7. Der Geist

[202] Der Herzog Huan war einst auf der Jagd in einer sumpfigen Gegend, und (sein Kanzler) Guan Dschung lenkte den Wagen. Da sah er einen Geist.

Der Herzog faßte den Guan Dschung bei der Hand und sprach: »Vater Dschung, was siehst du?«

Der erwiderte: »Ich sehe nichts.«

Als sie nach Hause kamen, da redete der Herzog irre und wurde krank. Mehrere Tage lang ließ er sich nicht sehen.

Nun gab es einen weisen Mann in Tsi, der sprach: »Eure Hoheit schaden sich selbst. Wie könnte ein Geist Eurer Hoheit schaden? Wenn die Lebenskraft in einem Anfall von Erregung verbraucht wird, ohne sich wieder zu ersetzen, so ist ein Schwächezustand die Folge. Steigt sie empor, ohne wieder herunterzukommen, so wird der Mensch leicht zornig; sinkt sie nach unten, ohne wieder heraufzukommen, so wird der Mensch vergeßlich. Kann sie weder steigen noch sinken, sondern stockt sich im Herzen, mitten im Leib, so verursacht sie Krankheit.«

Der Herzog Huan sprach: »Ja, gibt es denn überhaupt Geister?«

Jener erwiderte: »Gewiß! Im trüben Wasser wohnt der Schwarzfuß; beim Herde wohnt die Scharlachfee; bei den Kehrichthaufen an der Tür haust der Poltergeist; in den Niederungen[202] im Nordosten, da hüpfen die Talzwerge und die Hornfrösche herum; in den Niederungen im Nordwesten haust der Pantherkopf; im Wasser wohnt der Vampir; auf den Hügeln wohnt der scheckige Hund; in den Bergen wohnt der Einbein; in den Einöden wohnt das Irrlicht; in den Sümpfen wohnt der Hüpferling.«

Der Herzog sprach: »Darf ich fragen, wie der Hüpferling aussieht?«

Der Weise sagte: »Er ist ungefähr so groß wie ein Rad und so lang wie eine Deichsel. Er hat violette Kleider an und ein rotes Hütlein auf. Er ist ein Geschöpf, das Donner und Wagengerassel nicht hören kann. Dann faßt er mit den Händen nach dem Kopf und stellt sich aufrecht hin. Wer ihn sieht, wird Herrscher im Reich.«

Da lachte der Herzog Huan laut auf und sagte: »Das war gerade der, den ich gesehen habe.«

Darauf brachte er seine Kleider und seine Kopfbedeckung zurecht und setzte sich zu seinem Gast. Und ehe der Tag vorüber war, da war seine Krankheit unversehens verschwunden.

Quelle:
Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 202-203.
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