§ 10.

[38] Das Ich enthält alles Sein, alle Realität. Sollte es eine Realität außerhalb des Ichs geben, so würde sie mit der im Ich gesetzten entweder übereinstimmen oder nicht. Nun ist alle Realität des Ichs bestimmt durch seine Unbedingtheit; es hat keine Realität, als insofern es unbedingt gesetzt ist. Gäbe es also eine Realität außer dem Ich, die mit der Realität im Ich übereinstimmte, so müßte diese Realität gleichfalls Unbedingtheit haben. Nun erhält aber das Ich alle seine Realität nur durch Unbedingtheit, mithin müßte Eine Realität des Ichs, die außer ihm gesetzt wäre, zugleich alle Realität desselben enthalten, d.h. es würde ein Ich außer dem Ich geben, was (§ 9) ungereimt ist. – Würde aber jene Realität außer dem Ich seiner Realität widerstreiten, so würde durch das Setzen jener eine Realität im Ich, und, da das Ich schlechthin Einheit ist, das Ich selbst mit aufgehoben, was ungereimt ist. (Wir sprechen vom absoluten Ich. Dieses soll Inbegriff aller Realität sein, und alle Realität soll ihm gleich gesetzt, d.h. seine Realität[38] sein. Es soll die Data, die absolute Materie der Bestimmung alles Seins, aller möglichen Realität enthalten.) Will man Einwürfe antizipieren, so müssen wir auch Antworten antizipieren. Unser Satz nämlich wäre freilich sehr bald widerlegt, wenn entweder ein vor allem Ich gesetztes Nicht-Ich denkbar, oder das dem Ich ursprünglich und schlechthin entgegengesetzte Nicht-Ich als absolutes Nicht-Ich realisierbar, kurz, wenn die Realität der Dinge an sich in der bisherigen Philosophie beweisbar wäre; denn alsdann würde alle ursprüngliche Realität ins absolute Nicht-Ich fallen.

Ding an sich nämlich wäre entweder das vor allem Ich gesetzte Nicht-Ich; allein es ist schon bewiesen, daß ein vor allem Ich gesetztes Nicht-Ich schlechterdings keine Realität habe, ja nicht einmal denkbar sein könne, weil es sich nicht, wie das Ich selbst, realisiert, und nur in der Entgegensetzung gegen das Ich, und zwar nicht gegen das bedingte (denn dieses ist nur Korrelatum des Objekts), sondern gegen das absolute Ich gedenkbar ist.

Oder wäre das Ding an sich das dem Ich in seiner Endlichkeit schlechthin entgegengesetzte Nicht-Ich in seiner bloßen Entgegensetzung. Nun ist es zwar richtig, daß das Nicht-Ich ursprünglich dem Ich schlechthin, und bloß als solches, entgegengesetzt wird11, weswegen auch das ursprüngliche Nicht-Ich kein bloß empirischer, abstrahierter Begriff sein[39] kann (denn um einen solchen Begriff in der Erfahrung zu finden, müßte Erfahrung selbst, d.h. das Dasein eines Nicht-Ichs, vorausgesetzt werden), ebensowenig ein allgemeiner Begriff a priori, (denn es ist zwar nicht schlechthin gesetzt, aber schlechthin entgegengesetzt, muß also) als ein Entgegengesetztes, in der Qualität seines Entgegengesetztseins ebenso absolut (entgegengesetzt) sein, als das Ich gesetzt ist). Dieses ursprüngliche Entgegensetzendes Nicht-Ichs schlechthin kann es auch allein möglich gemacht haben, sich ein absolutes Nicht-Ich vor allem Ich einzubilden. Denn, obgleich der Dogmatismus sich anstellt, als ob er imstande wäre, ein Nicht-Ich vor allem Ich, nicht entgegengesetzt, sondern schlechthin gesetzt zu denken, so wäre ihm doch selbst das bloße Denken eines absolut-gesetzten Nicht-Ichs unmöglich gewesen, hätte ihm nicht das absolut-entgegengesetzte vorschwebt, dem er dann überdies noch unvermerkt diejenige Realität lieh, die nicht dem schlechthin entgegengesetzten, sondern dein im Ich gesetzten Nicht-Ich zukommt.

Jenes schlechthin entgegengesetzte Nicht-Ich nämlich ist zwar nicht schlechterdings undenkbar, wie das schlechthin (d.i. vor allem Ich) gesetzte Nicht-Ich, aber es hat als solches schlechterdings keine, auch nicht einmal denkbare, Realität. Denn es ist eben deswegen, weil es dem Ich schlechthin entgegengesetzt ist, nur als bloße Negation, als absolutes Nichts gesetzt, von dein sich also auch nichts, schlechterdings nichts, als seine bloße Entgegensetzung gegen alle Realität aussagen läßt. Sowie wir ihm Realität mitteilen wollen, versetzen wir es aus der bloßen Sphäre des absoluten Entgegensetzens in die Sphäre des Bedingten, im Ich Gesetzten. Entweder ist es nämlich dein Ich schlechthin entgegengesetzt, also absolutes Nicht-Ich, d.h. absolutes Nichts, oder es wird zum Etwas,[40] zum Ding, d.i. es wird nicht mehr schlechthin entgegengesetzt, sondern bedingt, ins Ich gesetzt, d.h. es hört auf, Ding an sich zu sein.

Will man also das dem Ich ursprünglich und schlechthin entgegengesetzte Nicht-Ich Ding an sich nennen, so geht das recht gut an, sobald man nur unter Ding an sich absolute Negation aller Realität versteht; will man ihm aber als schlechthin entgegengesetztem Nicht-Ich Realität beilegen, so ist dies nur durch eine Täuschung der empirischen Einbildungskraft möglich, die ihm diejenige Realität leiht, die dem Nicht-Ich nur in der Qualität seines Gesetztseins im Ich zukommt. Da nämlich dem ursprünglich entgegengesetzten Nicht-Ich schlechterdings keine Realität, sondern bloße Negation, weder reines noch empirisches Sein, sondern gar kein Sein (absolutes Nichtsein) zukommt, so muß es, wenn es Realität bekommen soll, dem Ich nicht schlechthin entgegen, sondern in ihm selbst gesetzt sein. Insofern nämlich das Ich sich ursprünglich ein Nicht-Ich entgegensetzt (dasselbe nicht bloß ausschließt, wie das absolute Ich), setzt es sich selbst als aufgehoben. Da es aber zugleich sich selbst schlechthin setzen soll, so setzt es hinwiederum das Nicht-Ich als schlechthin aufgehoben = 0. Setzt es also das Nicht-Ich schlechthin, so hebt es sich auf, setzt es sich schlechthin, so hebt es das Nicht-Ich auf – und doch sollten beide gesetzt sein. Dieser Widerspruch ist nicht lösbar, als nur dadurch, daß das Ich sich das Nicht-Ich gleich setzt. Allein dem widerstrebt die Form des Nicht-Ichs. Mithin kann es dem Nicht-Ich nur Realität mitteilen, es kann das Nicht-Ich nur setzen als Realität, verbunden mit Negation. Das Nicht-Ich hat also so lange keine Realität, als es dem Ich nur entgegengesetzt, d.h. reines, absolutes Nicht-Ich ist; sobald ihm Realität mitgeteilt wird, muß es in den Inbegriff aller Realität, ins Ich, gesetzt werden, d.i. es muß aufhören, reines Nicht Ich zu sein. Um es nämlich in sich setzbar zu machen (was notwendig ist, da es zwar dem Ich entgegen – aber doch gesetzt sein soll), ist das Ich schlechthin genötigt, ihm seine Form, die Form des Seins und der Realität, der Unbedingtheit und der Einheit mitzuteilen. Dieser Form aber widerstrebt die Form des ursprünglich[41] entgegengesetzten Nicht-Ichs; mithin ist die Übertragung der Form des Ichs an das Nicht-Ich nur durch Synthesis beider möglich, und aus dieser übertragenen Form des Ichs, der ursprünglichen Form des Nicht-Ichs, und der Synthesis dieser beiden entstehen die Kategorien, durch welche allein das ursprüngliche Nicht-Ich Realität erhält (vorstellbar wird), eben deswegen aber aufhört, absolutes Nicht-Ich zu sein.

Mithin ist die Idee von Ding an sich schlechterdings nicht, weder durch ein vor allem Ich gesetztes, noch durch das dem Ich ursprünglich entgegengesetzte Nicht-Ich zu realisieren. Aber ebenso leicht könnte der Satz, daß im Ich alle Realität enthalten sei, umgestoßen werden, wenn die theoretische Idee eines objektiven, außer dem Ich vorhandenen Inbegriffs aller Realität realisierbar wäre. Wir räumen es ein, daß die höchste Synthesis, durch welche die theoretische Vernunft den Widerstreit zwischen Ich und Nicht-Ich zu lösen versucht, irgend ein x ist, in welchem diese beide Realitäten, das Ich und das im Ich gesetzte Nicht-Ich, als einem Inbegriff aller Realität, vereinigt werden sollen, daß demnach dieses x als etwas außer dem Ich, also = Nicht-Ich, aber ebensowohl als etwas außer dem Nicht-Ich, also = Ich, bestimmt ist, kurz, daß die theoretische Vernunft sich genötigt sieht, zu einem absoluten Inbegriff aller Realität = Ich = Nicht-Ich seine Zuflucht zu nehmen, und eben dadurch das absolute Ich als Inbegriff aller Realität aufzuheben.

Aber die höchste Synthesis der theoretischen Vernunft, die anders nichts, als der letzte Versuch, den Widerstreit zwischen Ich und Nicht-Ich beizulegen, ist, wird für uns, obgleich sie die absolute Realität des absoluten Ichs geradezu aufzuheben scheint, doch zugleich selbst der vollgültigste Bürge derselben, weil das Ich niemals genötigt sein könnte, jenen Widerstreit durch die Idee eines objektiven Inbegriffs aller Realität beizulegen, wäre nicht dieser Widerstreit erst dadurch möglich geworden, daß das Ich ursprünglich und vor allem Nicht-Ich als Inbegriff aller Realität gesetzt ist. Denn wäre dieses nicht der Fall, so könnte das Nicht-Ich eine vom Ich unabhängige und mit der Realität des Ichs zugleich setzbare Realität haben, mithin gäbe es keinen Widerstreit[42] zwischen beiden, also wäre auch keine Synthesis und kein objektiver Inbegriffs widerstreitender Realität notwendig. Ebenso wäre ohne jene Voraussetzung, daß das absolute Ich Inbegriff12 aller Realität sei, keine praktische Philosophie denkbar, deren Ende Ende alles Nicht-Ichs und Wiederherstellung des absoluten Ichs in seiner höchsten Identität, d.h. als Inbegriffs aller Realität, sein muß13.[43]

Quelle:
Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling: Werke. Band 1, Leipzig 1907, S. 38-44.
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