6. Die Gaben des Himmels und die Logik

[80] Hui Dsï wandte sich an Dschuang Dsï und sprach: »Gibt es wirklich Menschen ohne menschliche Leidenschaften?«

Dschuang Dsï sprach: »Ja.«

Hui Dsï sprach: »Ein Mensch ohne Leidenschaften kann nicht als Mensch bezeichnet werden.«

Dschuang Dsï sprach: »Da ihm der ewige SINN des Himmels menschliche Gestalt verliehen, so muß er doch als Mensch bezeichnet werden können.« Hui Dsï sprach: »Wenn ich ihn einen Menschen nenne, so ist damit gesagt, daß er auch Leidenschaften hat.«

Dschuang Dsï sprach: »Diese Leidenschaften sind es nicht, die ich meine. Wenn ich sage, daß einer ohne Leidenschaften ist, so meine ich damit, daß ein solcher Mensch nicht durch seine Zuneigungen und Abneigungen sein inneres Wesen schädigt. Er folgt in allen Dingen der Natur und sucht nicht sein Leben zu mehren.«

Hui Dsï sprach: »Wenn er nicht sein Leben zu mehren sucht, wie kann dann sein Wesen bestehen?«

Dschuang Dsï sprach: »Der ewige SINN des Himmels hat ihm seine Gestalt verliehen, und er schädigt nicht durch seine Zuneigungen und Abneigungen sein inneres Wesen. Aber Ihr[80] beschäftigt Euren Geist mit Dingen, die außer ihm liegen und müht vergeblich Eure Lebenskräfte ab. Ihr lehnt Euch an einen Baum und stammelt Eure Sprüche; Ihr haltet die Zither in der Hand und schließt die Augen. Der Himmel hat Euch Euren Leib gegeben, und Ihr wißt nichts besseres zu tun, als immer wieder Eure Spitzfindigkeiten herzuleiern.«

Quelle:
Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 80-81.
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