Drittes Buch.
Von der Vorsehung (II)

[187] 1. Was hat man nun hiervon zu halten? Nun, die Gesammtvernunft umfasst das Schlechte wie das Gute, beides sind[187] Theile derselben. Die Gesammtvernunft bringt dasselbe nicht hervor, aber sie ist in ihrer Gesammtheit mit ihm. Denn die Begriffe sind Thätigkeit einer Gesammtseele, die Theile aber Thätigkeit ihrer Theile. Wenn nun eine Gesammtseele verschiedene Theile hat, so haben es analog auch die Begriffe, folglich auch deren Werke als äusserste Erzeugnisse. Es stehen aber die Seelen mit einander und mit ihren Werken in Einklang und zwar so, dass selbst aus ihren Gegensätzen ein Eins hervorgeht. Denn von einem Einen geht alles aus wie es zu einem Einen zusammenkommt durch Naturnothwendigkeit, so dass auch wenn Verschiedenes hervorwächst und Entgegengesetztes wird, es dennoch, da es von Einem herstammt, zu einer Ordnung zusammengefasst wird. Denn wie die einzelnen Thiere z.B. die Pferde eine Gattung bilden, auch wenn sie sich bekämpfen und einander beissen, es einander zuvorthun und gegenseitig in Zorn gerathen, wie in gleicher Weise die andern Gattungen eine Einheit bilden: so muss man dasselbe auch im Betreff der Menschen annehmen. Dann muss man wieder alle diese Arten zu einer Gattung lebender Wesen zusammenfassen, ebenso die Nicht-Thiere zu Arten, die Arten zur Gattungseinheit Nicht-Thier. Will man weiter gehen, so befasst man beides unter das Sein, dann unter das was das Sein verleiht. Von hier aus kann man auf analytischem Wege wieder abwärts steigen und sehen, wie das Eine sich zerstreut, indem es sich über alles erstreckt und alles in eine Ordnung zusammenfasst, so dass also das Eine ein in sich vielfach gegliederter Organismus ist, in welchem jeder Theil verrichtet was seiner Natur gemäss ist, dabei indessen gleichwohl im Zusammenhang mit dem Ganzen steht: so brennt das Feuer, verrichtet das Pferd was ihm zukommt; die Menschen thun je nach ihrer Anlage das ihrige und zwar verschiedene verschiedenes. Und aus ihren Anlagen und ihren Thaten ergiebt sich ein glückliches oder unglückliches Leben.

2. Die Zufälle entscheiden nicht über das Glück des Lebens, auch sie vielmehr stehen im Einklang mit höhern Principien und sind bei ihrem Eintreten Glieder in der allgemeinen Verkettung der Dinge. Diese Verkettung aller Dinge aber geht aus von dem leitenden Princip, die nach beiden Seiten sich neigenden Dinge wirken ihrer Natur gemäss dazu mit, wie bei Feldzügen der Feldherr an der Spitze steht, die Soldaten in Uebereinstimmung mit ihm handeln. Es wurde aber das Weltall durch eine gleichsam strategische Vorsehung geordnet, welche die Thaten und Leiden und alle Erfordernisse in Betracht zog:[188] Speise und Trank, alle Waffen und Kriegswerkzeuge und was sonst von den gegenseitigen Beziehungen dieser Dinge im voraus erwogen wird, damit für die Möglichkeit gut angelegter Resultate gesorgt sei, und es ist alles in einer sinnreichen Weise vom Feldherrn ausgegangen, obgleich das, was die Gegner thun wollten, sich ausserhalb seines Bereiches befand und es nicht in seiner Macht stand über jenes Lager zu befehligen. Wenn es aber der grosse Führer ist, unter dem alles steht, was könnte da ungeordnet sein, was sich dem wohlgefügten Zusammenhang entziehen?

3. Denn wenn es auch in meiner Macht steht mich für dieses oder jenes zu entscheiden, so ist es doch der Wahl nach mit in der allgemeinen Ordnung befasst; denn dein Wesen ist kein Zwischenfall für das Ganze, sondern du bist mit deiner besondern Beschaffenheit mitgezählt. Aber woher diese besondere Beschaffenheit? Zwei Punkte sind es, wonach bei dieser Untersuchung gefragt wird: erstens, ob man auf den Schöpfer, wenn es einen solchen giebt, die Ursache der besondern ethischen Beschaffenheit des einzelnen zurückführen muss oder auf das Geschöpf selbst, oder ob man überhaupt keine Ursache davon zu suchen hat, wie man ja auch beim Entstehen der Pflanzen nicht nach der Ursache fragt, weshalb sie keine Empfindung haben, oder bei den andern lebenden Wesen, warum sie keine Menschen sind. Das wäre ebenso wie die Frage, weshalb die Menschen nicht dasselbe sind wie die Götter. Denn wenn man vernünftigerweise hier weder die Geschöpfe noch den Schöpfer beschuldigt, wie sollte man bei den Menschen dazu kommen sich zu beklagen, dass sie nichts besseres sind als dieses? Will man es deshalb thun, weil dies schöner sein könnte, wenn von dem Betreffenden selbst aus eine Verbesserung hinzugefügt werden konnte, so ist der Mensch selbst daran schuld, der es nicht gethan hat. Meint man diese Verbesserung durch eigene Thätigkeit nicht, sondern dass von ausserhalb etwas hätte hinzukommen sollen von Seiten des Schöpfers, so ist es unverständig mehr zu verlangen als gegeben ist, gerade so unverständig wie man das auch bei den andern Thieren und den Pflanzen thun wollte. Denn man darf nicht fragen, ob etwas geringer ist als ein anderes, sondern ob es so wie es ist sich selber genügt; denn es durfte nicht alles gleich sein. Ist aber diese Ungleichheit etwa aus einem Abmessen der Vernunft hervorgegangen in der Absicht, dass nicht alles gleich sein sollte? Keineswegs, sondern so musste es naturgemäss werden. Denn diese Vernunft folgt[189] einer andern Seele und diese Seele folgt dem Geiste, der Geist ist aber nicht eins von diesen sondern alles. Alles aber ist Vielheit. In einer Vielheit aber, die nicht Identität ist, musste es ein Erstes, Zweites u.s.f. und zwar dem Werth nach geben. Demgemäss sind die entstandenen lebenden Wesen nicht bloss Seelen sondern Verringerungen von Seelen, indem sie gleichsam schon abgeschwächt hervorgehen. Denn der Begriff des lebenden Wesens, obwohl ein beseelter, ist eine andere Seele, nicht jene, von welcher der Begriff ausgeht, und dieser Gesammtbegriff selbst wird geringer, da er der Materie zustrebt, und sein Erzeugniss ist mangelhafter. Sieh nur, wie weit das Gewordene sich entfernt hat, und dennoch ist es ein Wunder. Wenn aber das Gewordene so beschaffen ist, so ist deshalb nicht auch das über ihm Liegende so beschaffen. Denn es ist besser als alles Gewordene, es ist frei von Schuld, und man muss vielmehr bewundern, dass es etwas von sich abgegeben hat und dass seine Spuren derartige sind. Wenn es aber noch mehr gegeben hat als die Dinge aufzunehmen vermögen, so muss man das noch mehr anerkennen. Deshalb wird wohl die Schuld auf das Gewordene zurückfallen, die Vorsehung aber darüber erhaben sein.

4. Denn wenn der Mensch einfach wäre – einfach in dem Sinne, dass er allein das wäre als was er geschaffen ist, und danach in seinem Thun und Leiden bedingt wäre – so würde bei ihm so wenig Grund zum Tadeln vorhanden sein wie bei den andern lebenden Wesen. Nun aber ist nur der schlechte Mensch ein Gegenstand des Tadels und das wohl mit Recht. Denn er ist nicht bloss das als was er geschaffen ist, sondern er hat ein anderes freies Princip, das aber nicht ausserhalb der Vorsehung und der Gesammtvernunft steht. Denn jenes hängt nicht von diesem ab, sondern es strahlt das Bessere über das Schlechtere sein Licht aus, und darin besteht die vollendete Vorsehung. Und die Vernunft ist einerseits schaffende Vernunft, andererseits verbindet sie das Bessere mit dem Gewordenen; und jenes ist die obere Vorsehung, die andere geht von der oberen aus, die zweite mit jener verbundene Vernunft, und es entsteht aus beiden jegliche Verflechtung und die Gesammtvorsehung. Die Menschen also haben ein anderes Princip, nicht alle aber bedienen sich alles dessen was sie haben, sondern die einen des einen, die andern des andern oder vielmehr der andern, nämlich der schlechten Principien. Es sind auch jene vorhanden, zwar ohne auf sie thätig einzuwirken, doch aber auch ihrerseits nicht unthätig; denn jedes[190] thut was ihm zukommt. Aber weshalb, wird man sagen, wirken sie auf diese nicht thätig ein, wenn sie zugegen sind? Oder sind sie nicht zugegen? Sie sind allerdings zugegen, behaupten wir, und nichts ist ohne sie; doch vielleicht für diejenigen nicht, in denen sie nicht auf sie einwirken, Weshalb aber wirken sie nicht auf alle ein, wenn auch sie Theile von ihnen sind? Ich meine nämlich das in Rede stehende Princip. Bei den andern lebenden Wesen nämlich ist es garnicht das Princip derselben, und von den Menschen auch nicht bei allen. So ist also wohl nicht bei allen nicht dieses Princip allein wirksam? Aber warum nicht dieses allein? Bei denjenigen, bei denen es allein vorhanden, ist auch das Leben ein ihm entsprechendes, das andere soweit es nothwendig ist. Mag nun unser Bestand ein derartiger sein, dass er gleichsam in das Trübe mündet, oder mögen die Begierden herrschen, dennoch muss man sagen, dass in dem Substrat die Ursache liege. Zuerst wird es scheinen, als liege sie nicht sowohl im Begriff als vielmehr in der Materie, als sei die Materie, nicht der Begriff das Herrschende, dann das Substrat wie es gebildet ist. Es ist aber vielmehr das Substrat für das Princip die Vernunft und das was aus der Vernunft und der Vernunft gemäss ist; folglich wird nicht die Materie das Herrschende sein, dann die Bildung. Und das so und so bestimmte Sein kann man auf das frühere Leben zurückführen, indem als Folge des Früheren die Vernunft gleichsam dunkel wird im Vergleich zu der früheren: wenn die Seele schwächer geworden ist, wird sie späterhin auch schwächeres ausstrahlen. Auch muss gesagt werden, dass die Vernunft in sich selbst wieder den Begriff der Materie hat, welche sie für sich hervorbringen wird, indem sie die Materie nach sich gestaltet oder in Uebereinstimmung mit sich selbst vorfindet. Der Begriff des Ochsen findet sich eben nur an der Materie des Ochsen. Daher auch Plato sagt, die Seele werde in die andern Thiere hineingebracht, nachdem die Seele gleichsam eine andere geworden und der Begriff sich verändert hat, um Seele eines Ochsen zu werden, während sie zuvor Mensch war. Hier tritt also mit Recht der schlechtere ein. Aber weshalb ist er von Anfang an der schlechtere geworden, wie kam es, dass er fehlging? Es ist schon oft gesagt worden, dass nicht alles Erstes ist, sondern dass das Zweite und Dritte eine geringere Natur hat als das vor ihm, und dass eine kleine Neigung genügt um das Rechte zu überschreiten. Auch ist die Verbindung des einen mit dem andern wie eine Art Vermischung, indem ein anderes Drittes aus beiden wird, doch[191] wird es nicht an seinem Bestand gekürzt, sondern das Geringere wurde von Anfang an geringer und was wurde ist seiner Natur nach geringer, und wenn es die Folgen dieses Umstandes erduldet, so erduldet es was ihm gebührt. Auch muss man bei der Betrachtung auf das frühere Leben zurückgehen, denn von dort hängt das weitere ab.

5. Es findet also die Vorsehung statt, indem sie von Anfang bis zu Ende von oben herabsteigt, nicht in numerischer Gleichheit sondern nach bestimmten Verhältnissen, an verschiedenen Orten verschieden, wie bei einem Thiere, dessen Theile vom ersten bis zum letzten in durchgehendem Zusammenhange mit einander stehen, jeder Theil seine eigenthümliche Verrichtung hat, der bessere die bessere Wirksamkeit, ein anderer schon eine geringere, indem er gleichfalls thätig das erduldet, was ihm zu erdulden eigenthümlich ist, theils an sich theils in Verbindung mit den übrigen. Und wenn nun dem entsprechend eine Einwirkung auf sie stattfindet, so gehen diejenigen, die eines Tones fähig sind, einen solchen von sich, die andern erdulden sie schweigend und bewegen sich ihr gemäss, und aus allen Tönen und Leiden und Handlungen kommt gleichsam eine, ein Leben und Dasein des Thiers zu Stande. Denn die Theile sind verschieden und haben ihre verschiedene Verrichtung: etwas anderes thun die Füsse, etwas anderes die Augen, etwas anders das Denken, etwas anderes endlich der Geist. Eins aber und eine Vorsehung geht aus allem hervor; das Schicksal geht vom Geringeren aus, das Obere ist ausschliesslich Vorsehung. Denn in der intelligiblen Welt ist alles Vernunft und über die Vernunft, Geist nämlich und reine Seele. Demnächst ist das, was von dort ausgeht. Vorsehung soweit es in der reinen Seele sich befindet und von hier aus in die lebenden Wesen übergeht. Die Vernunft geht aber in sie über in ungleiche Theile getheilt, daher sie auch ungleiches hervorbringt, wie in jedem einzelnen lebenden Wesen. Daran schliessen sich dann entsprechende Thaten im Einklang mit der Vorsehung, wenn jemand den Göttern angenehmes thut; denn die Vernunft der Vorsehung war der Gottheit befreundet. Auch solche Thaten werden mit eingereiht, sie sind aber nicht durch die Vorsehung bewirkt, sondern indem das, was geschieht, entweder von den Menschen oder irgend einem Thiere oder einem unbeseelten Gegenstande ausgeht, so wird es, falls sich im weitem etwas gutes daraus ergiebt, wieder von der Vorsehung mit aufgenommen, so dass überall die Tugend die Oberhand gewinnt durch Aenderung[192] und Verbesserung des Verfehlten. Es geht hier ähnlich zu wie bei einem Körper, welchem Gesundheit gemäss der Vorsehung des Organismus verliehen ist: wenn da ein Schnitt oder überhaupt eine Verwundung stattgefunden hat, so verbindet und vereinigt der im Organismus waltende Begriff den kranken Theil wieder mit dem Ganzen und heilt ihn und heilt ihn wieder her. Die Uebel sind also Folgen, aber aus Nothwendigkeit. Denn sie gehen von uns aus nach Ursachen, zu denen wir nicht von der Vorsehung genöthigt sind, sondern aus Ursachen, die wir selbst mit den Werken der Vorsehung und den von der Vorsehung ausgehenden Werken verknüpfen, deren Folgen wir aber nicht nach der Absicht jener zusammenreihen können sondern nach der Absicht der handelnden Personen oder irgend eines andern Wesens im All, das auch nicht der Vorsehung gemäss gehandelt oder in uns irgend eine Affection hervorgebracht hat. Denn derselbe Gegenstand bringt nicht auf jeden andern, an den er herantritt, dieselbe Wirkung hervor sondern verschiedene Wirkungen auf verschiedene Gegenstände. So brachte auch die Schönheit der Helena eine andere Wirkung auf Paris, eine andere auf Idomeneus hervor. Ebenso ist die Wirkung verschieden, wenn ein Zügelloser mit einem Zügellosen, ein Schöner mit einem Schönen, desgleichen wenn ein Schöner, der sich zu beherrschen weiss, mit einem eben solchen oder mit einem Zügellosen zusammenkommt. Das nämlich was von einem Zügellosen gethan wird, ist weder von der Vorsehung noch der Vorsehung gemäss gethan; die That des Vernünftigen, der sich zu beherrschen weiss, ist zwar nicht von der Vorsehung, weil von ihm gethan, aber der Vorsehung gemäss. Denn sie steht in Uebereinstimmung mit der Vernunft, wie etwa jemand, der etwas nach den Regeln der Gesundheitslehre thut, es zwar selbst aber doch in Uebereinstimmung mit der Vernunft des Arztes thut. Denn diese Lehre über Heilbringendes und Schädliches hat ihm ja auch der Arzt auf Grund seiner Kunst ertheilt. Thut aber jemand etwas Gesundheitswidriges, so thut er dies selbst, aber gegen die Vorsehung des Arztes.

6. Woher kommt es nun, dass die Seher auch das Schlechtere voraussagen, dass sie bei ihrer Betrachtung des Welt-Umschwungs zu ihren übrigen Weissagungen auch dies voraussagen? Offenbar weil alle Gegensätze mit einander verflochten sind z.B. die Gestalt und die Materie, weil also was z.B. bei einem zusammengesetzten Thier die Form und den Begriff betrachtet, auch das Geformte betrachtet. Denn er betrachtet[193] nicht in gleicher Weise das intelligible und das zusammengesetzte Thier, sondern den Begriff des Thiers, der im Zusammengesetzten das Schlechtere gestaltet. Da nun das All ein lebendiger Organismus ist, so betrachtet derjenige, der das in ihm Werdende betrachtet, zugleich auch das, woraus es ist, und die in ihm waltende Vorsehung. Sie erstreckt sich aber auch auf alle Ereignisse d.h. auf alle lebenden Wesen, auf ihre Thaten und Zustände, ein Gemisch aus Vernunft und Nothwendigkeit. Nun betrachtet der Seher das Gemischte und fortwährend sich Mischende und vermag nicht selbst zu unterscheiden die Vorsehung und davon gesondert das der Vorsehung Gemässe, noch andererseits das Substrat, wie viel es von sich aus zu dem giebt was entsteht. Aber es ist auch nicht Sache eines wenngleich weisen und göttlichen Mannes dies zu thut, einem Gott vielmehr, möchte man sagen, kommt dieses Ehrenamt zu. Es ist auch nicht Sache des Sehers das Warum zu sagen, sondern nur das Was, und seine Kunst ist ein Lesen natürlicher Buchstaben, die eine Ordnung offenbaren und nie zum Ungeordneten sich neigen, indem vielmehr der Umschwung bezeugt und aus Licht bringt, wie beschaffen das Einzelne sein und was ihm widerfahren wird, noch bevor es an ihnen selbst ersichtlich ist. Denn dieses stellt zu jenem und umgekehrt jenes zu diesem in Beziehung, indem beides zugleich zum Bestand und zur Ewigkeit der Welt beiträgt, dem Betrachter aber durch Analogie das Uebrige andeutet. Denn auch die andern Zweige der Wahrsagekunst beruhen auf Analogie. Denn es brauchten zwar nicht alle Dinge von einander abhängig zu sein, wohl aber mussten sie eine gewisse Aehnlichkeit unter einander haben. Und das bedeutet wohl jener Ausspruch, dass die Analogie das All zusammenhält. Die Analogie besteht aber ungefähr darin, dass sich das Schlechtere zum Schlechteren verhält wie das Bessere zum Besseren, etwa wie Auge zu Auge so Fuss zu Fuss und, wenn man will, wie Tugend zur Gerechtigkeit so Schlechtigkeit zur Ungerechtigkeit. Ist aber Analogie vorhanden im All, so ist auch das Vorhersagen möglich. Und wenn jenes auf dieses einen Einfluss ausübt, so übt es einen solchen aus wie in jedem Organismus die einzelnen Theile auf einander, nicht so, dass der eine den indem erzeugt, denn sie werden zusammen erzeugt, sondern je nach seiner Beschaffenheit erleidet ein jeder das seiner Natur Zuträgliche und weil dieses so beschaffen ist, so ist auch das so Beschaffene dieses, und demnach erweist sich die Vernunft als eine.[194]

7. Und weil das Bessere ist, so ist auch das Schlechtere. Denn wie soll es in einem vielgestaltigen Dinge etwas Schlechteres geben, wenn es nichts Besseres giebt, oder wie das Bessere, wenn es nichts Schlechteres giebt? Man darf also nicht das Bessere im Schlechteren tadeln, sondern muss es dem Besseren Dank wissen, dass es von sich dem Schlechteren etwas mitgetheilt hat. Ueberhaupt lieben diejenigen, welche das Schlechtere im All aufheben wollen, die Vorsehung selber auf. Denn worauf soll sie sich erstrecken? Doch nicht auf sich selbst und das Bessere? Geschieht es doch auch mit Bezug auf das Untere, wenn wir von einer obern Vorsehung sprechen. Denn ›alles in Eins‹ das ist das Princip, worin alles zugleich und alles das Ganze ist. Aus ihm geht nun das Einzelne hervor, weil es selbst in sich bleibt, wie aus einer Wurzel, die ruhig in sich selbst bleibt. Die hervorgehenden Dinge aber haben sich wie Blüthen zu einer getheilten Menge entfaltet, von denen jedes einzelne ein Bild von jenem an sich trägt, und das eine wurde hier bereits in dem, das andere in jenem, das eine blieb der Wurzel nahe, das andere dehnte sieh in die Ferne aus und spaltete sich bis zu Zweigen, Wipfeln, Früchten, Blättern; das eine blieb ewig, das andere wurde ewig, dir Fruchte und die Blätter und das ewig Werdende hatte die Begriffe des Höhern in sich, als ob es kleine Bäume sein wollten, und wenn sie erzeugten bevor sie zu Grunde gingen, erzeugten sie nur das Nahe. Die leeren Zwischenräume aber füllen sich gleichsam mit den Zweigen an, die auch wieder aus der Wurzel jedoch in anderer Weise gewachsen sind; von ihnen gehen gleichfalls auf die Spitzen der Zweige Einwirkungen aus, so dass man glauben sollte, die Einwirkung ginge allein von der Nähe aus. Aber diese Einwirkung war selbst wieder von Anfang an theils durch eine andere Einwirkung bedingt, theils übte sie eine solche aus, und der Anfang war selbst wieder abhängig. Denn die auf einander stattfindenden Einwirkungen sind verschieden, da sie von entfernten Punkten ausgehen; im Grunde freilich gehen sie von ein und demselben aus, wie wenn Brüder auf einander einwirken, die ähnlich sind, weil sie von denselben Erzeugern abstammen.[195]

Quelle:
Plotin: Die Enneaden. Band 1, Berlin 1878, S. 187-196.
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