2. Innerlichkeit

[244] Wessen innere Welt gelassen ist und fest, der entwickelt sich im Licht des Himmels. Wer sich entwickelt im Licht des Himmels, der bleibt nur in seinem äußeren Leben für die Menschen sichtbar. Die andern Menschen suchen sich zu bilden,[244] aber er hat nun das Dauernde erreicht. Wer das Dauernde erreicht hat, von dem fällt das Menschliche ab, und das Himmlische hilft ihm. Von wem das Menschliche abfällt, der gehört zum Reich des Himmels; wem das Himmlische hilft, der heißt Sohn des Himmels.

Die aber das durch Lernen erreichen wollen, lernen an etwas, das sie nicht lernen können; die das ausüben wollen, bemühen sich um etwas, das sie nicht ausüben können; die das beweisen wollen, suchen etwas zu beweisen, das sich nicht beweisen läßt. Wer mit seinem Erkennen haltmacht vor dem, was man nicht erkennen kann, der hat's erreicht. Wer nicht dazu gelangt, der wird zunichte nach einer inneren Notwendigkeit.

Wer die Außendinge benützt, um seinen Leib zu erhalten, wer sich vor Unübersehbarem birgt, um seiner Seele Leben zu wahren, wer auf sein Inneres achtet, um jenes Geheimnis zu verstehen, dem mögen alle Übel sich nahen: sie sind ihm alle vom Himmel gesandt, nicht menschlicher Fehler Schuld. Darum können sie ihn nicht irre machen in dem, was er erreicht hat. Er braucht ihnen keinen Einlaß zu gewähren in die Feste seines Geistes. Diese Feste des Geistes liegt in der Hand von etwas, da sie in unerkennbarer Weise hält und selbst nicht ergriffen werden kann. Wer ohne sein wahres Selbst zu sehen sich äußert, der trifft in allen seinen Äußerungen nicht das Rechte. Die Außenwelt dringt in ihn ein und läßt ihn nicht mehr los, und je mehr er sich bessern will, desto weiter kommt er ab vom Ziel. Wer Unrecht tut im offenen Tageslicht, der fällt den Menschen in die Hand zur Strafe; wer Unrecht tut im Verborgenen, der fällt den Geistern in die Hand zur Strafe. Wer im reinen ist mit den Menschen und im reinen ist mit den Geistern, der erst kann frei handeln.

Wer sein Gesetz im eigenen Innern hat, der wandelt in Verborgenheit; wer sein Gesetz im Äußeren hat, des Wille ist darauf gerichtet, Schätze zu sammeln. Wer in Verborgenheit wandelt, der hat Licht in allem, was er tut. Wessen Wille darauf gerichtet ist, Schätze zu sammeln, der ist nur ein Krämer. Die Leute sehen, wie er auf den Zehen steht, während er denkt, daß er alle überrage. Wer die Außenwelt zu erschöpfen sucht, in den dringt die Außenwelt ein. Wer von[245] der Außenwelt eingenommen ist, der kann nicht einmal sein eigenes Ich gelten lassen; wie sollte er die Men schen gelten lassen können? Wer die Menschen nicht gelten lassen kann, wird nicht geliebt; wer von niemand geliebt wird, ist ein verlorener Mann. Es gibt keine gefährlichere Waffe als den Willen; auch das schärfste Schwert kommt ihm nicht gleich. Es gibt keine größeren Räuber als die Kraft des Lichten und Trüben. In der ganzen Welt entgeht nichts ihren Wirkungen, und doch sind es nicht diese Kräfte, die uns berauben. Das eigne Herz ist's, das sie zu Räubern macht.

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Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 244-246.
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