I. Vom ursprünglichsten Gegensatz zwischen Pflanze und Tier

Man hat neuerlich oft gesagt, Vegetation und Leben seien als chemische Prozesse anzusehen; mit welchem Recht, werde ich späterhin untersuchen. Es ist auffallend übrigens, daß man diesen Gedanken nicht benutzt hat, um aus ihm den ursprünglichsten Unterschied des vegetativen und animalischen Lebens abzuleiten.

Vorerst kennen wir zwei Hauptprozesse, von welchen die meisten Veränderungen der Körper in der anorgischen Natur abhängig sind, Prozesse, die auf jenen durch die ganze Natur herrschenden Gegensatz zwischen dem positiven und negativen Prinzip des Verbrennens sich beziehen. Die Natur, welche sich in Mischungen gefällt, und ohne Zweifel in einer allgemeinen Neutralisation enden würde, wenn sie nicht durch den steten Einfluß fremder Prinzipien ihr eigen Werk hemmte, erhält sich selbst im ewigen Kreislauf, da sie auf der einen Seite trennt, was sie auf der andern verbindet, und hier verbindet, was sie dort getrennt hat.

So ist ein großer Teil ihrer Prozesse dephlogistisierend, diesen aber halten beständige phlogistisierende Prozesse das Gleichgewicht, so daß niemals eine allgemeine Uniformität entstehen kann.

Wir werden daher vorerst zwei Hauptklassen von Organisationen annehmen, davon die erste in einem von der Natur unterhaltenen Desoxydationsprozeß, die andere in einem kontinuierlichen Oxydationsprozeß Ursprung und Fortdauer findet.[589]

Wir haben schon oben erinnert, daß oxydieren und dephlogistisieren, phlogistisieren und desoxydieren Wechselbegriffe sind, die in bezug aufeinander wechselseitig positiv und negativ sein können, wovon aber keiner etwas anderes als ein bestimmtes Verhältnis ausdrückt.

So wird also, wo die Natur einen Reduktions– oder Desoxydationsprozeß unterhält, kontinuierlich phlogistische Materie erzeugt, was bei den Pflanzen unleugbar ist; denn diese, dem Licht, d.h. dem allgemeinen Mittel der Reduktion, entzogen, werden bleich und farbelos; sobald sie dem Licht ausgesetzt werden, gewinnen sie Farbe, der offenbarste Beweis, daß phlogistischer Stoff in ihnen bereitet wird. Dieser (als das negative Prinzip) tritt hervor, sowie das positive verschwindet, und umgekehrt; und so existiert in der ganzen Natur keines dieser Prinzipien an sich, oder außerhalb des Wechselverhältnisses mit seinem entgegengesetzten.

So wie die Vegetation in einer steten Desoxydation besteht, wird umgekehrt der Lebensprozeß in einer kontinuierlichen Oxydation bestehen; wobei man nicht vergessen darf, daß Vegetation und Leben nur im Prozesse selbst bestehen, daher es Gegenstand einer besonderen Untersuchung ist, durch welche Mittel die Natur dem Prozeß Permanenz gebe, durch welche Mittel sie verhindere, daß es z.B. im tierischen Körper, solange er lebt, nie zum endlichen Produkt komme; denn es ist offenbar genug, daß das Leben in einem steten Werden besteht, und daß jedes Produkt, eben deswegen weil es dies ist, tot ist; daher das Schwanken der Natur zwischen entgegengesetzten Zwecken, das Gleichgewicht konträrer Prinzipien zu erreichen, und doch den Dualismus (in welchem allein sie selbst fortdauert) zu erhalten, in welchem Schwanken der Natur (wobei es nie zum Produkt kommt) eigentlich jedes belebte Wesen seine Fortdauer findet.


Zusatz

Seitdem man entdeckt hat, daß die Pflanzen dem Licht ausgesetzt Lebensluft aushauchen, und daß dagegen die Tiere[590] beim Atmen Lebensluft zersetzen und eine irrespirable Luftart aushauchen, hat man, bei dieser ursprünglich-inneren Verschiedenheit beider Organisationen, nicht mehr nötig, äußere Unterscheidungsmerkmale aufzusuchen, z.B. (nach Hedwig), daß die Pflanzen nach der Befruchtung ihre Zeugungsteile verlieren; um so mehr, da alle diese Merkmale, wie die Unwillkürlichkeit der Pflanzenbewegungen (z.B. bei Aufnahme der Nahrung, da nach Boerhaves sinnreichem Ausdruck die Pflanze den Magen in der Wurzel, das Tier die Wurzel im Magen hat), oder die Nervenlosigkeit der Pflanzen – alle zusammen aus jenem ursprünglichen Gegensatz erst abgeleitet werden müssen, wie ich im folgenden zeigen werde.

Es erhellet nämlich zum voraus, daß, wenn die Pflanze das Lebensprinzip aushaucht, das Tier es zurückhält, im letztern bei weitem mehr Schein der Spontaneität und Fähigkeit seinen Zustand zu verändern sein muß als im erstern. Ferner, daß das Tier, da es das Lebensprinzip (durch Luftzersetzung) in sich selbst erzeugt, von Jahreszeit, Klima usw. bei weitem unabhängiger sein muß als die Pflanze, in welcher das Lebensprinzip nur durch den Einfluß des Lichts (aus dem Nahrungswasser) entwickelt und durch denselben Mechanismus, durch welchen es entwickelt wird, auch kontinuierlich ausgeführt wird.

Die Vegetation ist der negative Lebensprozeß. Die Pflanze selbst hat kein Leben, sie entsteht nur durch Entwicklung des Lebensprinzips, und hat nur den Schein des Lebens im Moment dieses negativen Prozesses. In der Pflanze trennt die Natur, was sie im Tier vereinigt. Das Tier hat Leben in sich selbst, denn es erzeugt selbst unaufhörlich das belebende Prinzip, das der Pflanze durch fremden Einfluß entzogen wird.

Wenn übrigens die Vegetation der umgekehrte Prozeß des Lebens ist, so wird man uns verstatten, im folgenden unsere Aufmerksamkeit hauptsächlich auf den positiven Prozeß zu richten, um so mehr, da unsere Pflanzenphysiologie noch höchst mangelhaft, und da es natürlicher ist, das Negative durch das Positive, als das Positive durch das Negative zu bestimmen.[591]

Quelle:
Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling: Werke. Band 1, Leipzig 1907, S. 587,592.
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