Fünftes Buch.
Ueber den Eros

[201] 1. Es dürfte angemessen sein eine Betrachtung über den Eros anzustellen, ob er ein Gott oder ein Dämon oder eine[201] Leidenschaft [Affection] der Seele ist, oder in gewisser Hinsicht ein Gott oder Dämon, in anderer dagegen eine Leidenschaft, und von welcher Beschaffenheit er nach jeder Seite hin ist, unter Berücksichtigung der darüber herrschenden gewöhnlichen Ansichten sowie, dessen was von Seiten der Philosophen darüber gesagt ist, vor allem aber was der göttliche Platon annimmt, der ja an vielen Stellen seiner Schriften mancherlei über den Eros geschrieben hat. Er gerade bezeichnet ihn nicht bloss als eine in den Seelen vorkommende Leidenschaft, sondern nennt ihn auch einen Dämon und ergeht sich im einzelnen über seine Geburt, wie und von welchen Eltern er erzeugt sei. Was nun die Leidenschaft angeht, als deren Grund wir die Liebe betrachten, so ist wohl allgemein bekannt, dass sie in Seelen stattfindet, welche ein Verlangen hegen sich einem schönen Gegenstande zu nähern, und dass dieses Verlangen theils von maassvoll besonnenen Leuten ausgeht, die mit der Schönheit selbst vertraut sind, theils in Vollführung von etwas Hässlichem auslaufen will. Eben der Ursprung dieser doppelten Liebe ist der Gegenstand einer erneuten philosophischen Betrachtung. Es dürfte nun meiner Meinung nach durchaus richtig sein, ihren Ursprung in ein vorgängiges Begehren der Seele nach der Schönheit an sich, in ein Erkennen desselben, eine Verwandtschaft mit ihm und ein unbewusstes Gefühl dieser Zugehörigkeit zu setzen. Denn das Hässliche ist ebensosehr der Natur wie der Gottheit entgegengesetzt. Die Natur schafft, indem sie auf das Schöne blickt, und sieht auf das Begrenzte, was in einer Reihe mit dem Guten liegt; das Unbegrenzte aber ist hässlich und gehört zur entgegengesetzten Reihe. Die Natur entstammt von dorther, aus dem Guten und selbstverständlich dem Schönen. Woran aber jemand sein Wohlgefallen hat und womit er verwandt ist, zu dessen Abbildern fühlt er sich auch hingezogen. Hebt man diesen Grund auf, so kann man nicht sagen, wie und aus welchen Gründen die Leidenschaft entstellt, selbst nicht einmal bei der blossen Liebe behufs fleischlicher Mischung. Denn auch diese [die sinnlich Liebenden] wollen im Schönen erzeugen. Es wäre ja verkehrt, wollte dir Natur, welche Schönes schaffen will, dies in einem hässlichen Gegenstande erzeugen. Für diejenigen nun, welche den Trieb haben etwas Irdisches zu erzeugen, genügt es das irdisch Schöne zu besitzen, welches in Bildern und körperlichen Gestaltungen vorliegt, da ja für sie das Urbild nicht vorhanden ist, welches sie veranlasst diese bestimmte Person zu lieben. Diejenigen, welche von dem Irdischen aus zur Erinnerung an[202] das Intelligible gelangen, lieben den irdischen Gegenstand als das Bild des Intelligiblen, denen dagegen, die aus Unkenntniss dieser Leidenschaft nicht zur Erinnerung gelangen, erscheint das sinnlich Schöne als wahrhaft Schönes. Für maassvoll besonnene Menschen ist die Zuneigung zum irdisch Schönen frei von Sünde, aber der Abfall zur fleischlichen Vermischung ist Sünde. Wer eine reine Liebe zum Schönen hat, für den ist die Schönheit allein Gegenstand der Bewunderung, mag er zur Erinnerung an die intelligible Schönheit gelangt sein oder nicht; bei wem aber noch ein anderes Verlangen, nämlich das nach Unsterblichkeit hinzukommt, soweit diese im Bereiche der Sterblichen liegt, der sucht in dem Unvergänglichen und Ewigen das Schöne und verfährt naturgemäss, indem er im Schönen zeugt, und zwar zeugt er für die Fortdauer, im Schönen aber wegen seiner Verwandtschaft mit dem Schönen. Denn auch das Ewige ist verwandt mit dem Schönen und die ewige Natur ist das ursprünglich Schöne und das was von ihr ausgeht desgleichen. Was nun nicht zeugen will hat grössere Genügsamkeit am Schönen, was aber nach dem Schaffen verlangt will etwas Schönes schaffen aus einem gewissen Mangel und lässt sich am Schönen allein nicht genügen und glaubt, dass wenn es überhaupt etwas derartiges schaffen will, es nur im Schönen geschehen könne. Die aber auf verbotene, naturwidrige Weise zeugen wollen, gehen von dem naturgemässen Wege zwar aus, gerathen aber ab von diesem Wege, gleiten aus und kommen zu Falle, da sie weder das Ziel kennen, zu welchem die Liebe sie führt, noch die Art des Verlangens nach Zeugung noch die Benutzung eines schönen Bildes noch das Wesen der Schönheit an sich. Diejenigen dagegen, welche schöne Körper ohne fleischliche Vermischung in beabsichtigen lieben, weil sie schön sind, sowie diejenigen, welche die fleischliche Liebe zu Frauen hegen, damit auch der Fortdauer ihr Recht werde, die handeln, wenn sie sich hierbei zu keiner Verirrung fortreissen lassen, beide vernünftig, indessen sind die ersteren besser. Aber auch von ihnen lassen sich die einen an der Verehrung der irdischen Schönheit genügen, während die andern, die zur Erinnerung gekommen sind, auch die intelligible Schönheit verehren, ohne dabei jedoch die irdische zu verachten als eine Art Wirkung und Widerspiel jener. Diese also huldigen dem Schönen ohne einen hässlichen Beisatz, jene aber gerathen gerade um des Schönen willen ins Hässliche, wie denn auch das Streben nach dem Guten häufig von einer Abweichung ins[203] Schlechte begleitet ist. Soviel von den Leidenschaften der Seele.

2. Aber hauptsächlich der Eros ist ein Gegenstand philosophischer Betrachtung, welcher für einen Gott gehalten wird nicht bloss von andern Leuten sondern auch von den Theologen und von Plato an vielen Stellen, der ihn einen Sohn der Aphrodite nennt und es als seine Aufgabe bezeichnet die Aufsicht über schöne Knaben zu führen, die Seelen auf die intelligible Schönheit zu richten oder den bereits vorhandenen Zug zu derselben zu verstärken. Auch muss hierbei dasjenige mit in Erwägung gezogen werden was im Gastmahl gesagt ist, wo es unter anderem heisst, er sei ich weiss nicht an welchem Geburtstag der Aphrodite aus der Penia und dem Porös geboren. Der Zusammenhang verlangt es wohl auch etwas über die Aphrodite zu sagen, mag nun Eros als von ihr oder mit ihr geboren bezeichnet werden. Zuerst also, wer ist Aphrodite? Dann, wie wurde aus ihr oder mit ihr der Eros geboren oder inwiefern kommen die Ausdrücke ›aus ihr und mit ihr‹ auf dasselbe hinaus? Wir sprechen nun von einer doppelten Aphrodite, einer himmlischen, der Tochter des Uranos, und einer andern, der Tochter des Zeus und der Dione, die sich als Vorsteherin mit den irdischen Ehen befasst; jene ist ohne Mutter und über die Ehen hinaus, da es ja auch im Himmel keine Ehen giebt. Die himmlische nun, die Tochter des Kronos d.h. der Intelligenz, muss die göttlichste Seele sein, welche unmittelbar aus der reinen Intelligenz rein hervorging und oben blieb, so dass sie in das Irdische eingehen weder will noch kann, weil ihre Natur es ihr unmöglich macht zu dem Untern herabzusteigen, als einer gesonderten Daseinsform und einer Wesenheit, die keinen Antheil an der Materie hat. Dies wird bildlich eben dadurch angedeutet dass es von ihr heisst, sie habe keine Mutter. Man kann sie mit Recht als einen Gott, nicht als einen Dämon bezeichnen, da sie unvermischt ist und rein und ruhig in sich bleibt. Denn was unmittelbar aus der Intelligenz hervorgeht, ist selbst rein, da es an sich durch die Nähe der Intelligenz stark ist, da ja auch ihr beharrliches Begehren auf das gerichtet ist wodurch sie erzeugt wurde, was ausreichend ist sie oben zu erhalten. Daher kann sie auch nicht herabfallen als an die Intelligenz gebundene Seele, in noch viel höherem Grade als die Sonne das von ihr ausgehende, sie umleuchtende Licht festhält, das von ihr ausgehend an sie gebunden ist. Indem sie nun dem Kronos oder wenn man will dem Vater des Kronos, dem Uranos, nachfolgt,[204] ist ihre Thätigkeit auf ihn gerichtet, sie ist ihm zugethan und erzeugt in ihrer Liebe den Eros und blickt vereint mit diesem auf ihn, ihre Thätigkeit brachte eine Daseinsform und eine Wesenheit hervor und beide blicken dorthin, sowohl die Mutter, als der schöne Eros, ihr Sohn, eine Daseinsform, die stets auf etwas anderes Schönes gerichtet ist und die ihr Sein gleichsam in dieser Vermittelung zwischen dem Sehnenden und Ersehnten hat, das Auge des Sehnenden, welches dem Liebenden durch sich das Sehen des Ersehnten verleiht, aber selbst voraufläuft und bevor es jenem die Kraft verleiht durch ein Werkzeug zu sehen, sich selbst mit dem Anblick erfüllt indem es früher, aber nicht auf gleiche Weise sieht, dadurch dass es jenem den Gegenstand des Sehens festhält, selbst aber den Anblick des Schönen geniesst, der an ihm vorübereilt.

3. Dass aber der Eros eine Daseinsform ist und Wesenheit aus Wesenheit, zwar geringer als diejenige, welche ihn erschaffen hat, aber doch seiend: das darf man nicht bezweifeln. Denn jene Seele war Wesenheit, hervorgegangen aus der Thätigkeit der vor ihr befindlichen, lebend und zur Wesenheit des Seienden gehörig und nach jenem blickend, was erste Wesenheit war, und zwar mit Ungestüm blickend. Dies war für sie der erste Gegenstand des Sehens, sie sah nach ihm wie nach einem Gut für sie, sie freute sich beim Sehen, und der Gegenstand des Sehens war von der Art, dass der Sehende dies Anschauen zu seiner eigentlichen Aufgabe machte, dass sie durch die Freude gleichsam und durch die auf dasselbe gerichtete Spannung und den Ungestüm ihres Schauens etwas ihrer selbst und des gesehenen Gegenstandes würdiges aus sich hervorbrachte. Aus dieser angespannten Thätigkeit um das Gesehene und dem was von dem Gesehenen gleichsam abfloss entstand ein gefülltes Auge, gleichsam ein Sehen mit einem Bilde, der Eros, der vielleicht auch daher recht eigentlich seinen Namen erhielt, weil er aus dem Sehen seine Daseinsform hat. Die Leidenschaft mag dann von ihm ihre Benennung als Liebe haben, wenn anders Wesenheit früher ist als Nicht-Wesenheit. Jedoch wird die Leidenschaft nur als Lieben bezeichnet, wenn sie sich selbst auf einen bestimmten Gegenstand richtet, aber schlechthin dürfte sie kaum Liebe genannt werden. Dies wäre also die Beschaffenheit des Eros der obern Seele, der gleichfalls nach oben sieht als ihr Gefährte, als aus und von ihr geboren, der sich am Anblick der Götter genügen lässt. Wenn wir nun jene Seele als gesondert bezeichneten, welche ursprünglich[205] den Himmel erleuchtet, so werden wir auch diesen Eros als gesondert annehmen, wiewohl wir vorzugsweise die Seele als eine himmlische bezeichneten; denn wir sagen ja auch von unserm besten Theil, er sei in uns, und betrachten ihn gleichwohl als gesondert: nur dass wir ihm dort seinen Platz anweisen, wo die reine Seele ist. Da es nun aber auch eine Seele dieses Weltalls geben musste, so trat mit dieser auch der andere Eros ins Dasein, das Auge auch dieser, gleichfalls aus ihrem Begehren entstanden. Weil nun diese Aphrodite zur Welt gehört und nicht bloss Seele noch Seele schlechthin ist, so erzeugte sie auch den Eros in dieser Welt als einen, der sich bereits mit Ehen befasst und der, in wieweit er selbst das Verlangen nach dem Obern hat, in soweit auch die Seelen der Jünglinge bewegt und die Seele, der er sich zugesellt hat, nach oben kehrt, soweit sie eben geeignet ist zur Erinnerung an das Dortige zu gelangen. Denn jede Seele strebt nach dem Guten, auch die gemischte und die zur Eigenseele gewordene; denn auch diese schliesst an jene sich an und ist aus jener hervorgegangen.

4. Hat denn nun auch jede Einzelseele einen solchen Eros in Wesenheit und Daseinsform? Oder weshalb sollte die ganze Seele, die Seele des Weltalls einen Eros in besonderer Daseinsform haben, dagegen die jedes einzelnen von uns nicht? sowie die Seele in allen übrigen lebenden Wesen? Dieser Eros nämlich ist der Dämon, der wie man sagt einen jeden begleitet, eben als individueller Eros des einzelnen. Er ist es denn auch, welcher die Begierden einpflanzt, indem jede Seele ein ihrer Natur gemässes Sehnen hat und sich einen nach Werth und Wesenheit ihrer Natur entsprechenden Dämon erzeugt. Es möge also die Gesammtseele den Gesammt-Eros haben, die Theilseele eine jede ihren eigenen Eros. Wie aber jede Einzelseele sich zur Gesammtseele verhalt, indem sie von ihr nicht losgetrennt sondern in ihr mit befasst ist, so dass alle Seelen eine bilden, so verhält sich auch wohl jeder einzelne Eros zum Gesammt-Eros. Andererseits ist der Theil-Eros mit der Theil-Seele zusammen wie jener grosse Eros mit der Gesammt-Seele, der Eros im Weltall mit dem Weltall, überall in ihm verbreitet, und er geht wieder aus seiner Einheit in die Vielheit einzelner Existenzen auseinander und erscheint im Weltall überall wo es ihm beliebt, indem er in seinen Theilen Gestaltung gewinnt und nach Belieben in die Erscheinung tritt. So muss man auch viele Aphroditen im Weltall annehmen, Dämonen die in ihm mit dem Eros entstanden[206] sind, Ausflüsse aus einer Gesammt-Aphrodite, welche in der Vielheit ihrer Theil-Existenz mit ihren besonderen Eroten von jener abhängen, wenn anders die Seele die Mutter der Liebe, Aphrodite die Seele, Liebe aber die Thätigkeit der Seele ist, die nach dem Guten strebt. Indem nun dieser Eros eine jede zur Natur des Guten führt, so dürfte der Eros der obern Seele ein Gott sein, der stets die Seele mit jenem verbindet, der der gemischten aber ein Dämon.

5. Aber welches ist die Natur dieses Dämons, der Dämonen überhaupt, von welcher auch im Gastmahl die Rede ist, sowohl die der andern Dämonen als die des Eros selbst, welcher von der Penia und dem Poros, einem Sohne der Metis, am Geburtstag der Aphrodite erzeugt ist? Die Ansicht, dass Plato unter dem Eros die irdische Welt versteht und nicht vielmehr den in ihr als einen Theil der Welt entstandenen Eros, diese Ansicht hat vieles gegen sich, da ja die Welt als seliger, sich selbst genügender Gott bezeichnet wird, wogegen der Philosoph von diesem Eros erklärt, dass er weder ein Gott noch sich selbst genügend sondern stets bedürftig ist. Ferner muss, wenn die Welt aus Seele und Leib besteht, die Weltseele aber bei Plato die Aphrodite ist, die Aphrodite der Haupttheil des Eros sein. Oder, wenn die Welt als Weltseele gefasst wird, etwa wie der Mensch als Menschenseele, so würde der Eros mit der Aphrodite zusammenfallen. Weshalb soll ferner dieser Eros als Dämon die Welt sein, die andern Dämonen aber, die doch offenbar dieselbe Wesenheit haben, nicht? Die Welt wäre dann eben dies als ein Complex von Dämonen. Und wie kann der Eros, der als Aufseher schöner Knaben bezeichnet wird, die Welt sein? Und wenn es von ihm heisst, dass er keine Decke, keine Schuhe, kein Haus hat, würde dies eine andere als frostige und abgeschmackte Deutung zulassen?

6. Aber welches ist denn die richtige Deutung des Eros und dessen was von seiner Geburt erzählt wird? Offenbar muss man feststellen, wer Penia und Poros ist und inwiefern diese sich zu seinen Eltern eignen. Offenbar müssen diese auch auf die andern Dämonen passen, da die Dämonen als solche eine Natur und Wesenheit haben müssen, wenn sie nicht etwa bloss den Namen mit einander theilen sollen. Untersuchen wir also, wie wir Götter von Dämonen zu unterscheiden haben, sobald wir nämlich von diesen beiden Gattungen als verschiedenen sprechen, denn oft genug bezeichnen wir auch die Dämonen als Götter. Das Geschlecht der Götter also bezeichnen und halten wir für affectionslos, den Dämonen aber[207] legen wir Affectionen bei, wir nennen sie ewig, stellen sie hinter die Götter, aber bereits nach uns zu, als Zwischenstufe zwischen den Göttern und unserm Geschlechte. Aber weswegen sind die Dämonen denn nicht affectionslos geblieben, weswegen sind sie mit ihrer Natur zu dem Schlechtem herabgestiegen? Auch das hat man fernerhin zu untersuchen, ob es in der intelligiblen Welt gar keinen Dämon giebt und ob umgekehrt bloss Dämonen in dieser Welt sich vorfinden, ein Gott aber auf das Intelligible beschränkt ist, oder ob es auch hier Götter giebt und ob die Welt, wie man zu sagen pflegt, ein dritter Gott ist und jeder einzelne ein Gott ist bis zum Monde hin. Es ist besser von keinem Dämon im Inlelligiblen zu sprechen, sondern, wenn es auch dort den Dämon an sich giebt, diesen als Gott zu bezeichnen und andererseits die sichtbaren Götter in der Sinnenwelt bis zum Monde hin als zweite Götter nach jenen und gemäss jenen intelligiblen Göttern, als abhängig von jenen wie der Glanz um jedes Gestirn. Als was wollen wir aber die Dämonen bezeichnen? Als die Spur der in die Welt herabgestiegenen Seele, die uns an jeder Einzelseele entgegentritt. Warum aber der in die Welt herabgestiegenen Seele? Weil die reine Seele einen Gott erzeugt und wir deren Eros als einen Gott bezeichnet haben. Erstens also, warum sind nicht alle Dämonen Eroten? Ferner, warum sind nicht auch diese rein von der Materie? Die Dämonen, welche Eroten sind, werden erzeugt, indem die Seele dem Guten und Schönen zustrebt, und alle Seelen in dieser Welt erzeugen diesen Dämon; die andern Dämonen gehen gleichfalls von der Weltseele aus, werden aber durch andere Kräfte derselben erzeugt nach Bedürfniss des Alls und vollenden und helfen das Einzelne für das All mit verwalten. Denn es musste die Welt-Seele dem Welt-Ganzen genügen, indem sie Kräfte von Dämonen erzeugte, welche dem Ganzen, dessen Seele sie ist, entsprechen. Aber wie und an welcher Materie haben sie Antheil? Sicherlich nicht an der körperlichen, denn dann würden sie empfindende Organismen sein. Denn wenn sie Luft- oder Feuerkörper annehmen, so muss doch zuerst ihre Natur eine verschiedene sein um überhaupt einen Körper haben zu können. Denn das Reine mischt sich nicht so ohne weiteres mit dem Körper, und doch sind viele der Ansicht, es sei die Wesenheit des Dämon, insofern er Dämon ist, mit einem Körper von Luft oder Feuer verbunden. Aber weshalb vermischt sich die eine Natur mit einem Körper, die andere nicht, wenn es für die sich vermischende keinen besonderen[208] Grund giebt? Was ist das nun für ein Grund? Man muss eine intelligible Materie annehmen, damit das was an ihr Theil hat durch sie auch in die körperliche Materie gelangt.

7. Deshalb sagt auch Plato bei der Geburt des Eros, Porös sei trunken gewesen von Nektar, da es noch keinen Wein gegeben habe, um eben anzudeuten, dass Eros vor dem Sinnenfälligen entstanden ist und dass Penia Antheil hat an der Natur des Intelligibeln aber nicht an einem Bilde des Intelligibeln, das von dort aus in die Erscheinung getreten, sondern dass sie dort geboren ist und sich dort vermischt hat: aus Form und Unbestimmtheit, welche die Seele hat bevor sie das Gute erlangt, dessen Existenz sie aber unter einem unbestimmten und unbegrenzten Gebilde ahnt, erzeugt sie die Hypostase des Eros. Da sich nun Vernunft zur Nicht-Vernunft, einem unbestimmten Streben und einer dunkeln Daseinsform, gesellte, so brachte sie nichts vollkommenes noch hinlängliches sondern mangelhaftes hervor, da es ja aus einem unbestimmten Streben und hinlänglicher Vernunft entstanden ist. Und es ist dies nicht reine Vernunft, da sie in sich unbestimmtes, unvernünftiges und unbegrenztes Streben hat. Sie wird sich auch nie füllen, so lange sie in sich die Natur des Unbestimmten hat. Sie ist abhängig von der Seele, da sie aus ihr als ihrem Principe geworden ist, ein Gemisch aus der Vernunft, die nicht in sich verblieb sondern sich mit der Unbestimmtheit vermischte, wobei aber nicht sie selbst sondern ein Abfluss aus ihr mit jener vermischt wurde. So ist denn der Eros gleichsam ein unbefriedigter Stachel seiner Natur nach; auch wenn er ans Ziel kommt, ist er darum doch wieder unbefriedigt. Denn er kann nicht befriedigt werden, weil die Mischung dies nicht zulässt; denn in Wahrheit wird allein das erfüllt, was seiner eigenen Natur nach schon erfüllt ist. Er aber strebt wegen des ihm anhaftenden Mangels, und wenn er sich auch für den Augenblick füllt, so fasst er es nicht. Wegen des Mangels vermag er sich nicht zu helfen, andererseits ist ihm durch die Natur der Vernunft die Möglichkeit einer Gewährung verliehen. Man hat aber gleiche Beschaffenheit und gleichen Ursprung für alle dämonischen Wesen anzunehmen. Ein jedes vermag das, worüber es gesetzt ist, sich zu verschaffen und strebt danach und ist in dieser Hinsicht dem Eros verwandt, doch hat ebendasselbe keineswegs sein volles Genügen, da es nach einem theilweis Guten als dem vollen Guten strebt. Deshalb ist auch anzunehmen, dass die guten Menschen in ihrem Eros die Liebe zum schlechthin und wesentlich[209] Guten haben, keine besondere [bloss auf theilweis Gutes gerichtete] Liebe; die hingegen, welche unter andern Dämonen stehen (denn verschiedene Menschen stehen unter verschiedenen Dämonen) denjenigen unthätig lassen, den sie eigentlich halten, und sich vielmehr in ihrer Thätigkeit nach einem andern Dämon richten, den sie sich gewählt haben in Uebereinstimmung mit dem in ihnen wirksamen Theile der Seele. Die aber nach dem Schlechten streben, haben durch ihre vorhandenen schlechten Begierden alle in ihnen befindlichen Dämonen gefesselt, ebenso wie auch ihre angeborene gesunde Vernunft durch die späteren verkehrten Vorstellungen. – Die natürlichen und naturgemässen Eroten also sind schön, und zwar sind die Eroten der geringeren Seele geringer an Würde und Kraft, die der besseren besser, alle zur Wesenheit der Seele gehörig. Die widernatürlichen dagegen sind Leidenschaften Verirrter, keineswegs mehr Wesenheiten noch wesenhafte Daseinsformen, da sie nicht mehr von der Seele erzeugt werden sondern zugleich mit der Schlechtigkeit der Seele ihr Dasein haben, welche dann ähnliches hervorbringt in besondere Zustände und Stimmungen bereits versetzt. Ueberhaupt mag wohl das wahrhaft Gute Wesenheit der Seele sein, indem sie ihrer Natur gemäss im Bestimmten und Begrenzten thätig ist, das andere aber thut sie nicht aus sich, es sind blosse Aeusserungen leidender Zustände. Ebenso haben die falschen Begriffe keine unter sie fallenden Wesenheiten, wie die wirklich wahren, ewigen und bestimmten Begriffe, die zugleich das Denken, das Intelligible und das Sein haben nicht bloss im Absoluten sondern auch in jedem Einzelnen im Bereich des wahrhaft Intelligiblen und der in der Einzelidee vorhandenen Intelligenz. Man muss sogar in einem jeden von uns reines Denken und Intelligibles annehmen, während wir doch dies nicht zugleich und schlechthin sind. Daher auch unsere Liebe auf das Einfache und Schlechthinnige gerichtet ist, desgleichen die Gedanken. Denn wenn diese auf etwas Theilweises gerichtet sind, so geschieht das zufällig, wie man ja auch an diesem bestimmten Dreieck zwei Rechte beobachtet insofern es das Dreieck schlechthin bedeutet.

8. Aber wer ist der Zeus, von dessen Garten Plato spricht, in welchen Poros hineinging, und wer ist dieser Garten? Aphrodite war für uns die Seele, Poros wurde als die Vernunft des Alls bezeichnet. Was sollen wir nun unter Zeus und seinem Garten verstehen? Die Seele darf man nicht unter Zeus verstehen, da wir darunter die Aphrodite verstanden[210] haben. Auch hier muss man die Deutung des Zeus vom Plato selbst entnehmen aus dem Phädrus, wo er diesen Gott als den grossen Führer bezeichnet, noch deutlicher im Philebus, wo er sagt, im Zeus wohne eine königliche Seele und ein königlicher Geist. Wenn nun Zeus ein grosser Geist und Seele ist und unter die Ursachen gerechnet wird, wenn man ihn zu dem Besseren und Herrschenden stellen muss sowohl aus andern Gründen als auch deshalb weil das Königliche und Leitende etwas Ursächliches ist, so wird Zeus der Intelligenz entsprechen, Aphrodite aber als seine Tochter, die aus ihm und mit ihm ist, den Rang der Seele erhalten, Aphrodite genannt nach dem Schönen, Glänzenden, Unschuldigen und Weichen der Seele. Auch wenn wir die männlichen Götter auf Seile der Intelligenz stellen, als ihre Seelen aber die weiblichen bezeichnen, weil jeder Intelligenz eine Seele beiwohnt, so wird auch hiernach Aphrodite die Seele des Zeus sein, eine Ansicht, welcher auch Priester und Theologen beipflichten, indem sie Here und Aphrodite als eins setzen und den Stern der Aphrodite am Himmel als Stern der Here bezeichnen.

9. Poros also d.h. die Vernunft der Dinge im Intelligiblen und Geiste gelangt, indem sie sich mehr und mehr ausgiesst und gleichsam auseinanderfaltet, zur Seele und befindet sich in ihr. Denn was im Geist zusammengeschlossen liegt, kommt nicht von anderswo her in denselben; diesem aber [dem Poros] in seiner Trunkenheit naht sich das der Erfüllung Bedürftige. Und was sich dort mit Nektar füllt, was soll es anders sein als die Vernunft, die von einem bessern Princip in ein schlechteres herabgesunken ist? In der Seele also ist diese dem Geist entstammte Vernunft, die zu der Zeit als Aphrodite, wie es heisst, geboren wurde in seinen Garten hineinströmte. Jeder Garten ist aber ein Schmuck und Prachtstück des Reichthums. Es werden durch die Vernunft des Zeus auch seine Prachtstücke geschmückt, eben die von dem Geiste selbst in die Seele kommenden Zierrathen. Oder was soll sonst der Garten des Zeus sein als seine Bilder und Zierrathen? Und was sollen seine Zierrathen und Schmucksachen sein als die von ihm ausströmenden Begriffe? Nun treten die Begriffe zugleich in die Erscheinung und das ist das Trunkenwerden vom Nektar. Denn was ist der Nektar für die Götter anders als dasjenige, was das göttliche Wesen geniesst? Es geniesst aber das, was unter den Geist tritt, die Vernunft, der Geist dagegen hat sich selbst im Zustande der Sättigung ohne dabei trunken zu sein. Denn er hat nichts was ihm nicht ursprünglich zugehörte. Die Vernunft[211] aber ist ein Product des Geistes, eine Hypostase nach dem Geist, und da sie nicht mehr zu ihm gehört, sondern an einem andern ist, so heisst es, sie lag im Garten des Zeus zu der Zeit als Aphrodite im Seienden ihre Daseinsform gewann.

10. Es müssen aber die Mythen, wenn sie dies sein sollen, das was sie sagen auch zeitlich zerlegen und vieles Seiende, was zwar zugleich, aber nach Rang und Kräften verschieden ist, von einander trennen. Müssen doch auch begriffliche Darstellungen das Unentstandene entstehen lassen und gleichfalls das zu gleich Seiende trennen und nachdem sie soweit möglich Belehrung ertheilt haben, dem Denkenden die Zusammenfassung überlassen. Fassen wir [die einzelnen Bestandtheile des Mythos] zusammen, so ist die Seele, die zugleich mit dem Geiste von ihm aus ihr Dasein hat, die von ihm mit Begriffen erfüllt und schön mit Schönheit geschmückt wird und alle Fülle empfangt, so dass man in ihr allerlei Schmucksachen und Bilder alles Schönen sehen kann – dieses All ist Aphrodite; die sämmtlichen Begriffe in ihr sind Fülle und Poros, indem von dem Obern der dortige Nektar abfliesst; die in ihr gleichsam wie im Leben vorhandenen Schmucksachen werden als Garten des Zeus bezeichnet und darin, heisst es, schläft Poros beschwert durch das womit er erfüllt wurde. Da das Leben ewig im Seienden erscheint und ist, so heisst es von den Göttern sie schmausen als in solcher Glückseligkeit lebend. Nothwendig aber tritt somit ewig der Eros ins Dasein aus dem Streben der Seele zum Bessern und Guten, er war stets seitdem es eine Seele giebt. Er ist aber ein gemischtes Ding, einerseits Theil habend am Mangel insofern er sich füllen will, andererseits nicht untheilhaftig der Fülle insofern er sucht was zu seinem Besitze ihm abgeht. Denn nimmermehr könnte das, was am Guten garkeinen Antheil hat, das Gute je suchen. Vom Poros nun und der Penia soll er abstammen, insofern der Mangel und das Streben und die Erinnerung an die Begriffe in der Seele zusammenkommend die auf das Gute gerichtete Thätigkeit erzeugen, welche eben dieser Eros ist. Seine Mutter ist Penia, weil das Streben stets dem Mangelleidenden zukommt. Die Materie aber ist die Penia, weil auch die Materie an allem Mangel leidet und das Unbestimmte der Begierde nach dem Guten (denn es ist noch keine Gestalt oder Vernunft in dem danach Strebenden vorhanden) das Strebende materieller macht insofern es strebt. Seine Form ist es nur wenn es ruhig in sich bleibt, wenn es aber zu empfangen strebt, macht es das, was empfangen soll, für das,[212] was herantritt, zur Materie. So ist der Eros in gewisser Hinsicht materiell, und er ist ein aus der Seele hervorgegangener Dämon, insofern sie Mangel hat, aber dennoch strebt.

Quelle:
Plotin: Die Enneaden. Band 1, Berlin 1878, S. 201-213.
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