Die alten Südkulturen

[248] 1


Wüstenstämme (›Semiten‹) sind nicht nordisch expansiv, sondern nur den Lebensraum erstrebend. Nichts von Weltmacht und Reich trotz aller großen Worte. Der ägyptisch-babylonische Imperialismus ist noch sehr bescheiden.


2


Die Hoffnung, ›in Frieden zu wandeln auf den schönen Pfaden des Westreiches‹ nach dem Tode, entsteht an der Schwelle der Frühzeit, 4. Dyn. In den Jahrhunderten vor 2000 entstehen das Totenbuch mit der Idee des sittlichen Gerichts und der Sonnenmonotheismus. EMS 342 ff.


3


Zunächst [galt die] ›Sprache fürs Auge‹ statt [fürs] Ohr. Bilder, Zeichen, deren Bedeutung der kennt, der sie sieht. ›Marken‹ (Wegmarken, Personenmarken). Dann aber wird die Reihe von Strichen und Bildchen nicht mehr Zeichen für Tatsachen, sondern für Worte, die Tatsachen meinen. Man kann also Sätze ›lesen‹. Zuletzt [ist] auch das grammatische Element eindeutig gezeichnet: Silben, Suffixe etc. Der Leser, ursprünglich Kenner der Zeichenbedeutung, wird nun Kenner der Zeichenlesung. Man versteht nicht den Sinn der Zeichen, sondern den Wortlaut.

Ägypten: Grabschrift, in Stein gehauen, auf Papyrus gemalt. Monumental. Babylon: Geschäftsschrift, in Ton geritzt. Kursiv.[248]


4


Der alte Westen in Gestalt des Kaftireiches [ist] am weitesten nach Osten vorgedrungen, als Seemacht [das] Ostmittelmeer erfüllend. [Die] Seevölker [sind] schon ein Abklingen. Die nordeurasischen Binnenlandgewalten stoßen hier mit dem Westen zusammen: Folge Antike. Die alte Südkultur (höchste Prägung Babylon, wie Ägypten durch Kreuzung von Süden und Westen entstanden) in Indien und China von Norden überschichtet. Die alte Südkultur [ist] priesterlich wirkend, brahmanisch, noch als Buddhismus die Herrenschicht Südostasiens zeugend. [Die] arabische Kultur [ist] zentral, am stärksten gemischt, [der] Norden dominierend, dazu ägyptische und babylonische Zivilisationsreste.


5


Nicht der ägyptisch-babylonische Stier ist heilig, sondern das Wildtier im Urwald ist ein dämonisches Wesen, das man scheut (sacer), beschwört, vernichtet. Man ›verehrt‹ es im Sinne von erschreckender Achtung, ein gewaltiger Feind. Furcht, nicht Liebe. Das böse Tier. In Knossos Wildstiere.


6


Ägyptisch-babylonische Baukunst [ist] nur Palastgrab und Palasttempel. Man ›wohnt‹ im Freien. Im Süden entsteht das vornehme Haus aus dem Hof, um den Schlaf-, Prunk- und Wirtschaftsräume liegen. In Ägypten (›Weg‹) entstehen daraus Säulensäle, Säulenhöfe. In Babylon der Torbau – das Wichtige ist der ›Eintritt‹ zum Gott, Herrscher, Leben. Höfe, in denen die Zikkurat liegt. Der ›Palast‹ ist ein Torbau mit Räumen dahinter. Daher Breitbau statt des ägyptischen Langhauses (Klio 22, 1 ff.). Beim Bauernhaus: in Babylon Hofmauer, darin Hütten (Privatrecht), [in] Ägypten Hofhaus (Staatsrecht). Die babylonischen Priester wohnen im Tempelgelände, [der] ägyptischer Adel und [die] Priester in eigenen Komplexen. Ägypten: Keine[249] Akropolis, keine Mauer, frei wachsend; Babylon: Palast, Stadtmauer, konzentriert.


7


Die fortschreitende Austrocknung der Sahara hat einen Druck auf die ursprünglich dichte Bevölkerung ausgeübt. Die Ströme werden Wadis, die Steppen Sandmeere. Die Stämme wandern ab – nach Süden (Sudan), Südosten (Ostafrika, Südafrika), Ägypten, Spanien (El Argar), Italien, Ägäis. Die seit dem 5. Jahrtausend bekannte Schiffahrt wird zum Mittel der Eroberung. Druck auf Nordwesteuropa: Glockenbecher.


8


Landschaft: Diluvium – Wüstenbildung, zum Teil durch Menschen verursacht, Waldbrände. Der große Gürtel Sahara – Arabien/Innerasien. Ursprünglich die dichtest bevölkerten Gebiete, dann von da Emigration nach allen Seiten, in allen Formen. Sahara, von Osten nach Westen fortschreitend. Druck auf Spanien, Ägypten, Mesopotamien. Druck von Innerasien auf Indien, China, Mesopotamien, Europa. Übergang vom seßhaften Landbau zu Viehnomaden, nicht umgekehrt. Hamiten, Indogermanen – die beiden Sprachgruppen, die durch Wüstenbildung eine Expansion erfuhren. Psychologisch ist der feste Standort (›Heimat‹, Besitz) das Grundlegende. Die viehhaltenden Nomaden wurden erst durch Not getrieben.


9


Druck des Wüstengürtels seit Ende des 4. Jahrtausends. Danach entwickeln sich Druckrichtungen. Sahara nach Westeuropa (Islam), Südafrika, Palästina, Arabien (Akkader, Islam). Arabien nach Norden: Akkad, Israel etc. Arabische Seefahrt nach Ostasien. Gobi nach Osten: China; Westen: Rußland, Europa; Süden: Indien.[250]


10


In Ägypten uralte Stiernumina (Kraft, Fruchtbarkeit, Brüllen). In Heliopolis erst wird die Sonne zum Numen. Später werden beide Anschauungen zusammengebracht. Mehrere Gaugottheiten werden Sonnen- und Stiergötter, Himmelsgöttin Nut zur Kuh. Ursprünglich [tritt] die Tiergestalt für Götter früher [auf] als die Menschengestalt. In Babylon: Reallexikon 12,438 ff. Ego: Ist der Stier mit dem Bogen durch die Akkader nach Babylon gekommen? Erst seit dem 2. Jahrtausend bezeugt!


11


Die Göttermutter (oft mit dem Sohn) [ist] uralt westisch. [Sie ist] nach Lydien und Syrien von Afrika aus über Kreta und Kypros gelangt (Kuppelgräber), dort älteste Schicht. Später – jüngere Schicht – mit einem Gatten versehen – das ist asiatisch – südlich. Hera, Leto, Leda, Baalath [von] Pessinus, die ›große Mutter‹, Umgestaltung des Isistypus, Madonna. In Westkleinasien und Syrien liegen viele Religionsschichten übereinander, [sie sind] immer wieder umgestaltet.


12


Kasch, Babylon: Die Tatsache, daß in den Urkunden – vom Leben und seiner Sprache wissen wir nichts – zwei Sprachen vorkommen, hat zur Unterscheidung von ›Sumerer‹ und ›Semiten‹ als den zwei bildenden Volkstümern geführt, von denen das Sumerische als das ›ältere‹ angesehen wurde, weil die [sumerischen] Urkunden zum Teil älter sind. Tatsächlich müssen viel mehr Sprachen (und Dialekte!) geredet worden sein, von denen wir das Elamische und Spuren des Nordmesopotamischen kennen oder ahnen. Dann bleibt aber die Frage des 4. Jahrtausends offen: Was war vor und neben dem ›sumerischen‹ Element da? Sprachen von einer inneren Form, die dem Typus des Sumerischen verwandt ist, gehen bis nach Etrurien und Kaukasus. Von Turkestan, Indien, Ostafrika wissen wir aber nichts aus dieser[251] Zeit. Sicher ist nur, daß im 4. Jahrtausend die Ströme von Kasch und Atlantis sich hier trafen und beide zahlreiche Sprachen mitbrachten.


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Die alte Lebensart ist: heranwachsen, sich nähren, lieben, Kinder haben, sterben. Der Sperling wie der Bauer. Das Erwachen läßt ›das Leben‹ im geistigen Lichte daliegen: Was ist das? Wozu ist es da? Die große Frage, mit welcher das Seelenleid anhebt.

Kultur ist der Versuch, eine Antwort zu geben. An der Kultur haben alle die teil, welche diese Frage kennen. Kulturschaffende sind die, welche [die Frage] tiefer stellen als die früheren. Alle andren Menschen sind Material der Kultur, Rohstoff. In der jüngeren Steinzeit wird die Frage gestellt: Wo? In welcher Fassung? Die Helden des 2. Jahrtausends vor Chr. hatten die neue Antwort: Groß leben. Das haben Ägypter und Babylonier nicht gekannt!


14


Ägypten, Babylon: Das Verhältnis zu Gott ist Furcht vor dessen Zorn.

Opfergedanke: Woher stammt das Tieropfer und was bedeutet es? Kasch oder Dolmen? Brandopfer in Nippur? Blutopfer. Es sind Widder und Stier – also aus der Region der Viehhaltung und deren Ursache! Die babylonische blutige Opferidee ist in die antike Welt gelangt, ebenso ist sie israelitisch, karthagisch, etruskisch.


15


Volk‹: Es ist falsch, in Ägypten ein Volk, in Babylon viele zu sehen. Nur ist in Ägypten der Gesamtstaat Regel, in Babylon Ausnahme gewesen infolge der staatsrechtlichen und privatrechtlichen Auffassung. In Wirklichkeit gab es hier wie dort Stämme und Sprachen wir kennen aber nur die Schriftsprachen.[252]


16


Ägypten, Atlantis: Die Idee des Staatsrechts hat Ägypten zum besten Verwaltungsstaat der Geschichte gemacht, aber unfähig zur Expansion. Aus diesem Gedanken heraus konnte sich weder eine Einverleibung Vorderasiens entwickeln, wo man es nur zur Kontrolle brachte, nicht zur Organisation, noch der Gedanke einer Seeherrschaft über Punt oder Kreta.


17


Kasch, Atlantis: Babylonisches Privatrecht. [Der] Staat [ist] als Schiedsrichter gedacht. Der einzelne [ist] wichtiger als das Ganze. Deshalb Privatinitiativen in der Wirtschaft, Wettbewerb, deshalb die babylonische Expansion des Handels überall, mit Straßen, Münzen, Technik, Sprache, Kalender und Handelsrecht, -sitte, -brauch. Ägyptischer Staatszentralismus, also nicht über die Grenze des Landes hinaus. Chauvinismus für die Grenze statt privater Konkurrenz.


18


Beide Kulturen [stehen] mitten in der Höhezeit des Tabu. Deshalb [ist] hier die hohe Schule des Tabu, das den ganzen Staat (Priesterkönig), [die] Gesellschaft (Adel – Tabu) durchdringt. Saat und Zucht sind Phallussymbole. In Ägypten fehlt der Ackerbau.

Im 4. Jahrtausend [lebt] der magische Held, Gilgamesch, [er sucht] nicht Streit, sondern wunderbare Erlebnisse. Erst 2000 der Schicksalstrotz der Nordhelden. Daher: 3000 der Süd-Adel, magisch, Vorrecht infolge [des] stärkeren Tabu, 1500 [der] Nord-Adel, kriegerisch, infolge der stärkeren Lebensauffassung. Dies ist der Schritt vom tatsächlichen zum betonten Selbst-Bewußtsein, zum privaten Individualismus und Göttertrotz – in der Ilias lacht man über [die Götter], empfindet sie als seinesgleichen. Die echten Sumerer [haben] eine geistesstarke Rasse: Sie schaffen den Aspekt: der Mensch ist dem Gotte gleichwertig und kann Gott werden. Gilgamesch: ein Gipfel des[253] großen Tabudenkens. [Ist das] doch vielleicht nordisch? Mit dem semitisch-hamitischen (6000) oder urlibyschen (4000) Strom hierher [gekommen]? Megalithbauten? In Eridu?

Die Akkader und eine entsprechend ägyptische Unterschicht (nicht mit den Trägern des Ursemitischen identisch!) [sind] dagegen weich, winselnd, [haben] Bußpsalmen, Hundedemut vor Gott, [sind] übrigens seefremd. Beide (Ägypten, Babylon) [sind] Kulturen, gemischt aus diesen Elementen: dem hündischen und dem löwenhaften, ersteres bleibt übrig (spätägyptische Weltanschauung in der [Kaiser]zeit, Urisrael). In beiden [ist] der Mondkult älter. Uralt die Zahl 60. Aus Norden [kommt die Symbolik von] ›oben und unten‹, aus Süden [die der] vier Himmelsrichtungen? Danach die sechs Dimensionen des Menschen, der sich nach allen Seiten [verbunden] fühlt? Vollkommene Ruhe im All: Ost-West-Süd-Nord-Zenith – Nadir (Himmel – Unterwelt). Die Muttergöttin [ist] ursumerisch. Eine nördliche männliche Deutung südlich femininen Schauern: So entsteht ein exklusives geistiges (männliches) System: vier Weltecken, Göttertriasviel älter die polaren Götterpaare.


19


Sumerer –kaukasisch‹: Ich möchte hier eine Vermutung wagen. Wie ich immer wieder betone, ist Formverwandtschaft in Sprachen kein Beweis für eine ›Ursprache‹, aus der sie hervorgegangen sind, sondern für eine Geistesverwandtschaft einer ausgedehnten Bevölkerung, also einer c-Kultur, die grammatisch einen analogen Ausdruck fand. Wenn heute ›agglutive‹ Sprachen kaukasischen Typs (um das unglückliche Wort zu erwähnen) von den Basken über Altkleinasien bis Vorderindien verbreitet sind, so sollte man erst einmal eine chronologische Gruppierung vornehmen. Wir kennen Sumerisch, Elamitisch aus dem 3., Mitanni aus dem 2., Lykisch [aus dem] 1. Jahrtausend vor Chr., Baskisch und Kaukasisch aus dem 2. Jahrtausend nach Chr.! Das heißt, von den drei schrifterhaltenen dieser hocharchaischen Sprechweisen (ägyptisch, sumerisch, akkadisch) ist eine zufällig von diesem Typus,[254] und ihr Ort ist also wichtig: je jünger, desto nördlicher, je südlicher, desto früher ausgestorben. Damit ist die Bewegungsrichtung dieses Kulturstromes gegeben: von Kasch nach Nordwest bis tief nach Europa und Mittelasien hinein. Da ferner die Dolmenkultur quer durchschneidet (mit semitischer Sprache), ist jene älter. Da sie im Sumerischen noch die Zweier-Systeme des Zählens erkennen läßt, ist sie der primitiv uns erhaltene grammatische Denktyp. Die andern Sprachen dieser Art müssen völlig verfallen, durchsetzt, gemischt sein, um so mehr, je später sie gesprochen wurden. Sieht man zu, was außer der Sprache noch in dieser Richtung fortgetragen wurde, so kommt man auf Viehzucht, Kult, Metallguß.


20


Ägypten [und] Babylon [haben] extreme Schriftsprachen. Damit wird zum ersten Mal die betreffende Sprache vom Sprechen unabhängig und in ihrem Dasein auf einen Leserkreis gegründet. Es treten neben die Volksmundart als einzige Sprachart der c-Kulturen die ›Umgangssprache‹ der Gesellschaft in den Städten und die Schriftsprache der Urkunden.

Es ist bis jetzt viel zu wenig beachtet worden, daß das sprachliche Bild ganz falsch wird, wenn man nur aus Urkunden schließt oder schließen kann. Daraus würde sich ergeben, daß ›Franzosen‹ und ›Deutsche‹ um 800 die ›Lateiner‹ aus Westeuropa verdrängt hatten, daß 1066 die ›Franzosen‹ in England eingewandert und später vertrieben worden seien, daß bis 1700 in Deutschland [dann wieder] die Römer regiert hätten und dann die Franzosen: die diplomatische Sprache [war] Lateinisch-Spanisch-Französisch.

Wenn um 3000 das ›Sumerische‹ Schriftsprache ist und etwas später das Akkadische daneben, so wissen wir über die Arten der Volks- und Umgangssprache damit sehr wenig. Es können in Assur, Ur, Akkad Sprachen geredet worden sein, die gar nicht oder nur in Personennamen bezeugt sind. Ebenso wissen wir nicht, ob das ›Ägyptische‹ auch die Volkssprache des ganzen Gebietes war, was unwahrscheinlich[255] ist und durch eine Untersuchung von Eigennamen vielleicht widerlegt werden könnte.


21


Die Politik der Frühzeit ist drängende Idee: in Ägypten Streben des Pharaonenstils, Konzentration, Abschluß nach außen. Es ist kein Zweifel, daß der Einfluß zur Meneszeit viel weiter reichte, nach Nord und Süd. Babylon umgekehrt, ebenfalls keine bewußte Expansion, aber ein Strahlen weithin.

Spätzeit: Hier beginnt die eigentliche Diplomatie mit Problemen und jahrhundertelangen Zielen: Für Ägypten eine fortgesetzte Vernachlässigung [des] Westens und Nordens, einseitiges Ziel Syrien: weil jetzt die babylonische Politik fühlbar wird. Die beiden Kulturen beginnen zu ringen.

Akkadische Politik ist also zielbewußter als sumerische. In der Zivilisation beginnt die ›Demokratie‹, die formlose Hordenwirtschaft: ›Amoriter‹, ›Hyksos‹ – das sind Parteien großstädtischen Typs. Nicht, wie naive Historiker meinen, ›Völker‹. So wie in der Antike der orbis terrarum die Randgebiete, das alte Staatensystem terrorisiert, so hier: der Rand ist wichtiger als die Mitte: der politische Stil zu Beginn des ›Neuen Reiches‹, Hammurabi. Darauf läßt sich das Wort Ochlokratie anwenden.


22


Schrift (Kasch): Die Schrift ist nicht ›erfunden‹ worden, wenn man darunter versteht, daß jemand aus dem Nichts ein System aufbaute. Was sich entwickelt hat, ist ebensowenig ein bestimmtes System wie etwa das der Keilschrift, sondern eine Idee, ein Prinzip, nämlich eine Bilderfolge für das Auge, das dem Eingeweihten und Kenner der Sprache die Möglichkeit gibt, daraus denselben Satz abzulesen, den der Schreiber hätte sprechen können: der Sinn der Phonographie. Das ist nur in großem Zusammenhang mit einer ganzen Welt verwandter Formungen (Bau, Staat) möglich und setzt die Neigung zum Abstrakten voraus. Folglich ist die Idee in Kasch gereift und, nachdem sie[256] reif geworden war, von Priestertum zu Priestertum, [von] Tempel zu Tempel, [von] Land zu Land [gewandert] und überall in eigener Weise verwirklicht worden.


23


Für die Religion ist charakteristisch, daß sie ein sehr materielles Himmelsbild entwickelt: die Götter der Frühzeit wurden ›erhoben‹ und irgendwie ›am‹ Himmel, in Sternbildern, Mythen usw. vorgestellt. Das ist etwas ganz andres als die Himmelsnumina der Nordkulturen (Zeus), die nicht Bilder, sondern Begriffe sind. Re und Marduk sind die Sonne, ebenso sind Okeanos etc. ›das‹ Meer. Aber Zeus-Tien ist ›die Macht von oben‹. Deshalb haben die Südkulturen allein konkrete kosmogonische Systeme aufgebaut; der Norden ist da nicht mehr schöpferisch, sondern löst die entlehnten Bilder in Denkweisen auf. Zu dieser konkreten Vorstellungsweise gehört auch der Seelenvogel.


24


In beiden Religionswelten ist das höhere Prinzip der Gesellschaft, als Idee, aus der Megalithkultur, das niedere (bauernhaft, chthonisch, dem Drawidischen verwandt) aus Kasch. Jenes muß form-, dieses stoffgebend (Namen, Kulte, Örtliches) sein. Sonnenmonotheismus und Astralsystem liegt obenauf. In der ›Kaiserzeit‹ schlägt das Alte wieder durch. So erklärt sich die ›Umkehrung‹ von Himmel und Erde in Oberägypten.


25


Altbabylon: Die Sargonsage enthält wenig Historisches, zumal in den jungen Texten. Es ist wie bei Karl dem Großen in der Heldensage. Sein großer Zug ist einfach epische Dichtung. In solchen Fällen werden bekannte Namen der Sage eingefügt: Dietrich von Bern, Artus. Auch die hethitische Sage vom Zuge Sargons ist nicht mehr als das Rolandslied.[257]


26


Schrift: Die Bezeichnung von Begriffen (Namen) durch Zeichen ist schon frühneolithisch verbreitet: Eigentumsmarken, die den Besitzer ›bezeichnen‹, Zeichen für gewisse Dinge und Aktionen. Auch eine Art Rebusschrift ist möglich: so wird der West-Ost-Strom der semitohamitischen Dolmenleute die Malerei begriffen haben. Daher der scheinbare ›Verfall‹ der Höhlenmalerei, d.h. der Übergang vom Nachmalen zum Zeichnen. Auch die Kaschiten werden so weit gewesen sein. Aber ›Schreiben‹ im Gegensatz zu Zeichenmalen entsteht um 3000 sehr schnell in Ägypten und Babylonien, und zwar als Idee, die nun organisiert wird, ein System priesterlichen Denkens, das eine bewußte Aufgabe erfüllen soll. Und das System ist ebenso schnell fertig wie das der Architektur, vielleicht [im Laufe von] hundert Jahren. Geschriebenes soll gelesen werden (jene Merkzeichen sollen nur erinnern!). Also Zeichen erinnern, Schrift wird gelesen. Ursprünglich ein ganz exklusiver Geheimbesitz. Die Wirtschaftstexte von Fara z.B. sind natürlich Priesterzeichen. Ist die ägyptische Schrift auch von einer fremden Sprache her entstanden?


27


Ägypten: Das Selbstgefühl dieser Rasse – denn das war sie in vielen Generationen mit der ägyptischen Sonne geworden: braun, sehnig, feinnervig, starkknochig – bestand nicht darin, etwas zu sein, sondern das leibliche Gefäß für etwas zu sein. Der einzelne war seinem Range nach Sitz eines göttlichen Prinzips, etwas Fremdes, von oben, erhob ihn, nicht sein eignes Blut, seine Kraft, sein Mut. Weder körperliche Stärke noch Tapferkeit waren Tugenden, sondern die Tatsache, Verkörperung des Ra zu sein. Das gab der Weltanschauung des einzelnen Farbe und Weihe: so sah er seine Geburt, seine Jugend und sein Alter, seinen Tod und – vor allem – sein Leben nach dem Tode.[258]


28


Ägyptische Zivilisation: Hier geschieht es zum ersten Mal, daß eine Nation nicht nur in eine Mehrzahl einflußloser Bauern und eine herrschende städtische Minderheit zerfällt, sondern daß in angeschwollenen Städten eine Masse, ein Pöbel als Bodensatz entsteht, Abfall der Kultur, seelisch verwüstet und tot, mit dem Instinkt verwahrloster Haustiere, gierig, gemein, roh, feindlich, neidisch, [gegen] alles, was innerlich, tiefer und höher ist. Wer ihnen etwas verspricht, hat sie. Wer sie zum Verzichten anreizt, hat ein Gefolge. Und wer es versteht, sich ihm zum Führer zu setzen, hat eine despotische Gewalt wie nie ein einzelner Fürst. Diese Massenführer gab es jetzt zum ersten Mal.


29


Vordynastisches Nubien: Die Nubier [sind] den Urägyptern gleich (d.h. den Oberägyptern). Wie diese [haben sie] Tierfelle (atlantisch) als Kleidung, Bogen und Pfeil, die Straußenfeder im Haar. Alteinheimisch (atlantisch) sind Falkengötter mit Sonnenbedeutung. Heroenkult wird geübt. In die Urzeit zurück reicht die Grenze zwischen Ägypten und Nubien (Kataraktengebiet), d.h. hier liegt die Grenze der kaschitischen Unterschicht: Stets hat der Ägypter den Nubier verachtet, wie [der] Normanne den Sachsen. Sonst ist die Urkultur identisch. Mithin sind die Kaschiten durchs Rote Meer und dessen Häfen an den mittleren Nil gelangt.


30


Ägypten: Von frühdynastischer Zeit ab Bauten aus regelmäßig behauenen Blöcken, statt der natürlichen unbehauenen der gesamten Megalithkultur! Ein großer Schritt!

Megalithgräber massenhaft in Palästina, Syrien: das östlichste Hauptgebiet der atlantischen Kultur! Wie in Ägypten Entwicklung vom rohen zum behauenen Block.[259]


31


Der altkaschitisch-sumerische Weltgedanke: [ihn herausgearbeitet zu haben ist] Verdienst von Jeremias! Etwa so: Große kosmisch-begriffliche Antithetik. Die Welt ist Stoffwerdung der Götter. Nacht-Licht, Winter-Frühling, Unglück-Glück [wechseln] im Kreislauf; also Identität der Grundelemente in Menschenlos, Natur, Himmel. Himmel und Erde [stehen zueinander in] Entsprechung. Was oben ist, ist [auch] unten, nach Struktur und Geschehen. Alle Einzelerscheinungen spiegeln einander und das Ganze. Der Mensch, der sich sehr wichtig nimmt, ist Mikrokosmos, die Welt ist Makroanthropos. Weltherrschaft der Götter, die in Weltzeitaltern um die Herrschaft kämpfen, die selbst einzelne elementare kosmische Erscheinungen verkörpern. Im alten Sumer regiert Enlil von Nippur. 2000 wird in der Weltstadt Babylon [der] rationalistische Marduk zum Herrn gemacht. Der Himmel ist Thron oder Gewand des Gottkönigs.

Gilgamesch ist [zu] zwei Drittel Gott, [zu] einem Drittel Mensch, der ›große Mensch‹. Der König ist nach den ältesten Ideogrammen ›der große Mensch‹, also zum Teil ein Gott. Der Mensch ist – die große Angst und Klage! – sterblich, aber wenigstens auf der Erde das Wichtigste und Stärkste, der Herr der Pflanzen und Tiere: Idee der ›Weltherrschaft‹ älter als der nationale Gedanke. Die ägyptische Idee (Grab, Ahnen) ist politisch-sozial, die kaschitische ist religiös-sozial: ein Staat – eine Sendung. Hammurabi sagt am Anfang seines Codex, er habe seine göttliche Sendung zur Weltherrschaft empfangen, um die Gerechtigkeit zur Herrschaft zu bringen, das Böse zu vernichten und die Schwachen vor den Starken zu schützen; also etwas ganz Abstraktes.


32


4. Jahrtausend: Hier muß, um 3500, ein gewaltiger Völkerwirbel das Gebiet von Libyen bis Iran erfüllt haben, vergleichbar der Hunnenzeit in Eurasien, am Nordrand der alten Zivilisationen, und dem Wirbel um 600 in Vorderasien, wo Lyder, Perser, Meder, Chaldäer sich trafen.[260] Das ist schwer erschließbar. Aber eine Welle von Stämmen muß aus Kasch vom oberen Nil zum Delta gedrungen sein, eine andre bis Sardes und viele weiter, zum Kaspischen See.

Atlantische Wellen quer durch die Sahara nach Kordofan, Somali, Buschmann, nach Sardinien, Kreta, Jonien, nach Mittelägypten, nach Südarabien und von da nach Akkad.

Und gerade jetzt beginnt die Pflanzendecke, welche das unendliche Gebiet vom Sudan bis Gobi als Ergebnis quartärer Pluviale überwucherte, dünn zu werden: der Wald und Sumpf zu Steppe und Fluß, zu Wüste und Wadi, so daß ein langsames Fortwollen der Stämme einsetzt. Und wenig später ist der Landbau in Ägypten und Babylonien, der sich selbstverständlich entwickelt hatte, als es keine Wüste gab, in Gefahr. Und daraufhin erst ist hier die künstliche Bewässerung, der Kampf gegen die Verödung, entstanden. Es ist sinnlos zu glauben, daß Menschen sich hier angesiedelt hätten, um mit Hilfe einer schnell erfundenen Kanalisation Wüste in Ackerland zu verwandeln.


33


Kasch und Atlantis: Die Abstraktionskraft von Kasch hatte zur Folge, daß ihre Formen leicht erlernbar und übertragbar waren, während das Rhythmische von Atlantis nachgeahmt, aber nicht nacherlebt werden konnte. Deshalb wurde die babylonische Kultur die große Vorbereiterin von allem: Kosmologie, Handel, Geschäft, Recht, Kalender, Astronomie. Alle eurasischen Verkehrslinien stehen im Bann dieser ›Errungenschaften‹. Ägypten ist die hohe Schule der Staatsverwaltung, Babylon des Privatrechts. Babylon ist die große Rechnerin (Geschäft, Maß, Gewicht, Prozeßordnung, Mondfinsternis, Planetenbahn, Tempelabgaben): Konstruktion, Zahl, Maß. Hier ist die mathematische Zahl ausgearbeitet worden, wie in Ägypten die chronologische.[261]


34


Es ist falsch, Sumer nur im Süden zu suchen. Sumerische Fürstentümer, Enklaven unter Stämmen der verschiedensten Sprachen und ›Nationalität‹, reichen am Euphrat über die Chaburmündung wohl bis ans Mittelmeer! Dahin der sumerische Gott Dagan, z.B. im Fürstentum Mari (Chaburmündung). Westlich davon Jarmuti (Syrien zwischen Euphrat und Amanus mit Antiochia!). Aber die Namen der alten Mari-Könige sind teils altakkadisch, teils ›ostkanaanäisch‹. Die Sumerer haben also ihre Sprache aufgegeben.

Sind die ›phönikischen‹ Elemente um 3000 Sumerer? Alle diese Namen haben sich 3000–2000 verschoben und ihren Sinn verändert: Stammnamen werden zu Landnamen etc.


35


Babylonische und ägyptische Zivilisation: Die Ideen wirken nur ins Breite. Politisch ist es belanglos, wer gerade regiert, ob Darius, Alexander, Nebukadnezar, Hammurabi: Esbleibtein Universalgedanke. Das Reich wird nicht rational konstruiert, weder von den Assyrern noch [von] Makedoniern oder Persern. Die Regierung respektiert als gleich gültig Sprache, Volkstum, Religion und beschränkt sich auf die ›göttliche Sendung‹ als unparteiischer Schiedsrichter. Ägypten aber zeigt die ›nationale Idee‹, konzentriert, starr, ohne Expansion.


36


Zuletzt, im Fellachenstadium, stehen die gewaltigen, fossilen Formenwelten von Atlantis und Kasch am Nil und Euphrat da, verwitternd, aber unveränderlich, das erste große Beispiel der Versteinerung der zur Förmlichkeit gewordenen Formen in Verbindung mit der Leerheit des Fellachenlebens.[262]


37


Ägyptisch-babylonische Kunst: Das Ornament ist kaum da. Man versteht sich auf das Charakteristische lebendiger Leiber, in Ägypten auf den Ausdruck ruhender Gesichter und Leiber, in Babylon auf die bedeutsamen Bewegungen, aber beides dient dem Bau. Eine solche Armut des Ornamentalen ist weitergedrungen, in die vorantike Mittelmeerwelt, [nach] Kreta, Italien, und sie hat sich also in der antiken Kunst gehalten, deren Ornament sehr bescheiden ist. Die Oberschicht (geometrischer Stil) hatte es, verlor es aber bald.

Wann und wo sind die Höhepunkte des strengen Ornaments i Was bedeutet Einzel-, Reihen- [und] unendliches Flächenornament? Was die Konstanz des allgemeinen Charakters oder der einzelnen Züge? Was Reichtum und Armut, die Verzierung an ornamentalen oder imitativen Elementen?


38


Das Epos und die Tragödie gehören zum Heldentum. Ägypten und Babylonkennen solche Dichtung nicht. Was ist überhaupt ›Dichtung‹? Man verwechselt das mit literarischer (schreibender) Tätigkeit. Mit Zwecken – Unterhaltung, Belehrung. Es gibt gar keine einheitliche ›Dichtung‹, sondern viele.


39


Diese Amöbenkulturen haben schon eine geistig führende Oberschicht, unter der das metaphysische Ahnen kristallisierter b-Kulturen verwittert. (Jeremias, Allg. Rel. 24 ff.) Hier tritt an Stelle direkten Ahnens ein stilisiertes Weltsystem (Tabu des Raumes). Ursumerisch die heiligen Zahlen Dezimal (Fingerzählen), 6 (oben, unten, rechts, links, vorn, hinten), 7 der Mondrechnung: 28 = 4 x 7. Plejaden. An diese Tatsache haftet sich die Zahlenspekulation, die astrologisch verkleidet ist, ohne astronomisch zu sein. Nordisch ist der Mond = 3 x 9 Nächte. 12 vielleicht die Mondzahl im erlebten Jahr der Wiederkehr aller Naturereignisse.[263]


40


3. Jahrtausend: ein gewaltiges Drängen. Die Sahara wird die große Völkertrennerin. ›Nordrand‹. Tuimah gegen Mittelägypten. Neger gegen Punt und Kasch. Von Afrika nach Sardinien (Nuraghen), Balearen. Sikuler. El Argar in Spanien. Mauretanisches Zentrum? Älteste Schwerter, Dolchstäbe, Flachäxte (El Argar).

Damals Trennung des Sudans von den Bantusprachen? Diese kaschitisch! Vernegerung Afrikas zwischen den Wüsten? Überlegenes tropisches Blut, unschöpferisch, Reste von c-Kultur assimilierend. Frobenius: Hamiten [über] Äthiopen [als] Unterlage: [ist das] Atlantis und Kasch? Kasch [ist] andrerseits in Indien die Unterlage.

Quelle:
Oswald Spengler: Frühzeit der Weltgeschichte. München 1966, S. 248-264.
Lizenz:

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