiner Schöpfung nicht zu schämen; denn er hat ein überaus schönes und sich selbstgenügendes Ganze geschaffen, das mit sich und seinen Theilen in Uebereinstimmung steht, von denen die wichtigeren wie die minder wichtigen in gleicher Weise zu ihm passen. Wer nun aus den Theilen das Ganze tadelt, der geht mit seinem Tadel irre. Denn die Theile muss man in Beziehung auf das Ganze betrachten, ob sie mit ihm stimmen und zu ihm passen; wenn[168] man aber das Ganze ins Auge fasst, so hat man nicht auf einzelne kleine Theile zu blicken. Denn das heisst nicht die Welt tadeln, sondern einen ihrer Theile besonders vornehmen, wie wenn man von dem gesammten Organismus ein Haar oder eine Zehe betrachten wollte, ohne dabei auf den ganzen Menschen, diesen göttlichen Anblick, zu sehen, oder wenn man beim Zeus alle übrigen Thiere unbeachtet liesse und nur das geringste vornähme, oder das ganze Geschlecht, etwa das Menschengeschlecht, bei Seite lassen und einen Thersites als Repräsentanten vorführen wollte. Da nun das Gewordene die Welt in ihrer Gesammtheit ist, so hat man auf diese zu blicken und man wird bald von ihr die Worte vernehmen: Mich hat Gott geschaffen und ich bin von dorther geworden, vollkommen unter allen lebenden Wesen, ausreichend für mich selbst und mir selbstgenug, ohne etwas zu bedürfen, weil alles in mir ist: Pflanzen und Thiere, die Natur alles Geschaffenen, viele Götter, Schaaren von Dämonen, gute Seelen und durch Tugend beglückte Menschen. Denn nicht bloss die Erde ist geschmückt mit allen Gewächsen und allerlei Thieren und nicht bloss bis zum Meer ist die Kraft der Seele gegangen, während die ganze Luft, der Aether und der gesammte Himmel ohne Seele wäre, sondern dort sind alle guten Seelen, welche den Sternen das Leben geben und dem wohlgeordneten, ewigen Umschwung des Himmels, der in Nachahmung des Geistes sich mit Bewusstsein stets um denselben Punkt im Kreise bewegt; denn er sucht nichts ausserhalb. Alles aber in mir strebt dem Guten zu und alles Einzelne erreicht es je nach seinem Vermögen. Denn der ganze Himmel hängt von jenem ab, ferner jede Seele von mir und die Götter in meinen Theilen, desgleichen alle Thiere und die Gewächse und was sonst in mir unbeseelt zu sein scheint. Und davon scheint das eine bloss am Sein Theil zu haben, das andere am Leben und zwar mehr in der Empfindung, das andere hat bereits Vernunft, anderes endlich das ganze Leben. Denn man darf nicht das Gleiche verlangen für das was nicht gleich ist. Kommt doch auch dem Finger nicht das Sehen zu, sondern dem Auge, dem Finger aber etwas anderes: Finger zu sein, sollt' ich meinen, und sein eigenes Geschäft zu haben.

4. Wenn aber Feuer durchs Wasser erlischt und anderes vom Feuer vernichtet wird, so darfst du dich darüber nicht wundern. Denn auch in das Sein hat es etwas anderes geführt und nicht von sich selbst geführt wurde es von einem andern vernichtet; es ist ja auch ins Sein gekommen durch[169] den Untergang von etwas anderm, und wenn dem so ist, bringt ihm die Vernichtung nichts schlimmes und an die Stelle des vernichteten Feuers tritt anderes Feuer. Denn in dem unkörperlichen Himmel bleibt jedes einzelne, in diesem Himmel aber lebt zwar das Ganze ewig und das wahrhaft Werthvolle und die hauptsächlichsten Theile, aber die wechselnden Seelen werden Körper bald in dieser bald in jener Form, und wenn sie es kann, tritt die Seele aus dem Werden heraus und bleibt im Verein mit der Weltseele. Die einzelnen Körper aber leben der Form nach und als Ganze, da ja aus ihnen andere Geschöpfe entstehen und sich nähren sollen; denn hier ist das Leben ein bewegtes, dort ein unbewegtes. Es musste aber die Bewegung aus der Unbewegtheit hervorgehen und aus dem Leben in sich das andere Leben aus ihm entstehen, ein gleichsam einhauchendes und nicht ruhendes Leben als Hauch des ruhigen. Die gegenseitigen Nachstellungen aber und die Vernichtungen der lebenden Wesen sind nothwendig, denn diese wurden nicht als ewige geboren. Doch wurden sie geboren, weil der Begriff die ganze Materie erfasste und alles in sich hatte was dort ist im obern Himmel; denn woher sollte es gekommen sein, wenn es nicht dort war? Die Ungerechtigkeiten der Menschen gegen einander mögen ihre Ursache im Streben nach dem Guten haben: in ihrem Unvermögen es zu erreichen irregehend wenden sie sich gegen einander. Diejenigen aber, die Unrecht thun, haben ihre Strafe dadurch dass sie durch die Bethätigung der Schlechtigkeit an ihren Seelen beschädigt und an einen schlechtem Platz gestellt werden; denn wie kann sich etwas dem entziehen, was im Gesetz des Ganzen geordnet ist? Es ist aber nicht wegen der Unordnung die Ordnung noch wegen der Gesetzlosigkeit das Gesetz vorhanden, wie mancher glaubt, damit etwa jenes durch das Schlechtere werden und erscheinen könne, sondern [jene sind vorhanden] weil die Ordnung eine von aussen herzugebrachte ist; und weil Ordnung, darum ist Unordnung und wegen des Gesetzes und der Vernunft, und weil Vernunft ist, darum ist Gesetzlosigkeit und Unvernunft, nicht als ob das Bessere das Schlechtere hervorgebracht hätte, sondern weil das, was das Bessere aufnehmen sollte, durch seine eigene Natur oder durch Zufall oder ein anderweitiges Hinderniss es nicht aufzunehmen vermochte. Denn dasjenige, wofür eine von aussen kommende Ordnung bestimmt ist, erreicht diese möglicher Weise nicht entweder wegen eines von ihm selbst oder von einem andern ausgehenden Hindernisses; es leidet aber viel von andern Dingen,[170] auch ohne dass diese bei ihrem Thun es beabsichtigen und indem sie einem andern Ziele zustreben. Diejenigen Geschöpfe, welche durch sich selbst eine frei sich bestimmende Bewegung haben, mögen bald dem Bessern bald dem Schlechtem zuneigen. Zu untersuchen, wovon die Neigung zum Schlechtem ausging, ist vielleicht der Mühe nicht werth. Denn eine anfangs kleine Abweichung macht im weitem Fortgang auf diesem Wege den Fehltritt immer stärker und grösser. Auch ist der Körper mit der Seele verbunden und nothwendiger Weise die Begierde. Der anfangs übersehene, plötzliche und nicht sogleich verbesserte Fehler bewirkt auch einen Hang zu dem, wohin man sich verirrt hat. Es folgt jedoch sicher die Strafe; und es ist nicht ungerecht, dass ein solcher Mensch seinem Zustande entsprechend leide, und man darf nicht fordern, dass denen Glück zu Theil werde, die nichts gethan haben was des Glückes werth wäre. Die Guten allein sind glücklich, daher sind ja auch die Götter glücklich.

5. Wenn nun auch Seelen in diesem All glücklich sein können, einige aber nicht glücklich sind, so darf man den Ort [an dem sie sich befinden] nicht beschuldigen, sondern ihr Unvermögen, das nicht im Stande ist schön zu kämpfen wo Kampfpreise für die Tugend ausgesetzt sind. Und wenn Menschen, die nicht göttlich geworden sind, kein göttliches Leben haben: was liegt darin schreckliches? Armuth und Krankheit ist für die Guten nichts, für die Schlechten nützlich; auch müssen wir krank sein, da wir Körper haben. Und auch dies ist keineswegs unnütz zur Ordnung und Vervollständigung des Ganzen. Denn wie, wenn einiges zu Grunde gegangen, die Vernunft des Alls sich des zu Grunde Gegangenen bedient um anderes hervorzubringen – denn nichts kann sich irgendwie ihrer Einwirkung entziehen – so wird auch, wenn ein Körper beschädigt und die solches erleidende Seele verweichlicht wird, das von Krankheit und Schlechtigkeit Ergriffene einer Verkettung und andern Ordnung unterworfen. Und einiges nützt denen selbst, die es leiden, wie Armuth und Krankheit, die Schlechtigkeit aber bringt etwas für das Ganze nützliche zu Stande, indem sie zum Vorbild der Gerechtigkeit wird und vieles nützliche aus sich hervorgehen lässt. Denn sie macht wachsam, sie weckt Geist und Verstand, indem man sich den Wegen der Schlechtigkeit entgegenstellt, sie lässt erkennen, was für ein Gut die Tugend ist durch Gegenüberstellung der Leiden, welche den Schlechten zu Theil werden. Das Böse ist dazu nicht entstanden, sondern da es[171] einmal entstanden ist, bedient sich, wie gesagt, die Vernunft auch seiner zu dem was nöthig ist. Das aber ist ein Beweis der höchsten Macht, auch das Schlechte schön gebrauchen zu können und im Stande zu sein, das Gestaltlose zu andern Gestalten zu verwenden. Ueberhaupt muss man das Böse als Mangel des Guten auffassen; nothwendig muss aber hier ein Mangel des Guten sein, weil es sich an einem Andern befindet. Dieses Andere nun, an welchem sich das Gute befindet, bringt als verschieden vom Guten den Mangel hervor; denn es war nicht gut. Deshalb verschwindet auch das Böse nicht aus der Welt, weil das eine geringer ist als das andere hinsichtlich der Natur des Guten, anderes vom Guten verschieden ist, indem es von dorther zwar die Ursache seines Daseins entnommen hat, aber so geworden ist durch die Entfernung.

6. Was nun das Unverdiente betrifft, wenn Guten böses widerfährt, Bösen aber gutes, so ist es eine richtige Behauptung zu sagen, dass es für den Guten nichts böses giebt und umgekehrt für den Bösen nichts gutes. Aber warum widerfährt das Naturwidrige diesem, das Naturgemässe dagegen dem Schlechten? Denn wie ist es schön, so zu vertheilen? Aber wenn das Naturgemässe zum Glücke nichts hinzufügt und das Naturwidrige bei dem Schlechten von dem Uebel nichts hinwegnimmt, was macht es dann für einen Unterschied, ob es so oder so ist? Ebensowenig macht es einen Unterschied, wenn der eine schön, der andere hässlich ist von Gestalt. Aber das Geziemende [wirft man ein], das Vernunftgemässe und Würdige, was jetzt nicht zur Geltung kommt, würde auf jene Weise zur Geltung kommen; und das wäre Sache der besten Vorsehung. Dass aber die Bösen auch Herren und Herrscher der Städte, die Guten ihre Sclaven sind, geziemt sich in der That nicht, auch dann nicht, wenn dies zum Besitz des Guten oder Bösen nichts austragt. Nun kann ja aber ein schlechter Herrscher auch das Gesetzwidrigste thun, auch haben die Bösen im Kriege die Oberhand und wie hässlich behandeln sie die Gefangenen, die sie machen! Alles dies nämlich giebt Anlass zum Zweifel, wie es geschehen kann, wenn es eine Vorsehung giebt. Denn wenn derjenige, der etwas thun will, auf das Ganze blicken muss, so geziemt es sich auch für ihn die Theile gebührend zu ordnen, zumal wenn sie beseelt sind, Leben haben und vernunftbegabt sind; demgemäss muss sich auch die Vorsehung über alles erstrecken und ihre Aufgabe muss darin bestehen nichts zu vernachlässigen. Wenn wir nun behaupten, dass dieses All vom Geiste[172] abhängt und dass dessen Kraft sich über alles erstreckt, so müssen wir zu zeigen versuchen, inwiefern dies alles im einzelnen sich schön verhält.

7. Zuerst ist nun festzustellen, dass man beim Suchen nach dem Schönen im Gemischten nicht in jeder Hinsicht alles das verlangen darf, was das Schöne im Unvermischten hat, dass man im Zweiten nicht das Erste suchen darf, sondern, da es ja auch einen Körper hat, zugestehen muss, dass auch von diesem aus etwas auf das Ganze übergeht, und sich zufrieden zu geben hat, wenn nichts von dem fehlt was die Mischung von der Vernunft annehmen konnte. Wenn z.B. jemand den allerschönsten sinnlich wahrnehmbaren Menschen betrachtet, so verlangt er doch wohl nicht, dass er mit dem intelligiblen Menschen übereinstimmen soll, sondern er wird es dem Schöpfer Dank wissen, wenn er gleichwohl das Gebilde aus Fleisch und Sehnen und Knochen durch die Vernunft zusammengefasst hat, so dass er auch dies verschönerte und die Vernunft sich über die Materie vollständig ausbreiten konnte. Von dieser Voraussetzung aus also muss man dann weiter zum Gegenstand der Frage vorschreiten, und da werden wir hierbei gar bald die bewundernswerthen Wirkungen der Vorsehung und der Macht finden, durch welche dieses All sein Dasein hat. Was nun die Thaten der Seelen betrifft, welche durch die Seelen selbst, die das Böse thun, bedingt sind, alles das z.B. worin böse Seelen den andern und worin sie sich selbst gegenseitig Schaden zufügen, so darf man dafür, wenn man nicht auch die Vorsehung deshalb anklagen will dass sie überhaupt schlecht sind, keinen Grund und keine Rechenschaft von ihr verlangen, die That vielmehr der getroffenen Wahl der Seele beimessen. Denn es ist nachgewiesen, dass auch die Seelen besondere Bewegungen haben müssen und dass sie nicht bloss Seelen sondern bereits lebende Organismen sind, und es ist doch gewiss nicht zu verwundern, dass sie ein ihrem Wesen entsprechendes Leben haben. Denn sie sind nicht herabgekommen, weil die Welt vorhanden war, sondern vor der Welt hatten sie es an sich zur Welt zu gehören, für sie zu sorgen, sie zu tragen, zu verwalten und zu schaffen je nach ihrer Art, sei es obenanstehend und etwas von sich mittheilend oder herabsteigend oder sonst auf diese oder jene Weise; denn jetzt handelt es sich nicht darum sondern um die Behauptung, dass man, wie dem auch sei, die Vorsehung darüber nicht tadeln darf. Aber wenn man die Stellung der Bösen im Verhältniss zu ihren Gegnern betrachtet, dass gute Menschen arm und[173] schlechte reich sind, dass die schlechten mit den Bedürfnissen des menschlichen Lebens reichlich versehen sind, dass sie herrschen, ihnen Völker und Städte gehorchen? Will man etwa sagen, dass die Vorsehung sich nicht bis zur Erde erstreckt? Aber da das andere durch Vernunft geschieht, so ist das ein Zeugniss, dass die Vorsehung auch bis zur Erde geht; denn auch Thiere und Pflanzen haben Antheil an Vernunft, Seele und Leben. Aber [wird man einwenden], sie erstreckt sich wohl so weit, dringt indessen nicht durch. Allein da das Ganze ein lebendiger Organismus ist, so würde das ebenso sein wie wenn man sagen wollte, der Kopf und das Antlitz eines Menschen entstehe durch die Natur und die Herrschaft der Vernunft, den Rest dagegen andern Ursachen zuschriebe, Zufällen und Nothwendigkeiten, und behauptete, hierdurch oder durch das Unvermögen seiner Natur sei es schlecht geworden. Aber es ist weder rechtschaffen noch gottesfürchtig unter dem Vorgeben, dass dies nicht schön sei, die Schöpfung zu tadeln.

8. Es bleibt also übrig zu untersuchen, wieweit dies schön ist und wie es an der Ordnung Theil hat oder wieweit es wenigstens nicht schlecht ist. Bei jedem lebenden Wesen sind die obern Theile, Gesicht und Kopf, schöner, die mittleren und untern ihnen nicht gleich. Nun befinden sich die Menschen in der Mitte und unten, oben der Himmel und die Götter in ihm. Den grössten Theil der Welt bilden die Götter und der ganze Himmel im Kreise, die Erde ist gleichsam der Mittelpunkt und in gewisser Hinsicht eins von den Gestirnen. Man wundert sich nun über die Ungerechtigkeit bei den Menschen, weil man annimmt, dass der Mensch im All das ehrwürdigste, das allerweiseste Geschöpf sei. Er steht vielmehr in der Mitte zwischen Göttern und Thieren und neigt abwechselnd zu beiden, es gleichen die einen dem einen, die andern dem andern, wieder andere und zwar die Mehrzahl halten die Mitte inne. Diejenigen nun, welche schlecht geworden sich den unvernünftigen Geschöpfen und Thieren nähern, ziehen die mittleren mit sich und thun ihnen Gewalt an. Diese sind zwar besser als ihre Bedränger, werden jedoch von den schlechteren überwältigt, eben weil sie selbst minder gut, nicht vollständig gut sind und weil sie sich zum Widerstand gegen feindliche Angriffe nicht gerüstet haben. Wenn nun Knaben, welche ihre Körper geübt haben, deren Seelen aber aus Mangel an Bildung schlechter sind als ihre Körper, im Ringkampf diejenigen überwältigen, die weder an Körper noch an Seele gebildet sind, ihnen ihre Speisen wegrauben und die weichen[174] Kleider nehmen, was wäre das weiter als lächerlich? Oder ist es nicht richtig, wenn auch der Gesetzgeber es zulässt, dass jene dies erdulden zur Strafe für ihre Trägheit und Weichlichkeit, da sie, obwohl es Ringschulen für sie gab, aus Trägheit, aus weichlichem und schlaffem Leben sich wie gemästete Lämmer zur Beute der Wölfe werden liessen? Für die aber, welche dies thun, ist die erste Strafe, dass sie Wölfe sind und unglückliche Menschen. Dann ist ihnen beschieden, was solchen Leuten gebührendermaassen widerfährt. Denn es bleibt für sie nicht dabei, dass sie hier schlecht werden und dann sterben, sondern der frühern That folgt immer was der Vernunft und Natur gemäss ist. Schlechteres dem Schlechteren, dem Besseren das Bessere. Aber derartige Vorgänge des Lebens sind keine Ringschule, wo es eben nur Spiel ist. Vielmehr müssten, da die beiden Klassen von Knaben mit ihrem Unverstand grösser geworden sind, nunmehr beide umgürtet sein und Waffen haben und es müsste das ein schönerer Anblick sein als wenn sich jemand in der Ringschule übt. Nun aber sind die meisten unbewaffnet und die Bewaffneten haben die Oberhand. Dabei darf selbst ein Gott nicht für die unkriegerischen Leute kämpfen. Denn aus Kriegen, sagt das Gesetz, müssen diejenigen gerettet werden, die sich tapfer zur Wehre setzen, nicht die, welche beten. Auch dürfen nicht die Betenden Früchte einernten sondern die, welche den Acker bestellen, noch diejenigen gesund sein, welche für ihre Gesundheit keine Sorge tragen. Auch darf man nicht zürnen, wenn den Schlechten mehr Früchte zu Theil werden als ihnen überhaupt, wenn sie Ackerbau treiben, gut ist. Ferner ist es lächerlich, alles andere im Leben nach seiner eigenen Meinung zu thun, auch wenn man es nicht so thut wie die Götter es wollen, und sich bloss von den Göttern retten zu lassen ohne auch nur selbst das zu thun, wodurch man nach dem Befehl der Götter sich retten soll. Wahrlich, der Tod ist für sie besser als ein solches Leben, wie es ihnen die im Weltall herrschenden Gesetze verbieten. Darum also: wenn das Gegentheil geschähe, wenn Frieden unter Unvernunft und allerlei Lastern erhalten bliebe, so würde die Vorsehung in ihrem Thun nachlässig sein, falls sie so das Schlechtere herrschen liesse. Es herrschen aber die Schlechten durch das unmännliche Wesen der Beherrschten, denn dies ist gerecht, nicht jenes.

9. Die Vorsehung darf nämlich nicht derart sein, dass wir nichts sind. Denn wenn die Vorsehung alles und ausschliesslich wäre, so würde sie kein Substrat haben – denn[175] worauf sollte sie sich noch erstrecken? Dies aber existirt auch jetzt und sie erstreckt sich auf ein anderes, nicht um das andere aufzuheben, sondern indem sie an irgend etwas, Beispiels halber einen Menschen, herantritt, ist sie an ihm indem sie den Menschen in seinem besondern Sein erhält, den nämlich, der nach dem Gesetz der Vorsehung lebt d.h. also alles thut was das Gesetz derselben besagt. Es besagt aber, dass diejenigen, welche gut geworden sind, ein gutes Leben haben werden und ihnen auch für die Zukunft ein solches bevorsteht, den Schlechten aber das Gegentheil. Dass aber die Schlechten verlangen, andere sollen ihre Retter sein mit Hintenansetzung der eigenen Sicherheit, ist nicht in der Ordnung, selbst wenn sie die Götter darum bitten; ebensowenig dass die Götter über ihre Angelegenheiten im einzelnen herrschen mit Hintansetzung ihres eigenen Lebens, oder dass die guten Menschen, die ein anderes und besseres Leben als menschliche Herrschaft führen, über sie herrschen sollen. Haben sie sich doch auch selbst nie darum bemüht, dass die Guten zur Herrschaft über die andern gelangten, indem sie sich bestrebten selbst gut zu sein, sondern sie sehen scheel auf den, der etwa von sich selbst gut ist. Und doch würden mehr Menschen gut geworden sein, wenn sie diese zu Vorstehern gemacht hätten. Während so das Menschengeschlecht nicht das beste Geschöpf geworden ist, sondern eine mittlere Stellung erhalten und erwählt hat, und die Vorsehung es gleichwohl an der Stelle, an der es sich befindet, nicht zu Grunde gehen lässt, sondern es stets emporhebt durch allerlei Mittel, deren sich das Göttliche bedient indem es der Tugend zu grösserer Herrschaft verhilft: so hat es seinen Antheil an der Vernunft nicht verloren, sondern hat an der Weisheit, der Vernunft, der Kunst und der Gerechtigkeit Theil, wenigstens die einzelnen an der Gerechtigkeit gegen einander – und auch denjenigen, denen sie Unrecht thun, glauben sie dies mit Recht zu thun, denn sie verdienten es – und insoweit ist der Mensch ein schönes Geschöpf als er schön zu sein vermag, und in seinem Zusammenhang mit dem Ganzen betrachtet hat er ein besseres Loos als die andern lebenden Wesen auf Erden. Tadelt doch auch die andern lebenden Wesen, die geringer sind als der Mensch, aber zum Schmuck der Erde dienen, kein vernünftiger Mensch. Denn es wäre thöricht sie zu tadeln, dass sie die Menschen beissen, als ob es für diese nöthig wäre in ungestörter Ruhe zu leben. Es müssen auch diese sein; mancher Nutzen, der von ihnen ausgeht, liegt auf der Hand,[176] manchen, der nicht offenbar war, hat man mit der Zeit in reichlichem Maasse aufgefunden, so dass nichts für sie noch für den Menschen umsonst ist. Es ist ferner lächerlich zu tadeln, dass viele von ihnen wild sind, da es auch wilde Menschen giebt. Wenn sie aber den Menschen nicht trauen, sondern voller Misstrauen sich gegen ihn wehren, ist das zu verwundern?

10. Aber wenn die Menschen unfreiwillig und nicht freiwillig böse sind, so kann niemand denen, die Unrecht thun, einen Vorwurf machen, noch denen, die es leiden, dass sie es durch ihre Schuld leiden. Und wenn es gar nothwendig ist, dass es in dieser Weise Böse giebt, sei es durch den Umschwung oder durch die Consequenzen des Princips, dann geschieht es also durch natürliche Ursachen. Wenn aber die Vernunft selbst es ist, die dieses bewirkt, sollte es dann nicht ungerecht sein? Allein unfreiwillig sind die Menschen schlecht, insofern als die Sünde etwas unfreiwilliges ist, doch hebt dies nicht auf, dass die Handelnden selbst selbständig sind, vielmehr, weil sie selbst handeln, darum sündigen sie auch selbst; sie würden ja überhaupt nicht gesündigt haben, wenn sie nicht selbst die Handelnden wären. Wenn von Nothwendigkeit die Rede ist, so ist darunter nicht äusserer Zwang zu verstehen, sondern durchgehende innere Nothwendigkeit. Und die Einwirkung des Umschwungs ist keine derartige, dass nichts in unserer Macht stünde. Denn wenn alles von aussen her bestimmt wäre, dann würde es so sein wie die hervorbringenden Mächte es selbst wollten; dann würden die Menschen nichts ihnen entgegenstehendes ins Werk setzen, auch die gottlosen nicht, wenn die Götter [ausschliesslich] handelten. Nun aber kommt dies [die Gottlosigkeit] von ihnen. Ist aber das Princip (der Ausgangspunkt) gegeben, so vollendet sich das weitere, indem in die Folge auch sämmtliche Principien mit einbefasst werden. Solche Ausgangspunkte (Principien) sind auch die Menschen. Sie bewegen sich wenigstens zum Schönen hin durch ihre eigene Natur und dies ist ein freier selbständiger Ausgangspunkt.

11. Geht denn aber alles Einzelne in dieser Weise nach natürlicher Nothwendigkeit und deren Folgen vor sich und zwar soweit als möglich schön? Wohl nicht, sondern die Vernunft thut dies alles als Herrscherin und will es so haben und bewirkt das sogenannte Böse selbst vernunftgemäss, indem sie nicht will, dass alles gut sei, gleichwie ein Künstler nicht alles an einem Thier zu Augen macht. Demgemäss[177] machte denn auch die Vernunft nicht alles zu Göttern, sondern theils Götter, theils Dämonen, eine zweite Natur, dann Menschen und Thiere der Reihe nach, nicht aus Neid, sondern mit Vernunft, welche intellectuelle Mannigfaltigkeit in sich hat. Wir aber machen es so wie die Leute, die, weil sie nichts von der Kunst der Malerei verstehen, einen Tadel erheben, dass die Farben nicht überall schön sind, während der Maler jedem Ort die ihm gebührende Farbe zugewiesen hat; oder wenn jemand ein Drama deshalb tadeln wollte, weil nicht lauter Helden darin auftreten, sondern auch ein Sklav, ein plump und schlecht sprechender Mensch. Es verliert vielmehr seine Schönheit, wenn man die geringeren Charaktere herausnimmt, da es auch deren zu seiner Gesammtwirkung bedarf.

12. Wenn nun die Vernunft selbst durch ihre Verbindung mit der Materie dieses All hervorbrachte, indem sie das ist was sie ist, nämlich ungleichartig in ihren Theilen und zwar in Folge ihres Zusammenhangs mit dem hohem Princip, so kann es auch für dieses gewordene in der Weise wie es geworden nichts anderes schöneres geben als es selbst. Die Vernunft würde aus lauter gleichartigen und verwandten Elementen nicht zu Stande gekommen sein, und diese Art ist nicht zu tadeln wo sie alles ist, freilich an jedem Theil auf andere Weise. Hätte sie aber ausser sich selbst anderes eingeführt z.B. die Seelen, und viele von ihnen gegen ihre Natur gewaltsam in die Schöpfung eingefügt, so dass sie sich verschlechterten; würde das recht sein? Indes muss man sagen, dass auch die Seelen gleichsam Theile von ihr sind und dass sie dieselben bei der Einfügung nicht schlechter macht, sondern nach ihrem Werthe da unterbringt, wo es sich für sie gebührt.

13. Denn auch jene Ansicht darf man keineswegs von der Hand weisen, welche lehrt, man solle nicht jedesmal bloss auf den gegenwärtigen Zustand blicken, sondern auch auf die früheren Perioden und ebenso auf die Zukunft, dass die Vernunft danach ihre Vergeltung bemisst und Aenderungen vornimmt indem sie aus früheren Herren Sklaven macht, wenn sie schlechte Herren waren, und dass es ihnen so nützlich ist; indem sie die, welche etwa schlechten Gebrauch von ihrem Reichthum machten, arm werden lässt, und dass es für Gute nicht ohne Nutzen ist arm zu sein; dass ferner solche, die ungerecht getödtet haben, getödtet werden, ungerecht zwar für den der es thut, für den aber der es leidet gerecht; dass sie endlich den, der leiden soll, auf denselben Punkt zusammenführt mit dem, welcher geeignet ist zu thun was jenem zu[178] leiden gebührt. Denn man glaube ja nicht, dass jemand zufällig Sklav ist, dass er zufällig in Gefangenschaft geräth oder ohne Grund an seinem Leibe Unbill erleidet, sondern er hat dies einst gethan was er jetzt leidet: wer seine Mutter getödtet hat wird selbst ein Weib und dann von seinem Sohne getödtet werden, und wer ein Weib geschändet hat wird ein Weib werden um geschändet zu werden. Daher kommt auch das heilige Wort Adrastea; denn diese Ordnung ist in Wahrheit Adrastea (d.h. die Unentrinnbare), in Wahrheit Gerechtigkeit und wunderbare Weisheit. Dass aber stets eine solche Ordnung im Ganzen vorhanden ist, muss man aus dem entnehmen was im Weltall vor Augen liegt, wie auch das Kleinste zum Ganzen sich schickt, wie eine bewundernswerthe Kunst nicht bloss im Göttlichen vorhanden ist, sondern auch in dem, was man geneigt sein möchte als für die Vorsehung geringfügig zu betrachten, wie gleich in den ersten besten Thieren die Mannigfaltigkeit wunderbarer Bildung sich zeigt und bis herab zu den Pflanzen die Wohlgestalt von Früchten und Blättern, die Leichtigkeit und Schönheit der Blüthe, die Zierlichkeit und Mannigfaltigkeit, dass das nicht einmal geschaffen ist und dann aufgehört hat, sondern stets geschaffen wird, indem das Höhere dort oben zu dem Irdischen sich auf mannigfache Weise gesellt. Also was verändert wird, wird nicht zufällig verändert, nimmt nicht zufällig andere Gestalten an, sondern so wie es schön ist und wie es für göttliche Kräfte zu schaffen sich ziemt. Denn alles Göttliche schafft seiner Natur gemäss; seine Natur aber entspricht seiner Wesenheit, und seine Wesenheit ist es, welche in seinen Wirkungen das Schöne und das Gerechte mit hervorbringt. Denn wenn Schönheit und Gerechtigkeit nicht dort sind, wo sollen sie sonst sein?

14. Die Anordnung ist also dem Geiste gemäss eine derartige, dass sie zwar ohne Reflexion aber so beschaffen ist, dass jemand, dem die Anwendung der vollkommensten Reflexion zu Gebote stünde, sich wundern würde, dass die Reflexion kein anderes Schaffen ersinnen konnte, wie man ja auch erkennt, dass in den einzelnen Naturen stets alles verständiger geschieht als es nach Anordnung der Reflexion der Fall sein würde. Bei jedem einzelnen nun der ewig entstehenden Geschlechter darf man nicht die schaffende Vernunft beschuldigen, es müsste denn jemand verlangen, dass jedes Einzelne so hätte entstehen sollen wie das nicht Entstandene, Ewige, im sinnlich Wahrnehmbaren wie Indelligiblen stets sich gleich Bleibende, indem er einen grössern Zusatz von Gutem beansprucht statt[179] die jedem Einzelnen gegebene Form für vollkommen ausreichend zu erachten und [sich etwa darüber zu beklagen,] dass diese Thierart keine Hörner hat, ohne zu erwägen, dass die Vernunft überhaupt nur so sich über alles erstrecken konnte, dass in dem Grösseren das Kleinere, in dem Ganzen die Theile enthalten waren und dass unmöglich alles gleich sein konnte, wenn es nicht aufhören sollte Theile zu geben. Denn dort oben sind alle Dinge alles, hier unten ist nicht jedes Ding alles. So ist auch der Mensch, insofern er als einzelner ein Theil ist, nicht der ganze Mensch. Wenn aber irgendwo in einzelnen Theilen auch etwas anderes ist, was nicht Theil ist, so ist hierdurch auch jener Theil das Ganze. Vom Menschen im einzelnen nun, insofern er dieses ist, darf nicht verlangt werden, dass er vollkommen sei zur Höhe der Tugend; denn dann würde er bereits nicht mehr Theil sein. Nun wird der mit höherer Würde geschmückte Theil von dem Ganzen durchaus nicht beneidet, denn er macht ja mit höherer Würde geschmückt auch das Ganze schöner. Auch tritt ja dieser Fall nur dadurch ein, dass der Theil dem Ganzen ähnlich gemacht und ihm gleichsam zugestanden wird ein solcher und so geordneter zu sein, damit auch an der dem Menschen gebührenden Stelle etwas an ihm hervorleuchte wie in entsprechender Weise am göttlichen Himmel die Sterne. Und in Folge dessen wird uns eine Anschauung gewährt wie die eines grossen und schönen Kunstwerks, sei es eines lebendigen oder eines durch des Hephästos Kunst gefertigten, leuchtende Sterne an Ohren und am Gesicht und an der Brust und wo sonst noch angebrachte Sterne sich schön ausnehmen mögen.

15. So verhält es sich also mit den einzelnen Dingen an und für sich betrachtet. Aber der Complex dieser durch Zeugung entstandenen und stets entstehenden Einzeldinge kann noch einen Einwand und einen Zweifel zulassen wegen des Umstandes, dass sich die andern Thiere gegenseitig auffressen und die Menschen einander nachstellen, dass stets Krieg ist, der wohl schwerlich je ein Ende oder einen Stillstand erreicht, namentlich aber, ob die Vernunft es so veranstaltet hat und ob man es unter solchen Umständen schön nennen darf. Denn diesen Einreden gegenüber genügt es nicht mehr sich auf jene Sätze zu berufen, dass die Dinge nach Möglichkeit schön sind, dass die Materie die Ursache für derartige minder gute Zustände ist, dass das Uebel unmöglich aufhören kann, falls ein solcher Zustand ein nothwendiger war, dass es so schön ist und die herankommende Materie nicht die Oberhand hat, sondern[180] herangeführt wurde, damit es so sei, oder vielmehr dass auch sie durch die Vernunft so ist. Allerdings ist die Vernunft das Princip und alles ist Vernunft und was ihr gemäss entsteht und beim Entstehen geordnet wird, muss durchaus so sein. Aber worin ist die Nothwendigkeit dieses unversöhnlichen Krieges zwischen Thieren und Menschen begründet? Vielleicht ist das gegenseitige Sichauffressen nothwendig, um die Geschöpfe mit einander wechseln und sich ablösen zu lassen, die ja, auch wenn man sie nicht tödten wollte, so wie so nicht ewig bleiben können. Wenn sie also in der Zeit, in der sie abgehen müssen, so abgehen mussten, dass andern ein Nutzen durch sie erwuchs, was ist da zu klagen? Oder wenn sie verzehrt als andere ins Leben zurückkehren? So ähnlich wie auf der Bühne der ermordete Schauspieler seinen Anzug wechselt und mit einer andern Maske wieder auftritt, in Wahrheit aber garnicht gestorben ist. Wenn nun auch das Sterben ein Wechsel des Leibes ist wie dort ein Wechsel des Gewandes, oder auch ein Ablegen des Körpers wie dort ein völliges Abtreten von der Bühne, was hat alsdann ein derartiger Uebergang der Thiere in einander schlimmes an sich, der doch um vieles besser ist als wenn sie von Anfang an garnicht entstanden wären? Denn dann würde eine Verödung des Lebens eintreten sowie die Unmöglichkeit dasselbe einem andern mitzutheilen. So aber ist ein reiches Leben im All vorhanden, welches alles schafft und unter mannigfachen Gestalten ins Leben ruft und unaufhörlich schönes und wohlgestaltetes lebendiges Spielzeug hervorbringt. Die gegen einander gerichteten Waffen der sterblichen Menschen aber, die in schöner Ordnung kämpfen wie sie es beim Waffentanz spielend thun, deuten uns an, dass alles menschliche Leben ein Spiel ist und zeigen uns, dass der Tod nichts schlimmes sei, dass man durch Sterben im Krieg und Kampf ein wenig vorwegnimmt was im Alter geschieht, dass man schneller abtritt um schneller wieder aufzutreten. Wenn sie aber lebend ihres Geldes beraubt werden, so mögen sie erkennen, dass es ihnen auch früher nicht gehört hat und dass auch für ihre Räuber sein Besitz ein lächerlicher ist, da es ihnen andere wieder rauben; ist doch auch für die, denen es nicht geraubt wird, sein Besitz schlimmer als sein Verlust. Und wie auf den Bühnen der Theater so muss man auch die Morde betrachten, die verschiedenen Arten des Todes, die Eroberungen und Plünderungen von Städten, alles als Veränderungen und Wechsel der Scenen, als blosse Darstellungen von Jammer und Wehklagen. Denn auch[181] hier in allen und jeden Wechselfällen des Lebens ist es nicht die innere Seele, sondern der äussere Schatten des Menschen, welcher klagt und jammert und alles thut, indem die Menschen auf der ganzen Erde als ihrer Bühne an verschiedenen Orten ihre Scenen aufführen. Denn das sind alles Thaten eines Menschen, der nur das untere und äussere Leben zu führen versteht oder nicht weiss, dass seine Thränen und sein Ernst ein Spiel sind. Denn allein der ernste Mensch hat sich ernstlich um ernste Dinge zu bemühen, der andere Mensch ist ein Spiel. Aber auch die Spiele werden ernsthaft betrieben von denen, die Ernsthaftes zu treiben nicht verstehen und selbst Spielwerk sind. Wenn aber einem [ernsten Menschen], der an ihrem Spiel Theil nimmt, derartiges widerfährt, so möge er wissen, dass er in ein Spiel von Kindern hineingerathen ist, nachdem er seine eigentliche Rolle abgelegt hat. Selbst wenn ein Sokrates spielt, so spielt er mit dem auswendigen Sokrates. Und auch den Umstand muss man erwägen, dass man Weinen und Klagen nicht als Beweis für wirkliche Leiden ansehen darf, weil ja auch Kinder über Dinge, die keine Leiden sind, weinen und klagen.

16. Aber wenn das was wir sagen richtig ist, wie kann es da noch Schlechtigkeit geben? wo ist da Sünde? wo Ungerechtigkeit? Denn wie können, wenn alles was geschieht gut ist, die Handelnden Unrecht und Sünde thun? Wie kann es Unglückliche geben, wenn sie nicht Sünde noch Unrecht thun? Wie wollen wir sagen, dass einiges naturgemäss, anderes widernatürlich sei, wenn alles was geschieht und gethan wird naturgemäss ist? Wie kann es dem Göttlichen gegenüber noch Gottlosigkeit geben, wenn das was gethan wird so beschaffen ist? Es wäre so wie wenn ein Dichter in einem Drama einen Schauspieler schmähen und den Dichter des Dramas herunterreissen lässt. Wir wollen also nochmals deutlicher sagen, was die Vernunft ist und wie sie mit Recht so beschaffen ist. Es ist also diese Vernunft – wagen wir nur es zu behaupten, vielleicht dass es uns damit gelingt – es ist also die Vernunft nicht reiner Geist, nicht Geist an sich, nicht von der Art der reinen Seele, sondern von ihr abhängend und gleichsam eine Ausstrahlung aus beiden, aus Geist und Seele und zwar der dem Geiste gemäss sich verhaltenden Seele, welche diese Vernunft erzeugen als Leben, das eine gewisse Vernunft in der Ruhe [der Betrachtung] enthält. Alles Leben aber ist Thätigkeit, auch das schlechte; jedoch nicht Thätigkeit wie das Feuer thätig ist, sondern seine Thätigkeit ist, auch wo keine Empfindung[182] vorhanden, keine willkürliche Bewegung. Wobei nun diese Thätigkeit vorhanden ist und was irgend irgendwie Antheil an ihr hat, das ist sogleich vernünftig d.h. gestaltet, da die Lebensthätigkeit zu gestalten vermag und ihre Bewegung ein Gestalten ist. Ihre Thätigkeit also ist eine künstlerische, wie etwa der Tanzende sich bewegt; denn der Tänzer gleicht selbst dem in dieser Weise künstlerischen Leben, und die Kunst bewegt ihn und bewegt ihn so, dass sein Leben selbst gewissermaassen von solcher Beschaffenheit ist. Dies also sei gesagt um zu zeigen, wie man sich jedes wie immer beschaffene Leben vorzustellen habe. Indem nun diese Vernunft aus dem einen Geist und dem einen Leben und zwar beiden in ihrer Fülle kommt, ist sie weder ein Leben noch ein bestimmter Geist noch überall voll, noch theilt sie sich demjenigen, dem sie sich mittheilt, ganz und vollständig mit. Indem sie nun die Theile einander gegenüberstellt und sie mangelhaft schafft, bringt sie das Bestehen und Entstehen von Krieg und Kampf zu Wege und ist so in ihrer Gesammtheit eine, wenn sie auch nicht ein Eins ist. Denn obwohl sie sich selbst in ihren Theilen feindlich wird, ist sie doch in dem Sinne eins und einig wie die Idee eines Dramas, die doch viele Kämpfe in sich befasst, eine ist. Das Drama führt die streitenden Elemente wie zu einer übereinstimmenden Harmonie zusammen, indem es gleichsam den Gesammtverlauf der streitenden zur Darstellung bringt, dort dagegen kommt aus der einen Vernunft der Kampf der getrennten Elemente; daher könnte man sie mehr mit der Harmonie aus entgegenstehenden Tönen vergleichen und fragen, weshalb die [realen] Begriffe Gegensätze enthalten. Wenn nun auch hier die Tonverhältnisse Höhe und Tiefe hervorbringen und als harmonische Verhältnisse zur Harmonie selbst sich vereinigen, also zu einem andern grössern Verhältniss, während sie selbst geringere Verhältnisse und Theile sind, wenn wir ferner auch im All die Gegensätze sehen, z.B. weiss, schwarz, warm, kalt, ebenso geflügelt, ungeflügelt, ohne Füsse, mit Füssen, vernünftig, unvernünftig, alles als Theile des Gesammtorganismus, und wenn das All mit sich übereinstimmt, während die Theile vielfach streiten, das All aber vernunftgemäss ist: so muss auch diese eine Vernunft aus widerstreitenden Begriffen als eine bestehen, indem gerade diese Entgegensetzung ihr Bestand und gleichsam Wesenheit verschafft. Denn wenn die Vernunft nicht die Vielheit in sich schlösse, so würde sie keine Totalität und überhaupt nicht Vernunft sein. Als Vernunft aber ist sie in sich verschieden[183] und die grösste Verschiedenheit ist die Entgegensetzung. Wenn sie daher überhaupt das Andere in sich hat und das Andere hervorbringt, so wird sie auch ein Anderes in hervorragendem Sinne und kein abgeschwächtes Ganze hervorbringen. Bringt sie also das Andere in hervorragendem Sinne hervor, so wird sie nothwendig auch die Gegensätze hervorbringen und sie wird vollkommen sein nicht dadurch allein, dass sie Unterschiede, sondern auch dadurch, dass sie Gegensätze in sich selbst hervorbringt.

17. Indem nun ihr Wesen ihrem Wirken durchaus entspricht, wird sie innerhalb des Geschaffenen noch viel grössere Gegensätze hervorbringen, je mehr sie selbst räumlich auseinandertritt; und noch weniger als ihr Begriff ist die sinnenfällige Welt eins, so dass ihr in höherem Grade die Vielheit und der Gegensatz innewohnt, sowie dem Einzelwesen in höherem Grade der Wille zum Leben und das Streben nach Vereinigung. Häufig aber vernichtet dies Streben und diese Liebe den geliebten Gegenstand um das eigene Interesse zu befriedigen, falls er nämlich der Vernichtung fähig ist, und das Streben des Theils zum Ganzen zieht was es vermag an denselben heran. Und so ist denn das Verhältniss zwischen Gutem und Bösem, wie wenn jemand auf Grund derselben Kunst einen Tanz aus entgegengesetzten Theilen aufführt. Von seinem Tanze werden wir den einen Theil als gut, den andern als schlecht bezeichnen, aber zugeben, dass er in dieser Verbindung schön ist. Doch dann giebt es keine Schlechten mehr, wird man einwenden. Indessen dadurch wird nicht aufgehoben, dass es Schlechte giebt, sondern nur, dass sie nicht schlecht an sich sind. Man könnte daraus vielleicht Verzeihung für die Bösen herleiten, wenn nicht auch das Gewähren und Verweigern der Verzeihung durch die Vernunft bedingt wäre; und in der That erlaubt es die Vernunft nicht, selbst gegen solche Menschen Verzeihung zu üben. Sondern wenn den einen Theil der Welt gute Menschen, den andern schlechte, die schlechten aber den grössern Theil derselben ausmachen, so ist es wie in den Dramen, wo der Dichter den einen Theil [den Text der Rollen] für die Schauspieler anordnet, den andern aber [das Talent zum Spielen] bereits vorfindet. Denn er macht nicht selbst den ersten, zweiten, dritten Schauspieler, sondern er giebt einem jeden die für ihn passenden Reden und hat ihm damit den Platz angewiesen, an den er sich zu verfügen hat. So giebt es auch für den Guten wie für den Schlechten, für jeden einen ihm gebührenden Platz. Beide gehen also ihrer Natur[184] und ihrer Vernunft [ihrem Charakter] gemäss an den betreffenden, für sie passenden Ort, und jeder behauptet den, welchen er sich wählt. Dann redet und vollbringt der eine gottlose Reden und Thaten, der andere entgegengesetzte; es haben ja auch vor dem Drama die Schauspieler ihre Individualität, die sie in dasselbe hineintragen. In den menschlichen Dramen giebt nun der Dichter die Worte, die Schauspieler aber haben von sich und aus sich ein jeder die gute und schlechte Art des Spiels – denn ihre Aufgabe reicht weiter als bloss die Worte des Dichters aufzusagen; in dem wahrhafteren Gedicht dagegen, dessen einzelne Theile Menschen mit poetischer Anlage nachahmen, ist die Seele die Darstellerin, was sie aber darstellt empfing sie vom Dichter. Wie die Schauspieler hier ihre Masken, ihre Kleidung, ihre Prachtgewänder und ihre Lumpen empfangen, so empfängt auch die Seele ihre Schicksale, keineswegs willkürlich, sondern auch diese entsprechen ihrem Charakter. Und indem sie dieselben sich anpasst, consonirt sie und ordnet sie sich in das Drama und in die gesammte Vernunft. Dann recitirt sie ihre Thaten und was eine Seele ihrem Charakter gemäss sonst zu thun vermag, wie eine Art Gesang. Und wie nun die Stimme und die an sich schöne oder hässliche Gestalt des Schauspielers entweder, wie zu erwarten steht, die Schönheit der Dichtung erhöht oder, wenn er mit der ihm eigenen Schlechtigkeit der Stimme an das Drama herantritt, dasselbe zwar nicht anders macht als es ist, wohl aber sich selbst als Stümper erweist, der Dichter des Dramas aber in Erfüllung der Pflicht eines guten Richters ihn mit verdienter Rüge entlässt, während er den guten Schauspieler zu grösseren Ehren führt und ihn womöglich zu schöneren Dramen verwendet, den andern dagegen zu schlechteren, wenn er solche hat: auf diese Weise kommt auch die Seele in die Gesammtdichtung der Schöpfung hinein, übernimmt eine Rolle im Drama, bringt zur Darstellung die ihr innewohnende gute oder schlechte Anlage mit, wird bei ihrem Auftreten unter die Schauspieler eingereiht, bekommt alles andere ohne Rücksicht auf ihre Person und ihre Leistungen und trägt dann Ehre oder Strafe davon. Es haben aber diese Schauspieler insofern etwas voraus als sie auf einem grössern Schauplatz als dem einer Bühne ihre Rolle darstellen und der Schöpfer ihnen dies All zur Verfügung stellt, als sie ferner grössere Freiheit haben über viele Arten von Oertern zu gehen, sie die da Ehre und Schande festsetzen dadurch dass sie sich selbst mit an der Ehre und Schande betheiligen, indem jeder Ort zu[185] ihrem Charakter passt. Daher treten sie mit der Vernunft des Alls in Einklang, indem sich jeder einzelne, wie es Recht ist, den Theilen anpasst, die ihn aufnehmen sollen, gleichwie die einzelne Saite an dem ihr gebührenden und zukommenden Platz nach Maassgabe der Klangverhältnisse aufgezogen wird, je nachdem sie dazu Vermögen hat. Denn auch im Weltall ist die gebührende Schönheit vorhanden, wenn jeder an seinen Platz gestellt ist, wenn er also einen widrigen Ton im Dunkel und im Tartarus von sich giebt, denn hier ist gerade ein solcher Ton schön. Und so ist das Ganze schön, nicht wenn jeder ein Stein ist, sondern wenn er seinen ihm eigenen Ton mitbringt und beiträgt zu der einen Harmonie, indem er gleichfalls sein Leben ertönen lässt, wiewohl ein geringeres, schlechteres und unvollkommeneres. Ist ja doch auf der Syrinx nicht bloss ein Ton vorhanden, sondern auch ein geringerer und schwacher trägt zur Harmonie der ganzen Syrinx bei, weil die Harmonie in ungleiche Theile getheilt ist und weil alle Töne ungleich sind, doch aber in ihrer Gesammtheit den einen vollkommenen Ton geben. Dem entsprechend ist auch die ganze Vernunft eine, sie ist aber nicht in gleiche Theile getheilt. Daher giebt es auch verschiedene Oerter im Weltall, bessere und schlechtere, und ungleiche Seelen fügen sich ein in die ungleichen Oerter, und so kommt es, dass auch hier die Oerter ungleich und die Seelen nicht dieselben sind, sondern dass sie ungleich sind mit ungleichen Charakteren, entsprechend den Ungleichheiten an der Syrinx oder einem andern Instrumente und an gegenseitig verschiedenen Oertern wohnen, an jedem Orte aber ihren eigenthümlichen Ton im Einklang mit den Oertern und dem Ganzen ertönen lassen. Was für sie schlecht ist, wird für das Ganze zum Schönen gehören, was ihnen widernatürlich, für das Ganze naturgemäss sein, nichts desto weniger aber ihr Ton ein geringerer Ton bleiben. Indessen mit ihrem so beschaffenen Ton macht sie das Ganze nicht schlechter, ebensowenig als ein schlechter Scharfrichter eine gut verwaltete Stadt schlechter macht, um uns eins andern Bildes zu bedienen. Denn auch dessen bedarf es in der Stadt, und so ist auch dieser wohl an seinem Platze.

18. Schlechter und besser sind die Seelen theils aus andern Ursachen, theils weil sie gleichsam von Anfang an nicht gut sind; denn der Vernunft entsprechend sind auch sie durch die Vernunft ungleiche Theile, nachdem sie einmal sich gesondert haben. Man muss aber auch die zweite und dritte Stufe [der Seelen] in Erwägung ziehen und bedenken, dass[186] eine Seele nicht immer mit denselben Theilen thätig ist. Auch hier können wir uns wieder eines Gleichnisses bedienen – der Gegenstand unserer Untersuchung verlangt viel zu seiner Verdeutlichung – etwa in folgen der Weise. Vielleicht darf man garnicht solche Schauspieler einführen, welche etwas anderes sagen werden als die Worte des Dichters, welche selbst das Fehlende ergänzen, als ob das Drama an sich unvollständig wäre und als ob der Dichter mittendurch leere Stellen gelassen hätte, gleichsam in der Voraussetzung, die Schauspieler würden nicht Schauspieler sein sondern ein Theil des Dichters, und als ob er ihre Worte im voraus wüsste, um so im Stande zu sein das Uebrige in ununterbrochenem Zusammenhange damit zu verbinden. Denn der Zusammenhang im Weltall und die Folgen der bösen Thaten sind Begriffe und der Vernunft entsprechend. Aus einem Ehebruch z.B. und der gewaltsamen Entführung einer Kriegsgefangenen gehen naturgemäss Kinder hervor und vielleicht bessere Männer, und andere bessere Städte treten an die Stelle der von schlechten Menschen zerstörten. Wenn nun die Einführung von Seelen, von solchen nämlich, die [aus eigenem Antriebe] theils das Schlechte theils das Gute thun werden, ungereimt ist – denn wir werden die Vernunft auch des Guten berauben, wenn wir ihr das Schlechte nehmen – was hindert uns auch die Handlungen der Schauspieler zu Theilen zu machen, wie dort des Dramas so hier der im Weltall herrschenden Vernunft, und hier auch dem Guten wie dessen Gegentheil seinen Platz anzuweisen, so dass es dergestalt von der Vernunft selbst auf jeden Schauspieler übergeht, um so mehr je vollendeter dieses Drama ist und alles von der Vernunft ausgeht. – Allein welchen Zweck hat es, das Böse zu thun? Auch die göttlicheren Seelen sind nichts mehr im Weltall, sondern alle sind Theile der Vernunft; und entweder sind alle Begriffe Seelen, oder weshalb sollen die einen Seelen, die andern bloss Begriffe sein, wenn das Ganze gewissermaassen Seele ist?

Quelle:
Plotin: Die Enneaden. Band 1, Berlin 1878, S. 165-187.
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