Es gibt verschiedene Gründe, aus denen man, wenigstens als Zugabe zu einer Einleitung in die Philosophie selbst, auch einen Rückblick auf die früheren Systeme zweckmäßig finden kann. Auch die Wissenschaft ist ein Werk der Zeit und in einer stetigen Entwicklung begriffen. Jeder, der sich imstande glaubt, sie um einen großen oder kleinen Schritt weiter zu fördern, wird von selbst geneigt sein, sein Verhältnis zu dem, was ihm vorherging, zu zeigen, um auf diese Art deutlich zu machen, von welchem Punkte der Entwicklung oder des Stillstandes er die Wissenschaft aufnehmen und nach welchem nächsten Ziel er sie zu fördern gedenke. Er wird die Teilnahme an seinen eigenen Forschungen höher spannen, wenn er zeigt, wie bis jetzt von Stufe zu Stufe das höchste Ziel verfehlt worden. Der Anfänger in der Philosophie lernt auf diese Weise, wenn auch bloß historisch, vorläufig schon die Gegenstände kennen, um die es zu tun ist und welche vorzugsweise die Geister der letzten Jahrhunderte beschäftigt haben. Wenn es endlich, um die Wahrheit schätzen und beurteilen zu lernen, notwendig ist, auch den Irrtum zu kennen, so ist eine solche Darstellung wohl die beste und sanfteste Art, dem Anfänger den Irrtum, der überwunden werden soll, zu zeigen. Doch das Gewicht aller dieser Gründe nimmt zu, wenn es nicht bloß eine neue Methode oder veränderte Ansichten in einzelnen Materien, sondern eine Veränderung im Begriff der Philosophie selbst gilt. Hier wird es dann erwünscht sein, wenn dieser Begriff auch unabhängig von der Wahrheit, die er an sich oder ursprünglich hat, zugleich als das natürliche geschichtliche Resultat früherer mißlungener Bemühungen, nicht mehr in seiner bloßen Allgemeinheit, sondern als ein notwendiges Ergebnis gerade dieser Zeit erscheint.[19]

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Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: Zur Geschichte der neueren Philosophie. Leipzig 1966, S. 19-21.
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