5. Himmel auf Erden

[79] Es war einmal ein Mann, der hatte einen Kropf, so groß wie ein irdener Topf. Der stand im Dienst des Fürsten Huan von Tsi. Der Fürst Huan war so von ihm eingenommen, daß ihm die Hälse der normalen Menschen alle zu dünn vorkamen. So lassen geistige Vorzüge über körperliche Gebrechen hinwegsehen. Wenn Leute das nicht übersehen, was man übersehen sollte, und übersehen dagegen das, was man nicht übersehen darf, das ist wirkliches Übersehen. So wandelt der Berufene im Lande der Freiheit. Das Wissen betrachtet er als vom Übel; gegebenes Wort betrachtet er als Leim; Tugend betrachtet er als Mittel zu äußerem Gewinn, und gute Werke betrachtet er als Handelsware. Der Berufene schmiedet keine Pläne: wozu bedarf er da des Wissens? Er kennt nicht Bruch[79] noch Trennung: wozu bedarf er da des Leimes? Er kennt keinen Verlust: wozu bedarf er da der Tugend? Er braucht keine irdischen Güter: wozu bedarf er da der Handelsware? In allen diesen Dingen genießt er des Himmels Speise. Des Himmels Speise genießen, das heißt vom Himmel ernährt werden. Da er nun Nahrung bekommt vom Himmel: wozu bedarf er noch der Menschen? Er hat der Menschen Gestalt, aber nicht der Menschen Leidenschaften. Weil er menschliche Gestalt hat, darum gesellt er sich den Menschen; da er aber nicht menschliche Leidenschaften kennt, so haben ihre Wertungen keinen Einfluß auf sein Leben. Verschwindend klein ist, was ihn mit dem Menschen verbindet; in stolzer Größe schafft er sich einsam seinen Himmel.

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Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 79-80.
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