4. Die Gründe von Konfuzius' Mißerfolg

[160] Als Kung Dsï einst auf Reisen war im Lande We, fragte (sein Lieblingsjünger) Yen Hui den Musikmeister Gin von Lu und sprach: »Was hältst du vom Wandel unseres Meisters?«

Der Musikmeister Gin sprach: »Wie schade, daß dein Meister zu Mißerfolg verdammt ist!«

Yen Hui sprach: »Wieso?«

Der Musikmeister Gin sprach: »Ehe die strohernen Hunde (bei der Opferfeier für die Verstorbenen) aufgestellt werden, tut man sie in einen Schrein und umhüllt sie mit Stickereien. Der Totenpriester fastet und reinigt sich, um sie darzubringen. Sind sie aber erst einmal aufgestellt gewesen, so wirft man sie weg, also daß die Vorübergehenden ihnen auf Kopf und Rücken treten, und die Reisigsammler sie auflesen und verbrennen. Würde einer abermals sie nehmen und in einen Schrein setzen, sie umhüllen mit Stickereien, sich von seinen Geschäften zurückziehen und zu ihren Füßen schlafen, so würde er entweder Träume bekommen oder aber von Alpdrücken geplagt werden. Nun hebt dein Meister ebenfalls die schon aufgestellt gewesenen strohernen Hunde der früheren[160] Könige auf, sammelt Schüler um sich, zieht sich von seinen Geschäften zurück und schläft zu ihren Füßen. Darum mußte er erleben, daß im Lande Sung der Baum gefällt wurde, unter dem er sich aufhielt, daß er den Staub von den Füßen schütteln mußte im Lande We, daß er Mißerfolg hatte in Schang und Dschou. Sind das nicht üble Träume? Er wurde umringt auf der Grenze von Tschen und Tsai, also daß er sieben Tage lang kein warmes Essen hatte und zwischen Tod und Leben schwebte. Ist das nicht Alpdrücken?

Um auf dem Wasser voranzukommen, ist's am besten, ein Schiff zu benützen; um aber auf dem Lande voranzukommen, benützt man am besten einen Wagen. Wenn einer, weil man mit einem Schiff auf dem Wasser vorankommen kann, darnach streben würde, es auf dem Lande zu schieben, so würde er sein Leben lang keinen Schritt vorwärts kommen. Die alten und die neuen Zeiten verhalten sich wie Wasser und Land. Die Einrichtungen der alten Dschoudynastie und die des heutigen Staates Lu verhalten sich zueinander wie Schiff und Wagen. Sucht man heute die Einrichtungen der alten Dschoudynastie im Lande Lu durchzuführen, so ist es gerade so, wie wenn man ein Schiff auf dem trockenen Lande voranschieben wollte. Es ist Mühe ohne Erfolg und bringt in persönliche Gefahr. Jener aber hat noch nicht erkannt, daß nur die Lehre, die auf keine bestimmten Verhältnisse zugeschnitten ist, den Dingen zu entsprechen vermag, ohne Mißerfolg zu haben.

Hast du denn noch nie einen Ziehbrunnen gesehen? Wenn man dran zieht, so neigt er sich; läßt man ihn los, so fährt er wieder in die Höhe. Er muß von Menschen gezogen werden; nicht kann er die Menschen ziehen. Darum neigt er sich und geht in die Höhe, ohne den Menschen zu widerstreben. Nun sind die Sitten und Gesetze der verschiedenen Herrscher des Altertums nicht dadurch groß, daß sie übereinstimmen, sondern dadurch, daß sie Ordnung zuwege brachten. Die Sitten und Gesetze jener Herrscher kann man vergleichen mit Mehlbeeren, Birnen, Apfelsinen und Pomeranzen. Ihr Geschmack ist ganz verschieden voneinander, und doch sind sie alle wohlschmeckend. So müssen sich die Sitten[161] und Gesetze den Zeiten anpassen und sich ändern. Wollte man heutzutage einen Affen nehmen und ihn kleiden in die Gewänder des Herzogs von Dschou, so würde er sie sicher zerbeißen und zerreißen und sich erst dann wieder wohlfühlen, wenn er ihrer allesamt wieder ledig wäre. Betrachtet man den Unterschied zwischen einst und jetzt, so ist er nicht geringer als der zwischen einem Affen und dem Herzog Dschou.

Als einst die schöne Si Schï im Herzen Kummer hatte, da zeigte sie ihrer ganzen Nachbarschaft eine gerunzelte Stirn. Das sah eine Häßliche und fand es schön. Sie ging heim und preßte auch die Hand aufs Herz und zeigte ihrer Nachbarschaft eine gerunzelte Stirn. Die reichen Leute ihrer Nachbarschaft, die sie sahen, verrammelten ihre Türen und wagten sich nicht hervor; die Armen, die sie sahen, nahmen Weib und Kind an der Hand und liefen vor ihr davon. Sie hatte erfaßt, daß Stirnrunzeln schön sein können, aber nicht, was sie schön macht.

Wie schade, daß dein Meister zu Mißerfolg verdammt ist!«

Quelle:
Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 160-162.
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