Die Welt des Nordens – Landschaft

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Die nordische Landschaft in der Eiszeit ist tot, lebensfeindlich, dann erwacht sie langsam für das Leben: wasserreich, dichte Walddecke, Tierschwärme, Menschen. Sie ist aber immer lebensfeindlich, durch harte Winter, Schneedecke, Eismassen. Hier behauptet sich das Leben nur im Kampf gegen die Landschaft, in Winterschlaf sinkend, kahle Bäume, Pelztiere. Die Menschenseele behauptet sich von Anfang an gegen die Seele der Landschaft, [sie ist] härter, kälter, winterlicher als andere im Süden. Die griechische Seele taut auf und schmilzt an der Sonne hin, die indische verdorrt und erstickt, jene lässig sich legend, diese in Nichts verdunstend. Denn der Mensch ist, was immer er sonst auch sein mag, nämlich Erbe von Generationen, doch ein Produkt und Ausdruck der Landschaft, sich ihr hingebend, sich gegen sie behauptend, denn er nährt sich von der Erde, die er wieder wird. Nicht nur sein Leib – die Seite seines Wesens, die fremden Sinnen sich spiegelt, gesehen, getastet, gerochen-, sondern auch die Seele – die Art, wie das Wesen von Fremden erfühlt, erlebt wird – ist ganz wesentlich eine Frucht des Landes. Ihr Schicksal – in Schnee und Eis sterbend, im Frühling erwachend, von Regen, Sturm gepeitscht, überschwemmt, verwüstet – spiegelt sich auch im menschlichen Sosein, das daran leidet und sich dagegen behauptet. Die Härte dieses Schicksals, hier geboren zu sein, hat die Stärke der Seele herausgebildet, und aus dieser Seele sind die Seelengestalten der einzelnen Kulturen mit ihren Völkern, Staaten, Religionen, Künsten erwachsen.[273]


2


Die größte Binnenebene der Planeten: das Stück Erde, das die schöpferischen Menschen zur Entstehung zwang. Der Mensch der Ebene, nicht der Meeresküste. Harte Natur, Winter, Frost, Not. Schneller Wechsel von Hitze und Kälte.


3


Wanderung, Siedlung. Flüsse, Täler – Verbreitungswege. Ebenso Küsten. Gebirge hindern, vor allem aber Wälder, noch in der Zeit der beginnenden Eisenaxt. Urwälder, dichtes Unterholz, sind undurchdringlich, gespenstisch. Angst. Da kommt kein Mensch hinein. Dichte Walddecke über den Kontinenten. Sie wird erst langsam von den Tälern aus zurückgedrängt. Seltene Pfade, nur den Eingeborenen bekannt, geheim. Gefährlich, da Fremde von dort kommen könnten. Die Siedlungen sind also auf die Lichtungen und Buchten beschränkt. Weite Gebiete von Wald statt von Menschen besetzt.

Verkehr: Saumtiere, Fähre, Karawanen. Kleine Menschenzahl. Seefahrt. Binnenstämme, die erobern wollten, zwangen die Besitzer der kleinen Schiffe, ihnen zu helfen. Etrusker, Pelasger.


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Ende des Neolithikums, Anfang der Bronzezeit im Norden. Klimaänderung für mehrere Jahrhunderte: Kontinental statt Golfstrom, trocken, Bleichmoose verschwinden aus den Mooren und kehren später zurück. Damals kam von Südosten der indogermanische Vorstoß. Der postglaziale Urwald wird dünn oder schwindet – deshalb bildet sich neue Siedlungsmöglichkeit. Nachher breitet sich der Wald wieder aus.

Quelle:
Oswald Spengler: Frühzeit der Weltgeschichte. München 1966, S. 273-274.
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