§ 1. Die Methode.

[13] Plato der göttliche und der erstaunliche Kant vereinigen ihre nachdrucksvollen Stimmen in der Anempfehlung einer Regel zur Methode alles Philosophirens, ja alles Wissens überhaupt1. Man soll, sagen sie, zweien Gesetzen, dem der Homogeneität und dem der Specifikation, auf gleiche Weise, nicht aber dem einen, zum Nachtheil des andern, Genüge leisten. Das Gesetz der Homogeneität heißt uns, durch Aufmerken auf die Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen der Dinge, Arten erfassen, diese eben so zu Gattungen, und diese zu Geschlechtern vereinigen, bis wir zuletzt zum obersten. Alles umfassenden Begriff gelangen. Da dieses Gesetz ein transscendentales, unserer Vernunft wesentliches ist, setzt es Übereinstimmung der Natur mit sich voraus, welche Voraussetzung ausgedrückt ist in der alten Regel: entia praeter necessitatem non esse multiplicanda. – Das Gesetz der Specifikation drückt Kant dagegen so aus: entium varietates non temere esse minuendas. Es heischt nämlich, daß wir die unter einem vielumfassenden Geschlechtsbegriff vereinigten Gattungen und wiederum die unter diesen begriffenen, hohem und niederem Arten wohl unterscheiden, uns hütend, irgend einen Sprung zu machen und wohl gar die niedern Arten, oder vollends Individuen, unmittelbar[13] unter den Geschlechtsbegriff zu subsumiren; indem jeder Begriff noch einer Eintheilung in niedrigere fähig ist und sogar keiner auf die bloße Anschauung herabgeht. Kant lehrt, daß beide Gesetze transscendentale, Übereinstimmung der Dinge mit sich a priori postulirende Grundsätze der Vernunft seien, und Plato scheint das Selbe auf seine Weise auszudrücken, indem er sagt, diese Regeln, denen alle Wissenschaft ihre Entstehung verdanke, seien zugleich mit dem Feuer des Prometheus vom Göttersitze zu uns herabgeworfen.

1

Platon. Phileb. pp. 219-223. Politic. 62, 63. Phaedr. 361-363. ed. Bip. Kant, Krit. d. reinen Vern., Anhang zur transsc. Dialektik.

Quelle:
Arthur Schopenhauer. Zürcher Ausgabe. Werke in zehn Bänden. Band 5, Zürich 1977, S. 13-14.
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