7. Schuld an den Verbrechern

[268] Be Gü war Schüler bei Lau Dan und sprach zu ihm: »Darf ich in die Welt hinaus wandern?«

Lau Dan sprach: »Laß ab! In der ganzen Welt ist es so wie hier.«

Er bat ihn abermals.

Da sprach Lau Dan: »Wohin möchtest du zuerst gehen?«

Er sprach: »Ich möchte zunächst nach Tsi. In Tsi würde ich zu den hingerichteten Verbrechern gehen. Ich würde sie aufrichten und stützen, meine Feierkleider ausziehen und sie damit bedecken. Dann würde ich zum Himmel schreien und sie beweinen: Ihr Männer, ihr Männer! Die Welt ist in großem Elend, und ihr seid zuerst hineingeraten!« –

Es heißt wohl: du sollst nicht rauben! Es heißt wohl: du sollst nicht töten! Dadurch, daß Ehre und Schmach eingeführt wurden, begannen die Menschen auf das zu sehen, was ihnen fehlte; dadurch, daß Gut und Geld angehäuft wurde, erblickten die Leute Dinge, um die sie sich stritten. Wenn man nun Dinge einführt, die den Leuten Schmerz bereiten; wenn man Güter aufhäuft, um die die Menschen sich streiten; die Leute in Bedrängnis bringt, daß sie keinen Augenblick mehr Ruhe finden, und dennoch verlangt, daß sie sich an jene Gebote halten, will man da nicht etwas Unmögliches?

Die Fürsten des Altertums schrieben allen Gewinn dem Volke zu und allen Verlust sich selbst, schrieben alles Gute dem Volke zu und alles Verkehrte sich selbst. Darum, wenn irgend etwas in Unordnung geriet, so zogen sie sich zurück und suchten den Fehler bei sich. Heutzutage machen sie's nicht also. Sie verhehlen die Dinge, die sie wollen, und erklären die Leute für Toren, wenn sie sie nicht erraten; sie vergrößern die Schwierigkeiten und rechnen's den Leuten als Sünde zu, wenn sie sich nicht daran wagen. Sie erschweren die Verantwortung und strafen die Leute, wenn sie ihr nicht gewachsen sind. Sie machen die Wege weit und richten die Leute hin, die nicht ans Ziel gelangen. Wenn so die Leute am Ende sind mit ihrem Wissen und ihrer Kraft, so werfen sie sich auf den Betrug. Wenn die Herrscher täglich betrügen, wie kann man[269] da erwarten, daß die Untertanen nicht betrügen? Wo die Kraft nicht ausreicht, da muß man betrügen; wo das Wissen nicht ausreicht, da muß man lügen; wo der Besitz nicht ausreicht, da muß man rauben. Alle die Taten der Diebe und Räuber, wem fallen sie in Wirklichkeit zur Last?

Quelle:
Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 268-270.
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