7. Jenseits der Unterschiede

[46] Die Begrenzungen sind nicht ursprünglich im SINN des Daseins begründet. Die festgelegten Bedeutungen sind nicht ursprünglich den Worten eigentümlich. Die Unterscheidungen entstammen erst der subjektiven Betrachtungsweise. Ich will die Unterscheidungsgründe nennen: Rechts und Links, Beziehungen und Pflichten, Teilen und Beweisen, Widerspruch und Gegenwirkung. Das nennt man die acht Kategorien. Außerhalb der Welt der Räumlichkeit (gibt es Ideen, die) der Berufene festhält, ohne sie zu beschreiben. Innerhalb der Welt der Räumlichkeit (gibt es Ideen, die) der Berufene beschreibt, ohne sie zu beurteilen. Im Verlauf der Geschichte (gibt es Taten, die) der Berufene beurteilt, ohne beweisen zu wollen. Im Geteilten gibt es Unteilbares. In den Beweisen gibt es Unbeweisbares. Was heißt das? Der Berufene hat (die Wahrheit) als innere Überzeugung, die Menschen der Masse suchen sie zu beweisen, um sie einander zu zeigen. Darum heißt es: Wo bewiesen wird, da fehlt die Anschauung. Der große SINN bedarf nicht der Bezeichnung; großer Beweis bedarf nicht der Worte; große Liebe ist nicht liebevoll; große Reinheit ist nicht wählerisch; großer Mut ist nicht tollkühn. Ist der SINN gleißend, so ist es nicht der SINN; sucht man mit Worten zu beweisen, so erreicht man nichts; ist die Liebe korrekt, so bringt sie nichts fertig; ist die Reinheit allzu rein, so ist sie nicht wahrhaft; zeigt sich der Mut tollkühn, so bringt er nichts fertig. Diese fünf Dinge sind auf der Grenze zwischen der in sich geschlossenen (himmlischen Welt) und der kantigen (wirklichen Welt). Darum: mit seinem Erkennen haltmachen an der Grenze des Unerforschlichen ist das Höchste. Wer vermag zu erkennen den unaussprechlichen Beweis, den unsagbaren SINN? Diese zu erkennen vermögen heißt des Himmels Schatzhaus besitzen. Dann strömt es uns zu, und wir werden nicht voll. Es fließt aus uns hervor, und wir werden nicht leer, und wir wissen nicht, von wannen es kommt: das ist das verborgene Licht. So fragte vor alters Yau den Schun und sprach: »Ich möchte einige rebellische Fürsten bestrafen. Nun sitz ich auf meinem Thron und werde[47] den Gedanken an sie nicht los. Woher kommt das?« – Da sprach Schun: »Diese Fürsten fristen ihr Dasein gleichsam inmitten dichten Gestrüpps. Wie solltest du von ihnen nicht loskommen? Vor alters gingen zehn Sonnen gleichzeitig auf, und alle Dinge waren im Licht; um wieviel mehr sollte geistiges Leben der Sonne überlegen sein!«

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Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 46-48.
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