Spinoza · Leibniz · Wolff

[51] Wenn man sich das Descartessche System nach seiner wahren Beschaffenheit vergegenwärtigt, so sehnt man sich nach einer besseren, schöneren, beruhigenderen Gestalt, welche sich denn auch sogleich im Spinozismus entdeckt.

Spinoza, den man als Schüler und unmittelbaren Nachfolger von Descartes ansehen kann, geboren zu Amsterdam 1632, hatte schon, ehe er sein eigentliches System aufstellte, das Descartessche aber in der Richtung oder mit dem Bestreben bearbeitet, dessen System einen wirklich objektiven Zusammenhang zu geben. Der entscheidende Schritt zu seinem eignen System geschah, indem er das an sich Erste zum alleinigen Ausgangspunkt machte, aber auch an diesem nicht mehr in Betracht zog, als was sich mit Notwendigkeit erkennen ließ, nämlich die notwendige Existenz. Spinoza behielt von dem Descartesschen Begriff, in welchem Gott noch immer mehr als das notwendig existierende Wesen war, nichts bei als eben diese Bestimmung; Gott war ihm nur das notwendig existierende Wesen; alle bei Descartes diesem Begriff vorangegangenen Überlegungen schnitt er ab und fing gleich nur mit einer Definition der Substanz an, unter welcher er eben verstand id, ad cujus naturam pertinet existere, oder id, quod cogitari non potest nisi existens, was ohne Widerspruch gar nicht als nicht seiend gedacht werden kann. Inwiefern Spinoza das notwendig Existierende als Substanz, und zwar als absolute, allgemeine Substanz bestimmte, insofern sieht man wohl, er hatte sich das notwendig Existierende zuerst gedacht als das allgemeine Subjekt des Seins, was bloß als solches gedacht noch nicht das Seiende ist, sondern nur die Voraussetzung, die Möglichkeit des Seins, wie z.B. der Mensch als Subjekt der Krankheit gedacht, darum noch nicht wirklich krank, sondern[51] nur der krank sein Könnende ist. Die einzelnen wirklichen Dinge sind keineswegs das Subjekt des Seins selbst, obwohl sie seiend sind; sie sind seiend nur durch Teilnahme an dem Sein, nicht, daß sie gar nicht nicht sein könnten, denn vielmehr können sie nicht sein, weil ihr Sein an das so Sein geknüpft ist. Es ist natürlich zu demjenigen aufzusteigen, von welchem nicht bloß das so Sein, sondern von welchem das Sein überhaupt prädikabel ist, cujus actus est Existere, und dieses ist nur das allgemeine oder absolute Subjekt des Seins, was wir auch das Seiende selbst nennen. Man kann versuchen, es rein und abstrakt, wo es noch das bloße Prius des Seins ist, festzuhalten; hier wäre es dann das bloß im Gedanken Seiende, das nur ein Sein im Denken hat (in diesem Sinn Einheit von Denken und Sein – negativ nämlich genommen, daß das Sein nicht außer dem Denken, also kein transitives, sondern bloß immanentes); allein, wie schon gesagt, es ist in dieser Enge nicht festzuhalten, es ist nicht bloß im logischen, es ist auch im transitiven Sinn das nicht nicht sein Könnende, und so früh ich kommen mag, gleichsam eh' ich Zeit gehabt habe zu denken – vor allem Denken ist es mir oder finde ich es schon als das Seiende, weil es als das Subjekt alles Seins eben das seiner Natur nach Seiende (sc. ist), nie als nicht seiend zu denken ist.

Dieses also ist der Ursprung des spinozischen Begriffs, der, wie die Geschichte der Philosophie zeigt, bis auf die gegenwärtige Zeit der Punkt ist, um den sich alles bewegt, oder vielmehr die Gefangenschaft des Denkens, von welcher sich dieses durch die aufeinander gefolgten Systeme zu emanzipieren gesucht hat, ohne bis jetzt dahin gelangen zu können. Es ist der Begriff, vermöge dessen in Gott explizite – ausdrücklich – weder Wille noch Verstand ist, nach welchem er wirklich nur der blind Existierende ist – wir können auch sagen: der subjektlos Existierende, weil er nämlich ganz und vollständig übergegangen ist in das Sein. In der Möglichkeit ist noch immer eine Freiheit vom Sein, also auch gegen das Sein. Aber die Möglichkeit ist hier verschlungen von dem Sein. Weil jenes Erste das nur[52] sein Könnende ist (nicht auch das nicht sein Könnende), so ist es eben darum das nur Seiende, d.h. das mit Ausschließung alles Nichtseins – mit Ausschließung aller Potenz – aller Freiheit Seiende (denn Freiheit ist Nicht sein). Demnach ist es das potenzlos und in dem Sinn das ohnmächtig Seiende, als es durchaus nicht die Macht eines anderen Seins in sich hat. Spinoza nennt Gott Causa sui, aber in dem engeren Sinn, daß er durch die bloße Notwendigkeit seines Wesens Ist, also nur Ist, ohne als sein könnend (als causa) festgehalten werden zu können, die Ursache ist ganz in die Wirkung aufgegangen und verhält sich nur noch als Substanz, gegen die sein Denken nichts vermag. Denn überrascht gleichsam von dem blinden Sein, als dem Unversehenen, dem kein Denken zuvorkommen kann (daher dieses Sein allerdings die Existentia fatalis, das System selbst Fatalismus ist), übereilt, sage ich, von dem blindlings über ihn stürzenden, seinen eignen Anfang verschlingenden Sein, verliert er gegen dieses Sein selbst die Besinnung, alle Kraft, alle Freiheit der Bewegung. Daher kann man allerdings auch dem Spinozismus jene beruhigende Wirkung zuschreiben, die unter anderem Goethe an ihm gepriesen hat; der Spinozismus ist wirklich die das Denken in Ruhestand, in völlige Quieszenz versetzende Lehre, in ihren höchsten Folgerungen das System des vollendeten theoretischen und praktischen Quietismus, der wohltätig erscheinen kann unter den Stürmen des nie ruhenden, immer beweglichen Denkens, wie Lukrez (II, 1. 2.) den Zustand einer solchen Ruhe schildert: Suave, mari magno, süß ist's bei empörtem Meer von fernem Ufer der andern Not zu schauen – magnum alterius spectare laborem, nicht daß man an fremdem Unfall sich erfreut, sondern weil man sich selbst von dieser Bedrängnis frei fühlt. Unstreitig ist es diese Stille und Ruhe des Spinozischen Systems, welche besonders die Vorstellung seiner Tiefe hervorbringt und mit verborgenem, aber unwiderstehlichem Reiz so viele Gemüter angezogen hat. Stets wird auch das Spinozische System in gewissem Sinn Muster bleiben. Ein System der Freiheit – aber in ebenso[53] großen Zügen, in gleicher Einfachheit, als vollkommenes Gegenbild des Spinozischen – dies wäre eigentlich das Höchste. Darum ist der Spinozismus, den vielen Angriffen auf ihn und den vielen angeblichen Widerlegungen ohngeachtet, nie zu einer wahren Vergangenheit, nie bisher wirklich überwunden worden, und es kann wohl keiner hoffen, zum Wahren und Vollendeten in der Philosophie fortzugehen, der nicht einmal wenigstens in seinem Leben sich in den Abgrund des Spinozismus versenkt hat. Keiner, der sich seine selbstgegründete Überzeugung verschaffen will, sollte das Hauptwerk des Spinoza, seine Ethik (denn unter diesem Titel hat er sein System vorgetragen) ungelesen lassen, wie ich denn überhaupt jeden, dem es Ernst ist um seine Bildung, nicht nur zum eifrigsten Selbststudium ermahnen will, das kein Lehrer ersetzen kann, sondern zugleich zu der größten Gewissenhaftigkeit und Vorsicht in der Wahl dessen, was er liest. Zu den unvergänglichen Schriftstellern gehört besonders auch Spinoza. Er ist groß durch die erhabene Einfalt seiner Gedanken und seiner Schreibart, groß durch seine Entfernung von aller Scholastik wie auf der andern Seite von allem Schmuck oder Prunk der Rede. – – Fragen wir nun aber, um welchen Preis jene tiefe Ruhe des Spinozischen Systems erkauft ist, so müssen wir antworten: um den Preis, daß Gott bloße Substanz ist, nicht freie Ursache, daher auch die Dinge zu ihm bloß ein Verhältnis haben können als zur Substanz, nicht als zur Ursache. Gott ist nicht der frei schaffende oder hervorbringende Geist, der außer sich, außer seinem unmittelbaren Sein zu wirken vermag, er ist ganz eingeschlossen in sein unvordenkliches Sein, also können auch die Dinge nur in ihm sein, nur besondere Formen oder Arten, in denen sich das göttliche Sein darstellt, nicht daß Gott selbst dadurch beschränkt würde, sondern daß jedes Ding das unmittelbare göttliche Wesen in sich nur auf eine gewisse und bestimmte Weise ausdrückt. Wenn nun gleich Gott selbst durch diese Formen nicht beschränkt ist, inwiefern er selbst über jede hinausgeht, so verlangt man doch natürlich zu wissen, wie diese Beschränkungen[54] des Seins in Gott hineinkommen. Alles, was Spinoza hierauf antwortet, ist, daß jene Affektionen und also die Dinge gerade so zur göttlichen Natur gehören und aus ihr folgen, wie die Affektionen des Dreiecks aus der Natur des Dreiecks folgen und zu ihr gehören, d.h., es ist zwischen Gott und den Dingen kein freier, sondern ein notwendiger Zusammenhang. Aber die Art und Weise dieses notwendigen Zusammenhangs zeigt er nicht. Zwar er nimmt Mittelglieder an zwischen den konkreten Dingen selbst und zwischen Gott, d.h., er läßt die Dinge nicht unmittelbar aus Gott entstehen. Insofern könnte man für möglich halten, daß er irgendeine stetige Folge von Momenten oder Durchgangspunkten angebe, vermöge der ein verständlicher Übergang von der höchsten Idee bis zu den Dingen, und zwar nicht bloß den Dingen überhaupt, sondern den so beschaffenen und so gegeneinander abgestuften Dingen sich nachweisen ließe. Allein mit jenen Mittelgliedern hat es folgende Bewandtnis. Als die ersten Vermittlungen zwischen Gott und den Dingen setzt er die unendliche Ausdehnung und das unendliche Denken, die, wie er sagt, die unmittelbaren Attribute Gottes oder der unendlichen Substanz sind, d.h. die Formen, unter denen diese unmittelbar existiert (denn anders kann man sich den Begriff der Attribute wohl nicht erklären). Denken und Ausdehnung sind ihm also die zwei unmittelbaren und – jede in ihrer Art – gleich unendlichen Formen, unter welchen die schlechthin unendliche Substanz existiert, welche, inwiefern dies nur die zwei unmittelbaren Formen ihres Seins sind, insofern selbst welcher denkend noch ausgedehnt ist. Hier, scheint es nun, müßte Spinoza zurückgeführt werden auf den Begriff der Substanz an und für sich, und es müßte zu einer Erklärung der Attribute kommen. Die Substanz ist ihm causa sui, Ursache ihrer selbst. Diese causa sui könnte man erklären als das sich selbst Setzende. Dieses sich selbst Setzende, könnte man fortfahren, kann sich nur unter den zwei Formen, dem Denken und der Ausdehnung, als existierend setzen, etwa so, wie man späterhin gesagt hat, das sich selbst Setzende[55] setzt sich notwendig a) als Objekt (dies wäre bei Spinoza die unendliche Ausdehnung), b) als Subjekt (dies wäre Spinozas unendliches Denken). Allein man würde damit ihm Bestimmungen leihen, die in einer spätern Entwicklung erst hervorgetreten sind, und eben damit würde seine Eigentümlichkeit und seine individuelle Stellung in der Geschichte der Wissenschaft aufgehoben. Die Substanz des Spinoza ist ein Subjekt-Objekt, aber wobei das Subjekt ganz verlorengeht.

Aber, wird man fragen, wie kommt er denn nun zu jenen sogenannten Attributen? Antwort: Zunächst nur dadurch, daß Descartes den Gegensatz von Materie und Geist als Gegensatz von Ausgedehntem und Denkendem bestimmt und so das Universum gleichsam in zwei Welten, in die Welt des Denkens und die der Ausdehnung, geteilt hatte. Spinozas Herkunft von Descartes ist hier ganz deutlich. Gott ist ihm (dem Spinoza) nun allerdings nicht mehr der bloß gelegenheitliche, beiden äußerlich bleibende Vermittler zwischen dem einen und dem andern, sondern die bleibende und beständige Einheit. Dem Descartes ist das Denken außer Gott, Spinoza ist Gott selbst das unendliche Denken und selbst die unendliche Ausdehnung. Aber auch diese Einheit muß bei Spinoza nicht so genommen werden, wie man heutzutage wohl geneigt sein könnte, sie zu nehmen, nämlich so, daß das Denken auf die Ausdehnung wirkte, und daß die verschiedenen ausgedehnten Dinge sich eben dadurch voneinander unterschieden, daß an dem einen mehr, an dem andern weniger das Denken ausgedrückt wäre. So nicht. Denn außer der gemeinschaftlichen Folge aus derselben Substanz haben sie nichts miteinander gemein, sie bleiben sich so fremd als bei seinem Vorgänger. Nur während ihre Übereinstimmung bei diesem für jeden einzelnen Fall durch einen besondern Aktus vermittelt ist oder vermittelt wird, ist sie bei jenem ein für allemal da durch die Identität der Substanz. Die wahre Idee des Spinoza ist also eine absolute Einheit der Substanz bei absoluter Entgegensetzung (gegenseitiger Ausschließung) der Attribute. Das[56] Ausgedehnte ist ihm völlig so geistlos wie dem Descartes, und Spinozas Ansicht der Natur, seine Physik, ist aus diesem Grunde nicht weniger mechanisch und unlebendig als die seines Vorgängers. Die Einheit zwischen beiden Attributen ist also doch eine bloß formale und äußerliche, nicht eine in ihnen selbstgesetzte und in diesem Sinn immanente und substantielle. Die Zweiheit, die er in die Einheit setzt, begründet nicht einen wirklichen Pulsschlag, ein wahres Leben, denn die Entgegengesetzten bleiben tot und gleichgültig gegeneinander. Dies ist nur die notwendige Folge von dem, was schon bemerkt ist, daß Spinoza zu der Zweiheit der Attribute nicht von der Substanz aus, a priori gelangt. Sie sind ihm freilich Folgen, und zwar notwendige Folgen der Existenz der absoluten Substanz, aber er begreift sie nicht als diese Folgen. Er sagt wohl, sie sind es, aber erklärt sie nicht. Er weist jene Notwendigkeit nicht nach. Er nimmt sie also bloß a posteriori, aus der Erfahrung auf, weil er einmal anzuerkennen genötigt ist, daß die Welt nicht bloß aus Geist oder Denken, sondern zum Teil auch aus Materie oder ausgedehntem Wesen, und ebensowenig bloß aus Materie, sondern zum Teil auch aus Geist oder Denken besteht. Ja, wenn er der Notwendigkeit, die ihn zu seinem System trieb, sich selbst bewußt gewesen wäre, so hätte ihn diese wohl überhaupt auf keine Zweiheit geführt, und daß er außer dem Ausgedehnten auch noch das Denkende setzt, ist eigentlich eine bloße Korrektion seines Systems durch die Erfahrung. Denn das Ausgedehnte ist offenbar von beiden das Erste, das allein wahrhaft Ursprüngliche. Das Denken bezieht sich nur auf das Ausgedehnte und könnte ohne dieses gar nicht sein; der menschliche Geist z.B. ist eine Modifikation des unendlichen Denkens, die er Begriff nennt, aber dieser tätige oder lebendige Begriff ist nur der unmittelbare Begriff des menschlichen Körpers, d.h. der ganz unabhängig von ihm bestehenden, wiewohl ihm entsprechenden, Modifikation der unendlichen Ausdehnung. Wie kommt nun aber die unendliche Substanz dazu, außer dem Ausgedehnten auch noch den Begriff desselben[57] zu setzen, warum bleibt sie nicht gleich bei dem Ausgedehnten stehen, das doch dem Begriff des Ausgedehnten der Zeit, wenn auch nicht der Natur nach, vorausgeht? Auf diese Frage gibt es nur eine Antwort, oder es läßt sich nur auf eine Art erklären, daß man nämlich annimmt, daß die unendliche Substanz, indem sie das Ausgedehnte oder Sich als das Ausgedehnte setzt, sich selbst nicht völlig erschöpft; nur in diesem Fall ist sie genötigt, sich in einer höheren Stufe – in einer höheren Potenz, wie man dies später ausgedrückt hat – nochmals zu setzen; dieses Höhere kann nicht wieder das Ausgedehnte, wohl aber muß es der Begriff des Ausgedehnten sein oder zu dem Ausgedehnten sich als sein Begriff verhalten; denn immer ist das Höhere das Begreifende seines Vorausgesetzten oder Niederern, wie z.B. der Geist den Körper, seine Voraussetzung, begreift, nicht aber umgekehrt, oder die spätere Zeit immer eine frühere begreift, die sich selbst nicht begriffen. Allein diese Ansicht ist eine dem Spinoza völlig fremde, und ob er gleich die Seele den Begriff des Körpers nennt, so hat er doch für die Existenz der Seele, so wie dafür, außer dem Ausgedehnten auch noch das unendliche Denken zu setzen, keinen andern Grund als die Erfahrung. Daß er dem Ausgedehnten das Denken entgegensetzt, ist nur dem unwiderstehlichen Einfluß der Wirklichkeit zuzuschreiben und schon der Keim eines höheren Systems, der in dem seinigen liegt, ohne von ihm selbst begriffen zu sein. Deswegen ist Spinoza vorzüglich anregend und zum Studium empfehlenswert, weil in seinem System überall die Keime höherer Entwicklungen ausgestreut sind. Spinoza, dessen System übrigens selbst innerhalb seiner Schranke (daß Gott die Dinge 1. überhaupt nicht setzt und 2. schon darum nicht außer sich setzt), auch als System der bloßen Notwendigkeit, einer höheren Entwicklung fähig ist, stellt in der Geschichte der Philosophie die ganze Verschlossenheit des A. T. dar (er selbst war von jüdischer Geburt). Die höheren Entwicklungen einer späteren Zeit und ihre größeren Verhältnisse sind ihm noch fremd, aber sie sind doch vorbereitet[58] und zum Teil angedeutet, die verschlossene Knospe kann sich noch zur Blume entfalten. Man könnte sagen, die Philosophie des Spinoza (selbst innerhalb ihrer Schranke betrachtet) ist wie das Hebräische eine Schrift ohne Vokale eine spätere Zeit hat erst die Vokale dazu gesetzt und sie aussprechlich gemacht.

Der Gott des Spinoza ist noch ganz in Substantialität und dadurch in Unbeweglichkeit versunken. Denn Beweglichkeit (= Möglichkeit) ist nur im Subjekt. Die Substanz des Spinoza ist bloßes Objekt. Die Dinge folgen aus Gott nicht durch eine Bewegung, ein Wollen in ihm selbst, sondern auf jene stille Weise, wie nach seinem einen Gleichnis aus der Natur des rechtwinkeligen Dreiecks das Verhältnis der Hypotenuse und der Katheten folgt. Seiner Intention nach ist also der Zusammenhang ein bloß logischer. Allein er erklärt selbst diesen Zusammenhang nicht, er versichert nur, daß ein solcher stattfinde. Als erste Mittelglieder zwischen Gott und den einzelnen endlichen Dingen setzt er die beiden Arten des Seins, die unendliche Ausdehnung und das in seiner Art ebenso unendliche Denken. Aber die Substanz selbst schließt sich in ihnen nicht auf, sondern beharrt in ihrer Verschlossenheit als bloßer Grund ihrer Existenz, ohne als das gemeinschaftlich Seiende, als das lebendige Band derselben hervorzutreten. Auf die Frage, warum er der Gottheit gerade diese und keine andern Attribute gebe, antwortet er in einem seiner Briefe: dies geschehe bloß darum, weil an dem Menschen oder in der menschlichen Natur keine andern als diese beiden erkennbar seien (also kein Grund in der Substanz selbst, sondern bloß in der Erfahrung).

Dem unendlichen Denken und der unendlichen Ausdehnung gibt er dann wieder zwei untergeordnete Modos, wie er sie nennt, nämlich Bewegung und Ruhe. Diese also sind wieder die unmittelbaren Attribute der unendlichen Ausdehnung, so wie dann Wille und Verstand unmittelbare Attribute des unendlichen Denkens. Neue Mittelglieder. Allein er kommt dadurch den einzelnen, wirklichen Dingen nicht näher, die entweder ausgedehnte[59] oder denkende sind, und die Affektionen, d.h. Bestimmungen der unendlichen Substanz, zunächst entweder der als ausgedehnt oder der als denkend sich darstellen, den sind. Die ganze Folge ist also diese: Ganz zuoberst unendliche Substanz, hierauf Attribute, dann Modi, zuletzt Affektionen. Aber wie diese Affektionen im Unendlichen entstehen, diese Frage weist er ganz ab. Weil er schlechterdings keinen eigentlichen Übergang vom Unendlichen zu dem Endlichen zugeben kann, so läßt er keines dieser endlichen Dinge unmittelbar aus dem Unendlichen entspringen, sondern nur mittelbar, nämlich vermittelt durch ein anderes einzelnes oder endliches, das selbst wieder durch ein anderes vermittelt ist, usf. ins Unendliche. Jedes einzelne oder endliche Ding ist, wie Spinoza sagt, zum Dasein und Wirken bestimmt nicht von Gott schlechthin, sondern von Gott, sofern er selbst schon als affiziert gedacht wird von irgendeiner Bestimmung, und diese Bestimmung selbst wieder ist nicht unmittelbar von Gott gesetzt, sondern nur von Gott, sofern er wieder mit einer andern behaftet ist, usf. ins Unendliche. Ich komme also nie auf einen Punkt, wo ich die Frage aufwerfen könnte, wie die Dinge aus Gott folgen oder gefolgt sind. Spinoza leugnet also jeden wahren Anfang des Endlichen, von jedem Endlichen werden wir immer nur wieder an anderes Endliches gewiesen, von dem jenes zum Dasein bestimmt ist, dies geht ins Unendliche zurück, so daß wir nie fertig werden und nirgends einen unmittelbaren Übergang aus dem Unendlichen ins Endliche nachweisen können.

Wir sind genötigt, mit der Erklärung jedes Dings ins Unendliche zurückzugehen. Spinoza behauptet dennoch, daß jedes Ding zeitlicher Weise nur aus einem andern Ding, aus der Natur Gottes aber nur ewiger Weise (aeterno modo), aber so, daß eine die andere einschließt, folge. Alle Dinge – sowohl die jetzt seienden als die einst waren oder künftig sein werden – sind durch die Natur Gottes ewiger Weise, wie die Eigenschaften eines Dreiecks, gesetzt.[60]

Wie läßt sich nun das Ewige und also zugleich Gesetztsein mit jenem Rückgang ins Unendliche reimen, d.h., wie läßt sich jener Rückgang ins Unendliche dennoch in Ansehung Gottes zugleich als ein absolut präsenter oder gegenwärtiger denken? Spinoza antwortet hierauf durch ein mathematisches Gleichnis. Man denke sich, sagt er, zwei aus verschiedenen Mittelpunkten beschriebene Kreise, deren einer den andern einschließt, so werden die Ungleichheiten des zwischen diesen zwei Kreisen befindlichen Raums oder die Veränderungen, welche eine in diesem Zwischenraum bewegte flüssige oder weiche Materie erleiden müßte, alle Zahl Übertreffen. Und dennoch, sagt er, ist hier keine äußere Unendlichkeit. Gerade wie nun hier mit der bloßen Idee zweier aus verschiedenem Mittelpunkt, aber nicht konzentrisch beschriebenen Kreise eine unendliche Zahl von Ungleichheiten oder Veränderungen in einem beschränkten Raum gleichzeitig und actu gesetzt ist, so ist mit der Idee Gottes ein unendlicher Fortgang von einem Ding zum andern gesetzt. Man kann also innerhalb des mit Gott gesetzten Seins ins Unendliche fortgehen, ohne je aus der göttlichen Natur hervorzutreten, aber auch ohne je einen wahren Anfang des Endlichen zu finden. Kein Endliches ist unmittelbar aus Gott erklärbar. (Spinoza hat die eben beschriebene Figur zweier ineinander gelegter, aber nicht konzentrischer Kreise, die also in keinem Punkt gleich weit voneinander entfernt sind, als eine Art von Symbol oder Emblem seiner ganzen Philosophie betrachtet, und sie ist daher vor seinen opp. posth. in Kupfer gestochen. Der Mathematiker, sagt er näher, zweifelt keinen Augenblick, daß die Ungleichheiten des zwischen beiden befindlichen Raums oder die Zahl der Veränderungen, die eine in demselben bewegte nachgiebige Materie erleiden würde, durch keine Zahl bestimmbar, in diesem Sinn unendlich ist; er schließt dies nicht aus der Große des eingeschlossenen Raums. Denn ich kann von diesem Zwischenraum wieder einen beliebig großen oder kleinen Teil nehmen, und es ist immer dieselbe Unendlichkeit gesetzt, zum Beweis, daß dies eine[61] Unendlichkeit ist, die in der Natur der Sache liegt und mit der Sache, d.h. mit der Idee, gesetzt ist. So also ist mit der Natur Gottes eine wesentliche Unendlichkeit gesetzt, innerhalb welcher ich ins Unendliche fortgehen kann, ohne je aus der göttlichen Natur herauszutreten.)

Aber woher denn nun – nicht dieses oder jenes Ding, diese oder jene Affektion, sondern woher Affektionen der göttlichen Substanz überhaupt? Hierauf erteilt Spinoza keine Antwort, wie er denn auch keine erteilen kann. Bestimmung, Schranke usf. läßt sich nur denken, wo Besonnenheit ist, aber das Sein der Substanz ist ein völlig besinnungs- und in diesem Sinn schrankenloses, nämlich auch sich selbst nicht beschränkendes oder reflektierendes Sein. Spinoza setzt also Bestimmungen in die unendliche Substanz, nicht weil in ihr selbst oder ihrem Begriff eine Notwendigkeit liegt, sich selbst Bestimmungen zu geben, sondern weil er die Dinge nur als Selbstbestimmungen der unendlichen Substanz denken kann; daß es aber Dinge gibt, weiß er bloß aus Erfahrung, es würde ihm, sozusagen, nicht einfallen, Affektionen in die unendliche Substanz zu setzen, wenn er keine Dinge in der Erfahrung vorfände, und so zeigt sich denn, daß er einen objektiven Zusammenhang zwischen Gott und den Dingen zwar behauptet, aber ihn nicht wirklich aufzeigt, die Dinge sind ihm nicht von seinem Prinzip aus, sondern anderswoher gewiß. Es hilft nicht, etwa zu sagen: Im System des Spinoza haben die endlichen Dinge keine Wahrheit, nur die unendliche Substanz, nur Gott Ist eigentlich, die Dinge haben keine wahrhafte wirkliche Existenz. Gut, antworte ich, so erkläre mir nur wenigstens ihre nicht-wirkliche, ihre bloß scheinbare Existenz. Oder: »Alles Endliche als solches nur nicht-Sein, nur Schranke (= Negation).« Gut, so erkläre mir diese Negationen, und zwar von der Substanz aus; denn dies muß gefordert werden.

Der Spinozismus zeigt sich also auch von dieser Seite als ein System von unvollständiger und unvollkommener Entwicklung. Hätte er statt der toten, blinden Substanz die lebendige gesetzt, so bot ihm jener Dualismus der[62] Attribute ein Mittel dar, die Endlichkeit der Dinge wirklich zu begreifen. Wenn nämlich das ausgedehnte Wesen eigentlich das blinde, besinnungslose ist, so konnte das unendliche Denken als die ihm entgegengesetzte Potenz bestimmt werden, als die jenes außer sich Gesetzte in sich selbst zurückzubringen suchende. Dadurch entstanden denn notwendig Modifikationen, 1. des ausgedehnten Wesens, und zwar nicht bloß Modifikationen überhaupt, sondern bestimmte und untereinander abgestufte Modifikationen des ausgedehnten Seins, zugleich aber, indem das Denken in seinem Verhältnis zu dem Ausgedehnten einen Widerstand fand und in jeder derselben nur bis zu einem gewissen Grad des Aktus sich erhob, so waren auch in ihm, dem Denken, Bestimmungen, Modifikationen gesetzt. Dieser Gedanke ist aber dem Spinoza völlig fremd, es ist, wie gesagt, ein unentwickeltes System, und inwiefern aller Irrtum nur eben von der mangelnden Kraft der Entwicklung herrührt, so ist es damit schon als falsches oder irriges dargetan, ohne daß man nötig hat, zu den gewöhnlichen Anklagen desselben zu greifen, die teils ungerecht, teils in der Tat zu unbestimmt sind, um etwas gelten zu können.

Die Anklagen der ersten Art werden meist zusammengefaßt in dem ominösen Wort Pantheismus, mit dem heutzutage nach Belieben auch das Verschiedenartigste bezeichnet wird, und dessen viele sich nur als eines leicht, ohne Nachdenken anzuwendenden Werkzeugs bedienen, um an dem, was sie nicht zu widerlegen, weil nicht einmal zu verstehen fähig sind, wenigstens einen ohnmächtigen Zorn auszulassen. Da dieser Begriff in so allgemeinem, ja man kann sagen, fast beständigem Gebrauch ist, so werde ich hier etwas über die möglichen Bedeutungen desselben, jedoch zunächst nur in bezug auf Spinoza, sagen. Die gemeinste Vorstellung von Pantheismus und, inwiefern man das System des Spinozismus für Pantheismus erklärt, auch des Spinozismus ist diese: nach demselben sei jedes einzelne Ding, jeder Körper z.B., nur ein modifizierter Gott, es gebe daher so viel Götter als einzelne[63] Dinge; einige Neuere haben in diesem blinden Anlaufen gegen Pantheismus diesen sogar für einerlei mit Fetischismus erklärt, was allem hergebrachten und wohlbekannten Verstand der Worte entgegen ist. Denn es wird z.B. niemandem, der die Unterschiede menschlicher Vorstellungsweisen auch bloß historisch kennt, einfallen, den Fetischismus der Negervölker, die eine Straußenfeder, einen Zahn oder ein Stück Holz oder Stein zum Gegenstand ihrer Andacht wählen, für einerlei zu halten mit dem Pantheismus eines gebildeten Inders. In besonderer Beziehung auf Spinoza ist es jedem auch wissenschaftlich Ungeübten begreiflich zu machen, daß gerade, wenn das alles Seiende, als solches, welches eben darum selbst nicht ein besonderes oder einzelnes Seiendes sein kann, Gott ist – daß gerade darum Gott selbst nichts von allem Besonderen oder Einzelnen sein könne. – Nun läßt sich aber der Begriff auch so fassen: Obgleich nichts Einzelnes Gott genannt werden könne, so sei doch die Welt als Einheit oder als All gedacht Gott gleich, oder, wie man gewöhnlich sagt, von Gott nicht unterschieden. Allein versteht man unter diesem All wirklich nur das Kollektivum der endlichen Dinge, so ist es nicht wahr, daß Spinoza sie von Gott nicht unterscheide. Denn das ist seine beständige Lehre von Anfang bis zu Ende, Gott sei das, was durch sich selbst begriffen werde, was keinen andern Begriff voraussetze, die Welt aber sei das, was nur nach Gott sei und nur als Folge von Gott begriffen werde (Substantia divina natura prior suis affectionibus). Diese Lehre, welche die absolute Selbständigkeit Gottes und die absolute Unselbständigkeit der Dinge behauptet, setzt zwischen beiden einen Unterschied, der wahrhaft differentia totius generis ist, und so wenig als das einzelne Ding, so wenig kann auch die Welt als bloßer Komplex derselben nach Spinoza je Gott genannt werden. Zum Überfluß sagt noch Spinoza: Substantia infinita in se considerata et sepositis suis affectionibus allein sei Gott. Es bliebe also nur übrig zu sagen, nach Spinoza sei zwar die Welt nicht Gott, wohl aber sei umgekehrt Gott die Welt, oder er sei Welt über[64] haupt, d.h., es sei unmittelbar mit seinem Sein eine Totalität von Bestimmungen dieses Seins gesetzt. Hieraus würde aber nicht folgen, daß alles – Gott sei, wie man durch das Wort Pantheismus ausdrückt, sondern daß Gott alles sei. Hier wird es nun aber allen Systemen ungemein schwer zu zeigen, wie und in welchem Sinne Gott nicht alles sei, d.h., wie man Gott von irgend etwas schlechthin ausschließen könne. Ferner ist auch der Sinn des Satzes: Gott sei alles, nicht der, er sei seinem Wesen nach alles, denn dies bleibt immer einfach (prius affectionibus) und Eins, sondern nur, er sei seiner Existenz nach alles; der als existierend, in der Entfaltung seines ganzen Seins und gleichsam außer sich betrachtete Gott sei die Totalität aller Bestimmungen des Seins, nicht aber Gott in seinem Wesen, an sich oder in seiner Verborgenheit betrachtet. Dies ist eine sehr wichtige Unterscheidung, die man gewöhnlich gern übersieht. Indes ist es allerdings auch mit dieser Unterscheidung noch nicht ausgemacht, daß es eine richtige Art, von Gott zu denken und zu sprechen, sei, wenn man sagt, Gott sei in seinem Sein oder seinem Sein nach die Totalität aller Bestimmungen des Seins, und wenn man dies (obgleich nicht ganz sprachrichtig) Pantheismus nennen will, so ist allerdings über diesen Begriff des Pantheismus noch nicht entschieden. Dies zu entscheiden, ist Sache der Philosophie selbst.

Andere Vorwürfe, die man Spinoza macht, sind, wenn man sie genauer untersucht, eigentlich unbestimmt, denn jeder Vorwurf wird ein bestimmter nur, wenn man dem Verworfenen das Rechte und das Wahre entgegenstellen kann, wie man z.B. kein Recht hat, einen Feldherrn zu tadeln, daß er die Schlacht verloren, wenn man nicht angeben kann, wie er sie entweder hätte vermeiden oder gewinnen können. So ist es namentlich auch mit jener angeblichen Nichtunterscheidung Gottes von der Welt. Solange die bisherige Unbestimmtheit in Ansehung der Art von Einheit, in welcher Gott nach jedem System mit der Welt stehen muß, fortdauert (denn in eine förmliche Trennung darf doch die Unterscheidung in keinem Fall[65] ausschlagen), solang die Grenze jener Unterscheidung nicht angegeben, so lang hat jener Vorwurf gegen Spinoza keine Bestimmtheit. Dasselbe ist von dem anderen nicht minder gewöhnlichen zu sagen, daß Spinoza die Persönlichkeit Gottes leugne. Allerdings hat Gott nach Spinoza keine von seinem Wesen verschiedene Existenz. Er ist nur sein Wesen, und sein Wesen ist das allgemeine Wesen, die allgemeine Substanz. Ferner ist er auch gegen die Welt nicht in einem freien, d.h. persönlichen, Verhältnis; die Welt ist eine Folge seiner Existenz, und da er seiner Natur nach, d.h. notwendig, existiert, so ist auch die Welt eine Folge seiner Natur. Aber solange die wissenschaftlichen Begriffe so beschaffen sind, daß selbst diejenigen Philosophen, welche für die Persönlichkeit Gottes streiten, sich zu dem Bekenntnis gezwungen sehen: nach wissenschaftlichen Begriffen sei die Persönlichkeit Gottes unbegreiflich, so lange hat auch dieser Vorwurf keine Kraft.

Es bleibt also in Ansehung des Spinozismus vorderhand wohl nichts klar, als daß er ein System bloßer Notwendigkeit sei, d.h., das alles als bloß notwendige Folge aus der göttlichen Natur (nicht als freie, zufällige Folge seines Wollens) erklärt. Allein, es ist dies kein Vorwurf, der dem Spinozismus ausschließlich gemacht werden kann.

Die Lehre des Spinoza ist im allgemeinen ein Notwendigkeitssystem. Aber auch innerhalb dieser Schranke ist es ein unentwickeltes System. Insbesondere darum, weil die Substanz bei ihm ganz unbeweglich ist, die tot, unbeweglich nur seiende, in ihrem Sein verlorene, nicht in diesem Sein sich selbst besitzende und steigernde, die sich also auch wieder frei verhielte gegen dieses Sein. Wenn nun der Spinozismus ein unentwickeltes Notwendigkeitssystem ist, so läßt sich zum voraus erwarten, daß zunächst in den unmittelbar folgenden Lehren nun eben dieses Notwendigkeitssystem mehr entwickelt, nicht aber die Notwendigkeit selbst überwunden worden sei. Denn es ist die Natur des menschlichen Geistes, besonders im philosophischen Fortschreiten nichts unerörtert zurückzulassen, auch[66] von einem Prinzip nicht abzustehen, bis es in allen seinen Folgen erschöpft ist. Nicht daß entgegengesetzte Bestrebungen und Versuche nicht immer dazwischentreten, so auch gegen Spinoza und die folgenden – aber da sie sich gegen das Unentwickelte richten, so gewinnt dies durch den Widerspruch selbst nur eine höhere Stufe der Entwicklung, und es steht nun mit ganz andern und neuen Kräften wieder auf, gegen welche die früheren Einwürfe, die nur das Unentwickelte trafen, nichts mehr vermögen.

Man hat das Leibnizische System (in der Aufeinanderfolge der philosophischen Entwicklung das nächste nach dem Spinozas) schon sehr früh als ein dem Spinoza stillschweigend entgegengesetztes und dessen Prinzip gleichsam untergrabendes gerühmt. Allein es verhält sich damit ganz anders. Was man im Spinozismus das Anstößigste fand, war, daß Gott unter dem Einen seiner Attribute betrachtet die ausgedehnte Substanz sei. Nun sagt man: Leibniz räumt das Ausgedehnte überhaupt hinweg und vergeistigt alles. Allein in dem Sinn, in welchem es Leibniz entfernt, war es auch durch Spinoza schon entfernt, und umgekehrt in dem Sinn, in welchem es Spinoza behauptet, behält es auch Leibniz bei. Nämlich Leibniz sagt: Die Substanz ist Monas; wir können dies vorläufig genügend erklären, wenn wir sagen: seine Meinung Ist, die Substanz sei geistige Substanz. Dieser Begriff tritt aber zunächst nur entgegen der schlechten Vorstellung von der Materie als einem Zusammengesetzten. Leibniz sagt: Sowohl das, was wir das Ausgedehnte, als das, was wir das Denkende nennen – beides ist an sich nur geistige Substanz. Aber eben dasselbe sagt recht verstanden auch Spinoza, der mehr als einmal versichert, die Ausdehnung als göttliches Attribut, oder sie wahrhaft betrachtet und so wie sie Ist, sei nicht in Teile trennbar oder aus Teilen zusammengesetzt, sondern ein schlechthin Einfaches; ebenso sei auch die Materie nicht teilbar oder zusammengesetzt als Substanz, sondern nur sofern sie abstracte, abgezogen von der Substanz und folglich unwahr, betrachtet werde. Wenn man nun unter dem Materiellen nur des Zusammengesetzte[67] versteht, so war dem Spinoza das Ausgedehnte oder die Substanz unter diesem Attribut betrachtet ebenso geistig wie Leibniz selbst die Vorsellung. Die teilbare oder aus Teilen zusammengesetzte Materie entsteht dem Spinoza ebensowohl nur infolge einer falschen und unrechten Betrachtung, als sie Leibnizen durch eine bloß verworrene Vorstellung entsteht. Leibniz leugnet auch nicht schlechthin das Teilbare der Materie (als Schein). Leibniz nimmt jene Einheiten, die er Monaden nennt, auch als die letzten, obwohl geistigen Elemente alles Materiellen an. Eine Monade für sich betrachtet ist schlechthin unkörperlich, reine Vorstellkraft (denn dies: Vorstellkraft zu sein, ist nach ihm das Wesen alles Seienden. Nur dasjenige Ist, was vorstellt); aber mehrere Monaden bilden zusammen ein Ganzes, das aus relativ untergeordneten und relativ herrschenden Monaden besteht, über denen zuletzt Eine dominierende Monas sich erhebt. Wer nun dieses Ganze so sähe, wie es Gott sieht, d.h. nur als ein Ganzes zusammenhangender und einander gegenseitig voraussetzender rein geistiger Kräfte, der würde nichts von körperlicher Ausdehnung wahrnehmen. Allein das einzelne Weltwesen, der Mensch z.B., steht nicht in jenem perspektivischen Mittelpunkt, wo ihm die Dinge so erscheinen, sondern außer demselben, und durch diese Art von Verschiebung der Monaden aneinander entsteht eine verworrene Vorstellung, und der bloße Schein, das bloße Phänomen dieser verworrenen Vorstellung ist das körperlich Ausgedehnte, das an sich nicht mehr Realität hat als z.B. der Regenbogen. Was nun Spinoza auf diese Art durch eine bloß abstrakte Betrachtungsweise, durch Abstraktion von der an sich unteilbaren Substanz entstehen läßt – das Scheinbild der teilbaren Materie –, das entsteht für Leibniz durch eine verworrene Vorstellung. Jedes körperliche Ding ist an sich nur ein Ganzes geistiger Kräfte, könnten wir es adäquat vorstellen wie Gott, so würden wir nichts als Geistiges darin sehen. Nur die verworrene Vorstellung erzeugt den Schein der Körperlichkeit. Welche von beiden Erklärungen einleuchtender ist, will ich nicht untersuchen.[68] Ich erwähne dies nur in der Absicht, zu zeigen, daß, wenn man unter der Monas das einfache Geistige versteht, die wahre Substanz der Materie auch dem Spinoza einfach und unteilbar ist. Hierin also hat Leibniz nichts vor Spinoza voraus, dagegen ist zwischen beiden der große Unterschied, daß Spinoza an den zwei Attributen einen wirklichen Gegensatz hat, den er freilich zur Entwicklung nicht benutzt, der aber doch benützt werden könnte. Wo Gegensatz ist, da ist Leben. Leibniz dagegen ist ein absoluter Unitarier, um mich so auszudrücken. Er kennt nichts als Geist, bei ihm ist nichts Ungeistiges, dem Geist Entgegengesetztes. Die Unterschiede, die bei ihm vorkommen, sind wirklich bloß quantitative – es gibt vollkommenere und unvollkommenere Monaden; die eine ist ihm in Bewußtlosigkeit versunken, die andere bewußt; aber weder woher dieser Unterschied eigentlich kommt, kann er darlegen, denn er hat nichts an sich Ungeistiges, an sich dem Bewußten Entgegengesetztes, noch warum überhaupt ein solcher Unterschied stattfindet. In dieser Hinsicht wäre also mit Leibniz' Monadenlehre gegen Spinoza nicht viel gewonnen.

Auf andere Art aber hat man gemeint, im Begriff der Monas einen Gegensatz und Widerspruch gegen den Spinoza zu finden. Denn jede Monas sei eine eigne, eine rein in sich abgeschlossene Substanz, es gebe daher so viele Substanzen oder Zentra, als es Monaden gebe, und nicht bloß eine Substanz, wie Spinoza behauptet. Allein in dem Sinn, in welchem Leibniz mehrere Substanzen annimmt, in dem Sinn nimmt sie auch Spinoza an, nämlich mehrere ja unendlich viele Modifikationen der Substanz, und in dem Sinn, in welchem dieser nur eine Substanz behauptet, muß am Ende auch Leibniz nur eine annehmen. Denn er denkt sich, wie schon gesagt, die Monaden einander unter und übergeordnet; dies führt ihn auf eine Urmonade, auf eine alles dominierende, eine Weltmonade. Diese Urmonas ist Gott, der auch die einzige Substanz ist, wenn man unter Substanz das versteht, was Spinoza: id, cujus conceptus non eget conceptu alterius rei, und so denkt sie[69] sich Leibniz wirklich. Alles kommt nur darauf an, welches Verhältnis er den abgeleiteten, von der Urmonas abhängigen Monaden zu der Urmonade gibt. Hierüber will ich denn seine eignen Worte anführen: Deus solus est unitas primitiva, sive substantia originaria (= cujus conceptus non eget etc.), cujus productiones (hier Schöpfung) sunt omnes monades creatae aut (NB.) derivatae, et nascuntur, ut ita loquar, per continuas Divinitatis fulgurationes, per receptivitatem Creaturae limitatas, cui essentiale est, esse limitatam. Also Gott allein ist ihm substantia originaria; von ihm werden die andern produziert. Spinoza bedient sich dieses Worts nicht, oder nur uneigentlich. Die Dinge sind dem Spinoza bloße logische Emanationen. Es fragt sich also, was dieses Produzieren bei Leibniz bedeute. Statt eines Begriffs gibt er uns ein Bild – die einzelnen, abgeleiteten Monaden entstehen durch ein beständiges Ausblitzen oder Wetterleuchten der Gottheit. Ein solches Effulgurieren ist etwas zu Unbestimmtes, als daß man daraus die Bestimmtheit der Dinge erklären könnte. Er erklärt also die Bestimmtheit der Dinge, indem er sagt: jenes Wetterleuchten werde durch die Rezeptivität der Kreatur limitiert (sie haben nur ein gewisses Maß, Gott aufzunehmen). Hier müßte man also der Kreatur eine Rezeptivität zuschreiben, noch ehe sie existiert; es sei der Kreatur, sagt er, wesentlich, limitiert, eingeschränkt zu sein. Freilich wenn sie erst ist. Aber die Frage ist ja eben die Kreatur, d.h. also, wie die Limitation entstehe, und da diese nicht bedingt sein kann durch die eingeschränkte Rezeptivität der noch nicht existierenden Kreatur und der Grund dieser Einschränkung ebensowenig in der unendlichen Macht der Gottheit liegen kann, so ist leicht einzusehen, daß der Grund der Limitation nur in dem göttlichen Willen liegen kann. Dies sagt Leibniz nicht, so offenbar er es sagen müßte (er respektiert die Limitation der Kreatur). Daß er dies zu behaupten so offenbar vermeidet, zeigt wohl, wie das Ganze gemeint ist. Nämlich er will mit dem übrigens schönen Bilde des Wetterleuchtens, wobei Gott gleichsam wie eine von Realität schwangere[70] Wolke gedacht wird, nur sagen: die geschaffenen Monaden folgen aus Gott oder der göttlichen Natur ebenso still und ohne eigne Tat, wie sie nach Spinoza aus ihr folgen. Er bedient sich nur eines physischen Bildes, wie Spinoza eines geometrischen Gleichnisses; in der Sache aber läuft es auf eins hinaus. Das von ihm gebrauchte Bild kommt auf das uralte der Emanation zurück. Aber auch Spinoza ist ja Emanationist, freilich nicht physischer, sondern logischer; auch behauptet er freilich nicht ein äußeres Getrenntwerden des Ausfließenden von seiner Quelle, wie man die Emanation gewöhnlich versteht (denn ob sie je und in irgendeinem System, z.B. dem der jüdischen Kabbala, so zu verstehen gewesen sei, ist noch eine große Frage), sondern das aus Gott Folgende bleibt in Gott, und man kann insofern seine Lehre eine immanente Emanationslehre nennen. Die reinen Monaden sind aber auch nach Leibniz in Gott. Denn das Körperliche entsteht ihm nur, indem sie außer Gott betrachtet werden. Ein wahrer Unterschied dagegen liegt in dem schon Bemerkten. Wenn Spinoza, ob er gleich keinen Gebrauch davon machte, doch in der ursprünglichen Zweiheit, die er in das höchste Wesen setzte, noch immer ein Mittel besaß, eine Schöpfung endlicher Dinge begreiflich zu machen, so fehlt dies Leibnizen gänzlich. – Noch ist zu bemerken, daß Leibniz mit jener Erklärung nur erst die einfachen Monaden hat, noch nicht aber eigentlich die Dinge, welche nach ihm aus einer Akkumulation oder Verkettung von Monaden bestehen. Es müßten also eigentlich nicht die Monaden, sondern diese Totalitäten, Verknüpfungen oder Systeme von aus Gott emanierten sein, oder müßte noch besonders erklärt werden, wie sie auf die angenommene Weise verknüpft werden, d.h., es lohnt nicht der Mühe, weiter in dieser Beurteilung zu gehen; denn was angeführt worden, reicht wohl hin, uns zu überzeugen, daß man dem sinnreichen Manne Unrecht tun würde, wenn man seine Monadenlehre für etwas mehr als eine Hypothese halten wollte, die er sich ausgedacht hatte, vielleicht nur, um dem Spinozismus einstweilen etwas anderes entgegenzustellen,[71] um die Welt darüber gleichsam zu zerstreuen. Von einer Seite gelang es dieser Hypothese wirklich, sich wichtig zu machen. Denn wie die Zeitgenossen sich meist an die Nebensache hängen, so war jene Descartessche Frage de commercio animi et corporis die allerwichtigste geworden. Hier unterschied sich nun Leibniz von Descartes dadurch. Leibniz war entschiedener Antidualist, Leibliches und Geistiges waren ihm insofern eins, als er beides zuletzt auf den Begriff der Monas zurückführte. Er hatte also nicht die Schwierigkeit, welche Descartes hatte. Aber jede Monas war ihm ein absolutes Zentrum, ein Universum für sich, eine abgeschlossene Welt, eine reine Ichheit, in die nichts von außen hineinkommen konnte. Die Monaden, sagt er, haben keine Fenster, durch welche die Dinge hineinstiegen. Wie kommt es denn aber, daß diese Monaden, die gegeneinander lauter Selbständigkeiten sind, unter sich übereinstimmen, oder daß die eine bestimmend für die Vorstellungen der andern wird, denn ihr Wesen besteht ja in bloßer Vorstellung, jede Monas ist nur eine eigne, selbständige vis repraesentativa oder ein centrum repraesentativum Universi, das freilich nur wieder die Vorstellungen der andern vorstellt? Wie läßt sich insbesondere jenes innige und unmittelbare Verhältnis erklären zwischen der Monade, welche die dominierende meines Organismus, die unmittelbare Seele des Leibes, die bloß tierische Seele ist, und zwischen der höheren, welche die vernünftige Seele ist? Hierauf antwortet Leibniz: »Beide sind so zueinander gestimmt und aufeinander berechnet, daß die vernünftige Seele zufolge der bloßen immanenten Evolution ihrer Vorstellungen, und ohne aus sich selbst hinauszugehen, alles vorstellt, was in dem Körper vorgeht, gleich als ob sie von ihm affiziert würde« (wer sieht hier nicht den nur im Ausdruck verkümmerten Spinozistischen Satz?... Spinoza sagt: die Seele ist nichts anderes als der unmittelbare Begriff des Körpers, an die Stelle von: Begriff setzte Leibniz das bei weitem nicht so viel bedeutende Wort: Vorstellkraft); hinwiederum, fährt er fort, drückt der Körper bloß einem immanenten Gesetz[72] seiner Evolution folgend alles, was in der Seele vorgeht, durch seine Bewegungen aus, gleich als wäre er zu diesen von der Seele bestimmt worden, sie verhalten sich (er selbst bedient sich dieses Gleichnisses) wie zwei Uhren, die der Meister so eingerichtet und aufgezogen hat, daß die eine, ohne von der andern zu wissen, zugleich mit der andern Stunden und Viertel schlägt. Dieses also ist das so berühmt gewordene System der sogenannten vorherbestimmten (prästabilierten) Harmonie, zu seiner Zeit Gegenstand unendlicher Erörterungen, eines langen Hin- und Widerredens, heutzutage höchstens als eine philosophische Antiquität zu betrachten und als Anlaß, sich über die Langmut des deutschen Geistes zu verwundern, der bei so wenig natürlichen und doch zugleich so untergeordneten Vorstellungen so lange sich festhalten ließ.

Wenn wir nach allem diesem den Leibnizianismus zunächst nur als einen verkümmerten Spinozismus ansehen können, so müssen wir wenigstens eine verdienstliche Seite desselben rühmen, diese nämlich, daß er sich nicht begnügte, von den Dingen immer nur in abstracto, ohne alle Rücksicht ihrer Unterschiede und Abstufungen, zu reden. Leibniz zuerst nannte die Welt der unorganischen und insgemein tot genannten Körper eine schlafende Monadenwelt; die Seele der Pflanzen und der Tiere war ihm die bloß träumende Monas, die vernünftige Seele erst die wachende. Obgleich er diese Abstufung bloß bildlich ausgedrückt hat, soll sie ihm doch nicht übersehen werden, sie war der erste Anfang, das eine Wesen der Natur in der notwendigen Stufenfolge seines Zu-sich-selbst-Kommens zu betrachten, und kann insofern gelten als der erste Keim späterer, lebendigerer Entwicklung. Diese Seite ist noch die schönste und beste der Leibnizischen Lehre; von dieser Seite vorzüglich ist sie dargestellt in den bekannten Thesibus, die Leibniz über sein System für den berühmten Prinz Eugen von Savoyen schrieb, und die daher unter dem Namen der Theses in gratiam principis Eugenii bekannt, zugleich beweisen, daß die großen Feldherrn und Prinzen der damaligen Zeit sich mehr, als man heutzutage[73] rühmen kann, mit der Philosophie zu schaffen machten – doch auch Eugen war nicht ein Deutscher.

Sonst hat in bezug auf den Spinoza Leibniz, wie gesagt, nur dahin gewirkt, den spekulativen Sinn dieses Systems aus den Gedanken seiner und der folgenden Zeit zu verdrängen. Sein Verhältnis zu diesem, dessen er gleichwohl selten und stets nur im Vorübergehen erwähnt, war indes nicht sowohl das eines Gegners als das eines klüglich zurechtlegenden und zu vermitteln suchenden Auslegers. In diesem Sinn ist vorzüglich die Theodizee geschrieben, die durchgängig, ohne ihn viel zu nennen, den Spinoza voraussetzt, aber mehr von ihm abzulenken, ihn zu vermeiden sucht, als auf ihn zugeht. Dieses Werk sollte eine Rechtfertigung Gottes wegen der Zulassung des Bösen und des Übels in der Welt enthalten. Aber schon die Stellung, welche der Frage über den Ursprung des Bösen und des Übels in der Welt gegeben ist – es wird nämlich eine Rechtfertigung Gottes in dieser Beziehung gefordert –, diese Stellung schon setzt ein freies Verhältnis Gottes zu der Welt voraus. Denn wenn die Welt eine bloße notwendige Folge der göttlichen Natur ist, so kann in den Dingen und in der Welt wahrhaft betrachtet, d.h. nach der Art und Weise, wie sie aus der göttlichen Natur folgen, weder wahrhaft ein Übel noch wahrhaft etwas Böses sein. Leibniz war also durch die Frage schon, die er übrigens nicht sich selbst gestellt, sondern als Aufgabe einer hohen Person erhalten hatte (es war die Kurfürstin Sophie von Braunschweig, deren Nachkommen noch heute den Thron von Großbritannien einnehmen, die ihn dazu aufgefordert, und an der er eine große Gönnerin hatte, wie früher Descartes an der schon erwähnten Prinzessin Elisabeth: niemand ist unbekannt, was Wissenschaft und Kunst dem Pfälzischen Haus verdankten, Karl Friedrich gab Spinoza eine Professur in Heidelberg), durch die Aufgabe nun schon war Leibniz genötigt, Gott ein anderes Verhältnis zu der Welt und zu den Dingen zu geben, als das Spinoza und das er selbst ihm in seinen monadologischen Prinzipien gegeben hatte. Er stellt sich also Gott vor als[74] vor aller Zeit ratschlagend mit sich selbst, 1. ob es unter den notwendigen Einschränkungen, denen eine – von ihm unterschiedene Welt unterworfen sein müßte, besser sei, eine solche Welt zu schaffen, oder dies gänzlich zu unterlassen, 2. welche von den verschiedenen möglichen Ordnungen der Dinge unter jenen unvermeidlichen Einschränkungen, deren notwendige Folgen (wie er annimmt) ebensowohl das physische Übel als das moralische Böse sein müsse – welche Ordnung der Dinge also unter Voraussetzung jener Einschränkungen unter allen möglichen noch die beste sein würde, dieser Beratschlagung zufolge läßt er dann Gott den Entschluß zu der gegenwärtigen Welt fassen, welche demnach nicht die schlechthin, aber die doch unter jenen Voraussetzungen beste ist; woher denn der Name Optimismus, den man der Leibnizischen Vorstellung gab. Demgemäß hätte Leibniz 1. eine Entstehung der Welt in der Zeit und 2. eine Zeit vor der Welt, überhaupt nicht einen bloß logischen, sondern einen reellen und geschichtlichen Ursprung derselben behauptet. Indes, wollten gleich bei oder wenigstens bald nach der Erscheinung der Theodizee manche an der Aufrichtigkeit dieser Leibnizischen Darstellung zweifeln, und ein, freilich wegen seiner großen Eitelkeit wenig glaubwürdiger Mann wollte sogar von Leibniz selbst eine schriftliche Äußerung erhalten haben, die angezeigt hätte, daß er seine ganze Theorie in der Theodizee selbst als einen bloßen lusus ingenii angesehen habe. Sollte ich darüber eine Meinung äußern, so wäre ich eher geneigt anzunehmen, daß Leibniz seine Monadologie als einen bloßen lusus ingenii betrachtet habe, die er nur den Vorstellungen anderer gleichzeitiger oder ihm vorangegangener Philosophen entgegenstellte, und daß es ihm vielmehr mit der Theodizee Ernst gewesen. Leibniz war ein viel zu erfahrener von der einen und ein zu genialer Mann auf der andern Seite, als daß er selbst seine Monadenlehre für etwas mehr als eine bloß vorübergehende Vorstellung hätte halten können. Welche Meinung man indes darüber fasse, hat insofern weniger Wichtigkeit, als selbst die rechtverstandene Theodizee noch[75] immer nicht als ein eigentlicher Widerspruch gegen die Spinozistische Denkart, sondern nur als eine mildernde und akkommodierende Auslegung derselben erscheinen kann. Leibniz leitet das Böse in der Welt von der notwendigen Limitation in der Kreatur her. Dies heißt aber nichts anderes behaupten, als was Spinoza behauptet: »Die Kraft, die im Bösen sich zeigt, ist positiv betrachtet dieselbe, die im Guten wirkt; sie ist zwar vergleichungsweise unvollkommener (weniger positiv) als die im Guten, an sich aber oder außer der Vergleichung betrachtet doch selbst etwas Positives und auch eine Vollkommenheit. Das, was wir Böses daran nennen, ist nur der geringere Grad des Positiven, das aber bloß für unsere Vergleichung als ein Mangel erscheint, in der Natur oder im Ganzen keiner ist, da auch dieses Minus zur Vollkommenheit des Ganzen gehört.« Dies ist die wahre Meinung des Spinoza, die auch in seinem System vollkommen folgerichtig ist. Nach Leibniz ist in dem Bösen ebenfalls nur ein Plus von Limitation und ein Minus von Positivem. Dieses Minus von Positivem in dem einen gehört aber ebenso notwendig zu der möglich besten Welt als das Plus des Positiven in dem andern, ja wie in der Natur ein Übergewicht des Positiven auf der einen ein gleiches Übergewicht des Negativen auf der andern zur notwendigen Folge hat, so ist es wohl auch in der sittlichen Welt.

Leibniz verteidigt Gott wegen Zulassung des Bösen hauptsächlich durch Unterscheidung des göttlichen Willens und Verstandes. Gott, sagt er, kann nichts gegen den Verstand, der Verstand bringt es aber mit sich, daß die Kreatur überhaupt, und daß sie in verschiedenen Graden limitiert sei; diese Limitation (und mit ihr die Möglichkeit des Bösen) ist also unabhängig von dem göttlichen Willen, Gott hat nicht diese, sondern er hat nur das Gute gewollt. Er weiß also kein anderes Mittel, Gott wegen der Zulassung des Bösen, wie er für nötig hält, zu rechtfertigen, als indem er das Böse in die Limitation, d.h. in etwas setzt, das nur Mangel oder Beraubung ist. Und doch muß zum Bösen etwas mehr als bloße Limitation gehören;[76] denn unter allen Kreaturen ist gerade nur die vollkommenste, d.h. die am wenigsten limitierte, des Bösen fähig, nichts davon zu sagen, daß nach der dogmatischen Vorstellung, welche Leibniz auf jede Weise schont, der Teufel nicht die limitierteste, sondern vielmehr die illimitierteste Kreatur ist. Leibnizens Erklärung möchte etwa das bloß niederträchtige oder gemein Böse erklären, nicht aber das Böse in seinen großen Erscheinungen, wie es sich in der Weltgeschichte vereint mit der höchsten Energie und Vortrefflichkeit – nicht bloß der geistigen, sondern selbst der moralischen Kräfte sich zeigt. Nimmt man nun noch hinzu, daß nach Leibniz' Lehre auch das entschiedene Böse notwendig zur Vollkommenheit der Welt beiträgt und insofern notwendig selbst ein vollkommenes ist, so sieht man nicht, wo hier ein Unterschied sein soll. Man könnte sagen: Leibniz verbreitet doch durch jene, von ihm übrigens völlig unbegründet gelassene Voranstellung eines freien Entschlusses in Gott über das Ganze ein milderndes Licht. Aber gehört am Ende nicht auch dieser Entschluß zur Natur Gottes, konnte er sich ihm versagen? Wohl nicht. Der Entschluß war also in Ansehung Gottes selbst ein notwendiger. Leibniz sucht diese Notwendigkeit nur dadurch zu mildern, daß er sie als eine moralische vorstellt. Allein wenn die moralische Notwendigkeit, das Gute und unter gegebenen Bedingungen das Beste zu wählen, zur Natur, zum Wesen Gottes gehört, wie Leibniz behauptet, so ist dies nur ein Versuch, die Notwendigkeit, mit welcher, wie Spinoza sagt, alles aus dem göttlichen Wesen fließt, zu vermitteln und verständlich zu machen, nicht aber sie aufzuheben. Um diesen falsch-mildernden Schein, den die Vorstellung einer bloß in der sittlichen Natur Gottes gegründeten Notwendigkeit über das System der Notwendigkeit überhaupt verbreitet, zu zerstreuen, bedarf es nur einer kurzen Überlegung. Es gehört allerdings zu den gewöhnlichen populär rationalistischen Vorstellungen, daß Gott schlechterdings und seiner Natur zufolge nur das Gute tun könne, und unter dem Guten versteht man das dem Moral-Gesetz Gemäße. Aber Gott ist[77] außer und über allem Gesetz, denn er selbst ist das Gesetz. Gott ist der Herr jure absolute positivo, wie er ist, weil er Ist; es gibt nicht ein Gutes vor und außer ihm, das er wollen müßte, es gibt nur Gutes erst nach ihm und als Folge von ihm; gut ist nur, was Er will, und nur, weil er es will, ist es gut (nicht an sich), wenn er es nicht wollte, wär' es nicht gut. Wenn man nun darüber ins klare gekommen ist und das Herz gefaßt hat, dies einzusehen, so sieht man, daß jene gewöhnliche Lehre: Gott könne nur das Gute tun, ein tautologischer Satz ist; denn gut ist nur, was Gott tut, und insofern kann er freilich nur das Gute tun. Wer nur einigermaßen Bescheid weiß in unserer Zeit, der weiß auch, daß jener Satz, der die Freiheit in Gott unter dem Schein von sittlicher Notwendigkeit ganz aufhebt, der letzte Halt des Rationalismus ist, der sich sogar anmaßt, ausschließlich gleichsam sittlich zu sein, übrigens, indem er sich bloß dem Positiven der geoffenbarten Religion entgegenstellt, eigentlich allem Positiven auch in der Philosophie entgegen ist.

Es mag scheinen, daß unser Urteil über Leibniz im ganzen nicht sehr günstig gelautet. Dieses Urteil kann jedoch dem wahren Geiste des Mannes keinen Eintrag tun. Seine Philosophie war nicht unbedingt seine Philosophie, es war einem großen Teile nach die Philosophie seines Zeitalters, d.h. die Philosophie, welche seine Zeit allein zu tragen fähig war. Gewiß sah Leibnizens Geist weiter, als er zu erkennen gab. Er war gleichsam mit einem magischen Blick begabt, einem Blick, dem jeder Gegenstand, auf den er sich heftete, wie von selbst sich aufschloß. Leibniz wird durch die Weite und Umfassung seines Geistes, die Fruchtbarkeit seiner Ideen, die ungemeine Gabe sinnreicher Erfindung, die ihm beiwohnte und die in der Philosophie etwas so Seltenes ist als in der Poesie oder in irgendeiner Art menschlicher Bestrebungen – er wird durch dies alles immer ein Stolz der deutschen Nation bleiben; sein mehr vermittelnder als revolutionärer Geist ging schon zufolge der ihm einwohnenden Ruhe durchaus nur stufenweise, er tat immer nur das Nächste und suchte[78] Extreme eher zu verbinden, als selbst Extreme aufzustellen; wenn er mit so großen Eigenschaften nicht das alles leistete, das er leisten konnte, so muß man die unüberwindliche Erstorbenheit seiner Zeit in Betracht ziehen, jener traurigen Zeit, die in Deutschland unmittelbar auf die Zerrüttungen des 30 jährigen Kriegs folgte; Descartes, der Anfänger der neueren Philosophie, starb zwei Jahre nach dem Ende dieses Kriegs, der größte Teil seines Lebens war während desselben verflossen. Leibniz war zwei Jahre vor dem Westfälischen Frieden (1646) geboren. Es scheint, daß jene geistigen Bewegungen, welche die Prinzipien des inneren Lebens aufs neu' in Frage stellen, mit den äußeren Bewegungen stets in einer gewissen Beziehung stehen. Kants Philosophie fiel gleichzeitig mit der Französischen Revolution, und noch hat keiner seiner Nachfolger das Ende dieser politisch zerrissenen Zeit erlebt, in der man, wie es scheint, jeden Mißverstand stets nur durch einen neuen und größeren auszugleichen wußte.

Das Hauptbestreben von Leibniz scheint gewesen zu sein, das rovolutionäre Element, das durch Descartes in die Philosophie gekommen war, wieder zu beschwichtigen und gegen den objektiven Rationalismus des Spinoza, der in der Tat ein vorzeitiger war – zu früh der freien wissenschaftlichen Dialektik ein Ende zu machen suchte –, gegen diesen erstarrenden Rationalismus wieder die Freiheit einer noch lange nicht erschöpften und ans Ende gekommenen Dialektik geltend zu machen. Unvermeidlich mußte er so dem objektiven Rationalismus des Spinoza eine subjektive, eine bloß räsonierende, subjektive Vernünftigkeit begründende Philosophie entgegenstellen, aus der durch eine natürliche Folge, besonders nachdem Christian Wolff, langweiligen Andenkens, sich der Leibnizischen Ideen bemächtigt hatte, jener Rationalismus hervorging, der besonders in der Religion so lange Zeit herrschend blieb. Die ersten theologischen Rationalisten waren lauter Wolffianer, die in dem Staat aufgestanden waren, in welchem die Wolffische Philosophie lange Zeit gleichsam die privilegierte gewesen war. Leibniz lenkte wieder zu der alten[79] Metaphysik um und wurde so allerdings der mittelbare Urheber oder doch Veranlasser jener Gestalt, welche die Schulmetaphysik vor Kant angenommen hatte. Kant aber sollte für diese neuere Metaphysik eben das werden, was Descartes für die alte war. Der allgemeine Charakter der scholastischen Metaphysik, dem auch die neuere im ganzen treu blieb, beruht 1. auf der Voraussetzung gewisser allgemeiner Begriffe, die als unmittelbar mit dem Verstande selbst gegeben angenommen werden. Leibniz hatte sich sehr bemüht, die Priorität, die Unabhängigkeit dieser Begriffe von sinnlicher Wahrnehmung und Erfahrung und damit die ihnen einwohnende Notwendigkeit und Allgemeinheit zu verteidigen und wider die Gegner angeborner Begriffe zu schützen. Nächst diesen allgemeinen Begriffen setzte man dann 2. gewisse Gegenstände als in der Erfahrung gegeben voraus. Zu diesen Gegenständen gehörten nicht bloß diejenigen, welche heutzutag allein Erfahrungsgegenstände genannt werden, indem man nämlich die Erfahrung auf die bloß sinnliche einschränkt. Zu diesen Gegenständen gehörten ebensowohl Seele, Welt und Gott, deren Dasein man im allgemeinen als gegeben voraussetzte und nur zum Gegenstand einer rationalen Erkenntnis zu erheben strebte. Dies geschah durch eine einfache Anwendung der schon vorhandenen Begriffe auf die Gegenstände. Solche Begriffe waren Wesen, Sein, Substanz, Ursache oder abstrakte Prädikate, als Einfachheit, Endlichkeit, Unendlichkeit usw., und es kam nur darauf an, die vorausgesetzten Begriffe mit den vorausgesetzten Gegenständen in äußere Verbindung zu bringen, was man dann beweisen nannte. Der Beweis war nie ein Selbstbeweis des Gegenstandes; nicht der Gegenstand erwies sich durch seine eigne Fortbewegung oder innere Entwicklung als dieses oder jenes, er hatte sich nicht innerlich oder in sich selbst entwickelt, z.B. bis zu dem Punkt, wo er sich als menschliche Seele aussprach, sondern unter den bekannten und vorausgesetzten Dingen fand sich auch eins, das man die menschliche Seele nannte und mit dem man nun das ebenfalls schon bekannte Prädikat der Einfachheit,[80] d.h. der Immaterialität, in Verbindung zu bringen suchte. Es war also hier auch kein durch alle Gegenstände fortgesetztes System, sondern mit jedem Gegenstand fing diese Metaphysik wieder von vorn an und konnte die verschiedenen Materien ganz bequem kapitelweis abhandeln. Es war nicht ein und derselbe Begriff, der durch das Ganze hindurchging und der, auf jeder neuen Stufe von Entwicklung angekommen, sich als ein anderer, z.B. hier als Materie oder bestimmter als Pflanze, als Tier, dort als menschliche Seele bestimmte. Es war nicht um das Subjekt und um das Prädikat selbst (die man bloß voraussetzte), sondern nur um die Verbindung beider, d.h., es war um die Formen feststehender Sätze zu tun, in die man beide brachte; dergleichen Sätze waren z.B.: die Seele ist absolut einfach, die Welt ist im Raum und der Zeit nach entweder begrenzt oder unbegrenzt (denn hier in den kosmologischen Begriffen ließ jene Metaphysik eine gewisse Freiheit zu). Kant hat späterhin etwas Besseres darin gesucht, daß diese widersprechenden Behauptungen gerade nur bei den kosmologischen Ideen sich hervortun. Allein dem ist keineswegs so. Der angebliche Widerspruch zwischen den kosmologischen Ideen pflanzt sich auf die Theologie und Psychologie fort. Die Frage: ob die Welt unendlich oder endlich, ob sie in der Zeit angefangen habe oder ohne Anfang, eine ins Endlose zurückgehende Kette von Ursache und Wirkungen sei, diese Frage ist auch für die theologischen Ideen von Einfluß, und der Meinung, daß die Welt angefangen, entspricht notwendig auch eine ganz andere Vorstellung von Gott als der entgegengesetzten; ferner die Meinung, daß in der Welt alles durch einen notwendigen, unverbrüchlichen Kausalnexus bestimmt sei, der also auch durch keine freie Handlung unterbrochen werden könnte, ist von notwendigem Einfluß auf die rationale Psychologie wie auf die Theologie. In der Theologie ist gerade derselbe Widerspruch. Die zwei Behauptungen, Gott sei ein bloß blind, d.h. nur zufolge der inneren Notwendigkeit seiner Natur, wirkendes Wesen, und – Gott sei frei, an nichts gebunden und Herr[81] seines Tuns: diese zwei Behauptungen stehen sich ebenso direkt entgegen als die beiden andern: die Welt sei anfänglich, oder sie sei ohne Anfang. Der Grund, warum dieser Widerspruch in den theologischen Ideen nicht ebenso zum Vorschein kam, war, weil man hier überhaupt behutsamer sein mußte und weil man insbesondere ein scheinbares Mittel, Freiheit und Notwendigkeit in Gott zu vereinigen, an dem schon erwähnten Begriff einer bloßen moralischen Notwendigkeit gefunden hatte. Mit der Welt glaubte man aber schon freier umgehen zu dürfen, und die so oft, sogar von Theologen, gehörte Meinung, es liege der Vernunft nichts daran und mache im Grunde keinen Unterschied, ob man annehme, daß Gott von Ewigkeit her geschaffen habe oder nicht, schreibt sich eben von jenem Leibniz-Wolffschen Rationalismus her.

Ein großer Mangel dieser Metaphysik ist, daß sie die sogenannte formale Logik außer sich gesetzt und zurückgelassen hat. Man hat es später Kant vorgeworfen, daß er für seine Aufzählung der Kategorien oder Verstandesbegriffe das Ableitungsprinzip von der Tafel der logischen Urteile hergenommen; ebenso für die Vernunftideen (wie er sie nennt) von den Schlüssen. Allein die richtige Wahrnehmung liegt wenigstens darin, daß die formell-logische Unterscheidung des Denkens, Urteilens und Schließens und die materielle Unterscheidung der metaphysischen Begriffe von einer und derselben Quelle herfließen. Auch noch aus einem andern Grund hat Kant, um dies gleich hier zu bemerken, in diesem Verfahren (die Tafel der Kategorien ohne weiteres von der als bekannt vorausgesetzten Tafel der Urteile abzuleiten) einen ganz richtigen Verstand bewiesen. Denn hätte er diese vermeinten Formen des menschlichen Geistes genetisch ableiten wollen, so hätte er über sie hinausgehen und eben damit sie anerkennen müssen als nicht vom Menschen unablösliche, ihm absolut inhärierende.

Ihrem speziellen Inhalt nach sonderte sich übrigens diese Metophysik in mehrere einzelne aufeinanderfolgende Wissenschaften ab. Die erste war die Ontologie, welche[82] ihren Namen davon hatte, daß sie die ersten und allgemeinsten Bestimmungen des Seienden enthalten sollte, die Stamm- und Urbegriffe, welche in allen folgenden Beweisführungen herrschen mußten. Sie handelte also vom Wesen und Sein im allgemeinen, vom Möglichen, Zufälligen und Notwendigen, von den verschiedenen Begriffen der Ursache, von Vielheit und Einheit, Endlichkeit und Unendlichkeit usw. Denn man kann diese Aufzählung füglich mit einem etc. schließen, weil diese Ontologie sich der Vollständigkeit ihres Inhalts ebensowenig als eines wirklichen Systems, eines Auseinanderhervorgehens dieser Begriffe versicherte, wie man denn nicht leicht in verschiedenen Darstellungen derselben die nämliche Ordnung oder Aufeinanderfolge der Begriffe antreffen wird. Im Grunde war diese Definition nur eine Sammlung von Definitionen, mit der man die geometrische Methode nachahmte, welche ihren Demonstrationen auch Definitionen vorausschickt; noch richtiger würde es sein, diese Ontologie als ein bloßes zum Verständnis des Folgenden vorausgeschicktes erklärendes Wörterbuch der verschiedenen in der Philosophie vorkommenden Ausdrücke und Begriffe anzusehen. Allgemein war in dieser Wissenschaft die Voraussetzung, daß man jene Begriffe unabhängig von den Gegenständen und für sich besitzen könne, weshalb sie denn auch vorzugsweise Begriffe a priori hießen, wie die ganze folgende Zeit unter Begriffen und Erkenntnissen a priori solche verstand, die vor und abgetrennt von den Gegenständen entstehen, als ob nicht für die wahre, von vorn anfangende Wissenschaft die Gegenstände so gut a priori sein müßten als die Begriffe.

Die zweite Wissenschaft war denn bald die rationale Psychologie, bald die rationale Kosmologie. In jener sollte vorzüglich 1. die absolute Einfachheit der Seele bewiesen werden – ein Begriff, der sich ganz auf die atomistische Ansicht der Materie bezog –, im Grunde wurde nur bewiesen, daß die Seele nicht zusammengesetzt sei in dem Sinn, wie man sich die Materie zusammengesetzt dachte. Wie nun aber, wenn die Materie selbst nicht auf solche[83] Weise zusammengesetzt, wie es ein durchaus unstatthafter Schluß war: die Materie ist teilbar, also ist sie auch aus Teilen zusammengesetzt? Aus der Einfachheit sollte dann 2. die absolute Unzerstörlichkeit der Seele bewiesen werden. Indes fing man bald an, der Bündigkeit dieses Beweises zu mißtrauen; vielleicht fühlte man auch das Kahle und Abstrakte des Begriffs Unsterblichkeit, der das wenigste ist, was man etwa von der Fortdauer der Seele nach dem Tode aussagen kann; kurz man ließ alle, übrigens auch empirischen Beweise zu, als z.B. den von der Perfektibilität des menschlichen Geistes hergenommenen, wobei man dann aber wieder die Lehre von Gott zu Hilfe nehmen mußte, die doch erst in der Folge abgehandelt wurde. In der rationalen Kosmologie wurde dann von der Schöpfung der Welt gehandelt, die man aus der Tradition voraussetzte; hierbei kam besonders jene Frage zur Sprache, ob Gott von Ewigkeit erschaffen habe, oder erst in einer bestimmten Zeit, ferner von der Unendlichkeit oder Endlichkeit der Welt dem Raume nach, vom Naturmechanismus, und ob dieser, z.B. durch Wunder, unterbrochen werden könne oder nicht, von einigen allgemeinen Naturgesetzen, dem Gesetz der Sparsamkeit (lex parsimoniae), der Stetigkeit usw., auch wohl von den allgemeinen Gesetzen der Bewegung.

Die letzte Wissenschaft und die Krone von allem war endlich die sogenannte rationale Theologie, wo man aber (indem es nur um die Existenz zu tun war) drei aufeinanderfolgen, de Beweise, den ontologischen, den kosmologischen, den physikotheologischen nötig fand. Diese Aufeinanderfolge von Beweisen zeigte schon, daß keiner dieser Beweise für sich hinlänglich erachtet wurde. Über das erste dieser Argumente, das ontologische, habe ich mich schon bei Gelegenheit des Descartes erklärt, und ich brauche daher dessen Inhalt nur noch kurz in der Form zu wiederholen, die es später angenommen hatte. Alles, was nur ein Seiendes ist, was also an dem Sein nur Teil hat, kann auch abstrahiert von diesem Sein, ohne dieses Sein – gleichsam nackt, als ein solches, das sich das Sein bloß angezogen,[84] sich mit ihm überkleidet hat – betrachtet werden. Inwiefern nun alles, was bloß ein Seiendes ist, als ein solches betrachtet werden kann, dem das Sein zukommt (advenit, accedit), insofern ist es an sich ebensowohl ein nicht Seiendes, eine bloße Möglichkeit, das Sein anzuziehen. Oder, dasselbe in einer andern Wendung zu sagen: alles, was nur zum Sein bestimmt ist, geht eben darum vom Nichtsein zum Sein über. Es ist zuerst nur in seiner Potenz oder Möglichkeit da, wirklich seiend wird es nur durch Übergang a potentia ad actum. Nun widerstrebt es aber gänzlich der Idee Gottes, in ihm einen solchen Übergang zu denken. (Dieser Untersatz ist unentbehrlich, da diese Metaphysik nicht von dem Begriff des rein [ohne Potenz] Seienden ausgehend zum Begriff Gottes erst gelangt, sondern umgekehrt vom Begriff Gottes ausgeht, um mit ihm das Prädikat des rein Seienden zu verbinden. Jener Untersatz selbst aber, daß es der Idee Gottes widerstrebt, in ihm eine Potenz zu denken, ist im Grunde bloß aus den angenommenen Begriffen, aus der bestehenden Lehre, zuletzt aus der Überlieferung aufgenommen.) Was folgt nun aber aus den beiden Prämissen? Nur dies: Gott ist das Wesen, das nur als seiend, auf keine Weise als nicht seiend gedacht werden kann. Aber eben hier sieht man ja, daß dies bloß eine Bestimmung der Natur Gottes ist, die also über die Existenz Gottes nichts aussagt; es ist immer nur der Begriff Gottes, das rein Seiende zu sein, wie selbst in dem gewöhnlichen lateinischen Ausdruck deutlich ist: Deus est id, quod non cogitari potest nisi existens – er kann nur als seiend gedacht werden, d.h. also, wenn er existiert, so kann er nur existierend als das rein Seiende gedacht werden, als das nicht a potentia ad actum übergegangen, sondern geradezu – potenzlos ist. Der Sinn des Begriffs ist nicht, daß Gott notwendig existiert oder daß er das notwendig seiende Wesen, sondern daß er notwendig das Seiende – nämlich das bloß Seiende oder das rein Seiende selbst ist. Allerdings liegen die zwei Ausdrücke: Gott ist das notwendig Seiende, und: Gott ist notwendig das Seiende, einander so nahe, daß der Mißverstand, welcher zu[85] dem ontologischen Argument Veranlassung gab, als sehr natürlich erscheint.

Dieser Mißverstand ist bis auf den heutigen Tag nicht erklärt worden (man darf nur sehen z.B., wie verworren sich Hegel über das ontologische Argument äußert). Indes in den Schulen der Metaphysik selbst war immer ein gewisses Mißtrauen gegen dieses Argument. Daher man denn zu einem zweiten, dem sogenannten kosmologischen, fortschritt. Dieses mußte denn freilich auf ganz andere Art konkludent sein. Denn hier ging man nicht von einem bloßen Begriff, sondern selbst schon von Existenz, nämlich von der Existenz der Welt aus, und so konnte man auch nur auf Existenz schließen, während es unmöglich war, dort, wo bloß vom Begriff ausgegangen wurde, in dem Schlußsatz zu Existenz zu gelangen.

Das kosmologische Argument, genauer untersucht, beruht auf dem schon von Aristoteles gebrauchten Grundsatz, daß ein Fortschreiten von Ursachen zu Ursachen in einer Reihe, wo nie eine letzte Ursache angetroffen würde, daß ein solcher regressus in infinitum eigentlich nichts erklären würde. Denn die nächste Ursache, die ich annehme ist eigentlich keine Ursache, sondern, weil sie eine andere voraussetzt, nur Wirkung, und so wieder die folgende. Ich schreite also nur von Wirkungen zu Wirkungen fort, und der regressus in infinitum ist eigentlich eine immer fortgesetzte Negation der Ursache. Entweder also muß ich überall nicht erklären oder eine Ursache annehmen, die selbst keine andere voraussetzt, die absolute Ursache ist. Diese letzte Ursache läßt sich nun allerdings nur in dem finden, was das rein Seiende ist, denn was nicht rein und absolut Ursache ist, kann auch nicht das rein Seiende sein. Auf diese Weise konnte man denn wirklich die Existenz Gottes bewiesen glauben, und es wurde namentlich von der thomistischen Schule unter den Scholastikern auf dieses Argument das größte Gewicht gelegt. Zum Behuf dieses Arguments mußte man sich indes eine sogenannte Kette von Ursachen imaginieren. Ich gestehe, daß mir dies nie deutlich gewesen. Denn wenn man sich nicht etwa[86] bloß auf die lebenden Wesen beschränken will, bei welchen man von dem Sohn auf den Vater, von diesem wieder auf seinen Vater usf. ins Unbestimmte zurückgehen kann, so sehe ich nicht, wie man ihn in der übrigen Natur nachweisen will, da die Naturforschung in allen Richtungen sogleich auf Grenzen stößt, über die sie nicht hinaus kann; z.B. wenn sie die magnetischen oder elektrischen Erscheinungen aus einem magnetischen oder elektrischen Fluidum erklären zu können meint, so kann sie mit dieser Materie nicht weiter zurück, sie muß diese gleich als etwas Ursprünglich-Seiendes oder -Erschaffenes gelten lassen. Bezieht man jene Kette bloß auf die Bewegungen in der Natur, so bleibt damit die Substanz, unerklärt, an welcher die Bewegung nur als ein Akzidenz haftet; nimmt man als die Elemente dieser Reihe Dinge an, so sehen wir statt einer solchen Kette in der allgemeinen Natur vielmehr ein System allgemeiner Wechselbestimmung. Wollte man etwa sagen, diese bestimmte Substanz, z.B. dieses Metall = A könnte in der Natur nicht existieren, wenn nicht auch jenes andere Metall = B existierte, also ist das Metall A seiner Existenz nach von dem Metall B abhängig, so sehen wir augenblicklich, daß ebensowohl auch das Metall B nicht existieren könnte, wenn A nicht wäre, d.h., wir sehen, daß die Bestimmung eine wechselseitige, nicht eine einseitige ist. Vielleicht kann man eine solche solidarische Verpflichtung der Körper gegeneinander, oder daß, im Fall einer derselben aus der Reihe der Dinge verschwinden könnte, alle andern verschwinden müßten – man kann dies, sage ich, vielleicht für die unorganische Natur zugeben; für die organischen Wesen wenigstens wäre es nicht zu behaupten, da die Erfahrung zeigt, daß aus dem System organischer Wesen allerdings schon Glieder verschwunden sind, oder wenigstens verschwinden könnten, ohne die Existenz der andern zu gefährden. Ich meine nicht bloß jene Geschlechter von Tieren und Pflanzen, deren Reste wir in versteinerten Abdrücken oder fossilen Knochen finden und die in der gegenwärtigen Natur nicht mehr angetroffen werden, sondern selbst erst seit Menschengedenken[87] sind wahrscheinlich Tiergattungen verschwunden, denn da mehrere derselben gleichsam im Abzug begriffen und nahe daran scheinen, gänzlich auszusterben, warum sollte dies nicht auch früher geschehen sein? Doch wollten wir nun die Vorstellung einer solchen Kette von Ursache und Wirkung zugeben, so wären wir damit erst zum Begriff einer letzten bestimmenden Ursache gelangt, aber von welcher Art diese Ursache, ob sie eine blind wirkende oder eine freie sei, wäre damit nicht entschieden. Denn die blind wirkende braucht nicht gerade eine solche zu sein, die von einer andern außer ihr seienden zum Wirken bestimmt oder nezessitiert ist, sie kann auch die bloß nach einer inneren Notwendigkeit wirkende sein.

Eine letzte Ursache, wie sie Aristoteles aufstellt, ein erstes Bewegendes, das nicht wieder bewegt wird (to prôton kinoun akinêton), würde dem kosmologischen Argument vollkommen genügen. Das ontologische Argument, wenn es nicht auf einem Mißverstand beruht, kann bloß zum Begriff der absoluten Substanz führen, das kosmologische nur zum Begriff der Ursache überhaupt.

Die Metaphysik geht daher auch von diesem zum folgenden – zu dem physiko-theologischen, also physiko-logischen fort. Vermöge dieses dritten Beweises nun, könnte es scheinen, gelange die Metaphysik zur Existenz Gottes als solchen, inwiefern nämlich aus der zweckmäßigen Einrichtung der Natur im Ganzen und im Einzelnen nicht mehr bloß auf eine Ursache überhaupt, sondern auf eine intelligente Ursache geschlossen wird. Allein weder ist die bloße Voraussetzung einer intelligenten Ursache im allgemeinen hinreichend, die Zweckmäßigkeit der Natur zu erklären, noch ist Gott als bloße intelligente Ursache auch schon als Gott bestimmt. Denn was das erste betrifft, so müssen wir eine zweifache Zweckmäßigkeit unterscheiden, die bloß äußere, irgendeinem Werkzeug bloß äußerlich aufgedrückte, wie die Zweckmäßigkeit einer Maschine ist – diese geht nicht in den Stoff über, sondern beruht bloß auf der äußeren Form und der äußeren Verknüpfung[88] gewisser Teile, und die innerliche Zweckmäßigkeit, die nur da stattfindet, wo, wie im Organischen, Form und Stoff unzertrennlich sind. Bei jener (der bloß mechanischen Zweckmäßigkeit) bleibt der Künstler oder Hervorbringer außer seinem Werke, bei dieser muß die künstlerische oder plastische Tätigkeit eine dem Stoff selbst innewohnende, mit dem Stoff verwachsene sein. Nicht also die Voraussetzung einer intelligenten Ursache überhaupt oder im allgemeinen, sondern nur die Voraussetzung einer dem Stoff selbst einwohnenden intelligenten Ursache würde die Zweckmäßigkeit insbesondere der organischen Natur erklären. Aber die Metaphysik will nicht eine solche, nicht eine den Dingen selbst inwohnende Ursache, sie will Gott als eine außer den Dingen und außer der Materie bleibende Ursache. Eine solche vom Stoff verschiedene Ursache kann aber z.B. die organische Form des Stoffs etwa wollen, aber diese Form nicht hervorbringen, denn die von ihr hervorgebrachte könnte in jedem Fall nur eine der Materie äußerlich aufgedrückte, nicht aber die innerliche, mit ihr verwachsene sein, die wir doch in der organischen Natur erkennen müssen.

Also die bloße Voraussetzung einer intelligenten Ursache im allgemeinen reicht nicht hin, die Zweckmäßigkeit der Natur zu erklären. Von der andern Seite wird durch den Begriff einer verständigen, intelligenten Ursache der Begriff, den wir in Gott realisiert wollen, nicht erschöpft. Eine intelligente Ursache wäre Gott auch als bloßer Weltarchitekt.

Der Verstand allein reicht nicht hin, eine Welt auch dem Stoff nach hervorzubringen. Der Verstand wird in jeder Hervorbringung bloß angewendet, aber eben hieraus erhellt, daß er nicht die eigentlich hervorbringende Kraft ist. Das schlechthin Unterscheidende Gottes ist, die Stoff-hervorbringende Macht zu sein, ist diese nicht in ihm nachzuweisen oder begreiflich zu machen, so ist Gott noch immer nicht als Gott gesetzt. Der Begriff der bloß intelligenten (so wie einer freien, moralischen, d.h. gütigen) Natur enthält nichts eigentlich Distinktives in bezug[89] auf Gott. Denn auch der Mensch ist eine intelligente Natur, selbst der Weisheit ist er in gewissem Maß wenigstens empfänglich, ebenso wie der Macht, der Voraussicht und anderer sittlicher Eigenschaften. Daher fand man bei der Anwendung dieser Eigenschaften auf Gott stets einen Zusatz nötig; man nennt Gott nicht weise, sondern allweise, nicht mächtig, sondern allmächtig, nicht gütig, sondern allgütig. Durch diesen Zusatz sollte eben ausgedrückt werden, daß Gott in der Ausübung dieser Eigenschaften durch keinen Stoff beschränkt ist, also daß er selbst auch die Stoff-hervorbringende Ursache – Schöpfer ist, und es erhellt daraus, daß der eigentlich distinktive Begriff Gottes nicht dieser ist, Intelligenz überhaupt, sondern Schöpfer zu sein. Auch mit diesem dritten Argument der ehemaligen Metaphysik war also der Begriff Gottes als solcher nicht erreicht.

Nachdem man jedoch durch diese Folge oder Verbindung der drei Beweise nun die Existenz des wahren Gottes bewiesen zu haben glaubte, ging man zu der Lehre von den Eigenschaften Gottes über. Sonderbar genug; denn man sollte denken, der Komplex dieser Eigenschaften bilde den Begriff Gottes, des Begriffs aber müsse man sich versichert haben, ehe man an den Erweis der Existenz denke. Unter den sogenannten Eigenschaften Gottes, die man in der Überlieferung und der gemeinen Vorstellung antraf, war es nun aber leicht, zwei Arten derselben zu unterscheiden. Einige dieser Attribute stellten sich als solche dar, ohne welche Gott nicht Gott sein könnte, man könnte sie eben darum die bloß negativen nennen. Solche Attribute sind z.B. Ewigkeit, Unendlichkeit, das von selbst Sein (a se Esse). Ein Wesen, das nicht ewig, nicht von selbst wäre, könnte gar nicht Gott sein, doch ist es darum allein noch nicht Gott; dies scheinen also Eigenschaften Gottes an und vor sich selbst gleichsam, d.h. vor seiner Gottheit, zu sein, die er, sozusagen, bedarf, um Gott zu sein, damit er Gott sei (apriorische). Aber da die blinde Substanz des Spinoza, ebensowohl ewig, ebensowohl unendlich und von sich selbst ist, so erhellt daraus,[90] daß diese Eigenschaften nicht Eigenschaften Gottes als solchen sind. Andere dieser Attribute stellten sich nun dagegen als solche dar, durch welche Gott erst eigentlich Gott ist oder welche Gott seiner Gottheit nach zukommen (= positiv). Dahin gehörten nun alle die, welche Freiheit, Intelligenz, Willen und Vorsehung oder eine aktuelle Relation einschließen. Diese beiden Klassen von Eigenschaften standen aber bloß nebeneinander, ohne daß erörtert wurde, wie sie sich zueinander verhalten (kein Übergang von denen der ersten zu denen der zweiten Art). Bei Gelegenheit der positiven oder, wie sie auch genannt wurden, der moralischen Eigenschaften wurde dann gewöhnlich auch der Spinozismus zu widerlegen versucht; weniger durch diese Widerlegungen indes glaubte man sich gegen dieses System sicher gestellt als dadurch, daß Gott an das Ende der Metaphysik verlegt war, wo man denn die selbständige Existenz der Dinge, die Freiheit der menschlichen Handlungen und was sonst den Menschen vorzugsweise am Herzen lag, gegen die Unendlichkeit, die Allmacht (welche allem, was außer Gott existiert, nur eine absolute Ohnmacht übrigzulassen schien) sowie gegen die Allwissenheit Gottes (die mit der Freiheit menschlicher Handlungen unverträglich schien) schon geborgen glaubte. Man beruhigte sich damit, ohne zu überlegen, daß in der Wirklichkeit Gott nicht nach, sondern vor den Dingen ist.

Ich glaubte, die ehemalige Metaphysik aus verschiedenen Gründen hier etwas ausführlicher darstellen zu müssen. Denn 1. war sie doch eigentlich die allein geltende, öffentlich geduldete und angenommene: weder die Philosophie des Descartes noch die des Spinoza noch selbst das eigentlich Spekulative der Leibnizischen Philosophie war je in die Schulen aufgenommen worden; 2. ist es noch immer wichtig zu wissen, was eine bloß subjektive, also außer dem Gegenstand bleibende Dialektik etwa vermag, und als Vorübung zur höheren Philosophie würde diese Metaphysik noch immer mit Vorteil selbst auf den Universitäten vorgetragen. Denn obgleich wir sie im Grunde[91] nur für eine bloß räsonierende, subjektiv-vernünftige Philosophie halten können, so läßt sie doch eben deswegen zugleich eine gewisse Freiheit des Gedankens und des Verstandesgebrauchs zu, die um so wohltätiger wirken würde, als diese Art zu philosophieren die einzige der großen Mehrzahl gemäße und bequeme ist; denn diese, wenn sie überhaupt mit Philosophieren sich befaßt, will doch nicht gern von ihrem Standpunkt sich entfernen, sondern, höchst zufrieden mit der zufällig etwa erlangten Bildung und wenig geneigt einzusehen, daß dieses Gebäude ihrer vermeinten Bildung einer Revision und Wiederaufbauung von Grund aus bedürfe, schreibt sich jeder a priori eine Vernunft zu, die ihn berechtige, zum voraus zu bestimmen, was er etwa zulassen wolle oder nicht – also diese bei weitem größte Mehrzahl will doch am Ende nichts anderes, als daß ihr von ihrem Standpunkt aus und ohne daß sie genötigt ist, diesen zu verlassen, durch bloßes vernünftiges Reden oder Diskurrieren die großen Gegenstände der Philosophie expliziert werden.

Trotz des scholastischen Zuschnitts und Wortkrames, mit dem sich jene Schulmetaphysik im Anfang umgeben hatte, ging sie daher mit der Zeit auch äußerlich immer mehr in eine solche bloß räsonierende Philosophie über, und da eine stufenweis immer lebhafter erregte Zeit dem bald auf den Grund sah (daß sie nämlich nicht eine wissenschaftliche, sondern eine bloß räsonierende Philosophie sei), und da zum bloßen Räsonieren am Ende jeder gleich viel Recht hat oder zu haben meint, weil es dazu nichts mehr bedarf als jener allgemeinen Vernunft, die sich jeder zuschreibt und deren Besitz keiner erst durch die Tat rechtfertigen zu müssen glaubt, so mußte jene Schulmetaphysik allmählich in eine Art von formloser, bloß populärer Philosophie, zuletzt in eine völlige Anarchie ausschlagen. Die Periode des sogenannten Selbstdenkens begann, was freilich ein ziemlich pleonastischer Ausdruck scheint, denn es versteht sich wohl von selbst, daß jeder, der denkt, selbst denken muß und keiner einen andern für sich denken lassen kann, sowenig, als er einen andern[92] für sich kann schlafen oder verdauen lassen; die Meinung war aber eben diese, daß jeder mit jener allgemeinen Vernunft schon hinlänglich ausgerüstet sei, um über alle möglichen Gegenstände der Philosophie vernünftige Vorstellungen zu haben, jeder, hieß es, müsse sein System sich selbst machen, eine Philosophie, die auf objektive Gültigkeit Anspruch mache, sei höchstens gut für die Schule, oder um einer unerfahrenen Jugend zu imponieren, das Leben und die Erfahrung sei alles usw. Dieses Hinweisen auf die Erfahrung brachte jedoch der Philosophie von einer andern Seite Vorteil, indem sie Anlaß zur Entstehung und Bearbeitung der empirischen Psychologie gab, die freilich bis jetzt selbst einer eigentlichen wissenschaftlichen Begründung entbehrt, aber doch dem menschlichen Geist eine neue Region seiner selbst aufschloß, besonders jene höchst interessante, die zwischen dem Physischen und Psychischen in der Mitte liegt.[93]

Quelle:
Friedrich Wilhelm Joseph Schelling: Zur Geschichte der neueren Philosophie. Leipzig 1966, S. 51-94.
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