Descartes

[20] Die Geschichte der neueuropäischen Philosophie wird gerechnet vom Umsturz der Scholastik bis auf die gegen wärtige Zeit. René Descartes, geb. 1596, Anfänger der neueren Philosophie, revolutionär im Geiste seiner Nation, begann damit, allen Zusammenhang mit der früheren Philosophie abzubrechen, über alles, was in dieser Wissenschaft vor ihm geleistet war, wie mit dem Schwamm wegzufahren, und diese ganz von vorn, gleich als wäre vor ihm nie philosophiert worden, wieder aufzubauen. Die notwendige Folge einer solchen gänzlichen Losreißung war allerdings, daß die Philosophie wie in eine zweite Kindheit zurücktrat, eine Art von Unmündigkeit, über welche die griechische Philosophie fast schon mit ihren ersten Schritten hinaus war. Von der andern Seite konnte dies Zurücktreten in die Einfalt der Wissenschaft selbst vorteilhaft sein; sie zog sich dadurch aus der Weite und Ausbreitung, die sie in dem Altertum sowie in dem Mittel alter schon erhalten, fast auf ein einziges Problem zurück, das nun durch sukzessive Ausdehnung, und nachdem im einzelnen alles dazu vorbereitet war, zu der großen, alles umfassenden Aufgabe der neueren Philosophie sich erweitert hat. Es ist beinah die erste sich von selbst darbietende Definition der Philosophie, wenn man sagt, sie sei die schlechterdings von vorn anfangende Wissenschaft. Es mußte also schon viel wirken, wenn man auch nur in dem Sinn von vorn anfing, daß man nichts aus der früheren Philosophie und als von ihr bewiesen voraussetzte. Der griechische Thales soll so gefragt haben: Was das Erste und in der ganzen Natur der Dinge Älteste sei. Hier war das von vorn anfangen objektiv gemeint. Descartes aber fragt nur: Was ist das für mich Erste, und darauf konnte er denn natürlich nichts antworten als: Ich selbst, und[21] auch Ich selbst höchstens in Ansehung des Seins. An dieses erste, unmittelbar Gewisse sollte sich ihm dann erst alles andere Gewisse anknüpfen, alles nur wahr sein, inwiefern und inwieweit es mit jenem unmittelbar Gewissen zusammenhängt. Nun ist aber offenbar der Satz: Ich bin, höchstens Ausgangspunkt für mich – und nur für mich; der Zusammenhang, der durch das Anknüpfen an diesen Satz oder an das unmittelbare Bewußtsein des eignen Seins entsteht, kann also immer nur ein subjektiv logischer sein, d.h., ich kann immer nur schließen: so gewiß Ich bin, so gewiß muß ich auch annehmen, daß A, B, C usw. seien. Aber wie eigentlich A, B und C unter sich, oder mit ihrem wahren Prinzip, oder auch nur, wie sie mit dem Ich bin selbst zusammenhangen, wird durchaus nicht gezeigt. Die Philosophie bringt es also hier nicht weiter als zu einer bloß subjektiven Gewißheit, und zwar nicht über die Art der Existenz (die allein eigentlich zweifelhaft ist), sondern nur über die Existenz alles dessen, was außer dem Subjekt ist. Dies im allgemeinen.

Um nun aber das Verfahren des Descartes im einzelnen zu beschreiben, so macht er sich zum Grundsatz, vorläufig an allem zu zweifeln, ja, um recht sicherzugehen und ganz gewiß zu sein, sich von jedem Vorurteil befreit zu haben, vorläufig alles für falsch zu halten, was er bis dahin als wahr angenommen. Dieser Maxime wurde besonders von den Theologen heftig opponiert; sie meinten, auf die Weise sei Descartes ein temporärer Atheist; wenn einer stürbe, eh' er die gehoffte Demonstration vom Dasein Gottes geschrieben oder gefunden, würde er als Atheist sterben; auf die Art werde wenigstens vorläufig eine verderbliche Lehre gelehrt; man dürfe aber nicht Böses tun, damit Gutes herauskomme u. dgl. Allein der Sinn ist doch eigentlich nur der, daß man in der Philosophie nichts für wahr annehmen soll, eh' man es in seinem Zusammenhang erkannt. Indem ich die Philosophie anfange, weiß ich philosophisch eigentlich noch nichts. Dies versteht sich von selbst; dagegen ist jene Maxime weniger zu billigen, wenn sie darauf hinführt, nur das mir unmittelbar Gewisse,[22] also, da nur Ich selbst mir unmittelbar gewiß bin, nur mich selbst als Fundament erkennen zu wollen, denn dieses sogenannte unmittelbar Gewisse, mein eigenes Sein, ist mir in der Tat ebenso unbegreiflich – ja vielleicht noch unbegreiflicher als alles das, was ich vorläufig für falsch oder doch für zweifelhaft angenommen. Verstehe ich den Zweifel an den Dingen recht, so habe ich ebensowohl an meinem eigenen Sein zu zweifeln. Der Zweifel des Descartes, der sich zunächst nur auf die sinnlich erkannten Dinge erstreckt, kann sich nicht auf ihre Realität überhaupt oder in jedem Sinn beziehen – denn in irgendeinem muß ich sie ihnen doch zugestehen. Der wahre Sinn meines Zweifels kann nur sein, daß ich diese sinnlich erkennbaren Dinge nicht in dem Sinn zu sein glauben kann, in welchem das Original-, das von sich selbst Seiende ist: denn ihr Sein ist kein originales, wir sehen in ihnen etwas Gewordenes; und inwiefern alles Gewordene von bloß abhängiger und insofern zweifelhafter Realität ist, insofern kann man sagen, sie seien an sich selbst von zweifelhaftem Dasein, oder es sei ihre Natur, zwischen Sein und Nichtsein zu schweben. Eben dieses zweifelhafte Sein muß ich aber auch in mir anerkennen; aus demselben Grunde, aus welchem ich an den Dingen, müßte ich also auch an mir selbst zweifeln. Indes der Zweifel des Descartes an der Realität der Dinge hat wirklich nicht die spekulative Bedeutung, die wir ihm soeben gegeben; der Grund seines Zweifels ist ein bloß empirischer, wie er selbst sagt, weil er nämlich öfters erfahren, daß ihn die Sinne getäuscht, weil er manche Male sich im Traum überredet, daß dies oder jenes außer ihm sei, wovon sich nachher das Gegenteil befunden; ja setzt er hinzu, er habe Leute gekannt, die Schmerzen in Gliedern empfunden, die ihnen vorlängst abgenommen worden – in diesem Argument erkennt man den ehemaligen Militär, übrigens lag es nahe zu überlegen, daß solche Personen doch nur Schmerzen in Gliedern empfunden, die sie einmal gehabt haben, und kein Beispiel vorhanden ist von Leuten, die Schmerzen empfunden härten in Gliedern, die sie niemals gehabt. Durch diese letzte[23] Erfahrung glaubt er sich jedoch noch insbesondere berechtigt, auch an der Existenz seines eigenen Körpers zu zweifeln.

Von hier geht er dann fort auf die nicht aus den Sinnen geschöpften, also mit dem Charakter der Notwendigkeit und Allgemeinheit ausgestatteten Erkenntnisse, namentlich die mathematischen Wahrheiten, für deren Bezweifelbarkeit er den seltsamsten Grund anführt, der nicht, wie die der alten Skeptiker, aus dem Innern dieser Gegenstände und ihren Voraussetzungen selbst, sondern von etwas Äußerem hergenommen ist. Nämlich, so erklärt er sich, obgleich ich so gewiß als von meinem eigenen Leben überzeugt bin und nicht einen Augenblick umhin kann zu erkennen, daß die drei Winkel eines Dreiecks = zwei Rechten, so ist doch meiner Seele die Meinung – ich weiß nicht recht, ob beigebracht oder sogar eingepflanzt, daß es einen Gott gebe, von dem ich gehört habe, daß er alles vermöge, und daß ich (der Zweifelnde) ganz und gar mit allem, was ich sei und wisse, dessen Geschöpf sei. Nun hätte dieser, fährt er fort, doch auch bewirken können, daß ich über diese Dinge mich täuschte, welche mir übrigens als die klarsten erscheinen. Als ob man nicht weit mehr Ursache härte, an einem solchen Zweifel zu zweifeln. Ehe man diesen aufwürfe, müßte man doch irgendein Interesse anzugeben wissen, das der Schöpfer haben könnte, mich mit den notwendigen Wahrheiten zu täuschen. Das wahre Verhältnis, in dem sich die Philosophie in ihrem Anfang gegen alles, und also auch gegen die mathematischen Wahrheiten, befindet, ist, nicht sie zu bezweifeln (denn wie käme sie nur überhaupt dazu, sie jetzt schon zum Gegenstand ihres Denkens zu machen?), sondern sie einfach dahingestellt sein zu lassen, bis sie im Verlauf ihrer schlechthin von vorn anfangenden Untersuchung von selbst auf die Voraussetzungen geführt wird, von denen ihre Wahrheit abhängt.

Nachdem nun Descartes auf diese nicht eben sehr tiefe Weise an allem ihm vors Bewußtsein Gekommenen gezweifelt, fragt er, ob ihm denn gar nichts übrigbleibe,[24] woran er aus den früher angeführten oder an dern Gründen ebenfalls noch zweifeln könnte. Obgleich er nun an allem gezweifelt zu haben schien, blieb ihm doch noch etwas übrig, nämlich Er selbst, welcher so zweifelte, nicht sofern er aus Kopf, Händen, Füßen und andern körperlichen Gliedmaßen bestand – denn an der Realität von diesen hatte er bereits gezweifelt –, sondern nur inwiefern er zweifelte, d.h., inwiefern er dachte. Indem er nun dieses genau untersuchte, meinte er zu finden, daß er an diesem, nämlich an Sich selbst, sofern er dachte, aus keinem der Gründe zu zweifeln vermöge, die ihn an den andern Dingen zu zweifeln bewogen. Denn, sagt er, ich mag nun wachen oder träumen, so denke ich doch und bin, und sollte ich mich in Ansehung alles anderen geirrt haben, so war ich doch, denn ich irrte, eram quia errabam, und der Urheber der Natur mag noch so kunstvoll angenommen werden, so kann er mich doch in dieser Hinsicht nicht täuschen, denn um getäuscht zu werden, muß ich sein. Ja, je mehr Gründe des Zweifels vorgebracht werden, desto mehr Gründe erlange ich, die mich von meiner Existenz überzeugen, denn je öfter ich zweifle, desto öfter bewähre ich meine Existenz – also, daß, wie ich mich auch wende, ich immerhin genötigt bin, in die Worte auszubrechen: Ich zweifle, ich denke, also bin ich!

Dies ist also das berühmte Cogito ergo sum des Descartes, mit dem denn allerdings auf lange Zeit gleichsam der Grundton der neueren Philosophie angegeben war das wie ein Zauber gewirkt hat, durch den die Philosophie in den Umkreis des Subjektiven und der Tatsache des bloß subjektiven Bewußtseins gebannt war. Höher genommen aber lag in dem Cogito ergo sum oder in dem Entschluß, vorerst alles für zweifelhaft zu halten, bis es mit jenem allein unmittelbar Gewissen auf irgendeine Weise in Verbindung gebracht sei – in diesem Entschluß lag die entschiedenste Losreißung von aller Autorität, damit war die Freiheit der Philosophie errungen, die sie von diesem Augenblick an nicht wieder verlieren konnte.

Es ist klar genug, wie Descartes auf dieses Cogito ergo[25] sum geführt wurde. Sein Hauptzweifel war, wie man sich von irgendeiner Existenz überzeugen könne. Dieser Zweifel schien ihm in Ansehung der äußeren Dinge unüberwindlich. Wir stellen äußere Dinge vor – dies wird nicht geleugnet, und wir sind sogar genötigt, sie uns vorzustellen –, aber ob die Dinge, die wir uns vorstellen, und wie wir sie uns vorstellen, auch sind, nämlich außer uns, unabhängig von uns so sind, dies ist die Frage, auf die es keine unmittelbare Antwort gibt. Descartes wollte also einen Punkt finden, wo Denken oder Vorstellen (denn Er unterscheidet beides nicht) und Sein unmittelbar in eins zusammenfallen – und diesen glaubte er durch sein Cogito ergo sum gefunden, und da sich aller Zweifel seiner Meinung nach nur auf die Existenz bezieht, so glaubte er mit diesem Satz auch allen Zweifel überwunden. Im Cogito ergo sum glaubte Descartes Denken und Sein als unmittelbar identisch erkannt zu haben. Denn er leugnet in späteren Erklärungen aufs bestimmteste, daß der Satz: Cogito ergo sum von ihm als ein Schluß (ein Syllogismus) gemeint sei. Zu einem vollständigen Schluß würde allerdings ein Obersatz gehören, der so lautete: Omne, quod cogitat, est – der Untersatz wäre dann: Atqui cogito, und der Schlußsatz: Ergo sum. So kann es freilich Descartes nicht gemeint haben; denn damit würde der Satz: Ich bin, zu einem durch einen allgemeinen Satz vermittelten; in dieser syllogistischen Form wäre die unmittelbare Gewißheit verloren. Die Meinung des Descartes ist also, das Sum sei in dem Cogito eingeschlossen, in ihm schon mitbegriffen und ohne weitere Vermittlung gegeben. Hieraus folgt denn, daß das cogito eigentlich so viel sagt als: cogitans sum (wie denn überhaupt das Zeitwort keine andere Bedeutung hat und nur eine Zusammenziehung von Prädikat und Copula ist, z.B. lego heißt nichts anderes als sum legens, ich bin lesend oder ein Lesender). Dieses Sum cogitans kann nun außerdem nicht die Bedeutung haben, als wäre ich nichts als denkend, als wäre ich nur im Denken da, oder als wäre Denken die Substanz meines Seins. Denn Descartes spricht jenes: Ich denke, selbst nur aus, [26] indem er denkt oder zweifelt, im actu seines Zweifels. Das Denken ist also nur eine Bestimmung oder eine Art und Weise des Seins, ja das cogitans hat sogar nur die Bedeutung: ich bin im Zustande des Denkens. Der Zustand des eigentlichen Denkens ist bekanntlich für die meisten Menschen ein höchst seltener, vorübergehender, ja ein unnatürlicher, aus dem sie gewöhnlich sobald als möglich herauszutreten suchen. Bekannt ist das Schillersche: Oft schon war ich und hab' wahrlich an gar nichts gedacht. Zwar Descartes braucht, wie schon bemerkt, das Wort denken in einem sehr allgemeinen Sinn, wo es z.B. auch das sinnliche Gewahrwerden oder Wahrnehmen bedeutet. Allein ich bin ja auch nicht immer im Zustande des sinnlichen Wahrnehmens. Wollte man sagen, selbst im Schlafe höre es nicht auf, denn ich träume wenigstens, so bleibt immer die Ohnmacht, in der ich zwar nicht ausspreche: Ich bin, wie ich es im Schlaf, ja im Verlauf des gewöhnlichen wachenden Lebens auch nicht ausspreche, und doch unstreitig bin. Das in dem cogito begriffene sum heißt also nur: sum qua cogitans, ich bin als denkend, d.h. in dieser bestimmten Art des Seins, welche denken genannt wird, und die nur eine andere Art zu sein ist als z.B. die des Körpers, dessen Art zu sein darin besteht, daß er den Raum erfüllt, d.h. von diesem Raum, den er einnimmt, jeden andern Körper ausschließt. Das in dem cogito eingeschlossene sum hat also nicht die Bedeutung eines unbedingten Ich bin, sondern nur die Bedeutung eines »Ich bin auf gewisse Weise«, nämlich eben als denkend, in dieser Art zu sein, welche man denkend nennt. Daher kann auch in dem Ergo sum nicht enthalten sein: Ich bin unbedingter Weise sondern nur: Ich bin auf gewisse Weise. Von den Dingen kann man aber, wie schon gezeigt, eigentlich auch nur zweifeln, daß sie unbedingt sind; daß sie aber auf gewisse Weise sind, dies läßt sich auf dieselbe Weise herausbringen, wie Descartes sein Sum herausbringt. Es ist ebenso richtig zu schließen: Ich zweifle an der Realität der Dinge, also sind sie, oder wenigstens: also sind sie nicht gar nicht. Denn an dem, was gar nicht und auf keine Weise ist, kann[27] ich auch nicht zweifeln. Aus meinem Zweifel selbst an der Realität der Dinge folgt also – zwar nicht, daß sie unzweifelhaft oder unbedingt sind, aber doch, daß sie auf gewisse Weise sind; mehr folgt aber, wie gezeigt, auch aus dem Ich denke nicht, als daß ich auf gewisse Weise bin. Alles aber, was nur auf gewisse Weise ist, ist schon ebendarum ein zweifelhaft Seiendes. Im wahren Sinn des nicht bloß empirischen und subjektiven, sondern des objektiven und philosophischen Zweifels ist also das Sein, das ich mir selbst zuschreibe, so zweifelhaft als das, was ich den Dingen zuschreibe.

Allein wir können noch weiter zurückgehen und sogar das Ich denke selbst in Zweifel ziehen – wenigstens in der Bedeutung, die es unstreitig bei Descartes hat. Diesem Ausspruch: Ich denke, liegt nämlich zweierlei zugrunde: 1. das, was in mir denkt, z.B. was jetzt eben zweifelt, 2. das auf dieses Denken oder Zweifeln Reflektierende; nur indem dieses jenes Erste als mit sich identisch erkennt, sage ich: Ich denke. Das Ich denke ist also seiner Wahrheit nach keineswegs etwas Unmittelbares, es entsteht nur durch die Reflexion, welche sich auf das Denken in mir richtet, welches Denken übrigens auch unabhängig von jenem auf es Reflektierenden vonstatten geht, wie ich denn sogar in der Regel denke, ohne mir zu sagen, daß ich denke, ohne dieses Denken selbst wieder zu denken, ja das wahre Denken muß sogar ein objektiv unabhängiges von jenem auf es reflektierenden Subjekt sein, oder es wird um so wahrer denken, je weniger von dem Subjekt sich in es einmischt. Da es also zweierlei ist, das Denkende und das auf dies Denkende Reflektierende und es als eins mir sich Setzende, oder da es ein objektives, von mir unabhängiges Denken gibt, so könnte ja dieses in jener vermeinten Einheit oder, indem es das ursprüngliche Denken sich zuschreibt, eben darin könnte es sich täuschen, und das Ich denke könnte nicht mehr auf sich haben als der Ausdruck, dessen ich mich ja ebensowohl bediene: Ich verdaue, ich mache Säfte, ich gehe, oder ich reite; denn es ist doch nicht eigentlich das denkende Wesen, das geht[28] oder das reitet. Es denkt in mir, es wird in mir gedacht, ist das reine Faktum, gleichwie ich auch mit gleicher Berechtigung sage: Ich träumte, und: Es träumte mir. Die Gewißheit, welche Descartes dem cogito ergo sum zuschreibt, hält also selbst das Denken nicht aus; wenn es eine Gewißheit ist, so ist es eine blinde und gedankenlose. An diese Gewißheit indes knüpft Descartes alles andere an. Sein Prinzip ist: Alles, was ebenso klar und bestimmt eingesehen wird wie das Ich bin, muß auch wahr sein. Allein genauer ausgedrückt kann dies nur so viel heißen: Alles, was mit jener blinden, empirischen Gewißheit, die ich von meinem eignen Sein habe, zusammenhängt, oder was implizite mit dem Ich bin gesetzt ist oder sich erweisen läßt als zur Vollständigkeit dieser Vorstellung gehörig, muß ich also ebenso wahr annehmen wie dieses selbst (weiter geht's nicht); nämlich daß es auch objektiv und unabhängig von mir so sei, folgt nicht. Die Wahrheit des Ich bin kann ebensogut bestehen, wenn ich nur genötigt bin, jenes andere alles, z.B. meinen Körper und die andern auf ihn scheinbar einfließenden Dinge mir vorzustellen. Wenn ich einmal alles an das Ich bin knüpfen will, muß ich auch darauf Verzicht tun, jemals weiter zu kommen als zu dieser Notwendigkeit der Vorstellung alles andern; auch kann es mir, wenn ich mir selbst der Mittelpunkt alles Wissens bin, völlig gleichgültig sein, ob das, was ich mir vorzustellen genötigt bin, unabhängig von dieser Vorstellung da ist oder nicht, wie es, um Descartes' eignes Beispiel zu brauchen für den Träumenden, solang er träumt, völlig gleichgültig ist.

Descartes, dem es einmal nicht darum zu tun war, die Dinge zu begreifen, sondern nur darum, zu wissen, daß sie seien (das Wenigste, was man von den Dingen wissen kann), wurde durch seinen Vorgang Ursache, daß diese Frage: ob unseren Vorstellungen von den äußern Dingen in der Tat etwas entspreche, für geraume Zeit als Hauptfrage in der Philosophie betrachtet wurde. Es hätte dem Descartes ganz nahe gelegen, schon zum völligen Idealismus fortzugehen, d.h. zu dem System, welches behauptet,[29] daß die Dinge nicht objektiv außer uns, sondern nur in unsern, wenngleich notwendigen Vorstellungen existieren. Allein dies wollte er nicht; um daher jener notwendigen Konsequenz zu entgehen, nahm er zu einem andern Begriff seine Zuflucht. Weil die Vorstellungen keine Bürgschaft in sich selbst, so bedarf es eines Bürgen für die Wahrheit seiner Vorstellungen von Außendingen – hier sucht er aus dem Subjektiven ins Objektive zu kommen (metabasis) –, diesen Bürgen findet er in Gott, dessen Dasein aber dann vorher bewiesen sein muß. Dies bewerkstelligt er denn kürzlich auf folgende Art: Es ist in mir der Begriff eines allervollkommensten Wesens. (Dies wird als empirische Tatsache vorausgesetzt, wie das Ich denke eben auch nur ein empirisches Faktum ist.) Nun gehört aber zum Begriff des allervollkommensten Wesens – nicht, wie man späterhin sagte, der Begriff der Existenz überhaupt, denn so ungeschickt, wie Kant diesen Beweis vorstellt, pflegte Descartes, dem man innerhalb seiner Grenzen den ganzen Scharfsinn und die geistreiche Tüchtigkeit und Beweglichkeit seiner Nation zuerkennen muß, nicht zu schließen, der wohl wußte, daß Existenz überhaupt etwas gegen Vollkommenheit und Unvollkommenheit Gleichgültiges ist – es gehört zum Begriff des vollkommensten Wesens auch der Begriff der notwendigen Existenz. Sowie ich also Gott nur denke, muß ich auch einsehen, daß er existiert. Dies ist also der unter dem Namen des ontologischen bekannte Erweis des Daseins Gottes. Aus dem bloßen Begriff des allervollkommensten Wesens wird dann weiter geschlossen, das allervollkommenste Wesen würde dieses nicht sein, wenn es nicht auch das allerwahrhaftigste wäre (hier ein Übergang von dem Begriff, der bis jetzt nur als ein metaphysischer genommen schien, zu moralischen Eigenschaften), einem solchen also müßte es auch unmöglich sein, uns zu täuschen 1. in Ansehung der mathematischen Wahrheiten – (sonderbar, daß Descartes immer nur diese und nicht auch die allgemeinen Begriffe, so wie die Gesetze des Denkens, Urteilens und Schließens bezweifelt), 2. ebenso unmöglich (da nur Gott[30] diese Täuschung bewirken könnte) in Ansehung der sinnlichen Dinge. Hier wird daher nun Gott, nachdem ein ganz anderes principium cognoscendi angenommen war, doch auch noch anerkannt als das wahre Erkenntnisprinzip, d.h. als das, was aller Erkenntnis erst Wahrheit erteilt. Jene Berufung auf die Wahrhaftigkeit Gottes hat übrigens auf den Nachfolger des Descartes, den Franzosen Malebranche, so wenig gewirkt, daß er diesem Argument höchstens Wahrscheinlichkeit zugesteht und bemerkt, daß Gott, wenn er es sonst gut und nötig fände, uns gar wohl Körper vorstellen könnte, wenn es auch keine gäbe.

Was uns indes am wichtigsten sein muß, und weswegen ich von der Philosophie des Descartes vorzüglich einen Begriff zu geben gesucht habe, ist eben jenes von ihm auf die Bahn gebrachte ontologische Argument. Bei weitem weniger durch das, was er außerdem über die Anfänge der Philosophie behauptete, als durch die Aufstellung des ontologischen Beweises ist Descartes für die ganze Folge der neueren Philosophie bestimmend geworden. Man kann sagen: die Philosophie ist noch jetzt damit beschäftigt, die Mißverständnisse, zu denen dieses Argument Veranlassung gab, zu entwirren und auseinanderzusetzen. Merkwürdig ist dieses Argument auch noch, weil es unter den Schulbeweisen, mit denen die Existenz Gottes in der gewöhnlichen Metaphysik bewiesen zu werden pflegte, bis auf Kant noch immer obenan stand. Es ist wohl zu bemerken, daß dieses Argument von den Scholastikern keineswegs anerkannt wurde. Denn obgleich schon Anselm von Canterbury ein ähnliches aufgestellt hatte, so widersprach ihm doch Thomas von Aquin aufs bestimmteste. Vorzüglich wurde der sogenannte ontologische Beweis auch Gegenstand der Kantschen Kritik, allein weder Kant noch irgendeiner seiner Nachfolger hat den rechten Punkt getroffen. Der hauptsächlichste Einwurf gegen Descartes' Beweis, der vorzüglich von Kant geltend gemacht worden, beruht auf der schon erwähnten unrichtigen Vorstellung, als laute das Argument so: Ich finde in mir die Idee des vollkommensten Wesens, nun ist aber die Existenz selbst[31] eine Vollkommenheit, also ist in der Idee des vollkommensten Wesens von selbst auch die Existenz enthalten. Hier wird dann der Untersatz des Schlusses geleugnet. Man sagt, die Existenz sei keine Vollkommenheit. Ein Dreieck z.B. wird durch die Existenz nicht vollkommener, oder wenn dies wäre, so müßte mir ebensowohl verstattet sein zu schließen, das vollkommene Dreieck müsse existieren. Was nicht existiert, sagt man, ist weder vollkommen noch unvollkommen. Existenz drückt eben nur aus, daß das Ding, d.h., daß seine Vollkommenheiten, sind. Also ist die Existenz nicht eine dieser Vollkommenheiten, sondern sie ist das, ohne welches weder das Ding noch seine Vollkommenheiten sind. Allein ich habe schon bemerkt, daß Descartes nicht auf diese Weise schließt. Sein Argument lautet vielmehr so: der Natur des vollkommensten Wesens würde es widerstreben, bloß zufällig zu existieren (so wie z.B. meine eigne Existenz eine bloß zufällige prekäre und eben darum an sich zweifelhafte ist), also kann das vollkommenste Wesen nur notwendig existieren. Gegen dieses Argument wäre nun, besonders wenn man sich über den Begriff von notwendig Existieren verständigt und darunter nur das Gegenteil von zufällig Existieren versteht, so wäre, sage ich, gegen dieses Argument nichts einzuwenden. Aber der Schlußsatz des Descartes lautet anders. Wiederholen wir uns noch einmal den ganzen Syllogismus. Das vollkommenste Wesen kann nicht zufällig, mithin nur notwendig existieren (Obersatz); Gott ist das vollkommenste Wesen (Untersatz), also (sollte er schließen) kann er nur notwendig existieren, denn dies allein liegt in den Prämissen; statt dessen schließt er aber: also existiert er notwendig, und bringt dann auf diese Art scheinbar allerdings heraus, daß Gott existiert, und scheint die Existenz Gottes bewiesen zu haben. Aber es ist etwas ganz anderes, ob ich sage: Gott kann nur notwendig existieren, oder ob ich sage: er existiert notwendig. Aus dem Ersten (er kann nur notwendig existieren) folgt nur: also existiert er notwendig, N.B. wenn er existiert, aber es folgt keineswegs, daß er existiert. Darin liegt also[32] der Fehler des Descartesschen Schlusses. Wir können diesen Fehler auch so ausdrücken. In dem Obersatz (das vollkommenste Wesen kann nur notwendig existieren) ist bloß von der Art der Existenz die Rede (es ist nur gesagt, das vollkommenste Wesen könne nicht zufälligerweise existieren), im Schlußsatz (in der conclusio) ist aber nicht mehr von der Art der Existenz die Rede (in diesem Fall wäre der Schluß richtig), sondern von der Existenz überhaupt, also ist plus in conclusione quam fuerat in praemissis, d.h., es ist gegen ein logisches Gesetz gefehlt, oder der Schluß ist in der Form unrichtig. Daß dies der eigentliche Fehler sei, kann ich auch daraus beweisen, daß Descartes an mehreren Stellen selbst unmittelbar oder zunächst wenigstens nur auf die von mir angezeigte Art schließt. In einem Aufsatz, der überschrieben ist: Rationes Dei existentiam etc. probantes ordine geometrico dispositae, lautet die Konklusion so: Also ist es wahr, von Gott zu sagen, die Existenz sei in ihm eine notwendige, oder (setzt er hinzu) Er existiere. Das Letzte ist nun aber etwas ganz anderes als das Erste und kann nicht als gleichgeltend mit diesem an gesehen werden, wie durch das Oder angedeutet wird (Descartes selbst ist sich wohl bewußt, daß in seinem Begriff des vollkommensten Wesens eigentlich nur die Art der Existenz bestimmt ist. So sagt er in derselben Darstellung: Im Begriff eines limitierten, endlichen Dings ist enthalten die bloß mögliche oder zufällige Existenz, im Begriff des vollkommensten also der Begriff der notwendigen und vollkommenen Existenz). An einer andern Stelle, in seiner V. Meditation, führt er den Schluß so aus: Ich finde in mir die Idee Gottes nicht anders oder gerade so wie die Idee irgendeiner geometrischen Figur oder einer Zahl, nec, fährt er alsdann fort, nec minus clare et distincte intelligo, ad ejus naturam pertinere, ut semper existat. (Bemerken Sie dieses semper wohl; hier sagt er also nicht, ad ejus naturam pertinere, ut existat, sondern nur, ut semper existat.) Daraus folgt nun auch bloß, daß Gott wenn er existiert, nur immer existiert, aber es folgt nicht, daß er existiert. Der wahre Sinn des Schlusses ist[33] immer nur: entweder existiert Gott gar nicht, oder wenn er existiert, so existiert er immer, oder so existiert er notwendig, d.h. nicht zufällig. Aber damit ist klar, daß seine Existenz nicht bewiesen ist.

Mit dieser Kritik des Descartesschen Arguments geben wir nun aber zu, daß, wenn nicht die Existenz, doch die notwendige Existenz Gottes bewiesen sei – und dieser Begriff ist nun eigentlich derjenige, der von der bestimmendsten Wirkung für die ganze Folgezeit der Philosophie gewesen ist.

Was hat es also mit dieser notwendigen Existenz Gottes auf sich?

Schon indem wir als richtigen Schlußsatz nur diesen anerkennen: Also existiert Gott notwendig, wenn er existiert, schon dadurch sprechen wir aus, daß der Begriff Gottes und der Begriff des notwendig existierenden Wesens nicht schlechterdings identische Begriffe sind, so nämlich, daß der eine in dem andern genau aufginge, daß Gott nicht mehr wäre als das bloß notwendig existierende Wesen. Wäre er nur dieses, so wäre es allerdings ein von selbst sich verstehender Satz, daß er existiert. Vor allem fragt sich also:

  • 1. Was ist unter dem notwendig existierenden Wesen zu verstehen?
  • 2. Inwiefern ist Gott das notwendig existierende Wesen
  • 3. Sind Gott und notwendig existierende Wesen identische Begriffe, inwiefern ist er mehr als nur dieses?

Um also das erste zu beantworten, soweit es auf dem Punkt, wo wir jetzt noch stehen, möglich ist (denn wir werden in der Folge noch mehr als einmal auf diesen Begriff zurückkehren), so unterscheiden wir in allem Sein

a) das was Ist, das Subjekt des Seins, oder wie man auch sonst sagt, das Wesen,

b) das Sein selbst, welches sich zu dem, was ist, als Prädikat verhält, ja von dem ich allgemein gesprochen sagen kann, daß es das Prädikat schlechthin ist, das was in jedem Prädikat eigentlich allein prädiziert wird. Es wird nirgends und in keinem möglichen Satz etwas anderes[34] ausgesagt als das Sein. Wenn ich z.B. sage: Phädon ist gesund, so wird eine Art des organischen, weiter des physischen, zuletzt des allgemeinen Seins ausgesagt; oder: Phädon ist ein Liebender, hier eine Art des gemütlichen Seins. Immer aber ist es das Sein, das ausgesagt wird. Nun steht es mir aber auch frei, das was Ist allein oder rein zu denken, ohne das Sein, das ich erst von ihm auszusagen hätte – habe ich es so gedacht, so habe ich den reinen Begriff gedacht, das, in dem noch nichts von einem Satz oder einem Urteil ist, sondern eben der bloße Begriff (es ist absurd, den reinen Begriff in das Sein zu setzen, was gerade das über den Begriff Hinausgehende, das Prädikat ist. Notwendig aber ist das Subjekt eher als Prädikat, wie denn schon in der alten gewöhnlichen Logik das Subjekt das Antecedens, das Prädikat das Consequens genannt wurde). Das was Ist ist der Begriff kat' exochên, es ist aller Begriffe Begriff, denn in jedem Begriff denke ich nur eben das, was Ist, nicht das Sein. Inwiefern ich nun das, was ist, rein denke, so ist also hier nichts über den bloßen Begriff Hinausgehendes, mein Denken ist noch in den reinen Begriff eingeschlossen, ich kann dem, was Ist, noch kein Sein beilegen oder attribuieren, ich kann nicht sagen, daß es ein Sein hat, und doch ist es nicht Nichts, sondern allerdings auch Etwas, es ist eben das Sein selbst, auto to ON, ipsum Ens – das Sein ist ihm noch im bloßen Wesen oder im bloßen Begriff, es ist das Sein des Begriffs selbst, oder es ist der Punkt, wo Sein und Denken eins ist. In dieser Bloßheit muß ich es wenigstens einen Augenblick denken. Aber ich kann es in dieser Abstraktion nicht erhalten; es ist nämlich unmöglich, daß das, was Ist, von dem ich nun weiter noch nichts weiß, als daß es der Anfang, der Titel zu allem Folgenden ist, aber noch nichts selbst ist – es ist unmöglich, daß das, was der Titel, die Voraussetzung, der Anfang zu allem Sein ist, daß dieses nicht auch sei – dies »sei« im Sinn von Existenz genommen, d.h. vom Sein auch außer dem Begriff. Damit wendet sich uns der Begriff nun unmittelbar, und zwar in sein Gegenteil um – wir finden das, was wir als das Seiende[35] selbst bestimmt hatten, nun auch wieder als das Seiende, aber als das Seiende in einem ganz andern – nämlich nur im prädikatlichen oder, wie wir auch sagen können, gegenständlichen Sinn, statt daß wir es vorher als das Seiende im urständlichen Sinn dachten. Hier ist die vollkommenste Conversio des Subjekts in das Objekt – wie es im reinen Begriff das bloße, reine Subjekt (suppositum, denn auch diese beiden Ausdrücke sind gleichbedeutend) oder der reine Urstand des Seins war – so ist es in unmittelbarer Folge seines Begriffs – eben vermöge seines Begriffs: das Seiende selbst zu sein – ist es unmittelbar, eh' wir es uns versehen, das objektiv, das gegenständlich Seiende.

Betrachten wir es nun näher als dieses gegenständlich Seiende, wie wird es sich uns darstellen? Offenbar als das nicht sein Könnende und demnach als das notwendig, das blind Seiende. Das blind Seiende insbesondere ist das, dem keine Möglichkeit seiner selbst vorausgegangen ist. Ich handle z.B. blind, wenn ich etwas tue, ohne mir vorher seine Möglichkeit vorgestellt zu haben. Wenn die Handlung dem Begriff der Handlung zuvoreilt, so ist dies eine blinde Handlung, und ebenso ist das Sein, dem keine Möglichkeit vorausgegangen, das nie nicht-sein und darum auch nie eigentlich sein konnte, das vielmehr seiner Möglichkeit als solcher zuvorkommt, ein solches Sein ist das blinde Sein. Man könnte einwenden: wir haben doch selbst zuerst von dem was Ist gesprochen und es als das Prius, als den Urstand, d.h. als die Möglichkeit des Seins, bestimmt. Ganz richtig; aber wir fügten auch gleich hinzu, es sei in dieser Priorität nicht zu erhalten, also, wenn auch das Prius, doch nie als das Prius, der Übergang sei ein unaufhaltsamer, es sei an sich, also es sei keinen Augenblick möglich, daß das was Ist nicht sei, also es als nicht seiend zu denken. Dasjenige nun aber, dem es unmöglich ist, nicht zu sein (quod non potest non-existere), diesem ist es auch nie möglich zu sein – denn jede Möglichkeit zu sein schließt auch die Möglichkeit nicht zu sein in sich -also ist das, dem es unmöglich ist, nicht zu sein, auch nie in der Möglichkeit zu sein, und das Sein, die Wirklichkeit,[36] kommt der Möglichkeit zuvor. Hier haben Sie nun also den Begriff des notwendig seienden, des notwendig existierenden Wesens, und Sie begreifen zugleich aus dieser Genesis desselben, mit welcher Gewalt er auf das Bewußtsein gleichsam einstürzt und ihm jede Freiheit nimmt. Es ist der Begriff, gegen welchen das Denken alle seine Freiheit verliert.

Nun entsteht aber die Frage, wie Gott, das notwendig seiende oder existierende Wesen, genannt werden könne. Descartes begnügt sich mit dem populären Argument, weil die nicht notwendige, d.h., die zufällige Existenz (wie er den Begriff bestimmt) eine Unvollkommenheit sei, Gott aber das allervollkommenste Wesen sei. Was er unter dem vollkommensten Wesen denkt, sagt er nicht; man sieht aber wohl, daß er darunter dasjenige denkt, was das Wesen alles Seins ist, das nicht ein Sein außer sich hat, gegen welches sein eignes Sein sich auch als ein Sein verhält, oder einfacher, das nicht ein Seiendes ist, das ein anderes Seiendes oder andere Seiende außer sich hat, sondern das schlechthin Seiende, das also in seinem höchsten Begriff nur eben das sein kann, was wir das Seiende selbst, ipsum Ens, genannt haben. Ist nun Gott nur als das Seiende selbst, und ist das, was das Seiende selbst ist, nur zu bestimmen als das nicht nicht sein Könnende, als das, dem es unmöglich ist, nicht zu sein, so ist Gott entschieden und ohne allen Zweifel das notwendig Existierende; – dieses ist nun der höchste Sinn, in welchem das eigentliche ontologische Argument zu nehmen ist; auf dieses kommt jener sogenannte Beweis des Anselm zurück. Es leuchtet nun aber auch sofort ein, woher das Mißtrauen gegen diesen sogenannten Beweis entstanden ist und warum namentlich die Scholastik ihn vielmehr zu widerlegen und abzulehnen als aufzunehmen für gut fand.

Hier kommen wir auf die Frage, ob der Begriff des notwendig existierenden Wesens mit dem Begriff Gottes identisch sei.

Wir haben eben das notwendig Existierende zugleich als das blindlings Existierende erwiesen. Nun ist aber nichts[37] der Natur Gottes, wie sie im allgemeinen Glauben gedacht wird – und nur aus diesem hat Descartes, haben also auch wir bis jetzt diesen Begriff aufgenommen –, nichts ist der Natur Gottes mehr entgegen als das blinde Sein. Denn das Erste im Begriff des blindlings Seienden ist doch, daß es gegen sein Sein ohne alle Freiheit ist, es weder aufheben noch verändern oder modifizieren kann. Was aber gegen sein eignes Sein keine Freiheit hat, hat überhaupt keine – ist absolut unfrei. Wäre also Gott das notwendig existierende Wesen, so könnte er nur zugleich als das starre, unbewegliche, schlechthin unfreie, keines freien Tuns, Fortschreitens oder von sich selbst Ausgehens Fähige bestimmt werden. Entweder müßten wir bei diesem blind Seienden stehenbleiben – wir kämen mit keinem Schritt über das blind Seiende überhaupt hinaus –, oder wenn wir von ihm aus fortschreiten, wenn wir von ihm aus etwa zu der Welt gelangen wollten, so könnte dies nur geschehen, inwiefern wir in seinem blinden Sein etwa eine emanative Kraft nachweisen könnten, vermöge dessen von diesem blinden Sein anderes Sein, z.B. das der Dinge, ausströmte – ich sage ausströmte – nicht ausginge, denn damit wäre noch immer der Gedanke einer Hervorbringung zu verknüpfen – aber eben dieser ist mit einem blinden Sein durchaus nicht zu vereinigen; ein solches könnte höchstens als emanative Ursache gedacht werden, und auch nur dies würde nicht geringe Schwierigkeit darbieten. Hier stoßen wir nun also, um einen Kantischen Ausdruck anzuwenden, auf eine Antinomie zwischen dem, was aus der Vernunft mit Notwendigkeit folgt, und dem, was wir eigentlich wollen, wenn wir Gott wollen. Denn bis jetzt ist Gott offenbar ein bloßer Gegenstand unseres Wollens – wir sind durch nichts genötigt, den Ausdruck Gott zu brauchen, von dem absoluten Vernunftbegriff, von dem Begriff dessen, was Ist, ausgehend, werden wir nur auf den Begriff des notwendig existierenden Wesens, nicht aber auf den Begriff Gottes geführt. Gehen wir aber sogar von dem Begriff Gott aus, so können wir nicht umhin, zu sagen: Gott ist das Wesen alles Seins, er ist das was[38] Ist im absoluten Sinn, to ON, wie er auch immer bestimmt wurde, ist er aber dies, so ist er auch das notwendig und blindlings Existierende. Allein wenn er das blindlings Existierende ist, so ist er eben darum nicht Gott – nicht Gott in dem Sinn, welchen das allgemeine Bewußtsein mit diesem Wort und Begriff verbindet. Wie ist nun hier zu helfen, oder wie ist dieser Enge oder Klemme, in der wir uns befinden, zu entkommen? Es wäre eine schlechte Hilfe, wenn man bloß widersprechen wollte, daß Gott das notwendig existierende Wesen ist. Denn damit würde der eigentliche Urbegriff aufgehoben, den wir schlechterdings nicht aufgeben dürfen, soll unserm Denken nicht überall der feste Ausgangspunkt fehlen.

Gott als solcher ist freilich nicht bloß das notwendig oder blindlings existierende Wesen, er ist es zwar, aber er ist als Gott zugleich das, was dieses sein eignes, von ihm selbst unabhängiges Sein aufheben, sein notwendiges Sein selbst in ein zufälliges, nämlich in ein selbst-gesetztes verwandeln kann, so daß es im Grunde (der Grundlage nach) zwar immer besteht, aber effektiv oder in der Tat in ein anderes umgesetzt ist, oder so: daß jenem selbst-gesetzten zwar immer das notwendige zugrunde liegt, ohne daß das effektive, das wirkliche Sein Gottes bloß dieses notwendige wäre.

Die Lebendigkeit besteht eben in der Freiheit, sein eignes Sein als ein unmittelbar, unabhängig von ihm selbst gesetztes aufheben und es in ein selbst-gesetztes verwandeln zu können. Das Tote, in der Natur z.B., hat keine Freiheit, sein Sein zu verändern, wie es ist, so ist es – in keinem Moment seiner Existenz ist sein Sein ein selbstbestimmtes. Der bloße Begriff des notwendig Seienden würde also nicht auf den lebendigen, sondern auf den toten Gott führen. Allgemein aber wird im Begriff Gottes gedacht, daß er tun kann, was er will, und da er keinen Gegenstand seines Tuns hat als seine Existenz, so – kann ich nicht sagen: es wird, aber es muß im Begriff Gottes gedacht werden, daß er frei ist gegen seine Existenz, nicht an sie gebunden, daß er sie selbst wieder zum Mittel machen,[39] in ihrer Absolutheit aufheben kann. Wenn freilich diejenigen, welche die Freiheit Gottes aussprechen und behaupten, nicht gewohnt sind, sie auf diese Art auszusprechen – sie zu denken als Freiheit Gottes gegen seine Existenz, als Freiheit, diese Existenz als eine absolut gesetzte aufzuheben: so wird doch allgemein im Begriff Gottes die absolute Freiheit des Tuns gedacht. Ich sage allgemein. Denn der Begriff Gottes gehört keineswegs der Philosophie insbesondere an, er ist unabhängig von der Philosophie vorhanden im allgemeinen Glauben. Nun steht es allerdings dem Philosophen frei, von diesem Begriff gar keine Notiz zu nehmen, ihn zu umgehen. Aber Descartes, mit dem wir uns beschäftigen, hat ihn vielmehr hereingezogen in die Philosophie, und da ist denn die Antinomie offenbar.

Gott kann nur als das notwendig existierende Wesen gedacht werden, und zwar in einem Sinn, in welchem diese notwendige Existenz alles freie Tun aufhebt. Aber das, was unabhängig von der Philosophie Gott genannt wird und unstreitig vor aller Philosophie so genannt worden, kann nicht in diesem Sinn das notwendig Existierende sein – er muß als frei gedacht werden – gegen sein eignes Sein – denn sonst könnte er sich nicht bewegen, nicht von sich, d.h. von seinem Sein, ausgehen, um ein anderes Sein zu setzen. Die Frage ist nur, wie diese Antinomie zu überwinden. Dieses zu zeigen ist Sache der Philosophie selbst.

Von einer anderen Seite wurde das System des Descartes folgereich und bestimmend für den ferneren Gang des menschlichen Geistes – durch die absolute Entgegensetzung zwischen Geist und Körper, die er in die Philosophie einführte. Man nennt dies gewöhnlich den Dualismus des Descartes. Sonst versteht man unter Dualismus das System, welches neben dem ursprünglich guten ein ebenso ursprünglich böses Prinzip behauptet, das bald als ein ihm völlig gleichmächtiges, bald wenigstens als ein ebenso ursprünglich wie jenes existierendes Prinzip angesehen wurde. So weit ging Descartes nicht, daß er die Materie, wie jener und die Gnostiker, als Quelle alles Bösen, als das[40] allem Guten Widerstrebende gesetzt hätte. In diesem Fall war ihm die Materie wenigstens ein wahres Prinzip. Allein sie ist ihm nicht das Prinzip der Ausdehnung, sondern die bloße ausgedehnte Sache. Er hatte anfangs, wie gesagt, an der Existenz des Körperlichen gezweifelt, dagegen, woran er nicht zweifeln zu können glaubte, war seine Existenz als denkendes Wesen, wiewohl der Schluß von dem bloßen actus cogitandi, dessen allein er unmittelbar gewiß sein konnte, weil dieser allein in der unmittelbaren Erfahrung vorkommt, auf eine ihm zugrunde liegende denkende Substanz, wofür er die Seele ansah, keineswegs außer allem Zweifel war. Im Fortgang seiner Betrachtungen stellte er nun zwar auf die Art, wie ich gezeigt, indem er Gott als einen wahren Deus ex machina herbeirief, und im Vertrauen, daß Gott als das wahrhafteste Wesen uns mit der Körperwelt nicht als mit einer bloßen Phantasmagorie täuschen könne – damit restituierte er zwar die Körperwelt in integrum; das Körperliche war ihm nun etwas Wirkliches, aber Geist und Körper waren einmal auseinander, und er konnte sie nicht mehr zusammenbringen. Er sah in dem Körperlichen nur den Gegensatz des Geistigen und Denkenden, ohne für möglich zu halten, daß es, so verschieden auch beide in ihrer Funktion erscheinen, dennoch ein und dasselbe Prinzip sein könnte, das dort in der Materie nur im Zustand seiner Erniedrigung, hier als Geist nur im Zustand seiner Erhöhung sich befinde, dort im Zustand seiner gänzlichen Selbstverlorenheit, des völligen außer-sich-Seins, hier im Zustand des Selbstbesitzes, des in-sich-Seins. Ihm schien es möglich, daß ein absolut Totes, d.h. ein solches Totes, in dem nie Leben war, also ein ursprünglich Totes, ein Äußerliches ohne alles Innerliche, ein Erzeugtes, ohne etwas von dem erzeugenden Prinzip in sich selbst zu haben, sein könne. Ein solches absolut oder ursprünglich Totes widerstrebt aber nicht bloß allem wissenschaftlichen Begriff, sondern selbst der Erfahrung. Denn 1. gibt es doch eine lebendige Natur (Tiere; Schwierigkeit, diese zu erklären), 2. die sogenannte tote ist eben nie als ein Totes zu begreifen, d.h. als ein[41] absoluter Mangel des Lebens, sondern nur als erloschenes Leben – als Residuum oder caput mortuum eines vorhergegangenen Prozesses, also eines vorhergegangenen Lebens. Dieses Tote, Gebundene der Materie schien lebendigen Geistern so wenig etwas Ursprüngliches sein zu können, daß manche es nur durch eine vorausgegangene Katastrophe sich erklären zu können glaubten, wie in Indien nur als etwas Zugezogenes, als Strafe einer Schuld, als Folge eines uralten Abfalls in der Geisterwelt, wie die älteste griechische Mythologie in der körperlichen Materie nur die erstickten Titanengeister der Urzeit erblickte. – Descartes hielt freilich diese tote, geistlose Materie auch für etwas, aber unmittelbar, nicht aus einem früheren Zustande Gewordenes; er läßt sie in Gestalt eines rohen zusammenhängenden Klumpens von Gott erschaffen, hierauf entzweischlagen, daß sie in unendlich viele Teile auseinanderfährt, die dann durch ihre Rotationen, Wirbel usw. das Weltsystem und seine Bewegung erzeugen. Diese Roheit des wissenschaftlichen Begriffs, die uns noch so nahe liegt und kaum durch zwei Jahrhunderte von uns getrennt ist, mag heutzutag fast unglaublich erscheinen. Man kann daran ermessen, welchen Weg der menschliche Geist seitdem zurückgelegt hat. Aber man mag daraus auch sehen, wie schwer und darum langsam die Fortschritte in der Philosophie sein müssen, die sich diejenigen, welchen sie zugut kommen, oder die davon profitieren, so leicht vorstellen – wenn Geister wie Descartes bei solchen Vorstellungen stehenbleiben konnten. Es wäre unrecht, darum geringer von ihnen zu denken.

Ich habe schon bemerkt, der Gegensatz ist bei Descartes nicht etwa ein Gegensatz zweier Prinzipien, so daß er ein Prinzip des Denkens und ein Prinzip der Ausdehnung annähme. Das bloße Prinzip der Ausdehnung könnte in seiner Art noch immer auch ein geistiges, es brauchte nicht notwendig selbst ein ausgedehntes zu sein, wie z.B. das Prinzip der Wärme darum, weil es dies ist, nicht selbst warm ist, obgleich es den Körper warm macht, ihm Wärme mitteilt. Descartes weiß nichts von einem Prinzip der[42] Ausdehnung, sondern nur von der ausgedehnten Sache, welche eben darum ein schlechthin Ungeistiges ist. Von der andern Seite spricht er von sich selbst als von einer Sache, die denkt: je suis une chose, qui pense1. Das Ding, das denkt, und das Ding, das ausgedehnt ist, sind ihm also zwei Dinge, die sich gegenseitig ausschließen und nichts miteinander gemein haben; das ausgedehnte Ding ist das völlig entgeistete, geist-lose; hinwiederum ist das Geistige das schlechterdings immaterielle; das Ausgedehnte ist bloßes Neben- und Außereinandersein, reine Zerfallenheit, die, inwiefern sie gleichwohl als zusammengehalten erscheint, wie in den körperlichen Dingen, nicht durch ein inneres und demnach geistiges Prinzip, sondern nur durch äußeren Druck und Stoß zusammengehalten ist. Das ausgedehnte Ding besteht aus Teilen, die sich schlechterdings äußerlich sind, diesen Teilen selbst fehlt ein innerlich bewegendes Prinzip, also auch jede innere Bewegungsquelle. Alle Bewegung beruht auf Stoß, d.h., sie ist rein mechanisch. Wie in der Materie nichts von Geist, so ist nach Descartes hinwiederum in dem Geist nichts der Materie Verwandtes, das in der Materie Seiende nicht ein nur auf andere Art Seiendes, sondern ein toto genere Verschiedenes, beide sind außer aller Berührung, zwei ganz disparate Substanzen, zwischen denen eben darum auch keine Gemeinschaft möglich ist.

Zwei Dinge, die schlechterdings nichts miteinander gemein haben, können auch nicht aufeinander wirken. Für die Philosophie des Descartes war es daher eine sehr schwierige Aufgabe, jene unleugbare Wechselwirkung zu erklären, welche zwischen dem denkenden Wesen und dem ausgedehnten offenbar stattfindet. Wenn beide durchaus nichts miteinander gemein haben, wie können dennoch Körper und Geist so vieles gemeinschaftlich tun und gemeinschaftlich leiden? Wie wenn ein körperlicher Schmerz vom Geist empfunden wird oder ein bloß auf den Körper gemachter Eindruck zum Geist sich fortpflanzt und[43] in dem denkenden Ding, das wir unsere Seele nennen, eine Vorstellung erzeugt, oder wenn umgekehrt eine Anstrengung des Geistes, ein Schmerz unserer Seele den Körper ermüdet oder krank macht oder der Gedanke unseres Geistes, wie z.B. im Sprechen, bloß körperliche Organe ihm zu dienen zwingt oder ein Wille, ein Entschluß unseres Geistes in dem ausgedehnten Ding, das wir unsern Körper nennen, eine entsprechende Bewegung hervorbringt. Das hierüber – bis auf die Zeit des Descartes – in den Schulen angenommene ältere System war das System des sogenannten natürlichen oder unmittelbaren Einflusses (Systema influxus physici), das, wenn auch nicht deutlich bewußt, doch unbewußterweise auf der Voraussetzung einer gewissen Homogenität der letzten Substanz beruhte, der beiden, der Materie und dem Geist, zugrunde liegenden und daher gemeinschaftlichen Substanz. Freilich war es eine grobe Vorstellung, wenn man dies bloß durch ein allmähliches Feiner-werden der Materien erklären wollte, wie in gewissen Hypothesen der Physiologen, die zwar einen unmittelbaren Einfluß des Geistes auf das, was man das grob Körperliche nannte, für unmöglich hielten, die aber meinten, wenn man zwischen dem Geist und dem grob Körperlichen nur feinere Materien einschalte (ehemals sprach man von Nervensaft oder, wie man sich heutzutage vermeintlich vornehmer ausdrückt, Nervenäther), so müsse doch einmal ein solcher unmittelbarer Übergang möglich sein.

Descartes beseitigte die Schwierigkeiten, welche für seinen Dualismus durch die offenbare Wechselwirkung zwischen dem denkenden und ausgedehnten Ding entstanden, kürzlich damit, daß er 1. den Tieren alle Seele absprach, sie für bloße höchst künstliche Maschinen erklärte, die alle – auch ihre offenbar vernunftähnlichen Handlungen nur so ausüben, wie eine gute Uhr die Stunde zeigt. Eine Notwendigkeit, den Tieren die Seele abzusprechen, lag für ihn auch darin: Wo sich der Gedanke findet, da findet sich eine von der Materie ganz verschiedene, also unzerstörte, unsterbliche Substanz, also etc. 2. Was den Menschen[44] betrifft, so hält er ihn zwar dem Körper nach ebenfalls nur für eine höchst künstlich eingerichtete Maschine, die, wie ein aufgezogenes Uhrwerk, völlig unabhängig von der Seele nur ihrem eignen Mechanismus gemäß alle natürlichen Handlungen verrichtet; was aber die Bewegungen betrifft, welche nicht als automatische sich erklären lassen, die gewissen Bewegungen oder Willensakten des Geistes entsprechen, so weiß er sich hier nicht anders zu helfen, als indem er annimmt, daß in jedem solchen Fall, wenn z.B. in dem Geist ein Begehren oder Wollen entsteht, das der Körper vollziehen soll, Gott selbst ins Mittel trete und in dem Körper die entsprechende Bewegung hervorbringe – als ob es begreiflicher sein soll, wie der höchste Geist (denn Gott [ist] ihm nicht etwa Identität) als wie der menschliche auf das rein Körperliche einwirke. Und ebenso bei Gelegenheit jedes Eindrucks, den materielle Dinge auf unsern Körper hervorbringen, tritt der Schöpfer selbst ins Mittel und bringt die entsprechende Vorstellung in der Seele hervor; die Seele für sich selbst wäre unzugänglich für alle äußeren oder materiellen Eindrücke, nur Gott vermittelt, daß meine Seele eine Vorstellung von körperlichen Dingen hat. Dies ist also auch nicht eine wesentliche, sondern nur eine akzidentelle oder okkasionelle Einheit zwischen Materie und Geist. An sich bleiben beide untereinander. Es ist unitas non naturae sed compositionis. Weil nun Gott hierbei immer nur gelegenheitlich handelt, so erhielt dieses System in der Folge davon den Namen des Okkasionalismus. Aber wie Descartes überhaupt in der Philosophie fast nur erscheint, um einem andern Geist die Grundlage zu einem ganz andern System darzubieten, so hat auch diese Hypothese, wodurch der Zusammenhang zwischen Seele und Leib, Geist und Körper erklärt werden sollte, nur dadurch eine Bedeutung in der Geschichte der Wissenschaft, daß jene momentane und immer bloß vorübergehende Identität zwischen Materie und Geist, zwischen dem ausgedehnten und denkenden Ding, Veranlassung zu der bleibenden und substantiellen Identität gab, welche bald nachher Spinoza[45] nicht bloß zwischen dem denkenden und ausgedehnten Ding, sondern zwischen Denken und Ausdehnung selbst behauptete. – Eine andere Folge des Descartesschen Systems in dieser Beziehung war, daß die Frage nach dem sogenannten commercio animi et corporis – welche in einer hinsichtlich der Prinzipien höher gestellten Philosophie nur eine untergeordnete Stelle einnimmt – auf längere Zeit fast zur Hauptfrage in der Philosophie wurde, mit der man, wo nicht ausschließlich, doch vorzüglich sich beschäftigte, ja daß längere Zeit ein System von dem andern fast bloß durch die Art, wie es diese Frage beantwortete, sich unterschied.

Den allgemeinsten, aber zugleich schlimmsten Einfluß übte die Philosophie des Descartes aus, indem sie das schlechterdings Zusammengehörige, gegenseitig sich Erklärende und Voraussetzende, Materie und Geist, absolut auseinander riß und so den großen allgemeinen Organismus des Lebens zerstörte und mit dem niederen zugleich den höheren einer toten bloß mechanischen Ansicht preisgab, die nahezu bis auf die letzte Zeit in allen Teilen des menschlichen Wissens und selbst in der Religion die herrschende blieb.

So viel über diese Seite der Descartesschen Philosophie, die man ihren Dualismus zu nennen pflegt. Jetzt wollen wir noch einen allgemeinen Blick auf sie werfen.

Descartes ist groß durch den allgemeinen Gedanken, daß in der Philosophie nichts für wahr gehalten werden dürfe, als was deutlich und klar erkannt werde. Da nun aber dies unmittelbar wenigstens nicht überall möglich ist, so müsse wenigstens alles in einem notwendigen Zusammenhang erkannt werden mit dem, dessen ich mir unmittelbar und zweifellos bewußt bin. Er brachte auf diese Art zuerst mit deutlichem Bewußtsein in die Philosophie den Begriff eines Prinzips und einer gewissen Genealogie unserer Begriffe und Überzeugungen, in welchen nichts für wahr zu halten sei, als inwiefern es sich von dem Prinzip herschreiben und herleiten lasse. Seine Beschränkung nun aber bestand darin, daß er nicht das an sich Erste[46] suchte, sondern sich mit dem einem jeden, also auch mir Ersten begnügte. (Subjektive Allgemeinheit, nicht Allgemeinheit in der Sache selbst.) So hatte er im Grunde auch auf den Zusammenhang, wie er in der Sache, nämlich zwischen dem Prinzip und den Dingen selbst stattfindet, mit Einem Wort auf den objektiven Zusammenhang verzichtet und mit einem bloß subjektiven sich begnügt. Zwar ging er in der Folge fort zu dem Begriff des an sich Ersten, zum Begriff Gottes; allein er konnte diesen nicht wohl zum Prinzip machen, indem er an demselben eben nur die notwendige Existenz begriffen hatte, nicht aber was über diese hinzukommt und was Gott eigentlich erst zu Gott macht. Descartes dachte sich auch dieses Plus noch immer bei dem Begriff Gott, aber dieses Plus trat nicht herein in seine Erkenntnis, es blieb außerhalb desselben als ein bloß Vorausgesetztes, nicht Begriffenes.

Vergleichung Bacons und Descartes'. Hätten wir in der geschichtlichen Entwicklung der neueren Systeme der chronologischen Ordnung folgen wollen, so hätten wir Bacon zuerst und noch vor Descartes nennen müssen; denn er ist 1560, Descartes 1596 geboren. Indes fängt mit Bacon die Entwicklung des neueren Empirismus ebenso wie mit Descartes die Entwicklung des Rationalismus an. Bacons Hauptwerke (und darauf kommt es doch eigentlich an) sind übrigens fast gleichzeitig mit Descartes' ersten Schriften (denn dieser fing noch sehr jung schon an, seine neuen Grundsätze bekanntzumachen). Man sieht nicht, daß einer dieser beiden großen Schriftsteller auf den andern Einfluß geübt hätte. Der Sache nach stehen sie also nebeneinander – es ist eine gleichzeitige Erneuerung des Empirismus, die durch Bacon, und des Rationalismus, die durch Descartes geschehen ist. Von Anfang der neueren Philosophie gehen also Rationalismus und Empirismus nebeneinander her und sind sich bis jetzt parallel geblieben. In der Geschichte des menschlichen Geistes ist es leicht, eine gewisse Gleichzeitigkeit zwischen großen Geistern wahrzunehmen, die von verschiedenen Seiten dennoch am Ende auf dasselbe Ziel hinwirken. Dies gilt auch von Bacon[47] und von Descartes. Das Gemeinschaftliche beider ist die Losreißung von der Scholastik. Bacon setzt sich nicht eigentlich dem späteren, sondern nur dem scholastischen Rationalismus entgegen. Descartes so gut als Bacon will das, was im Gegensatz der Scholastik Realphilosophie zu nennen ist – (A. Scholastik. B. Realphilosophie: a) Rationalismus. b) Empirismus). Die ersten Maximen des Descartes führen in ihrer Entwicklung notwendig dahin, daß es die Sache, der Gegenstand selbst ist, der durch seine Bewegung die Wissenschaft erzeugt, nicht die bloß subjektive Bewegung des Begriffs, wie in der Scholastik. Aber eben dies will auch Bacon. Seine Philosophie ist insofern Realphilosophie, als er nicht vom Begriff, sondern von Tatsachen, d.h. von der Sache selbst, soweit sie in der Erfahrung gegeben ist, ausgehen will. Allein wenn man es genauer untersucht, sind beide sich noch näher verwandt. Denn Bacons Induktion ist ihm, wie man aus seiner Erklärung deutlich sieht, noch nicht eigentlich die Wissenschaft selbst, sondern nur der Weg zu ihr. Er spricht sich darüber auf folgende Art aus: »Ich überlasse, sagt er, den Scholastikern den Syllogismus. Dieser setzt bereits bekannte und bewahrheitete (als wahr erkannte) Prinzipien voraus (dies ist ganz richtig; der Gebrauch des Syllogismus fängt eigentlich erst an, nachdem man schon allgemeine und rationale Prinzipien hat, und ist daher eigentlich wichtiger in den untergeordneten Wissenschaften als in der Philosophie; denn die Philosophie ist die Wissenschaft, welche diese allgemeinen Prinzipien sucht) – ich überlasse, sagt also Bacon, der Scholastik den Syllogismus, der mir zu nichts nützen kann, denn er setzt schon die Prinzipien voraus, und diese sind es, die ich suche; ich halte mich also an die Induktion – nicht an jene niedrigste Art derselben, die auf dem Wege der bloßen Aufzählung fortschreitet (wie z.B. in den früheren Argumenten, wo wir die Apostel aufzählten), diese Art von Induktion hat den Nachteil, daß das kleinste widersprechende Faktum das Resultat zerstört; sondern ich halte mich an jene Art der Induktion, welche, indem sie mit[48] Hilfe richtiger und wohlgetroffener Ausschließungen und Verneinungen die notwendigen Tatsachen von den unnützen sondert, die ersten auf eine sehr kleine Anzahl zurückbringt und so die wahre Ursache in den kleinstmöglichen Raum einschließend deren Entdeckung um so leichter macht. Von diesen so reduzierten (auf wenige zurückgebrachten) Tatsachen und immer mit dem Licht der Induktion werde ich mich Schritt vor Schritt und mit äußerster Langsamkeit zu partikularen Sätzen erheben, von diesen zu mittleren, endlich von diesen zu den principiis generalissimis et evidentissimis – nun bleibt aber Bacon hier nicht stehen, sondern, nachdem er diese gefunden, sagt er: auf diese wie auf unerschütterliche Grundlagen mich stützend, werde ich mit Kühnheit in meinen Gedanken vorschreiten, sei es um neue Beobachtung vorzuschreiben, oder die Beobachtung gänzlich zu ersetzen, wo sie nicht möglich ist (d.h. doch wohl nach den gefundenen allgemeinsten Prinzipien über diejenigen Fragen oder Gegenstände entscheiden, die durch keine Beobachtung erreichbar sind), und nachdem ich mit dem Zweifel (also wie Descartes) angefangen, werde ich mit der Gewißheit enden und eine richtige Mitte halten zwischen der dogmatischen Philosophie der Peripatetiker (d.h. der Scholastiker), die anfängt, womit sie enden sollte (den allgemeinen Prinzipien), und der wankenden Philosophie der Skeptiker, die da aufhört womit man etwa anfangen könnte« (mit dem Zweifel). Im Grunde will also Bacon so gut wie Descartes auch am Ende eine vorschreitende Philosophie; nur soll diese durch Induktion, regressiv begründet werden. (Bacon verwirft keineswegs die allgemeinen Prinzipien, wie er von seinen Nachfolgern, namentlich von Locke, David Hume und noch mehr von den Sensualisten verstanden worden. Er will vielmehr eben zu diesen durch Induktion gelangen und von ihnen aus, wie er sagt, dann erst zur Gewißheit gelangen). Bacon ist freilich über die Begründung nicht hinaus – und nicht in die Wissenschaft selbst hineingekommen. Aber dasselbe ist ja der Fall mit Descartes; denn auch er endigt eigentlich mit[49] dem, wovon anfangend erst eigentlich progressive Wissenschaft möglich gewesen wäre, mit dem Höchsten, mit Gott. Beide sind eins in ihrem Gegensatz gegen die Scholastik, in dem gemeinschaftlichen Streben nach einer reellen Philosophie. Sie trennen sich entschieden erst in bezug auf den höchsten Begriff, welchen Descartes durch ein Argument a priori, von aller Erfahrung, also auch von seinem eignen Ausgangspunkt (der unmittelbaren Tatsache Ich denke) unabhängig machen will – dadurch Urheber der apriorischen, rational-apriorischen Philosophie, während Bacon unstreitig auch noch das Höchste als ein Empirisches will.[50]

1

Med. III, pag. 263.

Quelle:
Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: Zur Geschichte der neueren Philosophie. Leipzig 1966, S. 20-51.
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