5. Kritik der Zeitrichtungen

[148] Darum machten es die Alten, die den großen SINN zur Klarheit bringen wollten, also: erst schafften sie Klarheit über den Himmel, dann kamen SINN und LEBEN. War Klarheit da über SINN und LEBEN, dann kam Liebe und Pflicht. War Klarheit da über Liebe und Pflicht, dann kam die Berufserfüllung. War Klarheit da über die Berufserfüllung, dann kam das Verhältnis von Sachen und Begriffen. War Klarheit da über das Verhältnis von Sachen und Begriffen, dann kam die Auswahl der rechten Männer für den rechten Platz. War Klarheit da über die rechten Männer am rechten Platz, dann kamen die Fragen der Beaufsichtigung. War Klarheit da über die Fragen der Beaufsichtigung, dann kam Billigung und Tadel. War Klarheit da über Billigung und Tadel, dann kam Lohn und Strafe. Indem so Lohn und Strafe in die Klarheit kamen, hatten Toren und Weise ihren rechten Platz, Vornehme und Geringe standen an ihrer Stelle. Die Guten und Würdigen und auch die Ungeschickten taten ihr Bestes: sie teilten ihre Fähigkeiten mit und machten ihrem Namen Ehre. Auf diese Weise dienten sie den Oberen; auf diese Weise nährten sie die Unteren; auf diese Weise ordneten sie die Dinge; auf diese Weise pflegten sie ihr Selbst. Wer nicht der Klugheit und Berechnung bedarf, sondern sich auf seine himmlische Natur verläßt, der hat das höchste Ziel friedlichen Waltens erreicht. Darum heißt es im Buche: »Gibt es Sachen, so gibt es auch Begriffe.« Das Verhältnis von Sache und Begriff war also den Alten bekannt, aber sie stellten es nicht in den Vordergrund. Die Alten, die vom großen SINN sprachen, erwähnten das Verhältnis von Sachen und Begriffen erst an fünfter Stelle, und von Lohn und Strafe gar redeten sie erst an neunter Stelle. Die es allzu eilig haben in ihren Reden über das Verhältnis von Sachen und Begriffen, kennen nicht die wahre Grundlage. Die es allzu eilig haben in ihren[148] Reden über Lohn und Strafe, kennen den rechten Anfang nicht. Sie verkehren den SINN und reden darüber; sie widersprechen dem SINN und machen Worte. Wer also sich von den Menschen beeinflussen läßt, wie kann der die Menschen beeinflussen? Die es allzu eilig haben in ihren Reden von Sachen und Begriffen, von Lohn und Strafe, die kennen nur die Mittel zum Herrschen, aber nicht den SINN des Herrschens. Man kann sich ihrer bedienen in der Welt, aber sie sind nicht imstande, sich der Welt zu bedienen. Sie sind Sophisten, Pedanten. Riten und Gesetze, Rang und Stand und die Einzelheiten des Verhältnisses von Sache und Begriff kannten die Alten wohl. Das sind Dinge, die für die Untergebenen notwendig sind, um ihren Oberen zu dienen, nicht aber für die Oberen, um ihren Untergebenen Nahrung zu spenden.

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Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 148-149.
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