Erstes Buch.
Ueber die drei ursprünglichen Hypostasen

1. Was in aller Welt hat es denn bewirkt, dass die Seelen, die doch von dorther ihr Wesen haben und überhaupt jenem angehören, Gott den Vater vergassen und so weder sich selbst noch jenen kennen? Der Anfang und das Princip des Bösen nun war für sie der tollkühne Hochmuth und die Werdelust und das erste Anderssein und das Verlangen sich selbst anzugehören. Da sie also ihrer Selbstherrlichkeit offenbar froh waren, indem sie sich vielfach aus sich selbst heraus bewegten, so verloren sie, da sie den entgegengesetzten Weg einschlugen und sich sehr weit entfernten, die Erkenntniss, dass sie selbst von dorther stammen; wie die Kinder, die alsbald von den Vätern getrennt und lange Zeit hindurch in der Ferne aufgezogen werden, weder sich selbst noch ihren Vater mehr kennen. Indem sie also weder jenen noch auch sich selbst mehr sahen, vielmehr sich selbst nicht ehrten aus Unkenntniss ihres Ursprungs, sondern das andere ehrten und alles mehr als sich selbst bewunderten und zu diesem sich erstaunt hinwandten und es lieb gewannen und sich an diese Dinge hingen, so rissen sie sich selbst soweit als möglich von dem los, das sie aus Geringschätzung aufgegeben. So wird die Werthschätzung dieser Dinge hier und die Geringschätzung ihrer selbst der Grund zur vollständigen Unkenntniss jenes. Denn wenn es einem andern nachjagt und es bewundert, so giebt zugleich das Bewundernde und Nachjagende zu geringer zu sein; indem es sich aber selbst als etwas geringeres denn die entstehenden und vergehenden Dinge hinstellt und sich als das unwertheste und hinfälligste von allen Dingen, die es ehrt, betrachtet, dürfte ihm kaum jemals weder die Natur noch die Kraft Gottes in den Sinn kommen. Deshalb ist eine doppelte Beweisführung nöthig für die Leute in dieser Verfassung, falls es etwa gelingen soll, sie zu dem Gegentheil und dem Ursprung hinzuwenden und heraufzuführen bis hin zu dem Höchsten und[141] Einen und Ersten. Welches ist nun diese doppelte Beweisführung? Die eine zeigt den Unwerth der jetzt von der Seele geehrten Dinge – diese wollen wir anderswo ausführlicher durchgehen; die andere belehrt und erinnert die Seele an ihren Ursprung und ihren Werth und sie geht jener vorauf, die sie, ihrerseits zur Evidenz erhoben, klar machen wird. Mit ihr haben wir uns jetzt zu beschäftigen, denn sie liegt der Untersuchung nahe und führt mehr als jene zur Sache. Denn das Untersuchende ist die Seele und muss wissen, was sie selbst es seiend untersucht, damit sie sich selbst zuvor kennen lerne, ob sie die Kraft zu einer solchen Untersuchung hat, ob sie ein zum Sehen befähigtes Auge hat und ob die Untersuchung am Platze ist. Liegen ihr nämlich die Dinge fern, wozu dann? Sind sie ihr innerlich verwandt, so schickt sichs und kann sie es finden.

2. Es soll demnach jede Seele zuerst jenes erwägen, dass sie selbst alle lebenden Wesen ihnen Leben einhauchend gemacht hat, alle die die Erde und das Meer ernährt, die in der Luft und die göttlichen Gestirne am Himmel, sie die selbst auch die Sonne und diesen grossen Himmel gemacht hat, den sie selbst geschmückt hat und in geordnetem Kreislauf führt, sie die selbst eine andere Natur ist als die Dinge, welche sie schmückt und bewegt und ins Leben ruft; ferner dass sie selbst höhern Werth hat als alle diese Dinge, die entstehen und vergehen, je nachdem die Seele sie verlässt oder ihnen Leben spendet, wobei sie selbst immer ist, da sie sich nicht selbst verlässt. Welches aber die Art und Weise ist das Leben zu spenden, sowohl in dem All als in den Einzeldingen, soll sie so überlegen. Es betrachte also die grosse Seele eine andere Seele, die in nicht geringem Grade zur Betrachtung befähigt worden dadurch, dass sie sich entfernt hat von der Täuschung und den Blendwerken der übrigen, in einem ruhigen Zustande befindlich. Ruhig sei ihr nicht bloss der sie umschliessende Körper und des Körpers unruhiges Wogen, sondern auch alles was sie umgiebt: ruhig die Erde, ruhig das Meer und die Luft und der Himmel selbst ohne Wogen. Sie bemerke, dass von allen Seiten her in den ruhenden Kosmos die Seele von aussen gleichsam einströmt und sich ergiesst und von überall hereindringt und hineinleuchtet. Wie die leuchtenden Strahlender Sonne eine dunkle Wolke erglänzen lassen und einen goldigen Schein erzeugen, so verleiht auch die in den Körper des Himmels eingehende Seele ihm Leben, verleiht ihm Unsterblichkeit und erweckt ihn aus der Ruhe. Der aber, von der Seele mit[142] Vernunft und Sorgfalt in ewiger Bewegung geführt, wurde ein glückseliges beseeltes Wesen, und nachdem die Seele Wohnung in ihm genommen, erhielt der Himmel seine Würde, während er zuvor ohne Seele ein todter Körper war, Erde und Wasser oder vielmehr Dunkel der Materie und ein Nichtseiendes und »was die Götter hassen«, wie jemand sagt. Noch einleuchtender und deutlicher dürfte ihre Kraft und Natur werden, wenn jemand hier darüber nachdenken wollte, wie sie mit ihren eigenen Rathschlüssen den Himmel umschliesst und führt. Denn seiner ganzen Grosse nach hat sie sich ihm hingegeben und jeder Zwischenraum ob gross oder klein ist beseelt, indem ein Theil des Körpers in diesem, ein anderer in: jenem Theil der Seele liegt und der eine so, der andere so, disponirt ist und die Dinge theils im Gegensatz theils in Abhängigkeit von einander stehen. Aber nicht ist die Seele also, beschaffen und nicht wirkt sie zerstückelt durch einen Theil von sich einem jeden Theile der Seele das Leben, sondern alles insgesammt lebt durch die ganze und ganz ist sie überall gegenwärtig, dem erzeugenden Vater ähnlich und gemäss dem Einen und Allverbreiteten. Und obwohl der Himmel vielfach getheilt und an verschiedenen Orten verschieden ist, so ist er doch etwas Einheitliches durch die Kraft dieser und ein Gott ist durch sie diese Welt. Es ist auch die Sonne ein Gott, weil beseelt, und die andern Gestirne und wir, wenn wir etwas sind, sind es hierdurch: »denn Todte sind werthloser als Mist, den man hinauswirft.« Die Ursache also, die den Göttern ihr göttliches Wesen verleiht, muss ein älterer Gott als sie selbst sein; ihr gleichartig ist auch unsere Seele, und wenn du sie betrachtest ohne die Zusätze in ihrer Besonderung und Reinheit, so wirst du dasselbe werthvolle Wesen, das die Seele ausmacht, finden, ja ein werthvolleres als alles was körperlich ist. Denn Erde ist alles; und wenn es Feuer ist, was wäre das Brennende an ihm? Und so verhält sichs mit allem hieraus Zusammengesetzten, wenn du Wasser und Luft hinzusetzest. Und wenn es, weil beseelt, erstrebenswerth sein wird, warum will man sich selbst aufgeben und einem andern nachjagen? Vielmehr die Seele in einem andern bewundernd bewundere dich selbst.

3. Da also die Seele etwas so werthvolles und göttliches ist, so halte dich überzeugt, dass du durch ein solches Vehikel einem Gott nachjagest, und steige mit Hülfe einer solchen Ursache auf zu jenem; keineswegs wirst du in die Weite streben, es giebt keine vielen Zwischenräume. Ergreife demnach ein[143] göttlicheres Theil als dies Göttliche, ich meine den dem Oberen benachbarten Theil der Seele, an welchem und durch welchen die Seele ist. Denn obwohl sie, wie gezeigt, ein Ding für sich ist, ist sie doch das Abbild der Vernunft; wie der sich nach aussen entfaltende Begriff ein Product des Begriffs in der Seele ist, so ist auch sie selbst ein Begriff der Vernunft und ganz Energie wie das Leben, das sie in eine andere Daseinsform entsendet, ähnlich wie am Feuer die an ihm haftende und die von ihm entsandte Wärme unterschieden wird. Man muss sie aber dort nicht auffassen als eine herausfliessende, sondern als eine theils in ihm bleibende, theils heraustretende. Herstammend also von der Vernunft ist sie vernünftig und in Vernunftschlüssen besteht ihre Vernunft und ihre Vollendung rührt auch von der Vernunft her, gleichwie ein Vater den Sohn aufzieht und ausbildet, den er nicht vollkommen im Vergleich zu sich selbst erzeugt hat. Die Daseinsform also kommt ihr von der Vernunft und der schöpferisch wirksame Begriff, indem die Vernunft von ihr geschaut wird. Denn wenn sie auf die Vernunft blickt, so hat sie drinnen und eigenthümlich was sie denkt und wirkt. Und das allein darf man vernünftige Wirkungen der Seele nennen, was vernünftig und von Hause aus geschieht; die geringeren Wirkungen kommen anderswoher und sind Affectionen einer solchen Seele. Der Intellect also macht sie mehr und mehr göttlich, dadurch dass er ihr Vater ist und ihr beisteht. Denn nichts liegt dazwischen als was sein Wesen im Anderssein hat, so jedoch, dass die Seele unmittelbar hinterher ist und aufnimmt, der Intellect aber als das Formprincip zu betrachten ist; schön ist aber auch die Materie des Intellects, da sie vernunftgleich ist und einfach. Was es also mit dem Intellect auf sich hat, ist eben hierdurch klar; dass er höher und mächtiger ist als selbst diese ausgezeichnete Seele, kann man auch aus Folgendem sehen.

4. Wenn jemand diese sichtbare Welt bewundert, indem er auf ihr Grösse und Schönheit und die Ordnung der ewigen Bewegung sieht und auf die Götter in ihr, die theils sichtbar theils auch unsichtbar sind, desgleichen auf die Dämonen und Thiere und alle Pflanzen: so steige er empor zu ihrem wahren und wesentlichen Urbild und schaue auch dort, wie alles vernünftig und von sich ewig in eigener Vernunft und eigenem Leben besteht und wie an der Spitze dieser der unversehrte Intellect steht und unaussprechliche Weisheit und das wahrhaftige Leben unter dem Kronos, der ein Sohn (Koros) Gottes und der Intellect ist. Denn alles Unsterbliche befasst er in sich, den gesammten[144] Intellect, Gott ganz und gar, die gesammte Seele, ewig ruhend. Denn wozu sucht der eine Veränderung, mit dem es gut bestellt ist? Wo soll der hin- und wozu übergehen, der alles bei sich hat? Auch einen Zuwachs sucht er nicht, da er der vollkommenste ist. Darum ist auch alles bei ihm vollendet, damit er in allen Stücken vollkommen sei, nichts in sich tragend was nicht derartig wäre, nichts was nicht denkt: er denkt aber nicht suchend sondern habend. Und seine Seligkeit ist nicht etwas hinzuerworbenes, sondern von Ewigkeit her und ewig ist alles, und er ist die wahre Ewigkeit, welche die Zeit, die Seele umkreisend, nachahmt, indem sie das eine vorüberlässt, das andere aufgreift. Denn anderes und immer wieder anderes kreist um die Seele: bald ein Sokrates, bald ein Pferd, immer eins von dem Daseienden; der Intellect ist alles. Er hat also in sich selbst alles an derselben Stelle ruhend und ist allein und ist immer gegenwärtig, niemals zukünftig noch vergangen; denn nichts ist dort vergangen, sondern es steht immer, da es mit sich identisch ist und gleichsam mit sich selbst in dieser Lage zufrieden. Jedes einzelne davon ist Intellect und seiend und die Gesammtheit ganz Intellect und ganz seiend: der Intellect, indem er gemäss dem Denken das Seiende zu Stand und Wesen bringt, das Seiende, indem es durch das Gedachtwerden dem Intellect das Denken und das Sein verleiht; die Ursache des Denkens aber ist eine andere, dieselbe wie die des Seienden. Für beide also giebt es eine andere gemeinsame Ursache. Denn zugleich sind jene vorhanden und verlassen sich einander nicht, vielmehr constituiren sie in ihrer Zweiheit dieses Eine, welches zugleich Intellect und seiend und denkend und gedacht ist: der Intellect gemäss dem Denken, das Seiende gemäss dem Gedachten. Denn es würde das Denken nicht entstehen, wenn es kein Anderssein gäbe neben der Identität. Demnach sind die ersten Principien: Intellect, Seiendes, Anderssein, Identität, wozu man auch noch Bewegung und Ruhe nehmen muss; und zwar Bewegung wegen des Denkens, Ruhe um der Identität willen. Das Anderssein ist erforderlich, damit es ein Denkendes und Gedachtes giebt; oder wenn du das Anderssein hinweggenommen, so wird das daraus hervorgegangene Eine schweigen. Es muss aber auch das Gedachte im Verhältniss zu einander verschieden sein. Ebenso ein und dasselbe, da es mit sich selbst eins ist, und auch etwas gemeinsames in allen Dingen; doch ist hier der Unterschied das Anderssein. Diese Mehrzahl der Principien constituirt die Zahl und die Quantität;[145] ebenso die Eigenthümlichkeit eines jeden derselben die Qualität, woraus als aus den ersten Gründen das übrige hervorgeht.

5. Als eine Vielheit also ist dieser Gott in dieser Seele vorhanden, die mit dieser sich verknüpft, wenn sie nicht abtrünnig werden will. Hat sie sich ihm also genähert und ist sie gleichsam Eins geworden, so sucht sie ihn. Wer ist nun der Erzeuger dieses, der einfache und vor einer solchen Vielheit existirende, der Grund für das Sein und Vielessein jenes, der die Zahl hervorbringt? Denn die Zahl ist nicht das erste; denn vor der Zweiheit ist ja die Eins, in zweiter Linie steht die Zweiheit und von dem Einen geworden hat sie jenes als das Bestimmende, sie selbst ist an sich unbestimmt; ist sie aber bestimmt, so ist sie bereits Zahl, aber Zahl als Substanz. Zahl ist auch die Seele. Denn nicht Massen und Grössen sind das erste; denn diese concreten Dinge sind später, welche die sinnliche Wahrnehmung für seiend halt. Auch in den Samenkörnern ist nicht das Feuchte das eigentlich Werthvolle, sondern das was nicht gesehen wird, und dies ist Zahl und Begriff. Also die dort sogenannte Zahl und Zweiheit sind Begrifft und Intellect, jedoch ist die Zweiheit unbestimmt dadurch dass sie gleichsam wie an einem Substrat aufgefasst wird, aber die aus ihr und der Eins entspringende Zahl ist die Form einer jeden gleichsam durch die in ihr entstandenen Formen gebildeten Zahl. Doch wird sie auf eine andere Weise durch die Eins, auf eine andere durch sich selbst gebildet, ähnlich dem Sehen der Wirklichkeit nach; denn das Denken ist ein Sehen, das sich um das Eine bewegt.

6. Wie sieht sie nun [die Intelligenz] und wen? und wie ist sie überhaupt zu Stande gekommen und aus jenem Ersten geworden, damit sie sehe? Nun hat zwar die Seele die Nothwendigkeit der Existenz dieser Principien, sie verlangt aber das vielfach auch von den allen Weisen behandelte Problem zu lösen, wie aus diesem einen Seienden nach der Beschaffenheit, die wir ihm vindiciren, irgendetwas seine Daseinsform [Hypostase] sei es eine Menge oder Zweiheit oder Zahl erhalten habe, und nicht vielmehr jenes in sich selbst verharrte, sondern eine solche Menge ihm entströmte, die wir unter den vorhandenen Dingen wohl sehen, die wir aber zu jenem zurückzuführen verlangen.

In der Weise nun soll davon gesprochen werden, dass wir Gott selbst anrufen, nicht mit lauten Worten, sondern indem wir uns mit der Seele strecken zum Gebet, die wir zu jenem nur dann beten können, wenn wir allein ihm allein[146] gegenübertreten. Es muss also wer jenen schauen will, ihn der drinnen wie in einem Heiligthum in sich selbst ist und ruhig bleibt erhaben über alle Dinge, die gleichsam schon mehr nach aussenstehenden Götterbilder oder vielmehr das zuerst erscheinende Götterbild anschauen, das auf folgende Weise sein Erscheinen kund giebt.

Jedem Bewegten muss etwas zu Grunde liegen, nach dem hin es sich bewegt. Liegt ihm nichts zu Grunde, so werden wir ihm auch keine Bewegung zuschreiben, sondern wenn etwas nach ihm wird, so muss es werden indem jenes sich immer zu sich selbst hinwendet. Störend soll uns nicht das Werden in der Zeit in den Weg treten, die wir eine Untersuchung über das ewig Seiende anstellen; sprechen wir in der Untersuchung dennoch von einem Werden desselben, um ihm einen Antheil an dem Grund und der Ordnung zu gewähren, so ist gleichwohl zu sagen, dass das von dorther Werdende, ohne dass jenes sich bewegt, wird. Denn wenn etwas würde indem jenes sich bewegt, so würde das von jenem her nach der Bewegung Werdende als ein drittes und nicht als ein zweites werden. Da also jenes unbewegt ist, so muss, wenn etwas als zweites nach ihm sein soll, dieses zu Stande kommen, ohne dass jenes sich hinneigt oder es will oder überhaupt sich regt. Wie nun? und als was müssen wir uns ein jenes als Bleibendes Umgebendes vorstellen? Als einen ringsum aus ihm hervorbrechenden Glanz, aus ihm dem Bleibenden, wie das glänzende, um sie herumlaufende Licht der Sonne, das aus ihr der bleibenden stets erzeugt wird. Und alles Seiende solange es bleibt setzt aus seinem Wesen eine nothwendige Hypostase heraus, welche um dasselbe nach seinem äussern Rand hin kreist und geknüpft ist an die hülfreich gegenwärtige Kraft desselben, als ein Abbild gleichsam des Urbildes, aus dem es entstanden: das Feuer strahlt die Wärme von sich aus, auch das Eis behält seine Kälte nicht bloss in sich; am meisten bezeugen dies alle wohlriechenden Essenzen, denn solange sie existiren, geht etwas aus ihnen sich um sie verbreitend hervor, welches in seinem Vorhandensein alles in der Nähe Befindliche geniesst. Auch alles bereits Vollkommene zeugt und erzeugt ein Geringeres als es selbst ist; aber das stets Vollkommene erzeugt auch stets ein Ewiges. Was ist nun über das Vollkommenste zu sagen? Nichts kommt von ihm als das Grösste nach ihm. Das Grösste aber nach ihm ist der Intellect und das Zweite; es sieht auch der Intellect auf jenes und bedarf seiner allein, jenes aber dieses durchaus nicht; und das von dem, was höher[147] ist als der Intellect, Erzeugte ist seinem Wesen nach Intellect, und hoher als alles [Erzeugte] ist der Intellect, weil das andere nach ihm ist; so ist auch die Seele Begriff und gewissermassen Energie des Intellects, wie dieser Energie jenes. Indessen ist der Begriff der Seele dunkel; denn wie ein Abbild des Intellects muss diese auf den Intellect blicken, ebenso der Intellect auf jenes Erste, damit er Intellect sei. Er sieht aber jenes nicht getrennt, sondern weil er unmittelbar nach ihm und ohne einen Zwischenraum ist, wie auch zwischen der Seele und dem Intellect kein Zwischenraum liegt. Alles Erzeugte aber sehnt sich nach dem Erzeuger und liebt ihn, ganz besonders wenn sie allein sind, der Erzeuger und das Erzeugte. Wenn aber der Erzeuger auch das beste ist, so steht das Erzeugte nothwendig mit ihm im Zusammenhang, in der Art dass es nur durch das Anderssein getrennt ist.

7. Ein Bild jenes nennen wir den Intellect (denn wir müssen deutlicher reden) erstens, weil in gewisser Weise das Erzeugte jenes sein und vieles von ihm bewahren und ihm ähnlich sein muss, wie auch das Licht Aehnlichkeit hat mit der Sonne. Aber nicht ist jenes Intellect. Wie erzeugt es nun den Intellect? Nun weil es durch die Hinwendung zu sich selbst sah; und dieses Sehen ist Intellect. Denn dasjenige, was ein anderes percipirt, ist entweder sinnliche Wahrnehmung oder Intellect; den Intellect versinnbildlicht ein Kreis, die sinnliche Wahrnehmung eine Linie und das übrige. Allein der Kreis kann seiner Beschaffenheit nach getheilt werden, dieses aber nicht also. Oder auch hier ist ein Einheitliches, aber das Eine ist die Möglichkeit aller Dinge. Dessen Möglichkeit es nun ist, das sieht von der Möglichkeit gleichsam abgespalten das Denken; sonst wäre es nicht Intellect. Hat er doch auch von sich selbst bereits gleichsam eine Mitempfindung seiner Kraft, dass er eine Wesenheit [Substanz] selbst durch sich erzeugen kann und für sich selbst das Sein bestimmen durch die von jenem [Ersten] ausgehende Kraft und dass die Wesenheit gleichsam ein Theil ist der Wesenheiten jenes und aus jenem und gefestigt wird von jenem und zur Substanz sich vollendet von jenem und aus jenem. Er sieht aber selbst von dort her, dass ihm als einem Theilbaren das Leben, das Denken und alles aus einem Untheilbaren eignet, weil jenes nichts von allem ist; denn auf diese Weise ist alles aus jenem, weil jenes nicht durch irgendwelche Form festgehalten wurde; jenes ist eben nur Eins. Deshalb ist jenes nichts von dem im Intellect Befindlichen, aus ihm aber ist[148] alles im Bereiche des Seienden. Darum sind dies auch Substanzen, denn ein jedes ist bereits begrenzt und hat Form. Doch darf das Seiende nicht wie im Unbegrenzten befindlich betrachtet werden, sondern als durch eine Grenze und sichere Position befestigt; denn die feste Position [Stand, Status] ist für die intelligiblen Dinge Grenze und Gestalt, wodurch sie auch die Hypostase erlangen. Der so erzeugte Intellect wird mit Recht zu dem Allerreinsten gezählt und verdient keinen andern Ursprung als aus dem ersten Princip, und sobald er geworden ist, erzeugt er alles Seiende zugleich mit sich, die gesammte Schönheit der Ideen, alle intelligiblen Götter; erfüllt von alledem das er erzeugt hat, absorbirt er es gewissermassen wieder, weil er es in sich haben und nicht zulassen will, dass es wieder herausfalle und bei der Rhea ernährt werde, wie das auch die Mysterien und Göttermythen in ihrer räthselhaften Sprache andeuten wenn es heisst. Kronos sei als der weiseste Gott vor dem Zeus geworden und berge wieder in sich was er erzeuge: auf diese Weise sei er erfüllt und Intellect im Sohne [Koros]; darauf, heisst es, habe er den Zeus erzeugt, der schon war; denn der Intellect erzeugt die Seele als vollkommener Intellect. Da er nämlich vollkommen war, musste er erzeugen und eine so grosse Potenz konnte nicht unthätig sein. Höher und besser indessen konnte das Erzeugte auch hier nicht sein, sondern es musste als ein Abbild desselben geringer sein, in derselben Weise unbegrenzt, doch auch begrenzt und zur Form gestaltet von dem Erzeugenden. Das Erzeugniss des Intellects ist aber ein Begriff und das Gedachte eine Hypostase; und dies ist das um den Intellect Kreisende, das Licht des Intellects, eine an ihn geknüpfte Spur, einerseits mit jenem vereint und somit erfüllt und geniessend und Theil nehmend an ihm und denkend, andererseits geknüpft an die Dinge nach ihm oder vielmehr auch seinerseits zeugend was nothwendig geringer sein muss als die Seele. Darüber soll später gesprochen werden. Soweit die göttlichen Dinge.

8. Aus diesem Grunde stammt auch die Dreitheilung beim Plato: alles in unmittelbarer Umgebung des Königs aller Dinge nennt er das Erste, ein Zweites um das Zweite, ein Drittes um das Dritte herum. Er nennt auch einen Vater der Ursache, indem er als die Ursache den Intellect bezeichnet; denn der Intellect ist ihm der Demiurg, von diesem aber sagt er, er mache die Seele in jenem Mischkruge. Als den Vater der Ursache, die Intellect ist, bezeichnet er das Gute und das über den Intellect, ja über das Sein Erhabene. An vielen Stellen[149] nennt er auch das Sein und den Intellect Idee; also wusste Plato, dass aus dem Guten der Intellect, aus dem Intellect die Seele stammt; und somit sind diese Darlegungen nicht neu und nicht jetzt sondern schon langst ausgesprochen, wenn auch nicht klar und deutlich, vielmehr sind diese jetzigen Erörterungen nur Ausführungen jener, die das Alter jener Ansichten aus Platos Schriften selbst bezeugen und erhärten. Auch Parmenides berührte sich mit dieser Ansicht, insofern er das Seiende und den Intellect als identisch betrachtete und das Seiende nicht in die sinnlichen Dinge setzte. Denn indem er sagt: Denken und Sein sind identisch, nennt er das Denken auch unbewegt, wobei er jede körperliche Bewegung von ihm ausschliesst, damit es sich gleich bleibe, und es einer Kugel vergleicht, weil es alles umfasst hält und das Denken nicht ausser sich, sondern in sich hat. Indem er es in seinen Schriften Eins nannte, hatte er als Grund die Wahrnehmung, dass ja eben dieses Eine als Vieles angetroffen werde. Der Parmenides bei Plato aber redet genauer und scheidet von einander das ursprüngliche Eine, was im vorzüglicheren Sinne Eins ist, und das zweite Eine, das er Vieles nennt, und das dritte Eine und Viele. Und so stimmt auch er überein mit den drei Naturen.

9. Wenn ferner Anaxagoras den Intellect rein und ungemischt nennt, so setzt er gleichfalls das Erste als einfach und das Eine als gesondert, doch hat er, wie man es in einem so frühen Zeitalter nicht anders erwarten kann, eine genauere Darlegung versäumt. Auch Heraklit kennt das Eine als ewig und intelligibel; denn die Körper werden stets und sind in Fluss. Nach dem Empedokles trennt der Streit, die Liebe aber ist das Eine; als unkörperlich nimmt auch er dies; die Elemente vertreten die Stelle der Materie. Später nennt Aristoteles das Erste als gesondert und intelligibel, indem er aber sagt, es denke sich selbst, macht er es auch wieder nicht zum Ersten. Damit dass er noch vieles andere Intelligible annimmt und zwar so viel als Sphären am Himmel sind, damit ein jedes jegliche Sphäre bewege, spricht er in anderer Weise von den Dingen im Intelligiblen als Plato, wobei er in Ermangelung eines rationellen Grundes die Nothwendigkeit anzieht. Allein wenn es auch in rationeller Weise geschähe, könnte doch jemand Einwendungen machen; denn rationeller ist es, dass alle zu einer einheitlichen Ordnung beitragenden Sphären auf Eins und auf das Erste blicken. Auch dürfte jemand nachforschen, ob ihm das viele Intelligible aus dem einen Ersten stammt oder ob die Principien in dem Intelligiblen viele sind. Und[150] wenn aus dem Einen, so wirds damit offenbar sein analog den Sphären im Intelligiblen, von denen die eine die andere umfasst, eine aber, die äussere, sie beherrscht. Folglich wird auch dort das Erste alles umfassen und es wird einen intelligiblen Kosmos geben, und wie hier [in diesem Kosmos] die Sphären nicht leer sind, sondern die erste voll ist von Sternen und die andern Sterne haben, so wird auch dort das Bewegende vieles in sich haben und zwar wirklicher und wesenhafter dort. Wenn aber ein jedes Princip ist, dann werden die Principien es zufällig sein; und weshalb werden sie Zusammensein und zu einem Werk mit der Harmonie des gesammten Himmels in Einklang stehen? Wie sollen ferner die am Himmel sich bewegenden Dinge an Zahl gleich sein den intelligiblen? Wie können sie ferner, so viele sein als unkörperliche Wesen, wenn die Materie sie nicht trennt? Demnach haben also von den Alten hauptsächlich die Anhänger des Pythagoras und der Philosophen nach ihm sich eingehend mit dieser Natur befasst; aber die einen haben ihre Ansichten in ausgearbeiteten Schriften niedergelegt, andere nicht in Schriften, sondern haben sie ohne schriftliche Aufzeichnung in den Zusammenkünften kund gethan oder überhaupt sich nicht damit abgegeben.

10. Es ist also nunmehr gezeigt, dass man annehmen muss, es gebe über dem Seienden das Eine, wie die Argumentation es erweisen wollte, insoweit bei dergleichen überhaupt von einem Beweise die Rede sein kann; ferner es gehe unmittelbar nach dem Seienden einen Intellect und das dritte sei die Natur der Seele. Wie aber in der Natur die genannten Drei sind, so muss man sie auch bei uns annehmen. Ich meine nicht in den sinnlich wahrnehmbaren Dingen – denn diese sind davon getrennt – sondern ausserhalb an den sinnlich wahrnehmbaren Dingen und verstehe das »ausserhalb« eben so wie auch jene [Principien] ausserhalb des gesammten Himmels sind – so also meine ich das von dem Menschen, wie Plato von einem inwendigen Menschen spricht. Es ist also auch unsere Seele etwas göttliches und zugleich gehört sie der andern Natur an, wie das durchweg die Natur der Seele ist: vollkommen ist die mit dem Intellect begabte, der Intellect ist theils denkend, theils befähigt er zum Denken. Man wird nicht irre gehen, wenn man diesen denkenden Theil der Seele, der keines körperlichen Organs zum Denken bedarf, sondern seine eigene Energie rein für sich hat, damit auch ein reines Denken möglich sei, gesondert und unvermischt mit dem Körper[151] in das ursprünglich Intelligible setzt. Denn wir dürfen keinen Raum suchen wo wir es hinsetzen, sondern müssen es ausserhalb jedes Raumes statuiren. Deshalb sagt Plato von dem All: ›er hat auch von aussen her die Seele herumgelegt‹, womit er auf den im Intelligiblen bleibenden Theil der Seele hinweist. Auch die Aufforderung zur Trennung [der Seele vom Körper] ist nicht örtlich gemeint – denn dieser [der Körper] ist durch seine Natur getrennt – sondern er versteht das von dem Nichthinneigen, von den Vorstellungen und von der Entfremdung vom Körper, ob es vielleicht möglich wäre auch die übrige Species der Seele emporzuführen und mit der oberen auch die hier unten festgebannte Species zusammenzubringen, die nur das schöpferische und bildende Princip des Körpers ist und ihr Wesen und Geschäft im Bereiche dieses hat.

11. Da es nun eine Seele giebt, die über das Gerechte und Schöne nachdenkt, und da die Reflexion danach forscht, ob dieses gerecht und ob dieses schön ist, so muss nothwendig auch das Gerechte etwas feststehendes sein, von dem aus auch die Reflexion sich um die Seele herumbewegt. Oder wie könnte sie sonst reflectiren? Und wenn die Seele hierüber bald reflectirt, bald nicht, so darf nicht ein reflectirender, sondern ein das Gerechte stets besitzender Intellect in uns sein, so muss auch vorhanden sein das Princip des Intellects, der Grund und Gott, indem jener nicht theilbar ist, sondern bleibt; und indem er nicht örtlich bleibt, muss er wieder in vielen Dingen gedacht werden, je nachdem ein jedes ihn als einen andern aufnehmen kann, gerade so wie auch das Centrum an sich ist, aber doch ein jedes im Kreise seine Bezeichnung in ihm hat und die Linien ihr charakteristisches Merkmal auf dieses zurückführen. Denn mit einem derartigen in uns sind auch wir verknüpft und vereint, an ihm hangen wir; eine feste Position haben wir in ihm, die wir uns dorthin zustimmend neigen.

12. Wie kommt es nun, dass wir im Besitz so vortrefflicher Dinge sie doch nicht ergreifen, sondern häufig träge von solchen Thätigkeiten ausruhen, manche auch überhaupt nicht thätig sind? Nun, jene verharren stets in ihren Thätigkeiten, nämlich der Intellect und das vor dem Intellect stets in sich selbst Bleibende, – auch der Seele eignet so das Stetsbewegliche; doch ist alles in der Seele Befindliche darum noch nicht wahrnehmbar, sondern es kommt in uns hinein, wenn es in die Wahrnehmung tritt [zur Empfindung gelangt] – wenn aber das einzelne Thätige dem Wahrnehmenden nichts mittheilt, so hat es noch nicht die ganze Seele durchdrungen.[152] Wir erkennen also auch noch nicht, weil wir ja mit einem sinnlich Wahrnehmbaren verbunden und nicht ein Theil der Seele, sondern die gesammte Seele sind. Ferner, jeder lebendige Theil dessen was beseelt ist wirkt stets an sich das seinige; aber die Kunde davon empfangen wir, wenn eine Mittheilung und Perception stattfindet. Demnach muss, wenn eine Perception des so Gegenwärtigen zu Stande kommen soll, auch das Percipirende sich nach innen wenden und die Aufmerksamkeit hervorbringen; wie z.B. jemand, der aufpasst um einen bestimmten Laut zu hören, sich allen andern Lauten verschliesst und das Ohr spitzt auf den bessern Laut, so oft jener zu ihm dringt: so muss man auch hier die sinnlich hörbaren Laute, soweit es nicht dringend nöthig ist, fahren lassen und die zur Perception geeignete Kraft der Seele rein bewahren und geneigt zum Hören der Stimmen von oben.

Quelle:
Plotin: Die Enneaden. Band 2, Berlin 1880, S. 139,153.
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