2. Der Weg zum Frieden

[250] Sü Wu Gui besuchte den Fürsten Wu.

Der Fürst sprach: »Herr, Ihr lebt in den Bergwäldern und esset Kastanien und sättigt Euch mit Zwiebel und Knoblauch, und es ist lang her, daß Ihr Uns nicht mehr besucht habt. Nun seid Ihr wohl alt und wünscht den Geschmack von Wein und Fleisch zu kosten. Auch haben Wir den Segen der Erd- und Kornaltäre, (den Wir gern mit Euch teilen).«

Sü Wu Gui sprach: »Ich bin in Armut und Niedrigkeit geboren und habe kein Begehren nach Eurer Hoheit Wein und Fleisch. Ich komme, um Eure Hoheit zu bedauern.«

Der Fürst sprach: »Wie? Inwiefern wollt Ihr mich bedauern?«

Sü Wu Gui sprach: »Geistig und leiblich.«

Der Fürst sprach: »Was meint Ihr damit?«

Sü Wu Gui sprach: »Himmel und Erde nähren alle Geschöpfe auf gleiche Weise. Wer in der Höhe weilt, darf sich deswegen nicht für größer halten; wer in Niedrigkeit wohnt, darf sich deswegen nicht für verkürzt halten. Eure Hoheit sind unumschränkter Herr. Daß Ihr Euer ganzes Volk bedrückt, um Euren Sinnen zu fröhnen, dabei fühlt sich Euer Geist nicht wohl. Der Geist liebt Eintracht und haßt Sinnlichkeit. Die Sinnlichkeit ist ein Leiden. Darum komme ich, um Euch zu bedauern. Wie kommt es nur, daß gerade Eure Hoheit unter diesen Dingen zu leiden hat?«

Der Fürst Wu sprach: »Schon lange hätte ich Euch gerne einmal wieder gesehen. Ich habe den Wunsch, mein Volk zu lieben und durch Ausübung von Gerechtigkeit dem Krieg ein Ende zu machen. Ist das zu billigen?«

Sü Wu Gui sprach: »Es ist nicht zu billigen. Die Liebe zum Volk ist der Anfang dazu, das Volk zu schädigen. Durch Ausübung von Gerechtigkeit dem Krieg ein Ende machen wollen heißt die Wurzel des Krieges pflanzen. Wenn Ihr auf diese Weise vorgeht, so ist zu fürchten, daß Ihr nichts zustande bringt. Jedes verwirklichte Ideal führt zum Übel. Wenn Ihr Euch betätigt, sei es auch in Liebe und Pflicht, so seid Ihr auf falschem Wege. Jede äußere Betätigung zieht[251] notwendig eine andere äußere Betätigung nach sich. Alles was in einer Richtung vollkommen ist, ist in anderer Hinsicht von Nachteil, und die daraus entstehende Verwirrung führt notwendig zu Verwicklungen mit der Außenwelt. Ihr stellt doch auch nicht Eure Schlachtreihen inmitten der Tore Eures Palastes auf, noch Eure Krieger und Ritter in unmittelbarer Nähe der Tempel und Altäre. (Wieviel wichtiger ist es da noch, daß Ihr Euer Herz frei haltet), daß Ihr keine Gedanken hegt, die dem LEBEN widersprechen, daß Ihr nicht durch Schlauheit, Ränke und Kriege andre zu besiegen sucht! Andrer Leute Volk zu töten, andrer Leute Land zu annektieren, um das eigene Ich zu füttern, das bringt unseren Geist (in innere Kämpfe), und inmitten dieser Unklarheit weiß er nicht mehr, was gut ist; und was ist dann aus unserem Sieg geworden? Das beste wäre, daß Ihr mit all dem ein Ende macht, daß Ihr die Aufrichtigkeit Eures Herzens pflegt, um den Verhältnissen in der Welt in rechter Weise zu entsprechen, und Euch nicht weiter abquält. Auf diese Weise ist das Volk schon frei vom Tod, und Ihr habt es nicht mehr nötig, dem Krieg ein Ende zu machen.«

Quelle:
Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 250-252.
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