Drittes Buch.
Ueber die Seele oder
Ueber psychologische Aporien (I)

[8] 1. Es dürfte eine recht angemessene Untersuchung sein, welche von alle den schwierigen Fragen über die Seele zu lösen sind oder bei welchen wir uns, in den Schwierigkeiten selbst stehen bleibend, mit dem Gewinn wenigstens begnügen müssen, die Schwierigkeit in solchen Fragen zu kennen. Denn auf welchem Gebiet möchte sich jemand in zahlreichen Erörterungen mit mehr Grund bewegen als auf diesem? sowohl aus vielen andern Gründen als deshalb weil hieraus die Antwort gewonnen wird auf die doppelte Frage, wessen Anhang und Princip die Seele ist und woher sie stammt. Durch Führung dieser Untersuchung dürften wir auch dem Gebote des Gottes: »Erkenne dich selbst« gehorsam sein, und da wir das übrige zu suchen und zu finden wünschen, möchte es recht sein zu erforschen, was dieses Erforschende eigentlich ist, indem wir darnach trachten das begehrungswürdige Object des Schauens zu erfassen. Es lag ja auch in dem Allgeist ein doppeltes, woraus sich ergiebt, dass auch in den Einzeldingen das eine mehr so, das andere so beschaffen ist. Ferner ist zu untersuchen, wie es mit den Seelen als Wohnstätten der Götter steht. Doch dies werden wir finden, wenn wir untersuchen, wie die Seele in den Körper tritt. – Jetzt wollen wir wieder zu der Behauptung derer zurückgehen, welche sagen, dass aus der Allseele auch unsere Seelen herrühren. Denn vielleicht werden sie den Beweis, unsere Seelen seien nicht Theile der Allseele, nicht für erbracht halten durch den Nachweis, dass ihre Wirkungen sich soweit erstrecken als die Allseele reicht, oder dass sie ihr ähnlich sei durch ihre Vernunft, auch wenn sie die Aehnlichkeit zugeben sollten, denn gleichartig seien auch die Theile dem Ganzen. Sie werden auch den Plato als Zeugen für diese Meinung anführen, wenn er um zu erhärten, dass dieses All beseelt sei, sagt: wie unser Leib ein Theil des Alls ist, so ist auch unsere Seele ein Theil der Allseele. Ferner sei es klar dargelegt und bewiesen, dass wir dem Umschwung des Alls folgen, dass wir Charakter und Schicksal von dorther empfangen und dass wir mitten in ihm geworden aus dem uns[8] umfassenden All die Seele empfangen. Und wie bei uns jeder Theil von uns an unserer Seele participirt, so hätten wir, nach derselben Analogie Theile im Verhältniss zum Ganzen, Antheil an der Allseele als Theile. Auch der Satz: ›die gesammte Seele trägt Sorge für das gesammte Unbeseelte‹, besage eben dasselbe, indem er [Plato] ausser der Seele nichts anderes nach der des Alls zurücklasse; denn diese ist es, welche allem Unbeseelten ihre Sorge zuwendet.

2. Gegen diese Einwürfe nun ist zuerst zu sagen, dass diejenigen, welche sie als gleichartig hinstellen dadurch dass sie zugeben, dass sie mit gleichen Dingen in Berührung stehe, indem sie die nämliche Gattung als das gemeinsame ansehen, die Bestimmung Theil zu sein von ihr ausschliessen; vielmehr könnten sie mit grösserm Rechte sagen, sie sei ebendieselbe und eine und eine jede sei die ganze. Betrachten sie sie als eine, so führen sie sie auf etwas anderes zurück, was nicht mehr zu dem oder dem gehört, sondern ohne selbst irgend einem anzugehören, sei es der Welt oder etwas anderem, selbst hervorbringt was der Welt oder irgend einem Beseelten eignet; denn es ist richtig, dass die Seele als eine Wesenheit nicht ganz und gar einem andern angehöre, sondern dass es eine gebe, welche überhaupt nicht einem andern angehört, und dass alle einem andern angehörigen es einmal accidentiell werden. Vielleicht jedoch muss man es noch genauer fassen, wie hierbei der Begriff »Theil« genommen wird. Den Begriff des Theils im Bereich des Körperlichen, mag der Körper gleichartig oder ungleichartig sein, können wir auf sich beruhen lassen mit der Bemerkung, dass, wenn bei Dingen mit gleichartigen Theilen das Wort Theil gebraucht wird, der Theil sich nur auf die Masse bezieht, nicht auf die Form z.B. das Weisse; denn die Weisse in dem Theil der Milch ist nicht ein Theil der Weisse der ganzen Milch, sondern die Weisse bezieht sich auf den Theil, der Theil aber nicht auf die Weisse; denn die Weisse ist überhaupt ohne Grösse und kein Quantum. Sprechen wir aber im Bereiche des Unkörperlichen von einem Theil, so müssen wir das thun wie auf dem Gebiet der Zahlen, wie zwei ein Theil ist von zehn (es soll sich aber das Gesagte bloss auf die einfachsten [unbenannten, reinen] Zahlen beziehen), oder so wie man von einem Theil eines Kreises oder einer Linie oder einem Theil der Wissenschaft spricht. Bei den Einzelheiten [Zahlen] nun und Figuren muss wie bei den Körpern das Ganze durch die Zerlegung in Theile kleiner werden und jeder Theil kleiner sein als das Ganze. Denn was quantitativ ist und sein[9] Sein im Quantitativen hat, nicht das Quantitative an sich ist, muss nothwendig grösser und kleiner werden. Auf diese Weise kann man bei der Seele wahrlich nicht von einem Theile sprechen. Denn sie ist nicht dergestalt etwas Quantitatives, dass die ganze eine Dekade, die andere eine Monade wäre; daraus würden allerlei Ungereimtheiten folgen; und die Zehn bildet nicht eine Einheit. So wird entweder jede der Einheiten eine Seele sein oder die Seele aus lauter unbeseelten Elementen bestehen. Dazu kommt, dass auch der Theil der Gesammtseele als gleichartig zugestanden ist, und doch braucht bei einer continuirlichen Grösse der Theil nicht von derselben Beschaffenheit wie das Ganze zu sein, z.B. im Kreise oder Viereck, oder es brauchen wenigstens nicht alle Theile an den Dingen, an denen man den Theil dem Ganzen gleichartig annehmen kann, ähnlich zu sein, z.B. bei den Dreiecken sind die Theile wieder Dreiecke, aber sie weichen von einander ab [sind unähnlich]. Die Seele aber stellen sie als gleichartig hin. Und bei der Linie bewahrt allerdings der Theil den Begriff der Linie, aber durch die Grösse wird doch auch hier der Unterschied bewirkt. Wenn aber bei der Seele der Unterschied bemessen wird nach der Grösse der Theilseele im Verhältniss zur ganzen, so wird sie etwas Quantitatives und Körperliches sein, indem sie den Unterschied insofern sie Seele ist vom Quantitativen erhält. Aber es wurden ja alle als gleich und ganz vorausgesetzt. Offenbar wird sie auch nicht getheilt wie die Grössen, und sie würden auch selbst nicht zugehen, dass die ganze in Theile zerschnitten wird. Denn dann werden sie die Gesammtseele vernichten und diese wird ein blosser Name sein, wenn überhaupt eine solche vorhanden war. Das wäre etwa so wie wenn man nach der Zertheilung des Weines in viele Theile jeden einzelnen Theil in einem jeden Kruge einen Theil des ganzen Weines nennen wollte. Dann wird sie wohl in dem Sinne ein Theil genannt, wie man den Satz einer Wissenschaft als Theil der ganzen Wissenschaft bezeichnet, wobei jene nichts destoweniger bleibt, die Theilung aber gleichsam eine Förderung: und Verwirklichung jedes wissenschaftlichen Satzes ist? In einem solchen Fall hat jeder Theil die ganze Wissenschaft potentiell, sie aber ist nichtsdestoweniger ganz. Wenn es sich so verhält bei der Seele, der gesammten wie den übrigen, dann wird schwerlich die Gesammtseele, welche derartige Theile hat, irgend einem angehören, sondern selbst in sich seihst bestellen; dann wird sie auch nicht die Weltseele sein, sondern gleichfalls eine der Theilseelen. Alle also sind, unter sich[10] gleichartig, Theile einer Seele. Aber wie ist die eine die Seele der Welt, die andere die der Theile der Welt?

3. Sind hier nun die Theile etwa so zu verstehen, wie man wohl bei einem einzelnen lebenden Wesen die Seele im Finger als einen Theil der gesammten Seele in dem ganzen lebenden Wesen bezeichnet? Aber diese Ansicht lässt entweder keine Seele ausserhalb des Körpers entstehen oder behauptet, die sogenannte Weltseele sei nicht in dem Körper sondern ausserhalb des Weltkörpers. Das muss untersucht werden; jetzt aber wollen wir erforschen, wie es wohl dem obigen Vergleiche entsprechend dargestellt werden könnte. Denn wenn die Seele des Alls sich allen einzelnen Theilwesen hingiebt und so jede ein Theil wird, so möchte sie getheilt sich nicht einem jeden hingeben, sie selbst dagegen wird überall sein, als die eine ganze und eben dieselbe in vielen zugleich existirend. Das aber würde noch nicht ergeben, dass die eine ganz, die andere ein Theil sei, zumal in den Wesen, welche die gleiche Kraft besitzen. Ist doch auch da, wo die verschiedenen Glieder ein verschiedenes Geschäft haben, wie z.B. Augen und Ohren, nicht zu sagen, dass ein Theil der Seele dem Gesicht, ein anderer den Ohren innewohne (eine solche Theilung hat bei andern Dingen statt), sondern eben derselbe ist in ihnen, wenn auch eine andere Kraft in beiden wirkt; denn es sind auch in beiden alle Kräfte wirksam. Vielmehr in Folge der Verschiedenheit der Organe entstehen verschiedene Perceptionen, alle jedoch gehören Formen zu, die in alle Gestalten einzugehen fähig sind. Beweis dafür ist auch, dass nothwendig alles zu einer Einheit zusammengehen muss. Da nun die vermittelnden Organe nicht im Stande sind alles aufzunehmen, so werden die Affectionen verschiedene durch die Organe, das Urtheil jedoch hängt von einem und demselben ab wie von ein ein Richter, der sowohl auf die gesprochenen Worte als auf die Thaten sein Augenmerk gerichtet hat. Aber weil, wie gesagt, eins überall auch in den verschiedenen Functionen thätig ist und weil dieselben wie Empfindungen sind, so ist es nicht möglich, dass jede einzelne von ihnen die Einsicht hat, sondern jene [die Seele] hat sie; wenn aber die Einsicht eine eigenthümliche ist, so besteht eine jede in sich selbst. Falls nun auch die Seele vernünftig ist und in derselben Weise wie die Gesammtseele vernünftig genannt wird, so wird das was man Theil nennt identisch mit dem Ganzen und nicht ein Theil des Ganzen sein.

4. Was muss man nun, wenn sie so eine ist, sagen, wenn jemand die Consequenz hiervon zieht und zuerst fragt, ob[11] sie als ein solches Eins zugleich in allen Dingen sein könne, sodann ob eine andere nicht im Körper sei, falls sie [die eine] im Körper ist. Vielleicht nämlich wird sich ergeben, dass sie stets ganz und gar im Körper ist, besonders die Seele des Alls. Denn von ihr sagt man nicht wie von der unsern, dass sie den Körper verlasse; gleichwohl behaupten einige, dass ein Theil ihn verlassen, sie [die unsere] aber doch nicht gänzlich ausserhalb des Körpers sein wird. Aber wenn sie gänzlich ausserhalb des Körpers sein wird, wie wird ihn die eine verlassen, die andere nicht, da es doch eine und dieselbe ist? Im Bereiche der Vernunft nun, die in sich selbst nach Theilen gesondert ist, die zwar einzeln von einander verschieden, aber doch immer zusammen sind (denn diese Substanz dürfte untheilbar sein), herrscht eine solche Schwierigkeit wohl nicht; aber bei der Seele, die hinsichtlich der Körper als theilbar bezeichnet wird, verwickelt uns gerade die Behauptung, dass sie eins sei, in viele Schwierigkeiten, es müsste denn einer sagen: das Eine beharrt in sich ohne in den Körper herabzusteigen, dann gehen von ihm sämmtliche Seelen aus, die des Alls und die andern, die bis zu einem gewissen Grade zusammen und eine sind, dadurch dass sie sich mit nichts anderem verbinden. Während diese mit ihren Endpunkten an das Eine geknüpft und nach oben zu mit einander verbunden sind, wenden sie sich hierhin und dorthin, wie das Licht nach der Erde zu durch die Wohnräume bin sich vertheilt und doch nicht getheilt ist, sondern nichtsdestoweniger eins bleibt. Die Seele des Alls hält sich immer oben, da ihr weder das Herabsteigen eignet noch die niedere Natur noch die Hinneigung zu den irdischen Dingen; die unseren dagegen nicht immer, dadurch dass ihnen ein bestimmtes Gebiet hier unten angewiesen ist, und durch : die Hinneigung zum Körper, welcher der Pflege bedarf. Dabei wäre denn die eine, die Allseele, ihrem untersten Theile nach der einer grossen Pflanze innewohnenden Seele vergleichbar, welche über die Pflanze mühelos und tadellos waltet, unser niederes Seelenvermögen dagegen den Würmern vergleichbar, die sich etwa in einem verfaulenden Theile der Pflanze erzeugten – denn hiermit lässt sich die Entstehung des beseelten Körpers im All vergleichen. Hinwiederum lässt sich das Verhalten des andern, den höhern Vermögen der Allseele gleichgearteten Seelentheils vergleichen mit dem eines Landmanns, der sich wegen der Würmer in der Pflanze bekümmerte und für die Pflanze Sorge trüge; oder man könnte es bezeichnen wenn man etwa sagte, dass ein gesunder Mensch im Verkehr mit andern gesunden Menschen eben denjenigen Dingen obliege, mit denen er jedesmal praktisch oder theoretisch beschäftigt ist, dass dagegen ein Kranker und mit der Pflege des Körpers beschäftigter Mensch[12] eben dem Körper obliege und dem Körper angehörig geworden sei.

5. Aber wie eignet dann die Seele dir, die andere diesem, die dritte einem andern? Eignet sie diesem etwa hinsichtlich des untern Theils, nicht aber diesem sondern jenem hinsichtlich des obern? Allein auf diese Weise wird Sokrates sein, solange die Seele des Sokrates im Leibe ist; er wird untergehen, sobald sie vorzugsweise in dem Höchsten und Besten sich befindet. Doch es wird von dem Seienden nichts untergehen. Denn auch die Intelligenzen werden dort nicht verschwinden zu einer [unterschiedslosen] Einheit, weil sie nicht nach Art der Körper getheilt sind, sondern es bleibt eine jede indem sie in ihrem Anderssein ihr eigenthümliches Wesen behält. So sind denn auch die Seelen, der Reihe nach an eine jede Intelligenz geknüpft, Begriffe der Intelligenzen und zwar mehr als jene aus sich heraustretend, da sie gleichsam viel aus wenigem geworden sind: verbunden mit jenem wenigen, das heisst mit dem weniger zerspaltenen Theile jener wollen sie sich nunmehr theilen und können doch nicht zu einer völligen Theilung gelangen; darum bewahren sie die Identität und das Anderssein und es bleibt eine jede eine und alle zusammen eine. Die Hauptsache ist also bewiesen, dass nämlich die Seelen aus einer einzigen stammen und aus der einen viele werden nach der Analogie in der Intelligenz, getheilt und nicht getheilt, dass die in sich verharrende ein einheitlicher Begriff der Intelligenz ist und von ihr die immateriellen und Theilbegriffe ausgehen wie auch dort.

6. Warum hat aber die mit der Einzelseele gleichartige Weltseele die Welt gemacht und die des einzelnen nicht, da sie doch gleichfalls alles in sich hat? Denn dass sie in vielen zugleich werden und sein kann, ist gesagt; jetzt aber muss gesagt werden, wie das geschieht. Vielleicht, wird dann nämlich auch erkannt werden, wie das nämliche in verschiedenem bald dies, bald jenes thut oder leidet oder beides; doch wird dies besser an und für sich untersucht.

Wie also und warum hat die Weltseele die Welt gemacht, während die andern nur einen Theil der Welt ordnen? Nun, es ist doch nicht wunderbar, dass von Männern, die im Besitz derselben Wissenschaft sind, die einen über mehr, die andern über weniger herrschen. Allein weshalb dies so ist müsste man zu sagen im Stande sein. Aber, möchte jemand entgegnen, es besteht auch ein gradweiser Unterschied der[13] Seelen je nachdem die eine nicht von der Gesammtseele sich entfernt, sondern dort verweilend sich mit dem Körper umkleidet hat, die andern, während der Körper unter der Herrschaft gleichsam einer Schwesterseele schon da war, ihr Geschick erlosten, nachdem ihnen diese ihre Wohnungen gleichsam vorher zubereitet hatte. Ein Unterschied besteht auch darin, dass die eine auf die gesammte Intelligenz schaut, die andern mehr auf ihre eigenen, auf die particularen Intelligenzen. Vielleicht könnten auch diese [das All] schaffen, da aber jene es geschaffen und ihnen als die erste voraufgegangen, so war es nicht mehr möglich. Ohnehin würde man dieselbe Schwierigkeit haben, wenn irgend eine andere den Vorrang gehabt hätte. Besser giebt man als Grund an die nähere Verbindung mit dem Intelligiblen; denn die Macht dessen, was jenem zugeneigt ist, ist die grössere. Indem sie sich auf diesem sichern Platz behaupten, schaffen sie mit der grössten Leichtigkeit (denn ein Zeichen der grössern Kraft ist es, nicht zu leiden in dem was sie thut); die Kraft von oben aber bleibt. In sich selbst nun verharrend, wirkt sie schöpferisch indem sie die Dinge an sich herankommen lässt, während die andern auch ihrerseits hervorgingen und infolge davon in die Tiefe herabsanken. Vielleicht hat auch das veränderliche Element derselben, welches herabgezogen war, sie mit gezogen, so dass sie mit ihren Vorstellungen sich nach unten richten. Denn jener Ausspruch von dem zweiten und dritten Rang der Seelen ist von der Annäherung oder grösseren Entfernung zu verstehen, wie auch bei uns nicht allen Seelen in gleichem Maasse das Trachten nach dem Intelligiblen innewohnt, sondern die einen können sich wohl vereinigen mit ihm, die andern kommen in ihrem Streben nahe herzu, andern gelingt dies weniger, dem entsprechend dass sie nicht mit denselben Kräften wirksam sind, sondern die einen wirken mit der ersten Kraft, die andern mit der darauf Tugenden, die dritten mit der dritten, während alle die gesammten Kräfte haben.

7. Dies also auf diese Weise. Was aber den Ausspruch im Philebus betrifft, der die Vorstellung erregt, als seien die andern Seelen Theile der Seele des Alls, so will derselbe nicht besagen was man gemeinhin glaubt, sondern was damals ihm angemessen war zum Beweise, dass auch der Himmel beseelt sei. Dies also beweist er, indem er sagt, es sei absurd den Himmel unbeseelt zu nennen, während wir, die wir nur einen Theil des Ganzen haben, eine Seele haben. Denn wie könnte sie der Theil erhalten haben, wenn das Ganze ohne Seele ist?[14]

Seine eigene Meinung aber giebt er am klarsten kund im Timäus, wo er, nachdem die Seele des Alls entstanden ist, hernach die andern bildet aus demselben Mischkruge mischend, woraus auch die Gesammtseele hervorgegangen; dabei macht er auch die andern gleichartig und weist den Unterschied der zweiten und dritten Stufe zu. Was den Satz im Phädrus anlangt: ›die Gesammtseele trägt Sorge für das gesammte Unbeseelte‹ – was könnte wohl die Natur des Körpers regeln oder bilden oder ordnen oder schaffen als die Seele? Und nicht ist dazu von Natur die eine im Stande, die andere nicht. Die vollkommene also, sagt er, die des Alls wandelt ohne herabzusinken hoch einher, und gleichsam darüber hinschwebend wirkt sie schöpferisch auf die Welt und »jede welche vollkommen ist, waltet so ordnend.« Mit den Worten aber: »die welche ihr Gefieder verloren hat«, führt er eine andere neben dieser ein. Die Behauptung ferner, sie folge dem Umschwung des Alls und gewinne von dorther ihren Charakter und werde von ihm afficirt, möchte kein Beweis dafür sein, dass unsere Seelen Theile sind. Denn die Seele kann gar wohl von der Natur der Oertlichkeiten etwas annehmen, vom Wasser, von der Luft; und so üben ja auch die Wohnstätten verschiedener Städte und die Mischungen der Körper ihren Einfluss auf sie aus. Freilich haben wir zugegeben, dass wir als in dem All befindlich etwas annehmen von der Seele des Alls und von dem Umschwung afficirt werden, aber wir haben hiergegen eine andere Seele aufgestellt, die sich hauptsächlich durch ihre Wiederstandsfähigkeit als eine andere erweist. Was aber den Satz anbetrifft, dass wir drinnen im All erzeugt werden, so behaupten wir, dass auch im Schoosse der Mutter eine andere, nicht die der Mutter, in den Embryo hineingeht.

8. Diese Schwierigkeiten also dürften auf diese Weise gelöst sein, wobei auch die Annahme der Sympathie der Seelen die Beweisführung nicht stört. Denn weil alle aus derselben her sind, aus der auch die des Alls stammt, darum sind die Seelen sympathisch. Es ist nämlich gesagt, dass es sowohl eine als viele giebt. Auch worin der Unterschied des Theils im Verhältniss zum Ganzen besteht, ist gesagt. Gesprochen ist ferner über den Unterschied der Seele überhaupt und jetzt soll kurz gesagt sein, dass sie sich ausser in Hinsicht des Körpers auch wohl unterscheiden, besonders in ihrem Charakter wie auch in ihrer Denkthätigkeit nach Maassgabe des vor der Zeit geführten Lebens. Denn nach dem vorzeitlichen Leben, sagt Plato, bestimmt sich die Wahl für die Seelen.[15]

Wenn aber jemand die Natur der Seele im allgemeinen auffasst, so sind auch da Unterschiede angenommen, wo von einer zweiten und dritten Rangstufe die Rede war und gesagt wurde, dass alle alles seien und eine jede das, was dem in ihr wirkenden Theile gemäss ist. Das will sagen, dass die eine durch Thätigkeit, die andere durch Erkenntniss, die dritte durch Streben zur Einheit gelange und dass sie auf verschiedene Objecte blickend verschieden und zwar das sind und werden was sie eben erblicken. Auch die Fülle und die Vollendung kommt den Seelen zu, doch nicht allen dieselbe. Sondern wenn Mannigfaltigkeit in der Einheit für sie Gesetz ist – denn jeder einheitliche Begriff ist ein vielfacher und mannigfaltiger, wie ein lebendiger Organismus mit mancherlei Formen; wenn also dies ist, dann giebt es auch eine Zusammenordnung und das Seiende ist nicht durchaus von einander getrennt noch hat im Seienden der Zufall eine Stelle, sowenig wie im Körperlichen, und es folgt, dass es eine bestimmte Zahl [des Seienden] giebt. Hinwiederum muss auch das Seiende stabil und das Intelligible identisch sein und ein jedes eins sein der Zahl nach; denn dadurch wird es ein Individuum. Die körperlichen Dinge nämlich haben, da das Besondere von Natur etwas fliessendes ist, weil die Form von aussen herzugebracht worden, das Sein als Form stets nur durch Nachahmung des Seienden; bei demjenigen aber, das nicht in Folge einer Zusammensetzung ist, bestellt das Sein in dem, was der Zahl nach eins ist, was eben von Anfang an vorhanden ist und weder wird was es nicht war, noch was es ist nicht sein wird. Denn auch wenn es etwas geben soll was dieses macht, so wird es dasselbe nicht aus Materie machen; ist auch dies der Fall, so muss es auch aus sich selbst etwas Wesenhaftes hinzufügen. Daher wird eine Veränderung an jenem selbst vorgehen, wenn es Jetzt weniger oder mehr schafft. Und warum jetzt, aber nicht immer so? Auch wird das Gewordene nicht ewig sein, wenn anders es ein Mehr und Minder zulässt; die Seele steht aber als ein solches [ewiges] fest. Wie kann sie nun unendlich sein, wenn sie feststellen soll? Nun, der Kraft nach ist sie das Unendliche, weil die Kraft unendlich ist, nicht jedoch als eine ins unendliche zu theilende; denn auch Gott ist nicht begrenzt. So verhält sichs auch mit den Seelen: eine jede ist nicht durch eine von aussen gesteckte Grenze was sie ist, z.B. so gross, sondern sie selbst ist soviel sie sein will, und , es ist nicht zu befürchten, dass sie nach aussen hin aus sich selbst herausgehe, sondern überall geht sie so weit als sie ihrer[16] Natur nach in die Körper eingehen kann. Denn sicherlich ist kein Theil von ihr losgelöst, wenn sie wie im Finger so im Fuss ist. Ebenso verhält es sich mit ihr im Weltall, soweit sie sich erstreckt in diesem oder jenem Theil eines Gewächses , auch wenn es abgeschnitten ist. Daher ist sie sowohl in der ursprünglichen Pflanze als in dem von ihr abgeschnittenen Stück. Denn einer ist der Körper des Alls und wie in einem ist sie überall in ihm gegenwärtig. Und wenn aus einem verfaulten Organismus viele werden, so ist jene Seele des gesammten Organismus nicht mehr in dem Körper, denn er hat keinen Aufnahmeort mehr für sie, sonst wäre er nicht gestorben. Was aber aus der Fäulniss noch geschickt ist zur Erzeugung von Organismen, zu diesen oder jenen je nachdem, das erhält Seele, da sie nirgend aufhört zu existiren, wobei freilich das eine sie aufzunehmen im Stande, das andere dazu nicht im Stande ist. Und die auf diese Weise entstandenen beseelten Wesen haben nicht mehrere Seelen hervorgebracht, denn sie sind geknüpft an die eine, welche eine bleibt. Ebenso ist es ja auch bei uns Menschen: werden einzelne Theile abgeschnitten, an deren Stelle andere wachsen, so weicht die Seele von den einen und tritt zu den andern herzu, solange die eine bleibt. In dem All aber bleibt immer die eine; und von den Dingen im All haben die einen Seele, die andern nicht, während die seelischen Kräfte dieselben bleiben.

9. Aber es ist zu untersuchen, wie die Seele in den Körper kommt. Wie und auf welche Weise vollzieht sich dieser Vorgang? das ist die Frage; denn auch dies ist nicht minder der Bewunderung und Untersuchung werth. Da nun die Seele auf zwiefache Art ihren Eingang in den Körper nimmt – nach der ersten Art ist die Seele im Körper, sei es dass sie in und mit ihm verbunden wird [Metensomatose] oder aus einem luftigen oder feurigen Körper in einen irdischen übergeht, was einige nicht Metensomatose nennen, weil es nicht klar ist, woher das Eindringen; die zweite Art bildet der Uebergang aus Unkörperlichem in jeden beliebigen Körper, was denn wohl für die Seele die ursprüngliche Theilnahme am Körper ist: so dürfte eine Untersuchung darüber am Platze sein, was denn der Seele eigentlich widerfährt zu der Zeit, wenn sie, an sich körperlos, sich gänzlich mit der Natur des Körpers umkleidet hat. Was nun die Seele des Alls betrifft (denn hiermit zu beginnen erweist sich als passend oder vielmehr als nothwendig), so muss man dafür halten, dass ihr Eingang und ihre Empsychose sich der Belehrung und Deutlichkeit halber.[17]

nur in Gedanken vollzieht. Es gab ja doch keine Zeit, in der dieses All nicht beseelt war, keine Zeit, da ein Körper existirte ohne Seele, noch gab es Materie zu einer Zeit, da sie nicht geordnet [Formlos] war. Aber diese Vorstellungen zu vollziehen, indem man sie in Gedanken von einander sondert, ist möglich. Denn man kann jede Zusammensetzung in Gedanken und in der Vorstellung auflösen. Jedoch das Wahre ander Sache ist dieses: Wenn es keinen Körper giebt, so kann auch keine Seele hervortreten, da es ja auch keinen andern Ort giebt, wo sie ihrer Natur nach sein kann. Will sie hervortreten, so wird sie sich einen Ort erzeugen, folglich auch einen Körper. Indem also das Beharren derselben in dem Zustand der Beharrlichkeit gewissermassen befestigt wird, gleicht sie einem aus ihr aufleuchtenden Grössen Licht, das für die äusserst vom Feuer entfernten Gegenstände zur Dunkelheit wird, und da die Seele eben diese erblickt, gerade weil sie in sich beharrt, gestaltet sie sie. Denn es ist gegen die Weltordnung, dass ein ihr benachbartes Gebiet des Begriffes untheilhaftig sei, in der Art nämlich wie das Erwähnte ihn aufnehmen konnte d.h. er wurde verdunkelt bei seinem Eintritt in das dunkle Gebiet. Nachdem also die Weil gleichsam ein schönes und mannigfach geschmücktes Haus geworden ist, wurde sie nicht getrennt von dem Schöpfer, andererseits vermischte sie sich auch nicht mit ihm, sondern überall ganz und gar einer Sorgfalt würdig befunden, die ihr selbst nützt zum Sein und zur Schönheit, soweit sie nämlich am Sein Theil nehmen kann, dem Lenker oben aber nicht schadet, denn er leitet sie oben verbleibend: so ist sie auf diese Weise beseelt, indem sie nicht von sich sondern für sich eine Seele hat, beherrscht wird und nicht beherrscht, besessen wird aber nicht besitzt. Denn sie ruht in der Seele, die sie trägt, und nichts in ihr ist derselben untheilhaftig, wie etwa ein feuchtes Netz im Wasser gewissermassen lebt, sich aber in dem Element, worin es sich befindet, nicht selbständig bewegen kann. Sondern mit der Ausdehnung des Wassers dehnt sich das Netz aus so weit es kann; denn kein Theil kann anderswo sein als wo er liegt. Die Seele aber ist ihrer Natur nach so gross, weil sie keine bestimmte Grösse hat; daher umfasst sie den ganzen Körper mit ein und derselben Kraft, und wohin jener sich erstreckt, da ist sie. Auch wenn jener nicht wäre, so würde sie sich um Grösse durchaus nicht kümmern, denn sie ist was sie eben ist. Denn so gross und weil ist das All als jene reicht, und seine Grösse wird danach bestimmt, wieweit es diese,[18] die es selbst erhält, hat. Und so gross ist der Schatten als der von ihr ausgehende Begriff. Der Begriff war aber so beschaffen, dass er eine solche Grösse wirkte als seine Form wirken wollte.

10. Nachdem wir dies also gehört haben, müssen wir wieder zu dem zurückkehren, was sich immer so verhält, und alles Seiende in eins zusammenfassen: die Luft, das Licht, die Sonne oder den Mond und wieder die Sonne und das Licht und die Luft alle zusammen, geordnet freilich nach dem ersten, zweiten und dritten Range, ferner die hier unbeweglich immer feststellende Seele, sodann das Erste und das der Reihe nach Folgende [das Abgeleitete] gleichsam die letzten Strahlen des Feuers, wobei in der Folge das Erste unmittelbar nach dem Letzten als der Schatten des Feuers vorgestellt wird, der dann auch seinerseits mit beleuchtet wird, so dass gewissermassen eine Form auf ein Gebiet trifft, das zuerst und ursprünglich in völliger Dunkelheit lag. Es wurde aber dem Begriff gemäss geschmückt durch die Kraft der Seele, welche in sich selbst in ihrer ganzen Ausdehnung die Kraft hat dem Begriff gemäss zu schmücken, ähnlich wie auch die im Samen eingeschlossenen Begriffe die Organismen wie kleine Welten bilden und gestalten. Denn was mit der Seele in Berührung kommt, wird so gebildet wie es die Seele von Natur dem Wesen nach mit sich bringt. Diese aber schafft nicht nach einem herzugebrachten Entschluss und ohne auf einen Rath oder eine Untersuchung gewartet zu haben, denn sonst würde sie nicht nach ihrer Natur, sondern nach einer herzugebrachten Kunst schaffen. Denn die Kunst ist später als sie und schafft nachahmend dunkle und schwache Nachbilder, Spielereien gewissermassen von keinem besondern Werth, indem sie noch dazu vieler Kunstmittel zur Herstellung der Bilder bedarf. Die Seele ist aber durch die Kraft ihres Wesens dermassen Herr der Körper, dass sie so werden und beschaffen sind wie sie selbst angiebt; auch dir ursprünglich gewordenen Dinge können ihrem Willen nicht widerstreben. In den spätern nämlich geschieht es, dass sie sich gegenseitig stören und der eigenthümlichen Form nicht theilhaftig werden, welche der im Samenkorn verborgene Begriff beabsichtigt; hier aber, wo auch die ganze Form durch sie wird und das Gewordene zugleich eine Ordnung hat, ist das mühelos und ungehindert Werdende schön. Sie hat aber im All das eine zu Bildern der Götter, das andere zu Wohnungen der Menschen gemacht u.s.f. Denn was konnte durch die Seele werden als wozu sie die schöpferische Kraft hat? Denn das Feuer hat die Eigenschaft heiss zu machen, und ein[19] anderes die Eigenschaft zu kühlen, die Seele wirkt sowohl aus sich heraus auf anderes als in sich. Bei den unbeseelten Dingen nämlich ruht die von ihnen ausgehende Wirkung gleichsam schlafend in ihnen, ihr Wirken auf anderes heisst sich ähnlich machen was einer Affection fähig ist. In der That ist dies allem Seienden gemeinsam, anderes sich ähnlich zu machen; das Wirken der Seele aber, das auf etwas anderes ebenso gut wie das in ihr selbst, ist ein wachendes gleichsam. Sie ruft also auch das andere zum Leben, was nicht durch sich selbst lebt, und zwar zu einem solchen Leben als sich selbst hat. Lebend also im Begriff giebt sie dem Körper einen Begriff, ein Bild ihres eigenen – so ist es auch ein Bild des Lebens was sie dem Körper giebt – ferner die Gestalten der Körper, deren Begriffe sie hat; sie hat aber auch die der Götter und aller Dinge. Darum enthält auch die Welt alles.

11. Und es scheinen mir die allen Weisen, welche durch Errichten von Tempeln und Statuen die Götter sich vergegenwärtigen wollten, einen tiefen Blick in die Natur des Alls gethan zu haben: sie begriffen, dass bei der Beweglichkeit und Lenkbarkeit der Natur der Seele dasjenige eben alles am; leichtesten annehmen könne, was etwa jemand so bildete, dass es im Stande sei einen Theil von ihr aufzunehmen. Der Affection zugänglich aber ist was auf irgend eine Weise nachgeahmt worden, wie ein Spiegel der eine Gestalt auffangen kann. Denn die Natur des Alls schuf alles mit grosser Leichtigkeit zur Nachahmung dessen, wovon sie die Begriffe hat, und da ein jedes ein solcher Begriff in der Materie wurde wie er gemäss dem vor der Materie gestaltet war, so verknüpfte sie es mit jenen Gotte, nach dem es wurde, auf den die Seele blickte und den sie halte bei ihrem Schaffen. Es war also gleicher Weise unmöglich, dass sie seiner nicht theilhaftig wurde und dass jener in diese Welt herabstieg. Es war aber jene Intelligenz die Sonne dort (denn diese soll uns als ein Beispiel und Bild des [schöpferischen] Begriffs dienen) und unmittelbar an diese ist die Seele geknüpft, die bleibt indem die Intelligenz bleibt. Es reicht aber diese ihre Enden, die sich nach dieser Sonne kehren, dieser Sonne und bewirkt durch ihre Vermittlung auch dort die Verknüpfung, indem sie gleichsam die Dolmetscherin wird für die Dinge, die von jener Welt in diese und von dieser Welt in jene hineinragen. Denn sie sind keineswegs weit von einander entfernt und andrerseits durch ihre Differenz und Mischung fern von einander, so dass sie in sich und bei sich sind ohne örtliche[20] Vereinigung und bei einander in der Besonderung. Götter aber sind diese [Begriffe] dadurch, dass sie sich von jenem Intelligiblen nicht entfernen und mit der urspünglichen, jedoch gleichsam herabsteigenden Seele verbunden sind, dass sie mit dieser, durch die sie eben sind was sie heissen, zur Intelligenz hin blicken, indem ihre Seele nirgend als dorthin blickt.

12. Die Seelen der Menschen aber, die ihre eigenen Abbilder wie im Spiegel des Dionysos sehen, erhielten dort ihren Platz nachdem sie von oben herabgeeilt sind, ohne dass indessen auch sie von ihrem Ursprung und der Intelligenz abgeschnitten wurden. Denn sie kamen nicht mitsammt der Intelligenz, sondern sie erstreckten sich bis zur Erde, ihr Haupt aber steht fest gegründet über dem Himmel. Sie mussten aber weiter herabsteigen, weil ihr mittlerer Theil zur Sorgfalt gezwungen wurde, da das, wohin sie sich erstreckten, der Sorgfalt bedurfte. Vater Zeus aber, der aus Mitleid mit ihrer Angst die Fesseln, in denen sie schmachten, sterblich machte, gewährt ihnen Erholung, indem er sie zeitweise frei macht, damit auch sie dorthin gelangen können, wo die Weeltseele unbehelligt von dem Irdischen immer weilt. Denn was das All hat, ist ihm schon genug und wird ihm genug sein, da es nach den ewig feststehenden Begriffen in der Zeit vollendet wird und nach gewissen Zeiten immer in denselben Zustand restituirt wird nach Massgabe bestimmter Lebensperioden, wobei es diese [irdischen Dinge] zu jenen und gemäss jenen [der intelligiblen Welt] hinführt, diese aber vollendet werden indem alle einem Begriff unterworfen sind, sei es beim Herabsteigen oder Hinaufsteigen der Seele und so auch hinsichtlich alles andern insgesammt. Für die Zusammenstimmung der Seelen mit der Ordnung dieses Alls, so zwar dass diese nicht davon abhängen, sondern in ihrem Herabsteigen sich selbst daran anknüpfen und eine durchgehende Uebereinstimmung mildem Umschwung bewirken, spricht auch der Umstand, dass die Schicksale derselben, ihr Leben und ihre Entschlüsse bezeichnet werden durch die Stellungen der Gestirne, dass [die Sphären] gleichsam einen harmonischen Klang vernehmen lassen und dass man dies vorzugsweise nach Analogie der Musik und Harmonie gedeutet hat. Das wäre nicht möglich gewesen, wenn sich nach jenen nicht jegliches Thun und Leiden des Alls regelte in den bestimmt abgemessenen Umläufen, Ordnungen, den verschiedenartigen Lebensstadien, welche die Seelen durchlaufen, indem sie sich bald dort [im Intelligiblen], bald im Himmel, bald gegen diese Regionen hier unten hin[21] bewegen. Der Geist dagegen ist stets ganz und gar oben und dürfte schwerlich je aus sich selbst heraustreten, sondern in seiner Ganzheit oben thronend schickt er hierher durch die Seele. Die Seele dagegen hat mehr aus der Nähe ihre der von dort kommenden Form entsprechende Beschaffenheit und sie theilt den niederen Dingen bald in der nämlichen Weise, bald in verschiedener Weise zu verschiedenen Zeiten, in bestimmter Ordnung ihre schweifende Bahn zu. Doch kommt nicht immer das gleiche herunter, sondern bald mehr bald weniger, auch wenn es zu derselben Gattung [Wesenart] kommt; es steigt aber eine jede herab in den Leib, der ihr nach der Aehnlichkeit ihrer Beschaffenheit angemessen ist. Denn welchem sie ähnlich geworden ist, dahin besiegt sie sich, die eine in einen Menschen, die andere in ein anderes lebendes Wesen.

13. Denn die unentrinnbare Nothwendigkeit und göttliche Gerechtigkeit beruht in diesem Sinne auf der Herrschaft der Natur, wonach ein jedes ordnungsgemässig zu dem geht, dem entsprechend es ein Bild seiner ursprünglichen Wahl und Beschaffenheit geworden ist, und es ist dort jede An der Seele dem nahe, nach dem sie ihre innere Beschaffenheit hat, und es bedarf einer bestimmten Absendung und Einführung nicht, weder um zu einer gewissen Zeit in den Körper noch um gerade in diesen zu kommen, sondern wenn der Zeitpunkt da ist, dann geht sie von selbst, herab und ein in was sie soll. Und es hat ein jedes seine Zeit: ist diese da, dann gehts herab wie auf den Ruf des Herolds und hinein in den geeigneten Körper, und man möchte bei dem Vorgang fast sagen, sie würden durch magische Gewalten und starke Anziehungskräfte in Bewegung gesetzt und getragen. Es geschieht, das ähnlich wie in jedem einzelnen Fall die Ordnung des Organismus vollendet wird, indem die Seele ein jedes zur Zeit in Bewegung setzt und erzeugt, wie z.B. das Hervorsprossen des Bartes, der Hörner, das Auftreten gerade jetzt gewisser Triebe und Kräfte, die vorher nicht vorhanden waren; dasselbe hat bei den Pflanzen und ihrem Wachsthum in bestimmten Zeitabschnitten statt. Sie gehen indessen weder freiwillig noch gezwungen, noch ist die Freiheit im Sinne einer freien Wahl zu verstehen, sondern etwa wie ein naturgemässes Hineilen zur physischen Lust der Begattung oder zu schönen Thaten ohne den Antrieb vernünftiger Ueberlegung. Doch ist gerade diesem gerade dieses bestimmt, und diesem diese Zeit, dem andern eine andere. Und die Intelligenz vor der Welt hat die Bestimmung, ebenso wohl dort zu bleiben als auch aus[22] sich herauszuwirken, und jede Wirkung vollzieht sich nach dem allgemeinen Gesetz; denn über jedem Einzelnen wallet das Allgemeine und das Gesetz hat die Kraft zur Vollendung nicht von aussen, sondern es wohnt in den Dingen, die es anwenden und mit sich herumtragen. Und wenn auch die Zeit da ist, geschieht was es will von denen, die es in sich haben, so dass sie selbst es vollziehen, da es sie ja treibt und Kräfte gewonnen hat durch seine feste Position in ihnen, indem es sie drängt, ihnen Muth einflösst und heftige Sehnsucht dahin zu gehen, wohin die Stimme in ihnen zu gehen ihnen gleichsam zuruft.

14. Indem dies also geschieht, hat dieser Kosmos viele Lichter, und durchstrahlt von Seelen empfangt er zu dem früheren neuen Schmuck, den einen von dem andern, sowohl von jenen Göttern als von den Intelligenzen welche die Seelen geben. Dergleichen deutet vermuthlich auch jener Mythus an: als Prometheus das Weib gebildet hatte, schmückten sie auch die anderen Götter. Dem Gebilde aus Erde und Feuchtigkeit gab Hephaistos eine menschliche Stimme, eine den Göttinnen ähnlichere Gestalt; es brachte Aphrodite eine Gabe, die Grazien und andere ein anderes Geschenk und gaben ihr einen Namen nach dem Geschenk und allen Gebern. Alle nämlich verliehen diesem Gebilde, das von einer Promethie gemacht war, ihre Gaben. Wenn es aber heisst, Epimetheus habe dies Geschenk des Prometheus verworfen, was bedeutet das anders als dass die Wahl eines vielmehr im Intelligiblen Befindlichen Geschenkes [Lebens] besser sei? Es wird auch der Bildner selbst gefesselt, weil er gewissermassen an sein Werk durch dasselbe gebunden ist, und eine solche Fessel ist eine äusserliche. Die Lösung durch Herakles bedeutet, dass er die Macht hat auch so noch gelöst zu sein. Man mag dies deuten wie man will, doch aber verdeutlicht es die dem Kosmos zugebrachten Gaben und stimmt mit den früheren Auseinandersetzungen.

15. Es gehen aber die Seelen uns dem Intelligiblen hervortauchend zuerst in den Himmel, und nachdem sie dort einen Körper hinzuempfangen, gehen sie mittelst desselben weiter auch in die mehr irdischen [erdigen] Körper, soweit sie gerade sich in die Länge ausgedehnt haben. Die einen dringen von dem Himmel aus in die niederen Körper ein, die andern von anderen in andere, deren Kraft nicht genügte ihre Bürde von hier emporzutragen, die wegen der Schwere und Vergesslichkeit weit fortgezogen werden. Sie werden aber verschiedenartig entweder durch die Veränderungen der Körper, in die sie eingedrungen,[23] oder durch ihre Schicksale oder Nahrungsmittel, oder bringen die Verschiedenheit von sich selbst mit, oder durch alle diese Ursachen zusammen oder einige von ihnen. Einige sind gänzlich der hier herrschenden Nothwendigkeit verfallen, einige sind zeitweilig so abhängig, zeitweilig selbständig, einige schicken sich darin das absolut Nothwendige zu ertragen, sie können jedoch in den ihnen eigenthümlichen Werken ihre Selbständigkeit wahren, indem sie nach einem andern, das gesammte Sein umfassenden Gesetze leben, einer andern gesetzlichen Bestimmung sich fügen. Es ist diese aber gewebt aus den hier waltenden Begriffen und Ursachen allen, aus seelischen Regungen und von dort ausgehenden Gesetzen: sie stimmt mit jenem zusammen, empfängt ihre Principien von dorther und verwebt das Folgende mit jenem; dabei bewahrt sie unerschütterlich was sich selbst entsprechend der Beschaffenheit jenes erhalten kann, das übrige bewegt und lenkt sie seiner Natur gemäss, weshalb in dem herabsteigenden in dem Sinne die Ursache liegt, dass das eine hier seinen Platz erhält, das andere ihn dort hat.

16. Die mit Recht über die Bösen verhängten Strafen nun muss man füglich der Ordnung zuschreiben, die da alles gebührend leitet. Was aber den Guten mit Unrecht zustösst, wie Züchtigungen, Armuth, Krankheit: soll man das als eine Folge früherer Sünden bezeichnen? Es ist dies ja mit verflochten [in das Ganze] und kündigt sich im voraus an, so dass es anscheinend gleichfalls nach der Vernunft geschieht. Jedoch geschieht es nicht nach naturnothwendiger Vernunft und es lag nicht in der Absicht, sondern war eine unbeabsichtigte Folge. Wenn z.B. ein Gebäude einstürzt, so erschlägt es den, der darunter zu. Hegen kommt, gleichviel wer er ist; oder wenn zwei Dinge oder auch nur eins in bestimmter Ordnung fortbewegt werden, so wird das ihnen in den Weg kommende beschädigt oder vernichtet. Vielleicht ist sogar dieses [scheinbare] Unrecht, ohnehin kein Hebel für den der's leidet, von Nutzen für den Zusammenhang des Ganzen. Was auf Grund früherer Verhältnisse geschieht, ist doch wohl nichts unrechtes. Denn man darf nicht glauben, dass einiges in einer bestimmten Ordnung beschlossen, anderes dem eigenen Belieben überlassen ist. Denn wenn alles nach Ursachen und natürlichen Consequenzen, nach einem Gedanken [Grunde] und einer Ordnung geschehen muss, so muss man annehmen, dass auch die kleineren Dinge mit hineingeordnet und verwebt sind. Gewiss ist das von dem einen dem andern zugefügte[24] Unrecht ein Uebel für den Thäter und er ist der Verantwortung nicht los und ledig, da es aber mit eingeordnet worden im All, so ist es in jenem kein Unrecht, auch nicht gegen den der's erlitten, sondern es war so nothwendig. Ist der Leidende gut, so schlägt dieses ihm zum Guten aus. Denn man darf nicht glauben, dass diese Einordnung gottlos oder ungerecht sei, sondern muss sie als eine genau abgemessene und entsprechende Widervergeltung ansehen, die ihre verborgenen Ursachen hat und denen, die sie nicht kennen, Veranlassungen zum Tadel giebt.

17. Dass aber die Seelen aus dem Intelligiblen zuerst in das Bereich des Himmels gehen, kann man etwa aus folgenden Erwägungen schliessen. Denn wenn der Himmel in der Region des sinnlich Wahrnehmbaren besser ist [als alles andere], so dürfte er an die äussersten Enden des Intelligiblen reichen. Von dorther also wird dies [Himmlische] zuerst beseelt und nimmt als das zur Theilnahme Geeignetere Theil. Die erdige Masse dagegen ist das letzte, zur Theilnahme an der Seele weniger Geeignete und fern von der unkörperlichen Natur. Alle Seelen also erleuchten den Himmel und geben jenem gleichsam ihr meistes und erstes Theil, das andere aber wird durch das später Kommende erleuchtet. Die welche weiter heruntergehen, senden ihre Strahlen mehr nach unten, ohne dass sie selbst durch ihr weites Hervorgehen gewinnen. Denn es giebt etwas wie einen Mittelpunkt, an diesem einen von ihm ausstrahlenden Kreis, daran einen andern. Licht vom Lichte. Ausserhalb dieser ist kein andrer Lichtkreis mehr, sondern dieser hat aus Mangel an eigenem Licht fremden Glanz nöthig. Es mag dies ein Kreisel sein oder vielmehr eine Kugel, welche von der dritten Sphäre ihr Licht empfängt (denn sie stösst an sie), soweit jene erleuchtet wird. Das grosse Licht also leuchtet in sich verbleibend und von ihm geht im Verhältniss ein Strahl aus, das übrige erleuchtet zugleich mit, wobei das eine bleibt, das andere weiter herangezogen wird durch den Glanz des Erleuchteten. Ferner nun bedarf das Erleuchtete grösserer Sorge, und wie im Sturm die Steuerleute eine viel grössere Sorge auf die Schilfe verwenden und ohne auf sich selbst zu achten vergessen, dass sie oft in Gefahr sind mit in den Schiffbruch hineingezogen zu werden: so neigten auch diese sich mehr nach unten und halten nicht Acht auf ihre eigensten Angelegenheiten; dann wurden sie festgehalten wie durch Zauberfesseln gebunden d.h. durch die Sorge um die Natur zurückgehalten. Wenn aber jeder Organismus so[25] geschaffen wäre wie das All, nämlich ein vollkommener, sich selbst genügender, den Gefahren der Affection enthobener Körper, dann würde die als gegenwärtig bezeichnete Seele ihm nicht beiwohnen, sondern ihm Leben gewähren, indem sie gänzlich in der obern Welt verbleibt.

18. Ob aber die Seele nachdenkt und überlegt, bevor sie in den Körper eingeht und nachdem sie ihn wieder verlassen hat? Indessen das Nachdenken kommt erst dann in sie hinein, wenn sie bereits in Verlegenheit gerathen ist, wenn sie mit Sorge erfüllt und mehr und mehr schwach wird; denn eine Verminderung der Intelligenz ist es, zur vollen Befriedigung des Nachdenkens und der Ueberlegung zu bedürfen. Gleicherweise kommt bei den Künsten den Künstlern das Nachdenken erst in den Sinn, wenn sie in Verlegenheit sind; ist die Aufgabe keine schwierige, dann bewältigt und vollbringt sie die Kunstfertigkeit. Aber wenn sie dort ohne vernünftige Ueberlegung sind, wie können sie dann noch vernünftige sein? Weil sie, möchte jemand sagen, wenn die Umstände günstig sind, einer Sache auf den Grund kommen können. Man muss aber eine derartige Erwägung anstellen; nimmt man nämlich den aus der Intelligenz stets werdenden und in ihnen vorhandenen Zustand d.h. eine ständige Thätigkeit und deren Abspiegelung gleichsam für vernünftige Ueberlegung, so dürften sie auch dort eine vernünftige Ueberlegung ausüben. Doch darf man, glaube ich, nicht meinen, dass sie sich der Worte bedienen, während sie im Intelligiblen sind, aber Körper im Himmel haben. Und schlechterdings dürfte dort nicht stattfinden was die Seelen hier aus Mangel oder Zweifel mit einander reden; thun sie in bestimmter Ordnung und naturgemäss jedes, so befehlen oder rathschlagen sie nicht, vielmehr erkennen sie ihre gegenseitigen Obliegenheiten durch Intuition. Erkennen wir doch auch hier vieles an denen, die schweigen, bloss durch den Blick. Dort aber ist jeder Körper rein und ein jeder gleichsam Auge, nichts ist verborgen oder simulirt, sondern ohne dass einer es dem andern sagt, erkennt jener es auf den ersten Blick. Dass dagegen die Dämonen und Seelen in der Luft sich der Sprache bedienen, hat nichts widerstrebendes, denn es sind lebende Wesen.

19. Fällt aber das Theilbare und Untheilbare wie zusammengemischt in eins zusammen? oder bezeichnen wir auf eine andere Weise und in anderer Hinsicht das Untheilbare, das Theilbare dagegen gleichsam als unmittelbare Folge und einen andern Theil der Seele, so wie wir einen Theil [an ihr] vernünftig,[26] einen andern unvernünftig nennen? Es wird klar sein, wenn zuvor entschieden ist, was wir unter jedem von beiden verstehen. Das Untheilbare nun nennt Plato schlechthin so, das Theilbare aber nicht schlechthin, sondern in den Körpern, sagt er, werde die Seele theilbar, nicht sie sei es geworden. Man muss demnach betrachten, was für einer Seele die Natur des Körpers zum Leben bedarf und was von der Seele überall dem Körper und zwar dem ganzen innewohnen muss. Alles Sensitive also, wenn anders es durchweg empfinden soll, gelangt zur Theilung; denn da es überall ist, kann man sagen, es sei getheilt. Erscheint es aber überall ganz, so kann man es nicht schlechtweg getheilt nennen, sondern dass es in den Körpern theilbar werde. Sagt jemand, in den andern Empfindungen sei es nicht getheilt sondern nur in der Berührung, so ist zu entgegnen, auch in den andern; denn wenn das Participirende Körper ist, dann muss es nothwendig so getheilt werden, weniger freilich als in der Berührung. Und in der That verhält es sich ganz gleich mit der vegetativen und nährenden Kraft derselben; und hat ferner ein anderes Vermögen seinen Sitz in der Leber, ein anderes im Herzen, so sind auch diese denselben Bedingungen unterworfen. Aber vielleicht empfängt dies der Körper nicht in jener Mischung, vielleicht entstellt dies auf eine andere Weise und als Resultat eines hinzu empfangenen Dinges. Vernünftige Ueberlegung aber und Intelligenz gehen sich dem Körper selbst nicht hin. Denn ihr Werk wird nicht durch ein Organ des Körpers vollendet; dies würde hinderlich sein, wenn es jemand bei den Untersuchungen in Anwendung bringen wollte. Ein anderes also ist jedes von beiden, das Theilbare und Untheilbare, und nicht wie in eins zusammengemischt sondern wie ein Ganzes aus Theilen, indem ein jedes rein ist und unvermischt der Kraft nach. Wenn jedoch auch das an den Körpern werdende Theilbare das Untheilbare aus der Kraft von oben hat, so kann ebendieselbe untheilbar und theilbar sein, gleichsam gemischt aus sich selbst und der von oben in sie eingegangenen Kraft.

20. Wir müssen auch darthun, ob diese und die andern sogenannten Theile der Seele an einem Ort vorhanden sind oder ob diese überhaupt nicht an einem Ort, die andern an einem Ort und wo, oder ob überhaupt keiner. Denn weisen wir den einzelnen Theilen der Seele keinen Ort an indem wir nirgend dafür eine Stelle finden, so werden wir, sie ebensowohl in als ausser dem Körper annehmend, diesen unbeseelt[27] machen und nicht im Stande sein zu sagen, wie die durch körperliche Organe geschehenden Verrichtungen vor sich gehen sollen; weisen wir den einen einen Platz an, den andern nicht, so werden wir die letztern nicht als in uns vorhanden zu betrachten scheinen, wonach denn unsere Seele nicht ganz in uns wäre. Demnach dürfen wir überhaupt nicht sagen, dass ein Theil der Seele oder die ganze im Körper wie in einem Raume sei. Denn der Raum ist etwas umschliessendes und zwar den Körper umschliessendes, und wo ein jedes getheilt ist, da ist es, so dass es in jedem beliebigen nicht ganz ist. Die Seele hingegen ist nicht Körper und nicht so sehr etwas umschlossenes als umschliessendes. Sicherlich auch nicht wie in einem Gefäss. Denn dann würde der Körper unbeseelt geworden sein, mag er sie nun wie ein Gefäss oder wie ein Raum umschliessen, es müsste denn durch eine Art Mittheilung geschehen, wobei sie in sich selbst gesammelt bleibt, und dann wird das, was das Gefäss empfangen, für sie verloren sein. Der Raum indessen an sich und eigentlich betrachtet ist etwas unkörperliches und kein Körper, wozu also bedarf er der Seele? Ausserdem wird sich der Körper mit der äussersten Grenzlinie seiner selbst, nicht mit sich selbst der Seele nähern. Auch noch vieles andere könnte man der Behauptung entgegenstellen, sie sei im Körper wie in einem Raume. Denn dann würde der Raum stets mit herumgetragen. Aber auch dann, wenn der Raum ein Zwischenraum wäre, würde sie noch viel weniger im Körper wie im Raume sein. Denn der Zwischenraum muss leer sein, der Körper ist nicht leer. Aber vielleicht wird das leer sein, worin der Körper ist, so dass der Körper im Leeren sich befindet. Allein die Seele wird nicht im Körper sein wie in einem Substrat. Denn das in einem Substrat Vorhandene ist eine Affection des Substrats, wie Farbe und Gestalt, und die Seele ist etwas Trennbares. Andererseits ist sie auch nicht wie ein Theil im Ganzen, denn die Seele ist kein Theil des Körpers. Sagte jemand, sie sei ein Theil in dem gesammten lebendigen Organismus, so würde zunächst dieselbe Schwierigkeit bleiben, wie sie im Ganzen ist. Sie wird nicht darin sein wie der Wein oder der Krug im Kruge, oder auf die Art wie etwas in sich selbst ist. Aber auch nicht wie das Ganze in den Theilen; denn lächerlich wäre es, die Seele das Ganze und den Körper die Theile zu nennen. Aber auch nicht wie die Form in der Materie, denn die Form an der Materie ist unzertrennlich und die Form kommt später zu der bereits vorhandenen Materie. Die Seele bewirkt, selbst eine andere als die Form, die Form[28] in der Materie. Wenn sie aber nicht die gewordene sondern die getrennte Form meinen, so ist noch nicht klar, wie diese Form im Körper ist; und die Seele ist etwas Trennbares. Wie heisst es nun von Seiten aller, die Seele sei im Körper? Doch wohl, weil nicht die Seele sondern der Körper sichtbar ist. Indem wir also den Körper sehen, ihn als beseelt auffassen weil er bewegt wird und empfindet, sagen wir, er habe eine Seele. Also könnten wir folgerecht wohl sagen, in dem Körper selbst sei die Seele. Wenn aber die Seele sichtbar und fühlbar wäre, ganz und gar von Leben umschlossen und bis an die äussersten Enden sich gleichmässig erstreckend, so würden wir nicht behaupten, die Serie sei im Körper, sondern im Vorzüglichsten und Ersten sei was nicht derartig, in dem Umfassenden das Umfasste, in dem nicht Fliessenden das Fliessende.

21. Wie also? Was werden wir sagen, wenn jemand fragt, wie sie im Körper ist, ohne selbst seine Ansicht darüber auszusprechen? Desgleichen, ob sie in gleicher Weise ganz darin sei oder ein Theil auf diese, ein anderer auf andere Weise? Da nun von den vorgebrachten Ansichten über die Art und Weise ihres Vorhandenseins keine auf das Verhältniss der Seele zum Körper anwendbar erscheint, daneben aber gesagt wird, die Seele sei so im Körper wie der Steuermann im Schiffe, so ist das hinsichtlich der Trennbarkeit der Seele wohl gesprochen; die Art und Weise jedoch, wie wir sie jetzt suchen, möchte dies nicht völlig darlegen. Denn wie ein Passagier mag sie wohl zufällig im Körper sein, aber als Steuermann wie? Denn dieser ist doch nicht im ganzen Schiffe wie die Seele im Körper. Oder muss man sagen, sie ist so darin wie dir Kunst in den Werkzeugen, z.B. im Steuermann? Gleich als wenn das Steuerruder beseelt wäre so dass die kunstgerecht es bewegende Steuerkraft darin sein würde; nun aber besteht der Unterschied darin, dass die Kunst von aussen kommt. Wenn wir nun nach dem Beispiel vom Steuermann, der sich selbst in das Steuerruder hineinlegt, der Seele ihre Stellung im Körper wie in einem natürlichen Werkzeug anwiesen (denn so regiert sie ihn in dem was sie thun will), würden wir daraus einen Gewinn ziehen für unsere Untersuchung? Vermutlich werden wir doch wieder nicht wissen wie sie in dem Werkzeug ist, obwohl dieser Modus sich von den früheren unterscheidet: wir verlangen gleichwohl noch darnach ihn zu finden und näher an die Frage heranzutreten.

22. Lässt sich nun wohl, wenn die Seele im Körper ist,[29] sagen, sie sei darin wie das Licht in der Luft ist? Denn auch dieses ist gegenwärtig nicht gegenwärtig, und durch das All hin gegenwärtig vermischt es sich mit nichts und beharrt für sich, während jene vorüberwallt. Und wenn die Luft sich dem Bereich des Lichtes entzieht, so geht sie davon ohne Licht, so lange sie indessen unter dem Licht hin sich befindet, ist sie erleuchtet; daher kann man auch hier mit Recht sagen, die Luft ist im Licht, ebenso gut wie das Licht ist in der Luft. Darum setzt auch Plato sehr richtig im Weltall die Seele nicht in den Körper sondern den Körper in die Seele und sagt, es gebe ein Gebiet der Seele, worin der Körper, ein anderes, worin nichts Körperliches sei, diejenigen Kräfte der Seele nämlich, deren der Körper nicht bedarf. Und ganz ebenso verhält es sich mit den andern Seelen. Man darf also nicht sagen, dass die andern Seelenkräfte im Körper vorhanden seien, sondern nur die, deren er bedarf, und dass sie dabei weder in den Theilen desselben noch auch im ganzen ihren Sitz haben, dass ferner in Bezug auf die Empfindung das Vermögen des Empfindens in allem Empfindenden, in Bezug auf die Thätigkeiten ein anderes Vermögen in einem andern vorhanden sei. Ich meine so:

23. Da der beseelte Körper erleuchtet wird von der Seele, so nimmt nach unserer Ansicht ein Theil desselben so, ein anderer so daran Theil. Gemäss der Tauglichkeit des Organs zur Verrichtung, welche zur Verrichtung die erforderliche Kraft verleiht, nennen wir die Kraft in den Augen Sehkraft, die in den Ohren Hörkraft, reden wir von Geschmack auf der Zunge, von Geruch in der Nase, den Tastsinn aber legen wir dem ganzen Körper bei. Denn hinsichtlich dieses Erfassens dient der ganze Körper der Seele als Organ. Da die erfassenden Organe in den ersten Nerven liegen, welche ja auch die Kraft haben zur Bewegung des lebenden Wesens, indem hier eine solche Kraft sich selbst mittheilt, und da dir Nerven vom Gehirn ihren Ausgang nehmen, so hat man hierin den Anfang der Empfindung, des Triebes und des ganzen lebenden Wesens überhaupt verlegt, indem man offenbar da, wo die Anfänge der Organe liegen, auch das was sie gebrauchen soll suchte. Besser aber wars zu sagen, dort sei der Anfang der Thätigkeit jener Kraft; denn von wo aus das Organ in Bewegung gesetzt werden musste, dorthin musste sich jene Kraft des Künstlers, die dem Organ entspricht, mit allem Nachdruck neigen, oder vielmehr nicht die Kraft, denn die Kraft ist überall; aber dort ist der Anfang der Thätigkeit, wo der Anfang des Organs liegt. Da nun die Kraft des[30] Empfindens und Begehrens der Seele, deren Natur eine empfindende und vorstellende ist, über sich selbst ihre Vernunft hat gleichsam zu dem Untern sich nahe herablassend, über dem sie selbst [die Seele] ist, so wurde ihr von den Alten gerade hier in den obern Theilen des Thiers, im Haupte ihre Stelle angewiesen, nicht als ob sie im Gehirn wäre, sondern in demjenigen empfindenden Theile, mittelst dessen jene [die Vernunft] ihren Sitz im Gehirn hat. Denn dies Sensitive musste man dem Körper beilegen, vornehmlich dem zur Aufnahme der Wirksamkeit tauglichen, was aber nirgend mit dem Körper in Gemeinschaft steht musste durchaus in Gemeinschaft treten mit dem, was eine Form der Seele war und zwar der Seele, welche die Verbindung [Communication] mit der Vernunft vermitteln kann. Denn das empfindende Vermögen ist in gewisser Weise ein urtheilendes und das vorstellende gewissermassen ein denkendes. Trieb und Streben folgen der Vorstellung und der Vernunft. Das denkende Vermögen ist also dort nicht wie an einem bestimmten Orte, sondern weil das Dortige an ihm Antheil gewinnt. Wie sich aber das Dortige beim Empfindungsvermögen verhält, ist gesagt worden. Da andererseits die vegetative, die vermehrende und ernährende Kraft keinem Körpertheil fehlt, die Ernährung durch das Blut geschieht, das ernährende Blut sich in den Adern befindet, der Anfang von Andern und Blut in der Leber liegt, so wurde hier der Sitz des begehrenden Theils der Seele gedacht. Denn was erzeugt und nährt und vermehrt, das muss auch begehren. Da ferner dünnes, leichtes, scharfes und reines Blut ein dem Zorne angemessenes Organ ist, so wurde die Quelle dieses (denn hier wird derartiges Blut ausgesondert) als der dem Aufbrausen des Zornes angemessene Sitz erachtet.

24. Aber wo wird die Seele weilen, nachdem sie den Körper verlassen hat? Nun, da wird sie nicht sein, wo nicht irgendwie etwas sie Aufnehmendes ist, auch kann sie nicht verweilen bei dem, das seiner Natur nach sie nicht aufzunehmen vermag, falls dies nicht etwas an sich hat, was die vernunftlose an sich zieht. Wenn aber etwas anderes sie hat, so ist sie in jenem und folgt ihm daselbst, wo dies seiner Natur nach sein und hinkommen kann. Da dies aber an jedem Ort vieles ist, so muss die Verschiedenheit herrühren von der Beschaffenheit [der Seele] sowie von der in den Dingen waltenden Gerechtigkeit. Denn niemand wird je dem entrinnen, was er wegen seiner ungerechten Handlungen zu leiden schuldig ist; denn unvermeidlich ist das göttliche Gesetz, das zugleich[31] in sich die Vollziehung des bereits gefällten Urtheils in sich schliesst. Es wird auch der Leidende selbst ohne sein Wissen zu dem getrieben, was er leiden soll, indem er durch die rastlose Bewegung in seinen Irrthümern umgetrieben wird; zuletzt aber geräth er wie ermüdet von dem vielen, dem er entgegenarbeitete, an den ihm angemessenen Ort, indem er sich durch freiwilliges Entgegenkommen dem unfreiwilligen Leiden unterzieht. Es ist aber in dem Gesetz gesagt, wieviel und in wieviel er leiden muss, und andererseits laufen wieder das Ertragen der Züchtigung und die Macht, aus jenen Oertern zu entfliehen, zusammen durch die Macht der alles umfassenden Harmonie. Dadurch dass die Seelen einen Körper haben, haben sie auch die Theilnahme an den körperlichen Strafen. Diejenigen aber, welche rein sind und in keinerlei Weise etwas vom Körper an sich gezogen haben, sind nothwendig frei vom Kultur. Wenn sie also sind und zwar nirgendwo im Körperlichen (denn sie haben keinen Körper), so wird da, wo die Wesenheit und das Seiende und das Göttliche ist, unter diesen und an einem solchem Ort eine solche Seele sein. Fragst du noch wo, so suche dir den Ort, wo jene sind; suche aber nicht mit den Augen und wie wenn du Körper suchst.

25. Was das Gedächtniss anbetrifft, so ist es gleicher Weise einer Untersuchung werth, ob allen Seelen, die von den Oertern hier unten geschieden sind, das Erinnern zukommt, oder einigen andern nicht; ob sie an alles oder an einiges denken, oder wenn sie sich erinnern, ob stets oder nur für die dem Weggang nahe liegende Zeit. Wollen wir jedoch hierüber dir Untersuchung in der rechten Weise anstellen, so ist festzustellen, was eigentlich das Erinnernde ist. Ich meine nicht, was das Gedächtniss ist, sondern worin es seiner Natur nach besteht in den Dingen. Denn was das Gedächtniss ist, ist anderswo gesagt und oft erörtert, was dasjenige dagegen ist, das seiner Natur nach zur Erinnerung geschaffen ist, muss genauer darlegt werden. Wenn wirklich das Vermögen der Erinnerung zusammenhängt mit einer von aussen erworbenen Erfahrung oder einer Affection, so kann denen, die von den Dingen unafficirt und der Zeit nicht unterworfen sind, das Erinnern schwerlich zukommen. Demnach also ist Erinnerung Gott und den Seienden und dem Geist nicht beizulegen. Denn auf sie erstreckt sich die Zeit nicht, sondern die Ewigkeit herrscht im Reiche des Seienden, auch nicht das Frühere und das Folgende, sondern es ist stets wie es in sich selbst gleichmässig ist ohne eine Veränderung[32] zu erfahren. Was aber in demselben und sich gleichbleibenden Zustande ist, wie könnte das zur Erinnerung gelangen, da es nicht hat noch erhält eine andere Lage nach der früher inne gehabten oder eine andere Einsicht nach einer andern, wonach es einmal in einer andern sich befände, dann einer andern, die es früher hatte, gedächte? Aber was hindert, dass es die Veränderungen anderer Dinge kennt ohne sich selbst zu verändern, z.B. die Weltperioden? Nun, weil es das eine früher, das andere später erkennen wird, wird es den Veränderungen dessen was sich wandelt folgen, und das Erinnern ist etwas anderes als das Erkennen. Seine eigenen Vorstellungen und Gedanken darf man doch nicht Erinnern nennen, denn es kam nicht um sie festzuhalten, damit sie nicht davongingen; sonst würde es für sein eigenes Wesen fürchten müssen, dass es ihm davonginge. Demnach darf man auch von der Seele das Erinnern nicht in derselben Weise aussagen wie wir etwa das Erinnern beziehen auf das, was ihr angeboren ist, sondern da sie hier ist, hat sie es ohne demgemäss thätig zu sein, besonders wenn sie erst hierher gekommen ist. Dir Alten freilich scheinen schon um der Thätigkeit willen den Seelen, die demgemäss was sie hatten thätig sind. Erinnerung und Wiedererinnernng beizulegen, so dass dies eine zweite Art der Erinnerung ist. Deshalb ist diese so bezeichnete Erinnerung auch unabhängig von der Zeit. Allein wir gehen hierin vielleicht etwas oberflächlich zu Werke und nicht wie es einer gründlichen Untersuchung geziemt. Denn vielleicht schwankt jemand, ob er jener Seele Wiedererinnerung und Erinnerung beilegen soll und nicht vielmehr einer andern niedrigeren oder dem zusammengesetzten [lebenden] Wesen. Denn eignen sie einer andern, wann und wie hat sie sie erhalten? eignen sie dem lebenden Wesen [Organismus], wann und wie? Darum ist zu erforschen was in uns die Erinnerung erhält, worauf sich auch von Anhang an unsere Untersuchung richtete. Und wenn die Seele es ist, welche sich erinnert, welche Kraft oder welcher Theil ist es? Wenn aber der Organismus, welcher ja auch einigen als das Empfindende erschien, welches ist die Art und Weise und wie muss man den Organismus definiren? Ferner, muss man zur Aufnahme der Empfindungen und Gedanken ein und dasselbe setzen oder für jedes von beiden ein anderes?

26. Wenn nun beide Theile des Organismus in den wirklichen Empfindungen gegenwärtig sind, so muss es ähnlich so sein bei dem Empfinden. Deshalb wird es auch als etwas[33] gemeinsames betrachtet, z.B. das Bohren und Weben, wonach denn die Seele die Stelle des Künstlers, der Körper die Stelle des Werkzeugs vertritt, indem der Körper das leidende und dienende ist, die Seele den Eindruck des Körpers aufnimmt oder doch das Urtheil, dass sie aus der Affection des Körpers gewonnen. Hier also würde auf diese Weise die Empfindung ein gemeinsames Werk genannt, die Erinnerung hingegen brauchte nicht etwas gemeinsames zu sein, da die Seele bereits den Eindruck aufgenommen und ihn entweder bewahrt oder verloren hatte; es müsste denn jemand auch die Erinnerung als etwas gemeinsames bezeichnen infolge der Beobachtung, dass wir durch gewisse Complexionen des Körpers vergesslich werden sowohl als ein gutes Gedächtniss haben. Allein auch so könnte man sagen, der Körper werde hinderlich oder auch nicht hinderlich, der Seele aber komme nichtsdestoweniger das Erinnern zu. Wie wird vollends die Erinnerung an Gegenstände wissenschaftlicher Erkenntniss beiden Theilen gemeinsam und nicht der Seele allein zukommen? Ist aber der lebendige Organismus ein aus beiden Zusammengesetztes in dem Sinne, dass er als ein anderes aus beiden erscheint, so wäre es zuerst ungereimt, denselben weder als Körper noch als Seele zu bezeichnen. Denn nicht nach Vertauschung beider Bestandtheile wird der Organismus ein anderes sein noch auch nach ihrer Vermischung, so dass die Seele der Kraft nach in dem Organismus wäre. Doch auch so wird nichtsdestoweniger der Seele das Erinnern zu kommen, sowie in einer Mischung von Wein und Honig der süsse Geschmack von dem Honig herrühren wird. Wie aber, wenn sie selbst zwar Subject des Erinnerns ist, dadurch aber dass sie im Körper und nicht mehr rein ist, sondern eine bestimmte Qualität angenommen hat, die Typen der sinnlich wahrnehmbaren Dinge abformen kann und gleichsam eine feste Position im Körper hat, um sie aufzunehmen und festzuhalten? Allein erstlich sind die Typen keine räumlichen Grössen, nicht etwa mit Abdrücken eines Siegels oder Eindrücken oder Abformungen zu vergleichen, weil ein Druck oder eine Abformung wie im Wachs nicht stattfindet, sondern es geht auch bei den sinnlich wahrnehmbaren Dingen zu wir bei den Gedanken. Von welchem Druck und Gegendruck aber könnte man bei den Gedanken reden? Oder was bedarf es eines Körpers oder einer körperlichen Qualität, unter deren Mitwirkung der Gedanke sich bildet? Sicherlich muss doch auch eine Erinnerung ihrer eigenen Regungen in ihr entstehen, z.B. an das wonach sie begehrte und das sie nicht genoss, ohne dass der Gegenstand[34] des Begehrens auch nur in den Körper Eingang fand. Denn wie könnte der Körper etwas von dem aussagen, was keinen Eingang in ihn fand? Und wie könnte das in Gemeinschaft mit dem Körper sich erinnern, was seiner Natur nach eine Kenntniss des Körpers überhaupt nicht hat? Indessen man muss sagen: alles was durch den Körper gebt endet in der. Seele, anderes gehört der Seele allein zu, wenn die Seele etwas [an sich] sein, wenn sie eine bestimmte Natur und ein eigenthümliches Werk haben soll. Verhält es sich so, dann hat sie auch ein Streben, also auch Erinnerung an dies Streben, an den Erfolg und Nichterfolg desselben, da ja ihre Natur nicht zur Zahl der fliessenden Dinge gehört. Verhalt es sich nicht so, dann werden wir ihr auch keine Mitempfindung, kein begleitendes Bewusstsein, keine Zusammenfassung der Eindrücke und gewissermassen kein Selbstbewusstsein beilegen. Denn gewiss wird sie dies, wenn sie nichts davon in ihrer Natur hat, nicht im Körper gewinnen, vielmehr hat sie einige Thätigkeiten, zu deren Verwirklichung Organe erforderlich sind, aber dazu bringt sie das Vermögen mit, zu einigen Werken auch die Kraft der Verwirklichung. Was aber die Erinnerung betrifft, so bildet dafür der Körper ein Hinderniss, da ja in dem jetzigen Zustande durch Hinzutreten gewisser Dinge das Vergessen entstellt, in der Hinwegnahme und Reinigung die Erinnerung häufig wieder auftaucht. Besteht diese nun für sich allein, so muss nothwendig die bewegliche und fliessende Natur des Körpers der Grund des Vergessens aber nicht der Erinnerung sein, daher unter dem Strom der Lethe wohl auch eben diese [fliessende Natur] verstanden werden kann. Die Erinnerung soll also eine Affection der Seele sein.

27. Aber welcher Seele? der von uns als die göttlichere bezeichneten, die unser Wesen ausmacht, oder der andern, der Weltseele? Es ist wohl zu sagen, dass jede von beiden Erinnerungen hat, einestheils eigene, anderntheils gemeinschaftliche. Sind die Seelen beide miteinander vereint, dann sind alle Erinnerungen zusammen; sind sie auseinander gegangen, dann bewahrt, falls sie beide sind und bleiben, die eine ihr Eigenthum längere Zeit, das der andern nur auf kurze Zeit. Was z.B. das Schattenbild des Herakles im Hades betrifft, so meine ich müssen wir annehmen, dass es sich aller während des Lebens vollbrachten Thaten erinnert, denn ihm eignete ja vorzugsweise auch das Leben; was aber Herakles selbst ohne das Schattenbild sagte, ist noch nicht auseinandergesetzt. Was also möchte die andere, losgelöste Seele allein sagen? Denn die (vom Körper) nachgezogene[35] Seele dürfte zwar alles behalten, was der Mensch gethan und gelitten; aber mit der Zeit gegen Ende des Lebens stellen sich andere Erinnerungen aus den früheren Perioden des Daseins ein, so dass sie einiges davon wohl auch aus Missachtung fahren lässt. Denn freier geworden vom Körper wird sie auch das, was sie hier nicht im Gedächtniss hatte, wiedererwerben. Geht sie aber bei ihrem Scheiden in einen anderen Körper über, so wird sie die Dinge des äussern Lebens erzählen und was sie so eben verlassen hat, wird aber auch vieles von den früheren Erlebnissen erzählen. Von dem vielen aber, was durch die Zeitläufte hinzugekommen ist, wird sie für immer nichts wissen. Die vom Körper isolirte also, woran wird sie gedenken? Zuvor jedoch muss untersucht werden, durch welche Kraft der Seele das Erinnern bewerkstelligt wird.

28. Etwa durch dieselbe, wodurch wir empfinden und wodurch wir lernen? Oder rufen wir uns durch die Kraft des Begehrens die Gegenstände des Begehrens und durch die Kraft des Zürnens die Gegenstände des Zornes zurück? Denn es wird nichts anderes sein, wird man sagen, was geniesst als was sich an den Genuss erinnert. Die Begierde wenigstens wird durch dieselbe Kraft, durch die sie den Genuss gehabt hat, wieder erregt beim Anblick des begehrten Gegenstandes. Denn warum sonst nicht beim Anblick eines andern und nicht in dieser Weise? Was hindert also, ihr auch die Empfindung dieser Dinge beizulegen und demnach dem Empfindenden die Begierde und so durchweg, so dass ein jedes nach dem vorherrschenden Vermögen benannt wird? Die Empfindung muss man einem jeden doch wohl in anderer Weise beilegen, etwa so: das Gesicht sieht, nicht das Begehrende, es wird aber von der sinnlichen Wahrnehmung das Begehrende gleichsam durch Mittheilung und Uebertragung erregt, nicht der Art dass es die Qualität der sinnlichen Wahrnehmung bestimmt, sondern so dass es ohne ein Bewusstsein davon zu haben afficirt wird. Desgleichen beim Zorn; das Auge sieht ein Unrecht geschehen, aber der Zorn wird dadurch erregt, z.B. während der Hirt einen Wolf der Heerde nahen sieht, wird der Hund durch den Geruch oder die Spur ohne ihn selbst mit den Augen zu sehen erregt. Demgemäss also hat das Begehrende sich des Gegenstandes bemächtigt und hat von daher eine Spur des Geschehenen, nicht als Gedächtniss und Erinnerung sondern als Zustand und Affection; etwas anderes dagegen ist was den Genuss gesehen hat und nun bei sich selbst eine Erinnerung von dem Geschehenen besitzt. Ein Beweis dafür ist, dass die Erinnerung oft die[36] Gegenstände nicht kennt, welche das Begehrende genossen, und wenn sie in ihm wäre, müsste sie sie doch kennen.

29. Werden wir also wohl der sinnlichen Wahrnehmung die Erinnerung beilegen und wird für uns Erinnerung und sinnliche Wahrnehmung dasselbe sein? Allein wenn auch das Schattenbild sich erinnert, wie gesagt wurde, so wird die sinnliche Wahrnehmung eine doppelte sein; und wenn die sinnliche Wahrnehmung nicht das Gedächtniss ist, sondern irgend etwas anderes, so wird die Quelle der Erinnerung eine doppelte sein. Wenn ferner die sinnliche Wahrnehmung auch auf Gegenstände der Erkenntniss geht, so wird sie auch auf die Gedanken gehen. Indessen für beides gehört eine andere Kraft. Werden wir nun etwa, indem wir die Kraft der Perception als etwas [der vernünftigen und vernunftlosen Seele] gemeines betrachten, diesem Gemeinsamen die Erinnerung an beides [Sinnliches und Intelligibles] beilegen? Wenn dasjenige, welches Sinnliches und Intelligibles auffasst, ein und dasselbe ist, so würde damit etwas gesagt sein; wenn man es aber theilt, so werden es nichtsdestoweniger zwei Dinge sein. Geben wir nun jeder von beiden Seelen beides, so erhalten wir viererlei. Ueberhaupt aber, was zwingt uns, dass wir durch dasselbe, wodurch wir wahrnehmen, auch erinnern und dass dies beides durch die nämliche Kraft geschieht, und dass wir durch dasselbe, wodurch wir denken, uns auch der Gedanken erinnern? Haben doch die besten Denker nicht auch das beste Gedächtniss, und ein gleiches Maass sinnlicher Wahrnehmung entspricht nicht dem gleichen Maasse der Erinnerung: einige erfreuen sich einer feinen Wahrnehmungsgabe, andere eines guten Gedächtnisses ohne im Besitz einer scharfen Empfindungsgabe zu sein. Indes andererseits wieder, wenn beides etwas anderes sein und etwas anderes sich auch an das erinnern soll, was die Empfindung früher wahrgenommen hat, so wird auch jenes Vermögen wahrnehmen, woran es sich eben erinnern soll. Inzwischen wird nichts im Wege stehen, dass für das Gedächtniss der Act der Wahrnehmung ein Act der Vorstellung sei und dass dem davon verschiedenen Vorstellungsvermögen die Erinnerung und das Festhalten desselben zukommen; denn dies ist es, worin die sinnliche Wahrnehmung endet, und wenn diese auch nicht mehr ist, bleibt doch das vorgestellte Bild. Wenn nun bei diesem [Vorstellungsvermögen] die Vorstellung des schon wieder verschwundenen Gegenstandes bleibt, so hat es die Erinnerung, und bleibt sie nur kurze Zeit, so ist die Erinnerung eine geringe; bleibt sie lange, so haben solche[37] Leute ein längeres Gedächtniss, weil eben die Kraft dazu eine stärkere ist, so dass bei einer Veränderung derselben die Erinnerung nicht leicht schwindet. Dem Vorstellungsvermögen also wird das Gedächtniss und die Erinnerung an dergleichen zukommen. Wir werden jedoch zugeben, dass hinsichtlich der Erinnerungen eine Verschiedenheit obwaltet, je nachdem die Kräfte oder Beschäftigungen verschieden sind oder nicht, oder je nachdem verschiedenartige körperliche Complexionen vorhanden sind oder nicht, die eine Veränderung und gleichsam Verwirrung hervorbringen können oder nicht. Doch hiervon ein andermal.

30. Aber was hält die Gedanken fest? Etwa gleichfalls das Vorstellungsvermögen? Wenn jeden Gedanken eine Vorstellung begleitet, dann könnte vielleicht, indem diese Vorstellung, gleichsam ein Bild des Denkinhaltes, bleibt, auf diese Weise das Gedächtniss den erkannten Gegenstand festhalten; wenn aber nicht, so ist etwas anderes ausfindig zu machen. Vielleicht wird dem Begriff, welcher den Gedanken begleitet, die Uebermittelung an das Vorstellungsvermögen zukommen. Denn der Gedanke ist untheilbar, noch nicht nach aussen herausgetreten und in sich selbst verborgen, der Begriff aber, der ihn entfaltet und aus dem Bereich des Gedankens in das Gebiet der Vorstellung überführt, zeigt den Gedanken wie in einem Spiegel und das Erfassen desselben ist so die beharrliche Erinnerung. Deshalb erfassen wir ihn [erst dann], wenn die Seele, die doch immer zum vernünftigen Denken hinstrebt, im Gedanken angekommen ist. Denn ein anderes ist das Denken, ein anderes das Erfassen [Innewerden] des Denkens; wir denken zwar immer, werden desselben aber nicht immer inne. Dies kommt daher, dass das aufnehmende Organ nicht bloss die Gedanken aufnimmt, sondern auch die entsprechenden sinnlichen Wahrnehmungen.

31. Allein wenn die Erinnerung Sache des Vorstellungsvermögens ist, jede der beiden Seelen aber, wie gesagt, sich erinnert, so giebt es zwei Arien von Vorstellungsvermögen. Wenn sie getrennt sind, dann mag eine jede ihres haben; wenn sie aber bei uns in eins zusammenfallen, wie können da die zwei und in welcher von ihnen entstehen? Wenn in beiden, so werden die Vorstellungen immer doppelte sein; denn der einen kommt doch wohl nicht das Vorstellungsvermögen nur der sinnlichen Dinge zu, der andern das der nur intelligiblen; auf diese Weise würden ja schlechterdings zwei lebende Wesen entstehen, die nichts mit einander gemein hätten. Wenn also[38] beiden das Vorstellungsvermögen zukommt, welches ist da der Unterschied? Wie kommt es dann, dass wir das nicht erkennen? Nun, wenn die eine mit der andern übereinstimmt, so dass getrennte Vorstellungsvermögen nicht vorhanden sind und dasjenige der bessern Seele die Oberhand hat, entsteht ein einiges Vorstellungsbild, indem das eine wie ein Schalten das andere begleitet und wie ein kleineres Licht unter dem grösseren hinläuft; herrscht aber Streit und Entzweiung, dann wird auch die eine an sich sichtbar, doch ist sie in einem andern verborgen, wie denn überhaupt die Doppelexistenz der Seelen eine verborgene ist. Sie sind nämlich beide in eins zusammengekommen und die eine schwebt oben auf. Es sah nun die eine alles und bei ihrem Weggang behält sie einige Erinnerungen, andere lässt sie fahren, von denen nämlich, die der andern zugehören; so ähnlich wie wirs auch machen: haben wir einmal den Umgang mit schlechteren Gefährten mit einem besseren vertauscht, so denken wir wenig mehr an jene, mehr hingegen an die besseren Genossen.

32. Wie aber stehts mit der Erinnerung an Freunde, an Weib und Kind? an Vaterland und alle die Dinge, deren sich ein braver Mann mit Fug und Recht erinnert? Nun, jenes [Bild der Seele] hat die Erinnerungen davon mit einem gewissen Affect, dieser dagegen [der Mensch als vernünftige Seele] ohne Affect; denn der Affect liegt vielleicht ursprünglich in jenem und die edleren Affecte in der tugendhaften Serie, soweit sie mit der andern in Gemeinschaft gestanden. Es ziemt aber der schlechteren, nach der Erinnerung an die Wirkungen der andern zu streben, besonders wenn sie selbst tüchtig ist, denn es kann eine Seele sowohl von Anfang an als durch Erziehung von Seiten der besseren besser werden; die andere aber muss willig dessen vergessen wollen, was von der schlechteren ausgeht. Es kann auch wohl geschehen, dass die von Natur schlechtere von der andern mit Gewalt im Zaum gehalten wird. Je mehr sie also nach oben trachtet, desto mehr vergisst sie, wenn nicht etwa ihr ganzes hiesiges Leben von der Art ist, dass die Erinnerungen sich nur auf die bessern Dinge erstrecken, da es ja auch hier schön ist, allen menschlichen Bestrebungen zu entsagen. Nothwendig also auch solchen Erinnerungen; daher kann man sie in dieser Hinsicht mit Recht vergesslich nennen. Flieht sie doch auch aus der Vielheit heraus und führt die Vielheit zur Einheit, das Unbegrenzte und Maasslose dahintenlassend. So verkehrt sie denn auch nicht mit vielen, sondern lebt leicht beschwingt und durch[39] sich selbst, denn auch hier, wenn sie dort sein will, giebt sie hier noch verweilend alles Fremde auf. Wenig also behält sie dort auch von hier zurück; während sie im Himmel weilt, mehr. Und jener Herakles mag sich seiner Heldenkraft rühmen, dieser aber achtet auch dies gering, er sieht sich an einen heiligeren Ort versetzt und weilt im Intelligiblen und überragt den Herakles durch Wettkampfe, wie sie weise Männer vollbringen.

Quelle:
Plotin: Die Enneaden. Band 2, Berlin 1880, S. 8-40.
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